Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Adalbert Stifter

Als der wangenrote ewige Jüngling, mit einem apfelsäuerlichen Stich ins Junggesellenhafte, Pedantische, etwas verblichen, lebt der Schulrat Stifter im Gedächtnis der Nachfahren. Aber man wird ihn noch einmal, neben Raimund, den größten Dichter Österreichs nennen, trotz Grillparzer, der von den beiden vielleicht der weisere war, mannigfaltiger, abgründiger, nicht aber ursprünglicher, sicherer, dichterischer. Denn der eine, in dessen seltsam verschnörkeltem Schatten alle die andern leben, die unsre wunderliche vielgestaltige, unvergleichliche Heimat hervorgebracht hat: die Raimund, Nestroy, Bauernfeld, Lenau, Kürnberger, Pyrker, Grün, Halm, Seidl, Ebert, Meißner, Hamerling, Anzengruber, Ebner, Saar, Rosegger, der eine, dessen entfleischte eingebückte Greisengestalt wie ein flackernder Hoffmannscher Spuk aus Goethe-Tagen in unsre jüngste Vergangenheit hereinragt, riesenhaft heranwachsend bald, bald schrumpfend mit leisem verdrossenem Kichern, er, an dessen süßem, wie verfrühter Frühlingshauch ermattendem Wiener Griechentum – seiner etwas hektischen Frühzeit – sich heute noch die Jüngsten zu gliederlösender Trunkenheit berauschen, Grillparzer, war, größer als sein überschätztes Werk, ein Erbe, Stifter, der »veraltete« Dichter, ist ein Ahnherr.

In der »Iris auf das Jahr 1848« des Grafen Johann Majláth – was für eine erschütternde Fülle von Erinnerungen, unrettbaren Vergangenheiten läßt das in rote Seide gebundene mächtige »Taschenbuch« vor unsern nachdenklichen Augen heraufrauschen! – steht neben dem »Armen Spielmann« der »Prokopus«. Dort die »klassische« Novelle, deren österreichische Ader, unverkennbar in ihrer zarten, unzählige Male leise gebrochenen blauen Linie, auf Ferdinand von Saar fließt, hier ein ganz und gar Eigener, märchenhaft, freischwebend wie ein Zaubergarten der Luft. Freilich, auch hier eine Tradition – wo wäre Kunst von Geblüt ohne sie denkbar! – aber keinerlei Schema. Man hat nicht mit Anrecht Adalbert Stifter unter die Rubrik Jean Paul gebracht. Gewiß hat keiner mehr so innig in die Saiten der regsamen Herzensharfe gegriffen, die der Wunsiedler Magus gemeistert hatte, er, von dessen Glauben, dessen verzücktem Götzendienste die nächste Generation schon, die »vernünftige«, schale, programmatische, abfiel. Und im »Condor« (1840), den »Feldblumen« (1841), dem »Lochwald« (1842) könnens der etikettierenden Literarhistorie Beflissene ja mit Händen greifen. Aber das Wesentliche sind diese Rührseligkeit, das »Tränenerstickt«-Beredte, die Fistelstimme der Herzens-Enthusiasmen nicht, waren's auch an Jean Paul nicht, dem Grenzenlosen, Dithyrambischen, Dionysischen, Schwärmend-Stürmenden, der, mit Herder und Hoffmann einer der größten Deutschen, als ein Schlafrockendenschleifer und Pantoffelschlurfer verkannt bleibt, weil er höchst geschmacklose, freilich überaus langatmige Augenblicke spießbürgerlichster Zugänglichkeit hatte für Herrn Jedermann und sein ästhetisches Frauenzimmer; das Wesentliche an dem armen, plötzlich errötend als Poeten »entdeckten« Hauslehrer hochgeborener Gönnersprößlinge war es nicht, dieses triefende Arienwesen, wie es die arglose Zeit liebte, die lieblich gezierte Zeit des »Vormärz«, die Zeit der »Schmachtlocken« und der umrankten Stammbuchblätter; das Wesentliche war es nicht: hier war ein Herz, das sich rein bewahrt hatte, ein armes, liebeheischend gequältes, verlassenes Herz, von Sehnsucht voll zum Zerspringen, das gütig und dankbar geblieben war jeglicher Unsal zum Trotz, ein Herz, das sich frei erhalten hatte unter allen Demütigungen der ärgsten, der dankschuldigen Knechtschaft. Hier war ein Dichter, beflügelt wie der stürmende Lenz seiner keuschen Wälder, duftend wie die unbetretenen Waldwiesen dieser hochthronenden Forste, selig im innerlichen Anschauen all der verlorenen Herrlichkeiten seiner ungehemmten ersten kurzen Kindheit, da man im Taubenschlag mit fliegenden Wangenflammen Rittergeschichten lesen, da man wie der unbeweglich in Lüften gebreitete Geier über der Welt und ihren nur zu früh erlebten Kümmernissen ruhen konnte in träumender Abgeschiedenheit. Und wie hoch sich Stifters bewußtes Künstlertum seit den schlichten »Feldblumen« seiner scheuen Anfängerschaft in den Erzählungen, den »Studien« und den »Bunten Steinen« auch zur Klarheit erhoben hat, immer wird man ihn wiederfinden, selbst im langsam raschelnd vertrocknenden »Nachsommer«, der altmodisch-vertrackten »Meisteriade«, die mit dem Zirkel gerichtet scheint und von Streusand staubt, ihn, den Dichter der heiligsten Geheimnisse des lauteren Herzens: den treuen, den frommen, den reinen, den freien.

Denn dieses sind die Ehrfurcht einflößenden Gnaden des liebenswürdigsten unter allen deutschen Dichtern: er war lauter wie die Fels quellen seiner böhmischen Heimat, stark im Vertrauen auf Gott und seine unentrinnbare, weiseste Ordnung aller Dinge und ein seliger Freund der Menschen, Tiere, Pflanzen und Steine, alles Geschaffenen, liebendgeliebt, Geschöpf-Schöpfer, ein Deuter des Kleinsten, wie es groß sei, da es notwendig sei und wundersam gleichwohl, weil im innersten Zusammenhänge doch unbegriffen einsam. Keiner vor ihm, keiner nach ihm hat sich so mit allen Sinnen angesogen an die Allmutter; es ist, liest man seine unübertrefflich wesenhaften, bis ins Unbegreifliche deutlichen Schilderungen des lautlosen Naturgeschehens, der Verschattungen, Rettungen, des Blühens, Reifens, Welkens, es ist, als wäre aus dem Herzen, dem Geheimsten der Welt heraus verraten, was sonst unerforscht hätte bleiben müssen wie nie begangene smaragdne Teppiche zwischen riesigen tropischen Strömen ...

Tragisch ist dieser seligste Verkünder von unsrer Welt Herrlichkeit und Gottsicherheit, weil sein Leben, das bescheiden-demütige Leben eines armen Waldsohnes, den die Stadt, der Staat, die Gesellschaft nur als einen stolpernden Supplikanten genehmigt, an unerfüllter Sehnsucht hat zugrunde gehen müssen. Den Friedlichsten, Freundlichsten, Gütigsten, Bescheidensten hat das unbarmherzige kleinliche Leben vernichtet, buchstäblich zerrieben.

Ihn, der uns den Wald erschaffen hat, wie ihn Gott aus dem Chaos am Schöpfungstage mit allen Wurzeln und ragenden Bäumen, mit den unzählig wimmelnden, winzigen und majestätischen Wesen seiner schauernden Einöden, dem brausenden Chor seiner bebenden tausendfarbigen Blätter berief; ihn, der den Menschen gebildet hat mit all den Urgewalten seines ewigen Herzens, das atmende, von Engeln beschirmte Dämmern des Kindes, den siegenden und den blöde verstummenden Jüngling, die verschlossene Knospe der rosig von der verheißenden Zukunft, die ein Schicksal birgt, angehauchten Jungfräulichkeit, die trotzig-schämige Kinderliebe des Vaters und die strömend sich verblutende der Mutter, das Geheimnis des Greisenalters; diesen zärtlichsten Sohn, treuesten Gatten, werktätigsten Freund, umsichtigsten Pfleger, den steuerstemmenden Fährmann zu den verwildertsten Stätten menschlicher Menschenfurcht, dort, wo die unheimlichen (Kaspar Hauser) und die fremdartig-anmutigen (Mignon) Schemen der Grenzgeschöpfe hausen (»Turmalin«); ihn, der die Religion der Nächstenliebe, den demütig dienenden Glauben verherrlicht hat mit einem wahren Paradiesgartengefunkel von frischestem, morgendlichstem Tau (»Der beschriebene Tännling«, »Kalkstein«); ihn, diesen fast unbegreiflich selbstlosen Fremdling unter den mißgünstig-wägenden, arglistig berechnenden, ungerechten, schamlosen, unsteten Abenteurern und Wegelagerern, die voll Aussatz böser Zwecke und unlauterer Beweggründe ihre elendige Spanne Weltdasein abhasten, gehalt- und gestaltlos, eckig, übeln Atems, grinsend – ihn hat das Geschick wie einen Märtyrer auserlesen, an Seele und Leib Unbilde nach Unbilde zu erfahren, kleine, niederträchtige, wie unzählige glühende Nadeln prickelnde Unbilde: ein Leben der Enttäuschungen, der verbittert verstummenden, an die im voraus verpfändete Kunst verzweifelt sich klammernden Vereinsamung, das schließlich, von der happenden Meute elendiger Kümmernisse verfolgt, von folternden physischen Qualen verzehrt, aufächzend ins Dunkel sich warf, aus dem kein Wiederkommen möglich ist: in den Tod. Der Reinlichste, Reifste, Peinlichste, der zärtliche Schätzer ehrwürdigen Erbtums, der artige Preiser schlohweißer Wäsche, sittsamer Hausfräulichkeit, glänzender Dielen, sauberer Sicherheit harmonisch schwingenden Beharrens, traulicher Umfriedung, sanften Wohlwollens, süßer, fördernder Pflichtemsigkeit, der andächtige Harfner vor der Gottesstille aller Dinge: wie kläglich ist der jähe Sturz dieser glänzenden Cherubsschwingen! Ein Beamter, ein Schulrat, korrekt wie keiner, der sich mit dem Rasiermesser den Hals abschneidet! Eine grell-schrille Dissonanz, die ein sauber angelegtes Programm der Harmonie jäh mittendurch zerreißt ...

Uns aber, dankbaren Genießern, staunenden Gästen dieser meisterlichen Kunst, ist sein Werk geblieben, das das Ewige spiegelt, die thronend unbeirrte Einheit, die sich in unsern armen Menschenseelen vielfarbig funkelnd bricht.


 << zurück weiter >>