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Adalbert Stifter hat in der Literaturgeschichte noch lange nicht den Hochsitz erlangt, der ihm als Ehrenplatz im kleinen Kreise deutscher Meister gebührt. Man hatte ihn bisher unter andern unbeträchtlichen Erscheinungen im Gefolge der sogenannten großen Erzähler verzeichnet, etwa noch als Landschaftsschilderer mit schalem Lobe bedacht. Erst seit Nietzsche 1879 (im zweiten Bande von »Menschliches, Allzumenschliches«) den »Nachsommer«, das von Hebbel mit grausamem Hohn überschüttete Werk des Alternden (1857), als eines der wenigen Bücher gerühmt hatte, die »es verdienten, wieder und wieder gelesen zu werden«, waren einzelne neugierige Schriftsteller auf den stillen Mann im Winkel aufmerksam geworden, der, als ein altmodisches Erbgut von einer unscheinbaren Gemeinde gehegt, bestimmt schien, ein langsam erlöschendes Dämmerleben hinzuschleppen. Seit der Jahrhundertfeier seiner Geburt (1905) ist es heller und heller um ihn geworden. Und neuerdings ist er geradezu »entdeckt« worden, übrigens auf das feinstfühlige, in einer kleinen Schrift von Hermann Bahr (1918) Adalbert Stifter. Eine Entdeckung. Amalthea-Verlag. Zürich, Leipzig, Wien., die von allen ihm gewidmeten Darstellungen Emil Kuh (1872), v. Wurzbach, Weitbrecht, Schlossar, Sauer, R. M. Meyer, Hauffen, A. R. Hein (1904) – die als Quellenwerk grundlegende Lebensbeschreibung – Kosch, Fürst, Klaiber, v. Gottschall, Schaukal, E. Bertram, Hüller, Wilhelm, Rommel, A. Schaeffer, Hofmiller, Braun u.a. als die beste bezeichnet werden kann. Auch haben es seit der wenig beachteten »österreichischen Klassikerbibliothek« einige Verleger Hesse & Becker, Bong, zuletzt, in gediegenster Gestalt, der Insel-Verlag zu Leipzig (sechs Bände einer sorgfältig gearbeiteten Dünndruck-Taschenausgabe). als geboten erachtet, seine Schriften wieder auszubreiten. Im Hintergrunde, noch immer nicht nach Gebühr bekannt, setzt unter August Sauers Leitung, seit geraumer Zeit die »Bibliothek deutscher Schriftsteller aus Böhmen« zur großen kritischen Gesamtausgabe der Werke bedächtig, vielleicht allzu bedächtig, Band auf Band.
Seinen ihm seit der Jugend treugesinnten Schätzern ist Adalbert Stifters literarische Entdeckung – ähnlich der von Hoffmann – nunmehr sogar etwas peinlich geworden. Beginnt doch bereits ein hektischer Snobbismus um den schlichten »Mann des Maßes und der Freiheit« die leidigen Verzückungsveitstänze aufzuführen. Da scheint denn besonnene Untersuchung und unbefangene Darlegung dessen an der Zeit, woran wir mit ihm sind.
In der Vorrede zu den »Bunten Steinen« (1852) hat Stifter seine Sonderart – er empfand sie und hat sie bewußt gepflegt – gewissermaßen zu rechtfertigen, sich insbesondere gegen den Vorwurf zu verteidigen unternommen, daß er »nur das Kleine bilde«.
Er lehnt den Namen eines Dichters ab. Er legt »seinen gesprochenen Worten« die »Absicht« bei, »gleichgestimmten Freunden eine vergnügte Stunde zu machen, ihnen allen, bekannten wie unbekannten, einen Gruß zu schicken und ein Körnlein Gutes zum Baue des Ewigen beitragen«, eine im Grund unkünstlerische Einschätzung, die jedoch dem Ethos dieses milden Humanisten entspricht.
Ihm ist die Kunst »nach der Religion das Höchste auf Erden«, aber eben deshalb ist er nicht so vermessen, seine Schriften für Dichtungen zu halten. Er habe – und dies ist das Entscheidende – bei seinen Arbeiten »überhaupt nie im Sinne gehabt. Großes oder Kleines zu bilden«, sondern sei »von ganz anderen Gesetzen geleitet« worden.
Es sind also nicht so sehr andere als dichterische Zwecke, die er sich beimißt, lehrhafte etwa, sondern er kann sich nicht als einen »Bildner«, einen Künstler, gellen lassen; das, was er als Schriftsteller vollbringt, sind nicht dichterische Taten, immerhin aber etwas, »dem nicht alle Berechtigung des Daseins abgeht«. Es ist der gute Wille, der sein Tun rechtfertigt, der gute Wille, dem – so empfindet sein bescheidener Stolz – die gute Wirkung nicht versagt bleibt. Diese moralische Ästhetik fügt sich passend in die moralische Weltanschauung Stifters, dem »das Gesetz der Gerechtigkeit«, die »Kräfte« leitet, »die nach dem Bestehen der gesamten Menschheit hinwirken «, »das Gesetz der Sitte, das will, daß jeder geachtet, geehrt, ungefährdet neben dem anderen bestehe, daß er seine höhere menschliche Laufbahn gehen könne, sich Liebe und Bewunderung seiner Mitmenschen erwerbe«, ein andres Gesetz als das der Natur, ebenso »menschenerhaltend« wie dieses »welterhaltend«. Innerhalb dieses Sittengesetzes sieht Stifter denn auch sein schriftstellerisches Wirken beglaubigt.
Wir werden, wenn wir den Schriftsteller Stifter künstlerisch betrachten wollen, bei aller Achtung vor seiner sittlichen Weltanschauung ein andres als das in solcher Gegenüberstellung gegen das Naturgesetz – die z. B. der Anschauung Goethes von der Analogie zwischen Natur- und Sittengesetz geradezu widerstreitet – einigermaßen schwankende Sittengesetz als Maß verwenden müssen, ein Gesetz, das nicht dem sittlichen, sondern dem künstlerischen Menschen gilt, das Gesetz der Kunst. Denn die Kunst, als Kunst mit künstlerischem Blick erfaßt, ist nicht die mehr oder minder hochragende Staffel an der Leiter, die zur Vollendung des sittlichen Menschen hinanführt, sie ist, als menschliche Leistung, Schöpfung, das ist unmittelbare, freie Gestaltung eines andern als des vom Naturgesetz beherrschten wirklichen Lebens, sie ist, als Ergebnis solcher Leistung, selbst eine lebendige Wirklichkeit eigener Natur, Sein, ein in sich ruhender Zusammenhang, der, eben als Ergebnis menschlichen Schöpfertums, dem menschlichen Geist überschaubar, als Ganzes faßlich ist; die Welt, in der er selbst Geschöpf ist, vermag der Mensch nicht zu erkennen, wohl aber diese seine eigene Schöpfung. Und nur nach ihren immanenten Gesetzen ist diese Welt zu beurteilen, will man ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen. Das Gesetz, das über der Natur waltet, beherrscht sie, die Kunst, nur insofern, als es den Menschen, ihren Schöpfer, in seiner Wesensart bestimmt. Wie das Naturgesetz den Menschen überhaupt beherrsche, das ist uns verschlossen. Er steht als Geschöpf unter seinem Walten gleich jedem andern. Dennoch ist die Tatsache der Kunst als einer gleichsam aus sich selbst freischwebenden Wirklichkeit »höherer« Art unzweifelhaft. Sie, diese eine, nur sich selbst gleiche, ist immer wieder Erkenntnis und Ziel des künstlerischen Menschen. Sein Beitrag zu ihr, der sich, wesensgleich, mit ihrem Ganzen, in sie unverlierbar ergießt, stammt aus seiner menschlichen Natur, ist also von den unbekannten Gesetzen abhängig, die diese beherrschen.
Aber wie dieser Beitrag sich als innerer Zusammenhang und durch die »Persönlichkeit« bestimmter Weg innerhalb der Wirklichkeit der Kunst darstellt, das ist eine Tatsache, die nicht nach sittlichen Überzeugungen und psychologischen Erfahrungen, sondern nur mit künstlerischem Urteil erfaßt und gewertet werden kann: es ist das, was wir künstlerischen Stil nennen. Stil in diesem Sinn ist mehr als der sinnlich wahrnehmbare Ausdruck durch das Mittel der jeder Kunstleistung eigentümlichen Technik. Er ist eine seelisch-geistige Einheit künstlerischer Ausdrucksamkeit (Potenz), die als solche einen einheitlichen, von andern unterschiedenen künstlerischen Eindruck bewirkt. Rembrandts Stil ist mehr als seine Mal- und Zeichnentechnik, er ist das, was in seiner Kunst, in der flüchtigsten Skizze wie im vollendeten Gemälde, die Persönlichkeit Rembrandt als das einmalige, immer wieder erlebbare Erlebnis Rembrandt zum Ausdruck bringt. Der nur sinnliche Teil davon, die äußerliche Form, das was beim Dichter »Schreiben« heißt, ist als eine Fertigkeit, ein Können, erbildbar, ja bis zu einem gewissen Grade der Nachahmung zugänglich, erlernbar. Können ist Kunst von außen betrachtet, Gestaltungsfähigkeit, die sich als Gestalt kundgibt. Von innen, vom Wesen des Stils her erwogen und erkannt, ist es, das Können, Akzidenz. Können entscheidet nicht über Stil. Alfred Kubin z. B. hat als Zeichner Stil, das ist einheitliche Eigentümlichkeit, ohne der zeichnerischen Technik völlig zu genügen. Ricarda Huch »kann« ausgezeichnet schreiben, ermangelt aber des Stils in jenem höheren Sinn; ihr hochentwickeltes Können, mit dem sich Wissen und Geist in ungewöhnlichem Maße verbinden, täuscht über die Tatsache hinweg, daß hier ein kümmerlicher Ansatz zu künstlerischer Persönlichkeit sich längst in Fertigkeit erschöpft hat. Jean Paul »kann« schreiben, wie es niemals jemand unter Deutschen sonst vermocht hat, aber dieses unvergleichliche Können ist nicht Fertigkeit, sondern Natur, Gnade, er ist der geborene Schriftsteller, wie Sterne; der große Dichter, den er bedeutet, ist eins mit dieser Wundergabe, sein Stil umfaßt unübertreffliche Vollendetheit des Schreibens wie Rembrandts Stil unübertreffliche Vollendetheit des Malens und des Zeichnens umfaßt.
An Stifter ist zu zeigen, wie einer ein großer Schriftsteller sein kann, ohne schreiben zu können.
Was ihn, den künstlerische Einsicht neben Raimund und Nestroy als den Dritten der großen österreichischen Dichter stellt – Grillparzer ist deshalb nicht groß zu nennen, weil er als Dramatiker den klassizistischen Epigonen in sich nicht wie Kleist durch den einzigartigen sprachlichen Ausdruck der merkwürdigen Persönlichkeit hat überwinden können –, was Stifter als Prosaisten in die erste Reihe, neben Goethe, Kleist und Keller hebt, ist die zu unnachahmlicher Einheit gediehene Eigentümlichkeiten schlichter Anschaulichkeit, die in ihrer ruhigen Treue wahrhaftiger Wiedergabe der gesammelten Vorstellung dennoch von innigem Empfinden schwingt, die Natur und darin das aus ihrem Zusammenhang unentrinnbare Menschenleben als eine Wirklichkeit künstlerischen Wesens so darzustellen, daß wir von dem starken Rhythmus dieser Gesetzlichkeit unwillkürlich mit emporgehoben und schwebend in der reinen Atmosphäre erhalten werden.
Drei Elemente seiner menschlichen Eigenart dienen der psychologischen Grundlegung dieser künstlerischen Wirksamkeit. Denn wie sich aus dem zu künstlerischer Schöpfung berufenen Menschen die in ihrem Wesen eindeutige Wirklichkeit der Kunst entfaltet, das ist Sache der Persönlichkeit, die sich aus letzten Endes unentwirrbaren, nur an ihren Früchten zu bemerkenden Elementen der durch Vererbung gegebenen Anlagen (Charakter) und der durch Amalgamierung der Erfahrung hinzugebildeten Erlebensart (Temperament) unbewußtermaßen auferbaut, nach dem Gesetz, nach dem der Mensch »angetreten«, seiner Stelle im unendlichen Zusammenhang gemäß, die niemand kennt, weil dieses Ganze des Weltplans niemand zu überschauen vermag.
Stifter, ein Kind des Böhmerwaldes, Sohn einfacher Landleute, aufgewachsen unterm mächtigen Eindruck einer stellenweise in ihrem Wildwuchs urweltlich großartigen, durchaus starken Natur und von frühauf seinen im weitesten Sinne des Wortes beschaulichen Neigungen überlassen, ist ein Augenmensch wie Goethe und Keller. Er erblickt mit Entdeckerneugier und Beobachteraufmerksamkeit, erfaßt scharf jede Einzelheit, jeden Zug im Erblickten und behält das genaue Bild deutlich in der Erinnerung. Diese zwei Faktoren, die urwüchsige Natur als erster und nachhaltiger Eindruck des Objekts und das lebhafte und sorgfältige Schauen als stärkste Äußerung des Subjektes, sind entscheidend für seinen Stil. Er ist sein ganzes Leben lang nicht von der Natur gewichen, der er, herangewachsen, zunächst und immer wieder als Landschaftsmaler sich hingab, und zwar von der Natur seiner Heimat, die in ihrer ursprünglichen Wirkung durch nichts noch so innig Erfaßtes verdrängt werden konnte, und er hat, wovon die Leidenschaft zum Malen, wie bei Goethe und Keller, beredtes Zeugnis ablegt, die Welt stets als Sichtbarkeit und auf das Eindringlichste erlebt. Dazu kommt die für den Schriftsteller entscheidende literarische Beeinflussung durch den großen Darsteller der nordamerikanischen Waldesurwelt, Cooper, der dem Naturell des werdenden Dichters sich als Wahlverwandter ergab.
Aber Stifter ist weiters ein Mutterkind (wie fast jeder große Dichter), das ist ein Kind, dessen Seelenbildung sich vornehmlicher, wenn nicht ausschließlicherweise von der Mutter herschreibt. Stifter nennt seine »herrliche Mutter« einen »unergründlichen See von Liebe«, er glaubt ihr den »Grundton seines Gemütes« zu verdanken. Den so tief gehenden Einfluß der Mutter verstärkt die Großmutter von Vatersseite, sie vermittelt, gottesfürchtig und wunderselig, dem Kinde die Welt der Bibel wie die der Märchen. Diesen weiblichen Elementarmächten, die seine fromme Innigkeit bedingen, gesellt sich als literarische, freilich erst in reiferem Alter, aber bei dem unverbildeten Landkinde noch frühzeitig genug, um zu den grundlegenden gezählt werden zu dürfen, Jean Paul, der Künder des Unaussprechlichen, der Magier der verborgensten Heimlichkeiten der Seelentiefe.
Und zum dritten ist es die Wissenschaft, insbesondere, wieder im Einklang mit den zwei konstituierenden Faktoren seines Wesens, die Naturwissenschaft, die seinem Drang nach Bildung, dem Lunger des begabten und lerneifrigen Dörflers nach Ausgestaltung seiner aus ärmlicher Kleinwelt emporbegehrenden Vielfalt spendend entgegenkam. Stifter ist immer ein beflissener Schüler geblieben, das heißt, er hat stets seine Kenntnisse zu vermehren getrachtet und sie sozusagen übersichtlich gesammelt, aneinandergereiht und hinwiederum lehrhaft auseinandergelegt, während etwa Jean Paul, auch ein Vielesaufnehmer, die ihm sich bietenden Ergebnisse der Wissenschaft sogleich als Mittel verwendete, gleichsam roh verschlang, um sie in das Blut seines Lebens, die schriftstellerische Zirkulation zu verwandeln. Bei Jean Paul wird alles, was er erfährt, verdauter Ausdruck, Stifter bleibt es »Ding«, Eindruck als Gegenstand des Ausdrucks. Auch Goethe ist »Sammler«, aber er sammelt nicht Dinge und Kenntnisse um ihrer selbst willen, sondern als Beispiele für die Idee ihres Zusammenhangs, ihm sind sie Zeichen eines Sinns, der sie durchdringt.
Stifters Stil als Dichter drückt alle diese in seinem Charakter zusammengefaßten Eigentümlichkeiten als Einheit aus. Es ist ein an der Natur mit dem Auge hastender, das Erschaute innig ausnehmender, gelehrig-lehrhaft es auseinanderlegender Stil der gemächlichen Nacheinanderfolge, zugleich eine Folgerichtigkeit, die sich immer wieder aufmerksam ihre Glieder selbst bestätigt. Hierin liegt die Sonderart dieser gewissermaßen ihre Mittel ständig überprüfenden Dichtung, die ihres vollen Eindrucks nur in der zeitlichen Entfernung der zusammenfassenden Erinnerung ihres Genießers sich versichert.
Stifter ist ein kurzsichtiger Dichter: er bringt sein Auge ganz nah hinan an das Objekt und merkt ihm jede Faser ab. Ebenso stellt er es dar, aufzählend, addierend oder besser anfertigend: er läßt es durch Benennung seiner Bestandteile als Beschreibung entstehen. Das ist nicht Naturalismus, kaum Realismus im engen literarhistorischen Sinne, denn der Realist, der im Gegensätze zum Idealisten, ihrem Verflüchtiger, die Wirklichkeit der Welt aufzufangen, zu bannen bestrebt ist, gibt sie wieder, »wie sie ist«, während Stifter, am Einzelnen solange verweilend, bis er es in seinem Vorstellungsgehalt für dieses Mal, von diesem seinem besondern stimmungbestimmten Seelenstandpunkt aus erschöpft hat, zerlegend an ihr entlang blickt und sie hinwiederum also sammelnd im genau erwogenen Ausdruck zusammenfügt, eine Art von Stilisierung, die von seiner niemals durch Übung bemeisterten Unfähigkeit zum Schreiben herrührt, vergleichbar jenen echten Primitiven in der Malerei, die stilisiert wirken, weil sie nicht malen können, sondern nur mit Malermitteln in ihrem künstlerischen Streben zum bildhaften Ausdruck ihrer innern unerlösten Malernatur nach Regeln hantieren.
Schreiben können heißt, für den Vorstellungsgehalt eine neue, die literarische Form finden, ihn seinem Sinn gemäß in den eben jetzt und eben hier im syntaktischen Zusammenhänge notwendigen begrifflichen Ausdruck übersetzen, so zwar daß dieser Zusammenhang von jedem Punkt aus verhältnismäßig von sich selbst sprachlich überzeugt. Es ist ein Vorgang eigentümlicher rhythmischer Gesetzlichkeit, der sprachliches Gehör und Vorstellungsübersicht voraussetzt, aber in seinen Grundzügen erlernbar ist und innerhalb dieser Erlernbarkeit von vielen zur Routine, ja zur Virtuosität ausgebildet werden kann. Mit Wahrhaftigkeit und Unmittelbarkeit zugleich schreiben zu können, ist eine Gabe, die Erfülltheit und Geformtheit der jeweils zum Ausdruck verlangenden Vorstellungsmasse bedingt und den Dichter ausmacht, auch den vergleichsweise häufigen Dichter einer einzigen Dichtung, des einzigen in ihm ganz zu wesenhaftem Ausdruck gereiften Vorstellungserlebnisses. Der Unterschied zwischen dem großen Schriftsteller, der »schreiben« kann, und dem andern, der obwohl er im Schreiben es bis zum höchsten Grade gebracht hat, dem künstlerisch Urteilsfähigen nicht als großer Schriftsteller zu gelten vermag, liegt in der Tatsache der schriftstellerischen Persönlichkeit und ihres notwendigen Stils, für die es aber, wie gesagt, keineswegs auf jene in diesem Verhältnis unwesentliche Technik ankommt.
Stifter »kann nicht schreiben«, da es ihm nicht gelingt, seinen literarischen Ausdruck als ein in sich selbst sicheres und im syntaktischen Zusammenhang des schriftstellerischen Gefüges notwendigerweise dem Vorstellungsgehalt adäquates Glied des neuen Formdaseins hinzusetzen, und es gelingt ihm nicht, weil seine Art, den einzelnen Eindruck gewissermaßen wörtlich in den Ausdruck zu übersetzen, der Überschau über den vom literarischen Ausdruck in ein Ganzes zusammenzufassenden Eindruck entbehrt. Er tastet mit seinem infolge dieses kurzsichtigen Unvermögens außerhalb des syntaktischen Zusammenhangs irrenden literarischen Ausdruck an dem ins Dichterische zu übertragenden Vorstellungsinhalt, ein Sammler, entlang und verzeichnet ihn in Begriffen als gewissenhafter, ja pedantischer wörtlicher Übersetzer, wobei es ihm vor lauter Peinlichkeit, nur ja genau den Gegenstand seiner Vorstellung mit seinem Ausdruck zu treffen, immer wieder zustößt, daß er – abgesehen von einer Überfülle an idiomatischen »gesprochenen« Worten und unbehilflich stolpernden ungebildeten unmittelbar neben steifen angelesenen Buchwendungen – teils ganz unmögliche Wortungetüme erfindet (»Afterheiten«, »Zeichnungsbuch«, »Gerüstung«, »herjährig«, »Erlernungen«, »Handelsverweser«, »Entbehrnis« usw.), teils in armselige, jede Anschaulichkeit, die doch dadurch erstrebt wird, ausschließende Wiederholungen verfällt oder den konkreten Vorstellungsgehalt ratlos in seiner Begriffswütigkeit in ein zerblasenes Schema verflüchtigt. Niemals dirigiert er seine Eindrücke zu Tonmassen, literarischem Zusammenklang, sondern er stickt sie einzeln auf einen literarischen Kanevas, der zwar, ihm unbewußt, in seiner Einheitlichkeit sich aus seinem dichterischen Stil ergibt, aber nur zu oft, vielmehr immer wieder eine literarisch eindruckslose Fläche weist, leere Stellen, die wie klaffende Pausen den kaum anhebenden Klang unterbrechen. Zumal am eigentlich Konstruktiven des Syntaktischen macht sich diese Leere um so peinlicher bemerkbar, als Stifter die Sicherheit im Grammatischen – abgesehen von jenen Idiotismen –, sowohl was die Wortformen wie die Satzfügungen betrifft, in auffallendem Maße gebricht: es starrt das technische Gerüste, das der ausdrucksame Fluß der Diktion am gut geschriebenen Werke – etwa bei Goltz oder Raabe – geschmeidig in seine Formensprache hüllt, hilflos in dürftiger Nacktheit empor. Aber sein Stil, die unerschöpfliche urtümliche Kraft seiner dichterischen Vollnatur macht, daß trotz all dieser offenbaren Unzulänglichkeit, die manchmal geradezu lächerlich anmutet – so insbesondere im »Nachsommer« und den spätern Erzählungen, wo der alternde Sonderling, von Goethes typisierendem Altersstil verführt, immer mehr am stockenden Hin- und Hertreten im platt Begrifflichen sich gefällt – die läuternde Wirkung einer klaren künstlerischen Atmosphäre sich beim geduldigen Leser unfehlbar einstellt.
Dieser Stil ist wirklich nicht »nur« – so möchte man Stifters Selbstbescheidung in der eigenen Einschätzung seiner Schriften gegen seine Meinung und doch im Sinne seines Ethos deuten – dieser scheinbar, an der Oberfläche des Technischen so mangelhafte, innerlich aber so vollkommene Stil ist wirklich nicht »nur« der eines »Bildners«, eines Künstlers, der im Bilden Genüge findet; er hat eine höhere als die Macht des bildnerisch Vollendeten, nicht etwa in einem unkünstlerischen, dennoch aber in einem ethischen Sinne verstanden, er trägt »zum Baue des Ewigen ein Körnlein bei«, er veredelt die menschliche Selbstbesinnung, wie jede Begegnung mit dem Wahrhaftigen und Reinen die Menschen auf ihr Tiefstes, das Göttliche verweist. Und ist nicht dieses Göttliche, diese seligste Selbstbetätigung der Freiheit des Seelischen inmitten der bedrückenden Übermacht des Naturgesetzes, der unerfindliche, dennoch in seiner Wahrheit alles Wirkliche überstrahlende Mittelpunkt der großen Kunst?
Wo immer man Stifter aufschlagen mag – dessen literarische Entwicklung, von den ersten üppig blühenden Studien bis zu den letzten Erzählungen, als deren lauterstes Juwel »Der fromme Spruch« in geschliffener Klarheit leuchtet, bis zu dem großartigen »Witiko«, dem einzigen monumentalen historischen Roman der Deutschen, immer auf ihren eigenen Bahnen, sie vertiefend, verläuft, indem die seraphische Gefühlsweite der jugendlichen Empfindsamkeit sich ins beruhigt Nahe, nicht Enge innerlicher Unendlichkeit zusammenzieht – wo immer man ihn aufschlägt, diesen wahrlich Unerschöpflichen, weil im Ausdruck seiner selbst als Bildner niemals sich Vollendenden, wird man diesen Eindruck sich bestätigen: er hat seine beschränkten schriftstellerischen Mittel zum sichern Bewältigen der literarischen Aufgaben selten nur – in einigen Schilderungen von Landschaften und Naturvorgängen – zu versammeln vermocht, er hat niemals wie Jean Paul, wie Balzac, wie Cervantes, wie Sterne schreiben können, so daß Schreiben als eine Naturgewalt uns überwältigt, ungeprüft von sich selbst überzeugend: aber er hat trotzdem, auf dem mühseligen Umweg über die genau hintereinander strichelnde Wiedergabe des mit reiner dichterischer Seelenkraft erfaßten Gegenstandes dank dem zu unnachahmlicher Einheit geschlossenen Stil seiner Persönlichkeit draußen, jenseits des Brennpunkts des Genießereindrucks eine Wirkung erzielt, die in ihrer großartigen Stille zum Sein beruhigten Werdens Ewigkeitscharakter hat. Und diese Stille ist das Kunstempfänglichen sich immer wieder beseligend offenbarende Geheimnis der der Freiheit entstammenden höheren Wirklichkeit.