Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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17. Am Dorfteich.

Neue Zeit! – Der Frühling war gekommen, wie alle Jahre mit goldigem, warmem Sonnenschein, Vogelsang, Blüthenduft und Saatengrün! Zwar konnte auch der abziehende Winter seine Tücke noch nicht lassen, sendete manchen eisigen Sturmwind hinein in die erwachende Welt, 164 streute dem Frühling Schnee und Eis in die maigrünen Gewänder – aber die Sonne war stärker als der Sturm, und dem mürrischen Gesellen, dem Winter, zum Trotz verwandelte sie die Schnee- und Eiskrystalle aus Grashalmen und springenden Knospen in blitzende Thauperlen. Und als die ersten Störche über Bergheim wegzogen, neben den Lerchen auch das Rothkehlchen seinen lieblichen Gesang anstimmte und die Hecken belebte, unter denen schon die Veilchen dufteten, da öffneten sich Thüren und Fenster, die Menschen verließen das enge Haus, sogen die erquickende Luft in tiefen Zügen ein und erfreuten sich an Licht und Sonnenwärme.

Besonders in der tiefen Schlucht, die sich der Lindenbach auf seinem kurzen Gang zum Thal ausgewaschen und die ihm nun selber zu Zeiten zum Gefängniß wird, indem der Dorfmüller durch mächtigen, von Pappeln und Weiden umrauschten Damm die Schlucht sperrt und den rauschenden Waldsohn zum Stillstand zwingt, regt sich munteres Leben. Heiß legt sich die Sonne in den Kessel, der dem rauhen Nord- und Ostwind unerreichbar ist, und zuerst in der ganzen Flur springen hier die Knospen der Pappeln und Weiden, duften die Veilchen, zuerst hüllt sich hier der Herrgottsbeerstrauch (Stachelbeerstrauch) in sein grünes Röcklein, spiegeln die Märzenbecher, die Butter- und Dotterblumen ihre gelben Kronen im klaren Wasser des Lindenteiches. Wie die Hühner, die sich in den lockern Sand eingraben, das Gefieder aufsträuben, um es so recht von der Sonne durchglühen zu lassen, kennen und lieben auch die jungen Menschenblumen den traulichen Ort, auch sie 165 ziehen dem Licht und der Wärme nach und vollenden durch ihr fröhliches Treiben das Bild machtvoll erwachenden, in sich selbst genügsam beschlossenen, wonnevollen Lebens.

An den steilen, graslosen Hängen der Schlucht, unter der überhängenden Hecke von Hasel, wilden Rosen und Schlehdornsträuchern, von deren Wurzeln die Schafe den lockeren Erdboden weggetreten, in weichem, warmen, langsam rieselnden Sand lagen die Kinder des Dorfes, dehnten behaglich die kleinen Glieder in der brütenden Sonnenwärme, blickten mit halbgeschlossenen Augen hinaus in das tiefe unendliche Himmelblau und verfolgten träumerisch mit ihren Blicken den blühenden, nickenden Schlehdornzweig, bis er sich in einen herrlichen, lichtstrahlenden Engel verwandelte, der langsam am Himmel auf- und abschwebte, ihnen auch im Traum noch lächelnd zunickte, als sich die müden Augen im süßen Schlummer geschlossen, als wolle er ihren Schlaf behüten. Andere saßen vertraut zusammen, ließen den warmen Sand durch die Händchen laufen und sangen:

Müller, Müller, Mahler,
Die Buben kosten ein' Thaler,
Die Mädle gibt man um Batzen her,
Und ist dabei noch kein Begehr!

Darauf antworteten die Mädchen:

Müller, Müller, Mahler –
Die Mädle kosten ein' Thaler,
Sie kommen in ein' Seidenbett
Die Buben in die Dörnenheck!

Die älteren Geschwister saßen auf dem Teichdamm, baumelten die nackten Füßchen über den spiegelnden 166 Wellen, und während sie mit feierlichem Ernst die Weidenzweige beklopften, die Rinde vom Holz zu lösen, summten sie eintönig vor sich hin:

Brumm, Brumm, Pfeifemann,
Steig einmal den Berg hinan;
Bis Du kommst in's Dorf herein
Müssen die Pfeifen gerathen sein!

Oft brachen sie auch mitten in ihrer unschuldigen Beschwörungsformel ab, warfen sich auf den Rücken, strampelten mit Händen und Füßen und jubelten hell hinein in den Sonnenschein, als quelle aus der Erde neue, wonnevolle Lebenskraft empor.

Etwas abseits stille für sich saß das Schreinersmariechen, lauschte dem Gesang des Rothkehlchens droben in der Hecke, dem Rauschen des Wassers in der Tiefe, dem Summen der Bienchen im Herrgottsbeerstrauch, dem Lachen und Singen der Kinder und ließ sich auch den Lärm mit den Weidenpfeifen wohl gefallen – stimmte doch Alles so gut zusammen. Und das Klingen und Brausen in den Lüften, das Blitzen der Wellen im Teich, das Schimmern der feuchtglänzenden, eben sich öffnenden Knospen und jungen Blätter – das Alles senkte sich tief in ihr Gemüth, sie empfand es wie unbeschreibliche, unsägliche Frühlingswonne und Lebenslust! Dabei regten ihre fleißigen Finger ununterbrochen die Stricknadeln, und ihre Augen hüteten die Geschwister sammt der Jüngsten der Schwarzen. Geduldig litt sie auch, daß ihr Tine mit allerlei frühen Blättern und Blumen Kopf und Hals schmückte, geduldig machte sie Emil die Pfeife zurecht, die der kleine Wildfang alle Augenblicke 167 in Unordnung brachte, pfiff selber darauf, daß es schallte und lachte mit den Kleinen um die Wette. Die kleine Schwarze sah wohl noch ein Bischen wild und verstört drein, aber die wahrhafte Liebe bezwang auch das verwilderte Gemüth, leise kam sie heran, schmiegte sich an Marie und flüsterte ihr in's Ohr: Ich bin Dir gut!

Ja, eine neue Zeit war für die Kinder des Hirtenhauses gekommen, ein neues, besseres Leben ihnen aufgegangen. Die Kleinen ahnten davon nichts, ihnen war noch der Augenblick Alles, aber Marie empfand das Glück der Gegenwart tiefer, als man dies bei ihrer Jugend hätte erwarten sollen. Sie war nicht mehr das alte Wesen; der Kummer, das Leid des Winters hatten der klaren Stirn eine kleine Falte zwischen den Augenbraunen eingegraben, dem kleinen Mund einen selbstbewußten, fast trotzigen Zug aufgeprägt. Aber die finstere Vergangenheit war überwunden, ohne Schaden vorübergegangen; das leuchtete aus den großen, sprechenden Augen, sprach aus dem oft sich zeigenden Grübchen der Wangen, die eben die kindliche Rundung verloren. Und wie das süße Mädchen, halb Kind, halb Jungfrau, von Blumen fast verdeckt, von lachenden Kindern umspielt, von Licht und Glanz umflossen, halbversteckt im lichtgrünen Herrgottsbeerstrauch saß, da glich sie einem lebendig gewordenen Märchen.

Eben keuchte das Bettelfräle zu ihr empor und sagte nach Athem ringend: »Ach Du lieb's Gottle! Kind, Kind! – siehst Du nicht aus wie das leibhaftige Glück? Dir geht's noch einmal gut in der Welt, merk' Dir's, das alte Bettelfräle hat's gesagt. Ja lach' nur, lach' nur, 's ist 168 doch so! – Woher ich's weiß? – O Du Närrle, wenn man alt wird wie ich, so viel unter den Leuten herumkommt, da lernt und versteht man gar viel, was andern Menschen verschlossen ist. Und ich sag', Du hast Wunderaugen, die ziehen das Glück an, 's muß kommen; ja, ja, Glücksaugen hast Du. – Ach Du lieb's Gottle, und Du verdienst es auch, daß Dir's gut geht, allein an mir hast Du mehr als Gottessegen verdient! Weiß nicht, Mädle, wie das ist, seit Deine Leute im Hirtenhaus sind, hab' ich gar keine Freude an meinen Gängen mehr! – Das ist schlimm, arg schlimm – gib Acht, ach Du lieb's Gottle. Ja, ja, gib nur Acht, ich sterb' bald!«

»Ach, Fräle, redet doch nicht so!« rief Marie und hing sich an den Hals der Alten. »Ihr dürft nicht sterben! Wer sollt' uns sonst die schönen Lieder und Reimgebetle lehren? Ach, Fräle, gelt, Ihr sterbt nicht, noch lang' nicht?«

»Ach, Du lieb's Gottle, Du Närrle! – so arg geschwind wird's ja öpper doch nicht gehen!« sagte die Alte selber ganz erschrocken und trocknete dem Mädchen die Thränen ab. »Sei nur vernünftig; guck, bin kommen, Dir die Kinder ein Linsele abzunehmen, hab's vom Hirtenhäusle gesehen, wie sie Dich plagen. Strick Du jetzt, ich paß' schon auf! – Ja, ja, ach Du lieb's Gottle! ja, mit dem Sterben, siehst Du, Dir darf ich's ja sagen – das ist so ein Ding! Ich stürb' eigentlich gern, aber auf der Welt ist's halt auch schön – ach, die Sonn' und die Wärm' – aachele – die thuen meinen alten Gliedern gar so wohl! Und zumal jetzt, da eine neue Zeit für's Dorf und 169 Hirtenhaus 'kommen ist, möcht ich schon sehen, wie's Bestand hat! – Ach Du lieb's Gottle! ja, ich bet nicht um langes Leben, aber wenn mir's der Herrgott verleiht, nehm ich's mit Dank an! – So, strick Du jetzt!«

 


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