Heinrich Schaumberger
Im Hirtenhaus
Heinrich Schaumberger

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22. Neue Stürme und ein großer Entschluß.

Wuchs so das Glück der Schreinersleute fast täglich, so gab es im Dorf viel Leid und Noth, und es war wieder die Eisenbahn, die manchem Bergheimer den Seufzer auspreßte, das Leben sei im Grund ein erbärmlich Ding! Anfangs hatten die Bahner Kost und Miethgeld pünktlich bezahlt – wir wissen, wie das leicht erworbene Geld verwendet wurde. Bald änderte sich das! Die Bahner mußten sich Kleider schaffen, mußten Geld nach Hause schicken, so sagten sie wenigstens, und beschwätzten ihre Wirthe, daß sie ihnen das aufgelaufene Wochengeld gut schrieben. Aber die Geldverlegenheiten der Bahner nahmen kein Ende, geschickt wußten sie ihre Hausherren hinzuhalten; war ein hübsches Sümmchen zusammengepumpt, dann verschwanden die Bahner spurlos. Wendeten sich ihre Wirthe hülfesuchend an die den Bau leitenden Schichtmeister oder Ingenieure, so wurden die Betrogenen ausgelacht oder grob angefahren. Wer konnte sich um die Bahner, dieses heimathlose Gesindel, dieses verachtete Kanonenfutter der Arbeit – kümmern?

Unsrer alten Bekannten, der Wassermaus, ging es absonderlich traurig, und es war ein schlechter Trost, daß Leidensgefährtinnen genug ihr Schicksal theilten. Den 199 letzten Heller setzte sie daran, ihrem künftigen Eheherrn – als solchen betrachtete sie ihren Kostgänger vom ersten Augenblick an – durch einen neuen Anzug ein menschliches Aussehen zu geben; dazu versorgte sie ihn monatelang, ohne auch nur einen Pfennig von ihm zu erhalten, ja, sie half ihm sogar noch da und dort mit Taschengeld aus. Sie rechnete schlau. Auf diese Art bleibt sein ganzer Verdienst beisammen, und habe ich ihn nur erst, wo ich ihn haben will, dann pfeift's aus einem andern Ton! Aber menschliche Anschläge sind eitel! Eines schönen Morgens war Herr Wassermaus in spe verschwunden und kam nicht wieder, ja er hatte auch die ganze Baarschaft seiner Wirthin und sonst dies und das, was ihm des Mitnehmens werth geschienen, mitgehen heißen. Die Wassermaus raste und wüthete fast sinnlos – doch brachte dies den Ungetreuen nicht zurück. Als nun der Körbstricker sah, daß unter solchen Verhältnissen wenig Aussicht vorhanden war, von der Wassermaus jemals Hauszins zu erhalten, benützte er die Gelegenheit und setzte sie an die Luft. – Noch einmal fand sie ein Unterkommen, die Schäfersleute waren gutmüthig genug, sie aufzunehmen, auch ein Kostgänger stellte sich bald wieder ein – diese Zeiten waren jedoch vorbei.

Schon lange waren dem Ausschuß die Augen nicht blos auf-, sondern auch, und ganz gehörig, übergegangen. Mit Schaudern sahen sie die Folgen ihrer Lässigkeit, und da auch die Furcht vor den Bahnern, als man sie erst genauer kannte, bald geschwunden war, so schritt man mit 200 Ernst gegen ihr zuchtloses Treiben ein. Für die Wassermaus kam die Hülfe zu spät. Und nun hätte man meinen sollen, das selbst verschuldete Unglück, die Noth, das Elend, dem sie entgegen ging, hätten ihren starren Sinn brechen, sie mild und demüthig machen müssen – aber nichts von alledem, die Wassermaus blieb, was sie war, eher wurde sie noch wilder und zuchtloser. Die Schäfersleute, die ihr so viel Gutes erzeigten, plagte und quälte sie bis auf's Blut; ward es den beiden Alten zu viel, und drohten sie mit Kündigung, lachte sie ihnen in's Gesicht: »Mir recht, kündigt nur, mir grade recht, was kümmert's mich? Behaltet Ihr mich nimmer, steht mir das Hirtenhaus offen, und die Gemeinde muß mich erhalten!«

Es dauerte nicht lange, so konnten die armen alten Schäfersleute die Wildheit der Wassermaus nicht mehr ertragen; da diese trotz mehrfacher Kündigung fortfuhr, den Herrn im Haus zu spielen, riefen die Gequälten polizeiliche Hülfe an – und richtig mußte der Schulz die Wassermaus wieder in's Hirtenhaus aufnehmen, da kein Mensch sie in seiner Nähe dulden wollte. In einem Punkt hatte sich die Wassermaus aber doch verrechnet. Wenn sie meinte, das alte Leben könne sie überall fortführen, so mußte sie bald einsehen, daß das ein großer Irrthum war. Der Schulz nahm sie jetzt unter seine spezielle Aufsicht, sorgte gewissenhaft, daß sie an nichts Mangel litt, sonst war ihr aber alle Freiheit genommen. Ihre Handelsgänge in's Gebirge mußte sie aufgeben, Beschäftigung wies ihr der Schulz zu und sah streng darauf, daß sie nie müßig ging. Ihren Lohn sammelte er ihr für die Zeit, da sie Hülfe brauchte. 201 Wie ein wildes Roß gegen Zügel und Reiter, so kämpfte die Wassermaus gegen diesen Zwang an – zu ihrem eignen Glück vergeblich! Der Schulz war ein fester Mann, was er einmal wollte, von dem war er nicht so leicht abzubringen, überdies standen diesmal der Ausschuß und der Amtmann auf seiner Seite.

Diese neue Ordnung im Hirtenhaus war allen Bewohnern erfreulich, nur dem Hasenherle machte sie großen Kummer, mit Zittern sah er den Augenblick kommen, da auch sein freies Leben ein Ende haben würde. Hansnikel und das Mädle hatten sich von den Schreiners ganz zurückgezogen, der Hasenherle war ihr alleiniger Freund und Vertrauter. Wie sich die Hirtenlang auch dagegen ereiferte, das Mädle übernahm die Sorge für den Herle in allen häuslichen Dingen, ja sie setzte sogar durch, daß er an ihrem Tisch mit essen durfte. Hansnikel brummte zwar über diese »Unart«, aber da er den Herle, der ihm in allen Dingen unbedingt Recht gab, nicht mehr entbehren konnte, ließ er es geschehen. Nur wenn das Mädle ihrem Liebling einmal gar zu auffällig die besten »Bißle« zusteckte, brummte er zornig: »Sua, sua!! – Ich sag's ja, 's ist eine betrogne Welt!«

Ausnahmsweise kam Hasenherle auch einmal mitten in der Woche heim. So sehr sich Hansnikel zu anderen Zeiten darüber erzürnt haben würde, so erfreut war er diesmal. Kaum ließ er seinem Freunde Zeit, den Korb auszupacken, dann nahm er ihn schweigend beim Jackenflügel, zog ihn in den Ziegenstall, schloß alle Thüren sorgfältig, und als er sich mit einem Blick durch's Fensterchen überzeugt 202 hatte, daß auch draußen Niemand lausche, begann er: »Sua, sua! – Sicher wären wir, 's hört uns keine Seel'! – – Red', was ist zu thun? – 's kann nimmer bleiben so, das sag' ich. Soll ich mich auf meine alten Tage zum Vocativus machen lassen – denk' was das besagt, zum Vocativus!! – – Sua! – – Hol' ich mir gestern in aller Früh' meine Sommeräpfel im Gottesacker, wer kommt dazu? – nu' freilich, wer sonst, der grobe Kerl – sua! – Heißt mich 'nen Spitzbuben auf und ab, 'nen alten Schleicher, und – denk' Dir an – 'nen Vocativus, 'nen Vocativus! Sag', ist Dir im Leben schon solch' ein niederträchtiges Wort vor'kommen? und das soll ich, der Hansnikel, Todtengräber und Calicant von Bergheim, einstecken?« Dabei schüttelte er den Hasenherle so eindringlich am Jackenflügel, daß diesem fast der Athem ausging. »Nicht um die Welt, schon meine Aemter und Würden leiden das nicht. Sag' selber, wenn man's im Grund betracht't, bin ich nicht mehr als der Schulmeister, der grobe Kerl? – Aber um wieder auf's Wort zu kommen, – heißt mich also 'nen Vocativus – denk nur an, 'nen Vocativus!! – – Sua, sag' ich drauf, also ein Vocativus bin ich? sua! – Gut, sag' ich, so will ich ein Vocativus sein, sag' ich. Wenn Ihr aber denkt, 's ist mir was an Euren Aepfeln gelegen, sag' ich, seid Ihr auf'm Holzweg. Ich pfeif' auf Eure Lumpenäpfel, sag' ich, daaaa – macht Euch fett an Eurem Quark, hab' ich g'sagt – und schütt' ihm die Aepfel vor die Füße, hab' ich ges – – ja so, sua!! – – Drauf wird Dir aber der grobe Kerl falsch, guckt mich durch seine Brill'n an, mir ist's 203 auf einmal spottschlecht geworden, dann droht er mit Verklagen und geht davon! – Nu red'! – Verklagt mich der, heißt's ich hätt' gestohlen, ich bleib' ein Vocativus, und mein Recht ist verfallen für ewige Zeiten. – Herle – ich führ's durch!«

»Uebrig habt Ihr da nichts mehr!« beeilte sich Hasenherle zu sagen, um einer Wiederholung des Schüttelns vorzubeugen. »Aber thut mir nur den einzigen Gefallen und geht gleich an die rechte Schmiede!«

»Klein fang' ich nicht an, das mußt Du von mir wissen. Was der Schreiner vermag, kann ich auch! Was? – bin ich nicht ein Stück Geistlichkeit? hab' ich nicht 'ne Ausred', zum Pfarrer hätt's gelangt? – Ich thu's, geh' 'nein in die Stadt, und so wahr ich der Hansnikel bin, ich red' mit dem Generalsupertent selber!«

»Daß Dich alle Teufel! ist's Euer Ernst?« rief der Herle und riß in wahrhafter Verwunderung seine wässerigen Augen weit auf. »Zum Generalsupertent? – Ha, sagt mir nur, wo nehmt Ihr die Kurasche her?«

»Sua? – Gehör' ich nicht zur Geistlichkeit?« entgegnete Hansnikel geschmeichelt. »Weißt's nicht? wir Geistlichkeit haben immer Kurasche, wir fürchten uns vor dem Teufel nicht! – Ja, also zum Generalsupertent geh' ich, der muß mir schriftlich geben: Erstens gehört der Hansnikel Völker von Bergheim zur Geistlichkeit; zum andern gehört ihm das Obst im Gottesacker ganz allein, der Schulmeister aber ist selber der Vocativus und ein grober Kerl dazu; zum dritten und letzten muß der Schulz alsfort Beil, Rotthaue und Schaufel frisch verstählen lassen. Sua – das wär's!«

204 »Hm – ist nicht bitter! – Aber hört, wenn Ihr einmal mit dem Supertent redet, wüßt' ich noch eins! Acht Batzen für ein Grab ist doch ein Plautzengeld, laßt Euch noch zwei zulegen. Dem Supertent sind zwei Batzen ein Geringes, aber für Euch macht's das Jahr über was aus!«

»Hast Recht! – Also zum vierten, der Hansnikel kriegt inskünftige für jedes Grab zehn Batzen. Sua! Punktum!«

»Aber, Hansnikel, wird auch der Schulz was auf die G'schrift vom Generalsupertent geben? Der Bergjörg ist ein arger Dickkopf!«

»Sua? – Ha, da soll doch gleich! – Aber das verstehst Du nicht, Herle! – Auf'n Supertent geb' ich so arg viel selber nicht, aber der General, Herle, der General! – Da liegt's!«

»Seid ein verfluchter Kerl!«

Hansnikel spuckte geschmeichelt aus; nach einigem Sinnen kraute er sich hinter den Ohren und meinte: »Herle – ein Aber ist doch noch dabei! – Also beim Generalsupertent klopf' ich an, geh' in die Stube, mach' meinen Diener – etwa so – und – –«

»Macht lieber gleich zwei oder drei und vergeßt nicht, die Pelzkappe 'runter zu thun!«

»Daß Dich! – hätt's beinah' vergessen! – Also: Ich klopfe an, geh' 'nein, mach' drei Diener – etwa so – thu' die Pelzkappe 'runter, und – –«

»Nichts! – Die Pelzkappe muß erst 'runter!«

»Jetzt sei mir aber nur gleich still mit Deiner infamen 205 Pelzkapp'! – Also ich klopfe an, geh' 'nein, thu' die Pelzkapp' 'runter, mach' drei Diener – etwa so – geb' ihm die Hand und sag' – ja, da liegt der Hund begraben! – So'n großer Herr will seine Ehr' haben! – was sag' ich jetzt?«

Hasenherle wußte auch keinen Rath, und Hansnikel begann wieder. »Mit dem Supertent wollt' ich schon fertig werden, aber beim General, da steht der Ochs am Berg! – – Den Pfarrer redet man »Hochehrwürden« an, d'rum ist der Supertent der allerhochehrwürdigste.«

»Das geht!« nickte Hasenherle.

»Nun ist aber der Supertent Herr über alle Pfarrer im Land, und das will was heißen! – Drum muß man zum wenigsten noch allergroßmächtigster sagen!«

»Das hat Grund!« bestätigte Hasenherle.

»Nun wäre noch der General! – Das Wetter schlag' 'nein, was fängt man mit dem General an?«

»Hört,« begann Hasenherle erfreut, »den alten General in der Stadt, dem ich Hasen und Rebhühner liefere, redet der Bediente und die Köchin »Excellenz« an! – Das wär' was!«

»Sua? – Ja, aber ein Generalsupertent ist doch mehr wie so ein lumpiger, blanker General?«

»Drum macht noch was 'nan, sagt mein'twegen excellenzigster!«

»Daß Dich der Geier – wo hast Du die Gelehrsamkeit her? Nu wär' nur noch eins: Womit mach' ich den Anfang?«

»Nu, weil der General vorn dran ist, kommt zuerst 206 die Excellenzigkeit, darnach die Mächtigkeit, und ganz zuletzt die Würdigkeit! – 's ist überall so in der Welt!«

»Du bist einmal nicht dumm!« lobte Hansnikel und drückte seinem Vertrauten die Hand. »Sua!! – Also angeklopft – 'nein – Pelzkapp' 'runter – drei Diener (etwa so!) – Hand gedrückt – dann sag' ich: Willkumm' excellenzigster, allergroßmächtigster, ingleichen auch allerhochehrwürdigster Herr Generalsupertent! – Ihr werdet schon von mir gehört haben, ich bin nämlich, mit Verlaub zu reden, der Hansnikel Völker, Todtengräber und Calicant von Bergheim. Und der Pfarrer und der grobe Kerl, der Schulmeister, wollen mich nicht zur Geistlichkeit rechnen und so weiter. Das Uebrige findet sich von selber. – Sua!!! – 's macht sich, Herle, 's macht sich!! In denen Worten liegt was drin, und wenn die dem Herrn Generalsupertent nicht zu Herzen gehen – nachher ist's aus mit der Welt! – Sua!!«

»Aber schiebt's nicht 'naus!« mahnte Hasenherle.

»Noch in der Woch' führ' ich's durch!« betheuerte Hansnikel und öffnete die Stallthür.

Ganz so tapfer, als sich Hansnikel dem Hasenherle zeigte, war er in der That doch nicht, es kamen Stunden, wo ihn sein Muth gänzlich verließ, und er das Gespräch mit dem Hasenherle verwünschte. Ja, hätte er sich nicht vor dem Hasenherle geschämt, in dieser Woche wenigstens hätte er seine Sache gewiß noch nicht »durchgeführt«, so aber war er durch sein Wort gebunden. Je näher der Sonnabend herankam, desto nachdenklicher ging er herum, desto länger und eindringlicher wurden seine unverständlichen 207 Selbstgespräche. Am Freitag sah die Schwarze zur ungewöhnlichen Stunde nach ihrer kranken Ziege, bleich und verstört kam sie in die Stube zurück, sank ächzend auf die Ofenbank und stöhnte: »Gott im Himmel steh' uns bei! Margelies – entweder ist der Hansnikel übergeschnappt, oder er treibt unrechte Dinge! Hinten im Stall dienert er vor den Gaisen 'rum, macht allerlei Fixfaxerei mit den Händen und der Pelzkapp' und stößt Reden aus – die Haar' sind mir zu Berg' gestiegen! – Margelies, ob der alte Racker nicht am Ende gar meine Gais verhext?«

Am Sonnabend in der Frühe, kaum graute der Tag, nahm Hansnikel den Dornstock von den Ofenstangen, drückte den Tabak in seiner Ulmerpfeife nieder und schritt im langen Kirchenrock, den hohen Cylinderhut auf dem Kopf, zum Dorf hinaus. Die Marktgänger verwunderten sich nicht wenig, daß Hansnikel fast ohne Gruß an ihnen vorüberstiefelte, oft den Stock zornig aufstieß und murrte: »Was, ich führ's nicht durch, ich geh' nicht 'nein? – Wer sagt das? – Bin ich nicht selber ein Stück Geistlichkeit? hab' ich nicht 'ne Ausred' wie ein halber Pfarrer? – und erst meine Red' und die Wörter!! – wer thut mir's gleich? – Und grad' führ' ich's durch – nun erst recht führ' ich's durch! – Der Supertent hat noch Niemand g'fressen – sind wir nicht obendrein Leut' und gehören zusammen? – Sua! wer noch einmal sagt, ich führ's nicht durch, hat's mit dem Hansnikel, Todtengräber und Calicant von Bergheim, zu thun! – Punktum! sua!!« 208

 


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