Paul Scheerbart
Die wilde Jagd
Paul Scheerbart

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THEATER

Geister, die lange zusammen waren, erkennen sich plötzlich nicht wieder; sie sind ganz verändert; ihr Rumpf ist fort, und ihr Kopf besteht nur noch aus zwei kleinen Ohren und unzähligen Opalaugen.

Eine schlanke Geistertüte von regelmäßiger Kegelform ist zu einer Opalaugentüte geworden.

Die Opalaugentüte leuchtet wie faules Holz; die Ohren der Geister ähneln dunklen Perlgebilden, die aber das gleißende Opalisieren der Geisteraugen nicht stören.

Vom Fuß der gleißenden Tüte, die wie die ungeheure Glanzspitze einer verborgenen Pickelhaube hoch in den dunklen Himmel emporragt, geht jetzt nach allen Seiten flach ansteigend ein grünes Moosland trichterförmig in die Höhe und bildet eine ungeheure runde flache Schale – eine grüne Mooslandschale –, in deren Mitte die Geisterspitze steht- wie der Schirmstock in einem umgekehrten offenen Regenschirm.

Doch die Mooslandschale ist nicht gewölbt.

Der Himmel, der so lange dunkel war, wird hell – weiße Wolken machen den Himmel hell –, der ganze Himmel besteht bald nur aus sehr hoch gestiegenen weißen Wolken, die klein aussehen – wie ganz kleine Lichtblüten.

Die Opalaugen der Geister sehen nach allen Seiten und sehen alles anders als sonst – sehen wie durch unzählige ganz feine durchsichtige Schleier, die von den Bildern der Welt nicht fortnehmen, sondern zutun.

Und ganz langsam dreht sich die spitze Tüte – die Drehung ist kaum merklich.

Und Riesenpilze wachsen aus dem Moosboden heraus.

Die Riesenpilze kriegen oben sehr dicke blaugraue Kopfe mit langen wächsernen Nasen. Und andere Pilze, die neben den bekopften wachsen, kriegen oben Hände mit dicken rosafarbigen Fingern. Und diese Finger legen sich an die wächsernen Nasen. Und da tun sich die breiten Mäuler der Pilzköpfe auf und reden unverständliche Worte.

Doch in der Mitte die Geister mit den feinen Perlenohren verstehen einzelne Sätze – so diese: »Der dicke Rausch hat uns geboren!«

»Wir sind die grandiosen Symbolika des Rausches.«

»Wir allein verstehen den Rausch, weil wir selber Rausch sind – und weil sich der Rausch nur selber verstehen kann.«

Und ihre Köpfe werden ganz unförmlich.

Ein grünlicher Schimmelpilz mit gelben Flecken, aus dessen Schädel spiralförmige, bleiartige Blätter herauswachsen, sagt bedächtig: »Gibt es eine berauschendere Sache als die vollkommene Rauschlosigkeit? Die könnte doch der Gipfel der Selbständigkeit sein! Ja! Es ist das nicht unmöglich!«

Und ein andrer Pilz, dessen Kopf wie ein altes verfallenes Felsentor aussieht, fragt leise: »Liebe Rauschbrüder, wißt Ihr vielleicht, ob wir im Streben nach dem Rausch mehr nach höherem Bewußtsein oder mehr nach Bewußtlosigkeit verlangen? Läge uns an dieser, so müßte uns die Selbständigkeit sehr egal sein. Andernfalls wär's vielleicht anders.«

Es ertönt keine Antwort.

Nach langer Pause spricht die klappernde Stimme eines schwarzen Keulenpilzes: »Denken wir nur, um berauscht zu werden? Oder – werden wir nur berauscht, um denken zu können?«

Und ein andrer Pilz, der blaue Krebsscheren statt der Haare auf dem Kopfe hat, sagt in langgezogenen Tönen, während seine Radaugen furchtbar rollen: »Wir sind heute wieder so recht nüchtern. Das macht wahrscheinlich das viele Denken. Wollen wir denn den Rausch begreifen? Der sieht ja täglich anders aus. Chamäleon!«

Und die Pilze schwanken und steigen mit ihren Fadenwurzeln aus dem Boden und gehen wackelnd hinauf zum fernen, fernen Mooslandsrande; mit den dünnen Wurzelbeinen kommen die Dicken nur langsam vorwärts.

Grüne Dämpfe steigen vorn auf.

Und die Pilze werden unsichtbar.

Ein Windzug – und die grünen Dämpfe sind fort.

Knirschend steigen aus dem Moosboden durchsichtige Kristallsäulen heraus.

Astartige Arme wachsen den Kristallsäulen; die Arme sind auch Kristall und haben keine Hände – an Stelle der Hände entstehen Kristallköpfe mit lauter rechteckigen Formen – auch die zwei Augen der Köpfe sind rechteckig.

Und die Kristallwesen unterhalten sich; es reden die sämtlichen Armköpfe einer Säule für gewöhnlich im Chore.

Die Geister der Tüte vernehmen die folgenden Reden und Gegenreden: »Meine Wenigkeit hat bislang erst zweitausend Entwicklungsprozesse durchgemacht. Aber ich würde nette Lügenmäuler haben, wenn ich behaupten möchte, ich hätte jemals in meinem langen Leben eine Ahnung davon gehabt, wohin mich diese ganze Entwicklung führen könnte.«

»Ist es denn nötig, daß die Endziele der Entwicklungsprozesse uns ganz klar wie Kristallsäulen vor Augen stehen? Ist es nicht genug, daß wir immer noch ein unbestimmtes Vergnügen daran finden, uns weiterzuentwickeln? Hätte die Entwicklung noch irgendwelchen feineren Reiz, wenn wir über die Endziele des ganzen Weltbestrebens völlig im klaren wären? Wären wir in diesem Falle nicht am Ende aller Weisheit und entwicklungsunfähig? Ist aber nicht grade die stete Entwicklungsfähigkeit die Krone der Lebenskraft und Lebenslust?«

»Alle diese köstlichen Fragen hindern uns nicht, Betrachtungen über die Entwicklung unsrer Kristallseelen auch fürderhin anzustellen. Für mich gibt es immer noch zwei Kardinalfragen: Entwickeln wir uns zur Selbständigkeit, wenn wir immerzu anders werden – oder entwickeln wir uns tatsächlich zu unbestimmbaren Größen? Nach meiner Meinung müßten wir bald so weit entwickelt sein, um eine dieser beiden Fragen ausmerzen zu können.«

Eine zitternde Stimme spricht nach einer Weile ganz allein: »Sind wir Geschöpfe, so gibt es auch Schöpfer, und sind wir selber Schöpfer, so müßten wir eigentlich mehr schaffen als bisher. Wir können auch schaffende Geschöpfe sein. Und wir können auch was andres schaffen – es brauchen nicht immer lebendige oder tote Geschöpfe zu sein. Wenn ich aber schaffen will – ganz gleich was –, so frage ich immer: was ist für die großen Schöpferstunden günstiger: der Wechsel der Lebensumstände oder die Gleichförmigkeit der Lebensumstände?«

In klingenden Chören tönt es zurück:

»Streben wir nach Ruhe oder nach Bewegung?«

»Wär's nicht besser, wenn ein Moment still stehen bliebe wie ein alter Träumer?«

Knirschend sinken die Kristallsäulen wieder in den Moosboden – und sind bald den Blicken der Opalaugen entzogen.

Und riesige Schachtelhalmwälder wachsen in der großen Moosschale rasch empor – und die Wälder biegen sich und rauschen.

Und es tönt aus den Wäldern ein schwerer Gesang.

Und dann rufen die Wälder seufzend: »O Nebulosa! O Nebulosa! Wo weilst Du? Weißt Du denn nicht mehr, daß wir so schrecklich unselbständig sind und die Gesellschaft so nötig haben?« Und blaue Wolken wirbeln aus den Wäldern heraus, die blauen Wolken steigen höher und vermischen sich da mit lilafarbigen und orangefarbigen.

Und diese bunten Wolken umschweben die Wipfel der sich biegenden, rauschenden Schachtelhalmwälder.

Und die Wolken sprechen, ohne daß die Geister Mund oder Nase sehen: »Wir haben nun über alles nachgedacht und freuen uns über unser Nichtwissen viel mehr als über unser Wissen.« Die Wolken steigen höher.

»O Nebulosa!« rufen die Wälder.

»Die Nebulosa«, tönt's nun von oben herunter, »ist ein einziges Wesen und besteht doch aus sehr, sehr vielen Wolken; die Nebulosa glaubt, daß es ihr gar nicht mehr behagen könnte, andre Wesen für klüger zu halten als sich selbst; die große Nebulosa, die eigentlich gar nichts weiß, will auch nichts mehr wissen – piept opp die olle Weisheitstinte.«

»Recht schade!« sagen die Schachtelhalmwälder, »wir hätten so gerne gewußt, was uns angenehmer sei – das Licht oder die Finsternis.«

Da blitzt es heftig in den bunten Wolken.

Aber die Wälder schweigen nicht; während die Schatten der Wolken über den Wipfeln hin und her huschen, fragen sie: »Zieht das Aufgeben des Ichgefühls Mangel an Bewußtseinsempfinden nach sich?«

Noch heftiger blitzt es in den Wolken.

»Sind wir lebenskräftiger«, fragen die Schachtelhalmwälder weiter, »wenn wir uns als ein Ich fühlen – oder wenn wir jedes Ichgefühl aus Hochachtung vor dem Ganzen, zu dem wir gehören könnten, unterdrücken?«

Da schlagen die Blitze in die Schachtelhalmwälder, daß die aufflammen und sich im nächsten Augenblick in Staub verwandeln.

Die blauen Wolken mit den lilafarbigen und orangefarbigen Flecken steigen hell blitzend immer höher und rufen aus der Höhe herunter: »Die Nebulosa verlacht das Ichgefühl – und vernichtet das Ichgefühl.«

Und oben verfliegen die bunten Wolken, so daß keine Spur von der Nebulosa übrigbleibt.

Wieder leuchten die kleinen weißen Wolken.

Den Geistern der Tüte treten Tränen in die bunten gleißenden Opalaugen, so daß sie funkeln wie Tautropfen im Sonnenglanz.

Und mit mächtigem Gepolter wachsen riesige rote Berge durch den Schachtelhalmwälderstaub.

Und die roten Berge sind von glitzernden Flüssen durchzogen, die sich wie seidene Bänder um die Gipfel der Berge schmiegen. Zinnoberrot sind die Berge – und die Flüsse so wie Silber – wie Quecksilber – auch so beweglich.

Und aus den roten Bergen werden große lachende Riesenköpfe, die sehr gutmütig schmunzeln.

Und die silbernen Flüsse umschlingen den breiten Hals der Bergriesen und gehen oben ins Haar der Bergriesen und bewegen sich wie flüssige Schlangen und flüstern schmeichelnde Worte ins Ohr der Bergriesen.

Und dann fangen die Flüsse zu fragen an wie gute Kinder – sie wollen so gerne was wissen – sie wollen was von den Göttern wissen.

»Ist die Zahl der Götter, die, wie wir wohl wissen, auch Sterne genannt werden, wirklich gar nicht auszusprechen ?«

Also fragen die schmeichelnden Schlangen, und die roten Riesen antworten: »Die Zahl der Götter ist nicht einmal auszudenken – es gibt gar nicht so viel Platz, um die Zahl aufzuschreiben- die Unendlichkeit ist für die Zahl viel zu klein – die Götter überragen alles.«

Da wundern sich die Flüsse sehr, und ihre Wasser umplätschern die Stirn der Riesen.

Aber die Flüsse sind neugierig; sie wollen noch mehr von den Göttern wissen.

»Können die Götter«, fragen die Neugierigen »wirklich machen, was sie wollen?«

»Ih, kein Bein!« erwidern schmunzelnd die Roten, »die Götter hängen wieder von andern Wesen ab, die viel größer sind als alle Sterne zusammen. Und diese Obergötter hängen wieder von Ober-Obergöttern ab usw. Alle haben immer noch einen Höheren über sich – es reißt gar nicht ab. Und dann sind alle – sowohl die einfachen Götter wie die oberen – durch unzählige dicke Taue aneinander gebunden – und hängen alle untereinander voneinander ab. Das alles solltet Ihr Euch mit Euern Eingeweiden in Euer Herz schreiben.«

Da zittern die Flüsse, denn sie können sich das alles gar nicht ordentlich ausmalen – so großartig erscheint es ihnen.

Sie wollen nun nur noch wissen, ob sich die Götter ebenfalls immer weiter entwickeln wie die Flüsse und Berge und all das Gewürm, das auf und in ihnen lebt.

Und zu dieser Frage nicken alle Bergriesen so kräftig mit den Köpfen, daß sich ihre Halsketten kaum festhalten können.

Und kopfnickend rutschen die roten Berge nach allen Seiten aufwärts bis in die weite Ferne zum Schalenrande, wo sie immer kleiner werden und schließlich so klein sind, daß die Opalaugen nichts mehr von den roten Bergen mit ihren neugierigen Flußketten bemerken.

Und die Opalaugen können so weit sehen – nach allen Seiten zu gleicher Zeit.

Schnee fällt aus den weißen Wolken – sehr viel Schnee, so daß die ganze Mooslandschale bis zum fernen Rande zum großen Schneetrichter wird.

Wie aller Schnee unten ist und die Opalaugen wieder weit herumblicken können nach allen Seiten, sehen sie einen dunkelgrünen Himmel und oben rings um den ganzen Schneetrichterrand große dunkelblaue Schmetterlinge mit goldenen Schnörkeln. Und alle diese Schmetterlinge sind aneinander gefesselt mit schweren eisernen Ketten, so daß sich die herrlichen Sammetfalter nicht bewegen können.

Die Schmetterlinge schreien: »Jetzt wollen wir uns eine Willensrichtung geben, denn das haben wir stets gewollt! Jetzt kann's losgehen!«

Es geht aber gar nichts los – die Schmetterlinge bilden ruhig weiter ihren Ring am Trichterrande.

Der Schnee schmilzt.

Und unter dumpfem Gepuff springen ringsum zackige alte Berge mit alten Burgen aus der immer noch sanft ansteigenden Mooslandschale, die jetzt wieder so dunkelgrün ist wie einst.

Und aus den Burgen springen Riesenfrösche heraus und tanzen.

Und die Berge mit den Burgen tanzen mit.

Ganze Wälder entstehen im Hintergrunde, ballen sich zusammen und tanzen mit.

Kornfelder und Fahrstraßen entstehen vorn und tanzen mit. Und die Riesenfrösche brüllen in mehrstimmigen Chören: »Wollen wir denn frei sein?«

»Wollen wir denn frei sein?«

Und das tanzende Schalenreich wird furchtbar hell – und die Opalaugen der Geister sehen unzählige dicke Strippen, an denen die ganze tanzende Gesellschaft hängt.

Oben im dunkelgrünen Himmel werden auch dicke Fäuste sichtbar, die die Strippen halten und regieren.

Plötzlich sausen unzählige breite Schwerter vom Himmel herunter und funkeln vor den Opalaugen so heftig hin und her, daß die Geister glauben, vor ihnen entwickle sich der große Kampf der Unsichtbaren, die alles an ihren Strippen lenken.

Und bei dem Schwertgefunkel ist das lustige Hampelmannreich mit den Riesenfröschen bald nicht mehr zu entdecken.

Die Geister der Tüte bedauern lebhaft, daß sie infolge Mundmangels nichts zu sagen vermögen; die Schauspiele, denen sie beiwohnen dürfen, haben etwas Beklemmendes für die Tüte.

Die blinkenden Schwerter hauen sich allmählich gegenseitig kaputt und fallen fort.

Und das Hampelmannreich kommt wieder zum Vorschein. Während der Schwerterfehde sind aber noch große blaue Meere zu den Bergen, Burgen, Fröschen, Fahrstraßen, Kornfeldern und Walddistrikten hinzugekommen.

Die Strippen sind nicht mehr zu sehen, doch die Hampelei nimmt ihren Fortgang – und zwar mit erheblichster Vehemenz.

Die Geister sehen nach allen Seiten und werden nicht klug aus diesem Getanze; alles drängt sich den blauen Meeren zu, die mächtig rauschen.

Die Geister horchen mit ihren Perlohren und verstehen nach und nach, was geredet wird.

Die Frösche sagen: »Wir sind die großen Fragezeichen, und jetzt soll der große Kampf um die erlösenden Sätze beginnen. Die erlösenden Sätze haben die großen Antworten in sich. Und die Meere haben alle beide in sich sowohl die Sätze wie die Antworten. Und diese beiden Dinge müssen wir den blauen schlauen Meeren entreißen. Das wird ein famoser Krieg!«

Und die Frösche springen in die blauen Meere hinein, daß es ein großes Geplumpse gibt.

Und dabei fragen diese Frösche lachend: »Was macht mehr Spaß als die Unwissenheit?«

»Fragen wir, um was zu wissen – oder fragen wir, um bloß zu wissen, daß das Wissen nur ein Wissen vom Nichtwissen ist?«

»Gibt uns das Wissen vom Nichtwissen nicht die größte Portion Selbstbewußtsein?«

Die Frösche tauchen unter; auf den dunkelblauen Meeren bildet sich viel weißer Schaum.

Und die Berge mit den Burgen drängen sich nun auch an die Meere und wollen ihnen ebenfalls erlösende Sätze abringen.

Die Meere werfen ihre donnernden Wogen den Bergen entgegen, daß der Schaum die Burgen bespritzt.

Und die Berge fragen ächzend: »Ist Denken mehr als Fragen?«

»Ist Denken und Fragen dasselbe?«

»Besteht unsre ganze Weisheit bloß aus großen Fragen?«

»Werden wir ewig bloß Fragezeichen sein?«

»Besteht vielleicht unser Glück bloß im Fragenkönnen?«

Und die Burgen fragen: »Gibt es eine Frage, die uns nüchtern machen kann?«

Die Meere ziehen, als wären sie verletzt, ihre blauen Fluten weit von den Bergen fort und bäumen sich hoch auf.

Und die Meere werden zu hohen Gebirgen.

Und jetzt gehen ihnen die Fahrstraßen nach und fragen heftig: »Wird uns das Außerunsseiende leichter bewußt als das sogenannte Ich?«

»Sind Welt und Ich bloß Traumspäße?«

»Ist überhaupt ein Wesen denkbar, das der Welt ins Herz sehen kann?«

Und wogende Kornfelder fragen: »Hat die Welt ein Herz?«

»Ist die Welt ein einziges Wesen – so wie ein Kornfeld?«

»Hat die Welt eine Haut?«

»Ist die Welt klüger als alles das, was in ihr lebt?«

»Kann ein Ding, das in der Welt lebt, mal ebenso klug oder ebenso dumm wie die ganze Welt werden?«

Die Wälder aber ballen sich wieder zusammen wie Igel und fragen knarrend: »Wenn wir fragen, ob wir selbst es sind, die da fragen – ist das denn wirklich die größte Frage?«

»Wenn wir fragen, ob wir selbst es sind, die da denken – ist das denn wirklich der größte Gedanke?«

Da spritzen die Meere ihre Fluten empor, daß es aussieht, als gingen Millionen Fontänen in die Höhe.

Und die Geister der Tüte vernehmen, wie die Meere ganz deutlich schimpfen und sagen: »Seid doch froh, daß Ihr so viel Vergnügen am Fragen findet. Ihr seid so naiv wie die patriotischen Krieger. Würden wir Euch Eure Fragen alle beantworten, so würdet Ihr nur auf neue Fragen sinnen müssen. Dieser Mühe sollt Ihr durch unser Schweigen überhoben sein.«

Da recken sich die Berge mit den Burgen, die Fahrstraßen und Kornfelder ganz hoch in die Höhe und wollen mit den Meeren kämpfen.

Aber den Meeren wachsen weiße Flügel in den Seiten.

Und die Riesenfrösche fliegen, während die weißen Flügel mächtig wachsen, in großen Bogen aus den blauen Fluten raus und fliegen mit solcher Wucht gegen die Berge und auf die Fahrstraßen, daß die lustigen Tiere platzen und elendiglich verrecken.

Und dann hauen die blauen Meere so heftig mit ihren weißen Flügeln um sich, daß die Berge zu Billionen Steinen zerschlagen werden, die die Frösche und Wälder, Fahrstraßen und Kornfelder ganz und gar überschütten, so daß die Mooslandschale von oben bis unten mit Steinen übersät ist, als hätte es Steine geschneit.

Und die blauen Meere erheben sich und fliegen mit ihren weißen Flügeln wie Riesenvögel hoch empor zum Himmel.

Und die geflügelten Meere, in deren Wasserleibe die Fische herumschwimmen und die Korallen wachsen und die Seesterne mit den Austern kämpfen – diese geflügelten Meere werfen große Schatten hinunter, die viel, viel größer sind als Billionen Meere zusammen.

Die Opalaugen der Geistertüte können bald gar nichts mehr erkennen – so dunkel sind die großen Meeresschatten.

Aber am fernen Rande der großen Schale, in deren Mitte die Tüte steckt, sehen die Opalaugen unheimliche Gespenster – die kriechen wie Spinnen über den Rand und kommen sachte heruntergekrochen.

Wie sie sich aber aufrichten, erschrecken die Geister der Tüte über die ungeheure Größe dieser Spinnen; sieben schrecklich lange Beine tragen einen Panzerrumpf; krinolinenartig stehen die Beine auf dem schrägen mit Steinen übersäten Boden der Schale.

Und der Panzerrumpf geht hoch in den Himmel hinauf, der jetzt so grau ist wie Blei und nicht sehr hell – und so seltsam gerippt erscheint, als gingen Röhren durch.

Die Gespenster haben oben einen ganz kleinen Kopf, in dem kaum die Augen zu unterscheiden sind.

Sieben riesig lange Arme haben die Riesenspinnen, und in sieben knolligen Fäusten halten sie den Griff eines rostigen Bratenmessers, das gefährlich aussieht.

Und diese unheimlichen Gesellen klettern einander auf die Schultern, und die obersten berühren mit ihren rostigen Bratenmessern den bleigrauen Himmel – und schneiden nun vorsichtig große siebeneckige Stücke aus dem Himmel raus.

Und durch die siebeneckigen Löcher können die Opalaugen in ein großes, buntes Sternenall sehen, in dem es sehr hell ist.

Und die Opalaugen sehen, daß da die bunten Sterne mit bunten langen Stricken aneinander gebunden sind, so daß dieser Sternhimmel wie ein alter Winkel aussieht, in dem unzählige Spinngewebefäden Wustnetze bilden.

Und die siebenbeinigen Gespenster steigen mit ihren Bleihimmelstücken herunter und wollen mit dem himmlischen Gut davongehen nach hinten zum fernen Rande, wo sie herkamen.

Aber die Bleihimmelstücke drehen sich den langen Kerlen aus den Händen raus und schweben wie fliegende Swift-lnseln empor und schweben in der Luft herum.

Die Siebenbeinigen stehen ganz ratlos da.

Plötzlich aber fallen die Bleihimmelstücke den Siebenbeinigen auf den Kopf und drücken den Rumpf mit solcher Gewalt durch, daß unten die langen Beine wie Glas zersplittern.

Die Bleihimmelstücke schlagen aber gleich mit den Panzerrümpfen so tiefe Löcher in die Mooslandschale, daß die auch auseinander berstet und in großen Stücken in eine unbekannte Tiefe fällt.

Die Opalaugentüte bricht dabei um und fällt den Bleihimmelstücken und den Mooslandschalenstücken nach.

Und die Geister lösen sich voneinander los und fallen in ein dunkles Luftreich, in dem sie sich wieder verwandeln und seltsame Blumengerüche empfinden.

In dem dunklen Luftreich duften unsichtbare Blumen so stark, daß die Geister an ferne Vergangenheit denken mussen – und sich plötzlich an ein langes, langes Leben erinnern.


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