Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das siebente Kapitel.

»Endlich!« schreit Kodama in den frischen Morgenwind hinein, »endlich sind wir die dummen Frauenzimmer wieder los. Die Tarub schnauzt, die Sailóndula heult und die Abla will immerfort Rosen haben. Freunde, wir sind frei – darum wollen wir jetzt auf dem Karawanenplatz Tee trinken. Kommt!«

Und der dicke Geograph geht breitbeinig voran – die beiden Dichter Suleiman und Safur folgen – der Philosoph Abu Hischam desgleichen.

Diese vier Leute hatten die drei Frauen nach Hause gebracht – mit Mühe – wie sich ja denken läßt – denn nüchtern war Niemand.

Äußerlich machten jetzt die Vier einen sehr friedlichen Eindruck.

Das war aber Alles nur Schein.

Der Wein hatte die Gemüter ganz gehörig aufgeregt.

Gereizt wandte sich Safur an den dicken Kodama und verlangte Aufklärung in Betreff der Tarub – den Dichter plagte heiße Eifersucht. Ein Wort gab das andre – der sonst so gemütliche Geograph mit den herrlichen seidenen Hosen hatte seine ganze wohltönende Beredsamkeit aufzubieten, um den Dichter davon zu überzeugen, daß eine Umarmung doch nur eine Umarmung und ein Kuß doch nur ein Kuß sein könnte.

Der gemütliche Dicke trat währenddem in die Bude eines alten Wunderdoktors und ließ sich in vier zierlichen Näpfchen ein schwarzbraunes dickflüssiges Getränk verabreichen, das Wunder tun sollte gegen den Kater.

Alle tranken das schwarzbraune Zeug und fühlten sich gleich beruhigt – auch Safur.

Leichtgläubig wie alle Dichter ließ auch dieser leicht sich was einreden.

Das schwergläubige Mißtrauen schien dem Safur ohnehin eine recht lästige Sache.

Die Hitze ist auch schon recht lästig.

Grelles Sonnenlicht flutet durch ganz Bagdad, obgleich es noch immer Morgen ist.

Auf dem Karawanenplatz sieht es sehr bunt aus – der Platz ist so bunt wie ein Opal.

Die hellen Zelte, auf denen die Sonne brennt, geben dem großen Karawanenplatz das Ansehen eines großen Lagers.

Die mächtigen Blätter der Bananen und die riesigen Palmen ragen in den hellblauen Himmel so beruhigend hinauf – so beruhigend wie das Grün der Oasen.

Links zeigt ein indischer Schlangenbändiger seine Künste.

Suleiman soll bezahlen und tut's.

Suleiman denkt nur an den Schneider Dschemil, denn Said hat dem Dichter eine dicke Goldrolle geschenkt – zum Lohne für das Lobgedicht.

Das Gold hat den Alten schrecklich glücklich gemacht – er benimmt sich zuweilen ganz närrisch.

Neben ruhenden Kamelen liegen prächtige bunte Teppiche aus Smyrna und Damaskus.

Gelbe Chinesen stehen feierlich neben grellfarbigen Seidenstoffen.

Braune Araber handeln mit Wollenzeug, Baumwolle und Leinen – die Stoffe zeigen auch alle Farben – rote, blaue, gelbe, braune und andere.

Alte Ägypter verkaufen Rosenöl und Räucherwerk.

Perser mit langen schwarzen Bärten bieten lustigen braunen Mädchen himmelblauen Türkisenschmuck an. –

Und betrunkne Tofailys kommen jetzt torkelnd und johlend immer näher – sie sehen Kodama, brüllen ihm was zu – und dabei fällt der eine Tofaily wie ein abgehackter Baum auf die eine Seite mitten in ein großes Lager irdener Töpfe und Kruken, die ein alter Mann aus Kufa neben sich auf der Erde fein säuberlich aufgestellt.

Mörderliches Geschrei! Das Geschirr klirrt und klappert.

Ein frecher nackter Junge reitet auf einem kleinen grauen Elefanten heran – und das Tier zerschlägt auch noch ein paar Töpfe.

Höllenlärm!

Die Tofailys lachen, sind aber in großer Not – die Kaufleute auf dem Karawanenplatz verstehen im Entzweischlagen keinen Spaß.

Kodama bezahlt schließlich die zerbrochenen Gefäße – widerwillig zwar – doch mit Anstand.

Die Tofailys sind drob natürlich ganz außer sich vor Vergnügen.

Kodama wird von den Betrunkenen bestürmt – wie von arabischen Kriegern eine Burg bestürmt wird.

Die Vier sind im Nu umringt.

Und Alle wandeln lachend in die nächste Teebude. –

Schlitzäugige chinesische Mädchen bringen das heiße Getränk in blau bemalten Porzellanschalen herbei.

»Wie geht's Deinem Bären?« fragt man den Safur – höhnisch – denn Safur wird beneidet. Sein Bär, Bagdads berühmte Köchin, leuchtet sehr hell an dem trüben Himmel, der Bagdads berühmte Männer überwölbt.

Abu Hischam muß gleich wieder vom Bunde der lauteren Brüder sprechen.

Doch es wird heiß.

Auch unter den hellen Leinendächern der Zelte und Marktbuden nimmt die Hitze ganz beträchtlich zu.

Die Augen kann man garnicht mehr ordentlich offen halten – die Sonne blendet.

Tiefblau sind die Schatten der Palmen und Bananen.

Vor den Teezelten liegt die große Moschee.

Und rechts von der Moschee ragen die hohen, auf einem Hügel gelegenen Paläste der Kalifenburg mit vielen vielen Türmen und bunten Galerien in den glühenden Himmel hinauf.

Träge zieht eine Karawane an den Teetrinkern vorüber.

Die Kamele nicken einförmig mit den drolligen Köpfen, die Pferde suchen mit der Schnauze den heißen Erdboden zu erreichen. Die Kameltreiber schwitzen und fluchen.

Träge zieht die Karawane vorüber – ein Bild tiefster Erschöpfung – ein Bild lähmender Schlaffheit.

Das Gespräch unter den Teezelten verstummt – man verabredet noch eine Zusammenkunft abends auf der Tigristerrasse – und trennt sich.

Abu Hischam, Kodama, Suleiman und Safur wenden sich nach rechts, gehen an einer großen Bude, die ganz mit kleinen indischen Götterfigürchen gefüllt ist, vorüber – in die Stadt.

In den Straßen ist es leer und heiß.

Die blauen Schatten der niedrigen zumeist fensterlosen Hausmauern und die blauen Schatten der Palmen und Bananen – verkleinern sich – die Sonne steht schon hoch.

Der dicke Kodama gähnt und will zur Sareppa, die Andern wollen mit, und man geht hin.

Der weiße Straßenstaub durchsengt die Sandalen.

Donnerwetter! Die Hitze ist stärker als tausend Löwen.

Die Vier nehmen erst noch ein Bad.

Das erfrischt ein bißchen.

Dann geht's zur Sareppa.

Da knallen die Peitschen.

Da fliegen die Speere und die Pfeile.

Da wiehern und stampfen die prächtigsten Hengste – denn die Sareppa handelt mit Pferden, und ihre Hengste sind berühmt.

Auf einem freien Platze, der nur von ein paar Palmen beschattet wird, jagen junge nackte Mongolen auf schäumenden Hengsten im Kreise herum. Die Mongolen werfen dabei mit kurzen Lanzen nach einer Holzpuppe, die hoch oben unter den Blättern einer Palme hängt. Die Lanzen sausen oft in weitem Bogen fast bis auf die Straße hinaus, daß man sich in Acht nehmen muß.

Die beiden Gelehrten und die beiden Dichter gehen daher schleunigst unter ein Holzdach, unter dem Gras wächst – da grasen die Pferde der Sareppa, und – Beduinen bewundern die Pferde.

Manche Beduinen kaufen sich ein Pferd unter diesem Holzdache – doch die meisten Beduinen kommen hierher, um ihre Pferde zu verkaufen – und dann bettelnd herumzulungern.

Bagdad, diese üppige Stadt, bricht manchem Wüstensohn den Hals.

Und Safur spricht mit den Beduinen.

Er spricht von den blauäugigen Dschinnen und will mehr von diesen wilden Wüstengeistern wissen, die nachts auf schwarzen Rossen über den heißen Sand sprengen und die Menschen – töten wollen.

Die Beduinen erzählen viel von den Dschinnen. Und vor Safur, der träumend zuhört, erscheint ein wildes Weib mit schwarzem Gesicht und hellblauen Augen; die Haare hängen dem Weibe lang und strähnig an den Schläfen nieder. Die Stirn des schwarzen Weibes zeigt senkrechte dicke Furchen. Die Mundwinkel des bläulich-blassen Mundes hängen tief runter – ein dunkler Gespensterkopf vor einem leuchtenden Nachthimmel!

Safur erschrickt.

Und er liebt das Gesicht.

Aber plötzlich ist es wieder weg. Er sieht nur noch die Beduinen vor sich, sieht die Pferde der Sareppa grasen und den alten Suleiman drüben an dem einen Holzpfahl Kirschen essen.

Safur hört nicht mehr, was ihm die Beduinen erzählen. Er versucht wieder, das Dschinnengesicht zu sehen – kriegt es aber nicht fertig. Ganz verstört kommt er später zu seinen Freunden zurück und ißt schweigend mit ihnen Kirschen, trinkt auch Wein mit ihnen; der Kodama ist in bester Laune, hat an jeder Hand ein Mongolenmädchen und erzählt Schnurren, daß die Mädchen sich krümmen vor Lachen.

Die Sareppa badet, die ist heute nicht zu sehen.

Die Beduinen werden aber bald aufdringlich, die Obstjungens auch, sodaß man sich nach einiger Zeit entschließt, weiter zu wallen.

Kodama übernimmt die Führung und bringt seine Freunde in ein berüchtigtes Haus.

Man geht in den großen Badegarten, wo's sehr laut ist. Beduinen und ein paar reiche Jünglinge aus Bagdads besten Familien zechen dort mit weißen Armenierinnen.

Das eine Mädchen singt mit gellender Stimme, während sie ihren Jüngling an die Ohren packt:

»Willst Du meine Freunde töten,
Steigst Du noch in meiner Gunst!
Blutig muß Dein Dolch erröten!
Sonst ist Lieben eitel Dunst!«

Und das Unerwartete geschah.

Blitzschnell zog der Jüngling seinen Dolch und stieß ihn einem jungen Beduinen bis ans Heft in den Leib.

Aber im nächsten Augenblick hatte der Jüngling einen furchtbaren Säbelhieb. Der Säbel ging ihm durch die linke Stirnseite, durchschnitt das Auge und blieb im Kopfe stecken.

Lautlos brach der Heißblütige zusammen.

Das dunkelrote Blut zweier Nebenbuhler besudelte den feinen bunten Fliesenboden.

Entsetzt wandten sich die beiden Gelehrten und die beiden Dichter ab und schritten eilig an den Rosengebüschen und an den Gummibäumen – an dem reizenden großen Badeteich, in dem Lotosblumen blühten, vorbei – hinaus – ins Freie.

Drinnen schrien die Weiber wie die Wahnsinnigen, als wenn das berüchtigte Haus ein Tollhaus geworden wäre.

»Siehst Du!« sagte draußen der dicke Geograph zum Safur, »da siehst Du wieder, wohin die Leidenschaften führen. Hüte Dich vor der Eifersucht!«

Und im Sturmschritt rannte der Dicke seinen drei Freunden voran zur Tigristerrasse.

In Schweiß gebadet kamen die Vier dort an.

Die Tofailys waren schon da.

Die Sonne ging blutrot unter.

Hastig erzählten die Vier ihr Abenteuer.

Aber die Tofailys rührte das nicht allzu sehr. Sie waren ja des Morgens von einem Leichenschmaus gekommen – von dem Leichenschmaus, den die hübsche Witwe des alten Wollkremplers gegeben, den die Tofailys in jener grünen Schimmelnacht in der Betrunkenheit erstochen haben sollten.

Es ward Nacht.

Man aß und trank.

Abu Hischam sprach wieder vom Bunde der lauteren Brüder.

Und als Alle recht viel getrunken hatten, nahm Abu Hischam feierlich alle Anwesenden in seinen Bund auf.

Suleiman riet vergeblich zur Mäßigung. Er erinnerte vergeblich an die Empfindlichkeit des reichen Battany.

Abu Hischam nahm sämtliche anwesenden Tofailys sehr förmlich in den Bund der lauteren Brüder auf.

Und darauf trank man – bis Alles betrunken war. –

Die Tofailys lagen schließlich auf der Tigristerrasse umher wie die Scherben einer zerbrochenen Waschschüssel.

Safur dachte an seine Dschinne und an seine Tarub.

An seine Tarub dacht' er mit Ingrimm, denn er wußte, daß sie ihm wieder Vorwürfe seiner wüsten Sauferei wegen machen würde.

Der Tigris glitzerte im Mondenschein.

Die lauteren Brüder verstummten und begannen zu schnarchen; der Kopf ward ihnen so schwer wie ein Henkerbeil.

Safur dachte an seine blauäugige schwarze Dschinne.

Jetzt sah er sie wieder hoch oben im Himmel – übermenschlich groß – von funkelnden Sternen umstrahlt.


 << zurück weiter >>