Paul Scheerbart
Tarub Bagdads berühmte Köchin
Paul Scheerbart

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Das elfte Kapitel.

Am nächsten Morgen segelten die Barken des Battany und des Said weiter stromauf – zu den Eremiten.

Man wollte auf Abu Hischams Wunsch zunächst den Eremiten die große Kunde vom Bunde der lauteren Brüder überbringen.

Abu Hischam schwamm in Seligkeit.

Sein Herzenswunsch war erfüllt.

Das Frühstück mundete den lauteren Brüdern sehr – sehr gut.

Es gab Fleischpasteten und kalten Bratfisch, Pfirsiche, Oliven und Weintrauben, afrikanische Schotentorte und Marzipan.

Und man trank roten Kufa-Wein.

Beim Wein erhitzten sich die Gemüter.

Die lauteren Brüder waren nahe dran, sich zu zanken – zankten sich wirklich.

Sie zankten sich über ein paar Verse des Abu Nuwâs, was in der guten Gesellschaft Bagdads zu jenen Zeiten durchaus nicht selten vorzukommen pflegte.

Die Verse des Abu Nuwâs, die den Zankapfel bildeten, lauteten:

»Ich sagte einst zu einer kleinen Süßen,
In deren Hand ein Bündel von Narzissen:
›Von Dir zu scheiden ist das Schändlichste der Welt!‹
Und sie: ›Viel schändlicher zu lieben ohne Geld!‹«

Die Stimmung ward sehr übermütig – derbsinnlich – zotig – nicht grade sehr zart – im Gegenteil.

Es hagelten die bösen Witze so dicht wie die Pfeile in einer Schlacht gegen die Christenhunde und die anderen Ungläubigen.

Die drei Weiber taten zuweilen so, als hielten sie sich die Ohren zu.

Die Tarub bekam am meisten zu hören.

Safur mußte seinen ganzen Witz zusammennehmen, um sie zu schützen.

Die beiden Dicken – Kodama und Osman – lachten, daß ihnen die dicken Schweißtropfen über die dicken braunen Pustwangen rollten, die immer glänzender zu werden schienen.

Der alte Jakuby unter seinem hellila Turban kicherte wie ein verschämtes Mädchen.

Battanys Unterlippe wurde sehr dick.

Said tat immer so, als verstände er Alles – was einen sehr drolligen Eindruck machte, wenn die Witze sich gegen ihn selber richteten.

Ich will dieses Morgengespräch nicht näher beleuchten.

Die Sonne stand sehr hoch.

Der Prophet Abu Maschar achtete nicht auf das Gelächter der Andern, er hörte sich mit dem alten Suleiman – mehr vorn in der Barke – die begeisterten Erörterungen des Abu Hischam an, der wie gewöhnlich nicht müde wurde, über die Ziele und Pläne des großen Geheimbundes zu reden.

Immer wieder klangen von des Philosophen Lippen die beiden Worte:

»Lautere Brüder!«
»Lautere Brüder!«

Währenddem sang die weiße Abla, die sich mit einem großen weißen Federfächer sorgsam vor den Strahlen der Sonne schützte, eine südarabische Volksweise, die so recht in die angeheiterte Laune der »lauteren« Brüder hineinpaßte.

Abla sang mit heißer hoher Stimme:

»Wenn Du mich nicht mehr lieben willst,
So geh ich zum Kuppelweibe!
Wenn Du mich nicht mehr lieben willst,
So will ich Dich vergessen –
In wilder toller Brunst –
Bei Wein und Saitenkunst –
Da lieb ich, was ich finde –
Verschwinde nur! Verschwinde –
Wenn Du mich nicht mehr lieben willst.«

Und diese Verse hörten am Ufer auch ein paar Eremiten, die nur in die Einsamkeit gezogen waren, um ihre Sinnlichkeit zu töten.

Die lauteren Brüder landeten dann wieder, um den Eremiten »guten Tag« zu sagen.

Abu Hischam erzählte den Eremiten vom Bunde, denn die Eremiten waren fast sämtlich große Gelehrte.

Die alten gelehrten Einsiedler machten sehr große Augen, als sie die neue Kunde vernahmen.

Die Gesellschaft wurde gleich größer.

Und unter Battanys großen Zelten ging's wieder mal sehr hoch her.

Als die Einsiedler, die nicht weitab wohnten, in ihren ärmlichen schmutzigen Hütten den Lärm vernahmen, kamen sie gleich näher – und waren bei den lauteren Brüdern ganz guter Dinge.

Sie ließen sich gern in die neue Gesellschaft aufnehmen.

Äußerlich sagten die Eremiten immer sehr gern »Ja!«

Was sie innerlich dachten, pflegten sie für sich zu behalten.

Wenn's Nichts kostete, waren sie stets ohne Umstände für alles Mögliche zu haben.

Das wußte Abu Hischam – daher hatte dieser kluge Philosoph auch gleich zu den Eremiten gewollt – – er verstärkte durch die Eremiten seine Stellung.

Es mußte natürlich in der Absicht des schlauen Bundgründers liegen, die Machtstellung des Battany nach Möglichkeit zu beschränken.

Übrigens – Osmans Widerstand war sehr bald gebrochen, der Buchhändler wurde der Geschäftsführer der Gesellschaft – und machte schließlich ein ganz vergnügtes Gesicht – zu verlieren war ja bei dieser gelehrten Gesellschaft eigentlich Garnichts.

Ja – Osman und Abu Hischam lagen sich sogar sehr bald brüderlich in den Armen und schwuren sich ewige Treue.

Abu Hischam hatte allen Grund, mehr zu trinken als je – was er denn auch sehr gründlich besorgte.

Als der Vollmond über dem Tigris aufging, lag der große Philosoph Abu Hischam, der große Gründer des Bundes der lauteren Brüder – wie ein Brett im Grase – und trank nicht mehr – da er fest – sehr fest – schlief.

Safur aber schlief nicht – der plauderte mit den Eremiten über die Freuden des einsamen Lebens – und ihn überkam's.

Er wollte auch Eremit werden – er beneidete bereits seine neuen Freunde.

Als er hörte, wie einfach die Mahlzeiten der Eremiten gewöhnlich zu sein pflegten, verzogen sich allerdings seine Gesichtszüge und bekamen einen verdrossenen Ausdruck.

Nein – so weit war Safur noch nicht, daß er um des einsamen Lebens willen auf ein verständiges Essen und Trinken hätte verzichten wollen – aber vielleicht ließ sich Beides vereinen.

Und über dieses »Vereinen« dachte Safur sehr angestrengt nach.

So schmutzig und zerrissen – wie die anderen Eremiten – wollte Safur auch nicht herumgehen.

So weit war er noch nicht, daß er sich um des einsamen Lebens willen im Schmutz und Unrat hätte herumsielen wollen.

Auch der Gedanke an das viele Ungeziefer der alten Einsiedler ward dem im Äußeren sehr peinlichen Dichter – ein bißchen ekelhaft – eigentlich gräßlich.

Nein – Ungeziefer mochte er nicht.

Da stieß ihm wieder die Tarub in die Seite – nicht derb – aber vernehmlich.

Sie wollte ihn sprechen – allein.

Und er entschuldigte sich bei den Einsiedlern, empfahl ihnen, sich neuen Kufa-Wein zu holen – und – und folgte der Tarub – recht unlustig.

Hinter blühendem Oleander ward die Tarub zu ihrem Dichter zärtlich.

Der benahm sich jedoch anders als sonst – ganz anders.

Und – und – wie's immer zu sein pflegt – die Sprödigkeit reizte nur – stieß durchaus nicht ab.

Bagdads berühmte Köchin bat ihren berühmten Dichter fußfällig um Verzeihung – sie flehte ihn an – weinte dabei.

Was die Tarub nie getan – das tat sie jetzt – sie bettelte um seine Liebe – und erzwang sie sich schließlich – nicht grade gewaltsam – aber so ähnlich.

Safurn überliefs wie kaltes Wasser.

Er mußte an Saids Mehlsäcke denken, die einst in Tarubs Küche einen so drolligen Reiz in ihm erweckt...

Der Vollmond schien seiner Tarub hell ins Gesicht.

Die Oleanderbäume dufteten.

Man hörte dann Stimmen in der Nähe.

Und die Tarub eilte hurtig davon.

Und dem Safur war so zu Mute – wie einem Weibe zu Mute ist, dem ein Fremder Gewalt antat.

Safur lag unter den Oleanderbäumen, starrte in den Vollmond und träumte – von tiefer Einsamkeit – von einem Weibe, das nirgendwo lebt, das er sich nur denkt – von einer andern Welt, in der's andre Frauen gibt als hier auf der Erde.

Safur will auch einsam leben – ganz einsam – ganz allein – er will auf Alles verzichten und nur allein sein – alle seine Freunde kränken ihn nur; er ist es müde, mit ihnen zu spaßen – er will sie nicht mehr sehen.

Und er ringt die Hände und stöhnt.

Er möcht' am liebsten gleich hier bleiben – in der Einsiedlerwelt –

Da raschelt was neben ihm.

Safur fährt auf und sieht eine große – Schlange.

Die Augen der Schlange leuchten wie zwei Rubine.

Der Leib der Schlange glitzert klebrig.

Safur sieht – es ist eine giftige Schlange – und er springt an die Seite, sieht im nächsten Augenblicke rechts neben den Oleanderbäumen in der Tiefe den Tigris – und springt runter in die Flut. –

Safur ist gerettet – er schwimmt langsam und sicher dorthin, wo die Barken liegen und die Lagerfeuer vor den Zelten brennen.

Die Flammen der Lagerfeuer qualmen mächtige Rauchwolken in den Abendhimmel hinein.

Die glühenden Augen der Schlange starren aber unverwandt in die große gelbe Mondscheibe.

Die Schlange richtet ihren Oberkörper hoch auf und starrt mit ihren glühenden Rubinaugen in den Mond – als wollte sie den vergiften.


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