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»Und nun, liebe Lore, was haltet Ihr von dieser Geschichte?«
Der so fragte, schaukelte sich mit in amerikanischer Manier an den Tischrand gestemmten Füßen auf dem Stuhle und blickte schmunzelnd zu der Angeredeten hinüber, welche auf der Ofenbank sitzend mit gewandter Hand die Spindel auf dem Boden tanzen ließ.
Es war eine im Alter ihres Gesellschafters stehende Frau von schmächtiger, hagerer Figur. Sie trug die Tracht der Gegend, Schuhe mit hohen Hacken, rote Strümpfe, den kurzen, schwarzen, bauschigen, außerordentlich faltenreichen Rock, das schwarze Mieder, auf dessen Bruststück die Gelenke einer langen und schweren Silberkette mehrfach sich kreuzten und verschränkten, die weiten, sorgfältig gefältelten Hemdärmel, endlich die schwarze Florhaube, deren mittels dünner Drahtstäbchen gesteifte Seitenwände flügelartig von den Schläfen abstanden. Ihr Anzug zeugte durchweg von jener Reinlichkeit, welche an alten Leuten doppelt angenehm auffällt. Das Gesicht der Traumlore war von einem so edlen Schnitt, daß es auch jetzt noch, obgleich gefurcht, blaß und herbe, mit Sicherheit schließen ließ, es müßte vorzeiten sehr schön gewesen sein. Es war ein eigentümlicher Ausdruck von Intelligenz darin und von verhaltener Leidenschaft. Die stoische Ruhe dieser Züge glich fast der Aschendecke einer Solfatara, unter welcher still und tückisch das vulkanische Feuer brodelt. Aus den schwarzen Augen mochte es zuweilen offen hervorschlagen. Sonst hatten diese Augen, welche mit den schneeweißen Brauen und Haaren seltsam kontrastierten, jenen matten Metallglanz, welchen man, sagen Psychologen und Kriminalisten, oft in den Augen von Verbrechern energischer Natur findet.
Das Stäbchen, ehemals die Behausung des Einsiedlers von Sankt Georg, verriet nichts von asketischer Ärmlichkeit und Vernachlässigung. Es war, wie der Anzug seiner jetzigen Besitzerin, höchst reinlich gehalten und mit allem ländlichen Behagen eingerichtet. Schneeweiß war der Fußboden, kein Stäubchen auf den aus solidem Eichenholz gefertigten Möbeln, die messingenen Buckel an dem grünglasierten Kachelofen funkelten hell. In einer Ecke stand ein mächtiger, ledergepolsterter Großvaterstuhl, längs der einen Wand eine sogenannte Bruck, das heißt, ein ländliches Ruhebett, das Sofa der Bauern dieser Gegend, dessen Kissen von rot und weiß gestreiftem Barchent überzogen waren. Über dieser Bruck war ein Büchergestell angebracht und auch wirklich mit Büchern, meist mit ehrwürdig aussehenden Quartbänden angefüllt. In die der Bruck gegenüberliegende Wand war eine Türe eingelassen, welche in ein Nebengemach führte. Zwischen den beiden kleinen Fenstern hing an dem vom Alter geschwärzten Getäfel der Wand ein aus Stroh geflochtener Kranz. Diese sonderbare Zierat umgab eine weißgetünchte Stelle, auf welcher in großen Buchstaben das Wort Memento stand. Wahrscheinlich rührte diese Inschrift noch von dem Einsiedler her, denn wenn man den Kranz aufhob, so konnte man bemerken, daß derselbe noch ein zweites Wort verbarg, mori, ein in Klöstern und Einsiedeleien häufig an den Wänden stehender Spruch. Außerdem war nichts Auffallendes wahrzunehmen, denn die große getigerte Katze, welche vergnüglich schnurrend neben ihrer Herrin auf der Ofenbank saß, konnte doch wohl nicht für so etwas gelten. Dagegen hätte man es vielleicht bemerkenswert finden können, daß in der Tischecke jener unausbleibliche Schmuck der Bauernstuben dieser Gegend fehlte, das Kruzifix. Wenn die Landleute, welche mit mancherlei Anliegen die Behausung der Traumlore aufsuchten, diesen Mangel bemerkten, mußten sie daraus den Schluß ziehen, es könne betreffs der Wissenschaft der klugen Frau doch nicht so ganz mit rechten Dingen zugehen.
Die Lore spann ruhig fort, ihre Augen fest auf den Strohkranz und dessen düstere Inschrift gerichtet. Sie schien die Frage, womit Twerenbold eine ihr gemachte Mitteilung schloß, gar nicht zu beachten.
»Seid heute nicht sehr gesprächig, kalkulier' ich,« sagte er und setzte, der Richtung ihres Blickes folgend, hinzu: »Aber, rechne, ich kann Euch sagen, was Ihr denkt.«
»Was?«
»Ihr denkt des Tages, wo jener verdammte Kranz dort –«
»Still davon!«
»Wie Ihr wollt. Gibt es, kalkulier' ich, angenehmere Dinge, um davon zu reden. Und in allem Ernst, es tut nicht gut, sich so viel mit der leidigen Vergangenheit zu schaffen zu machen. Vorbei ist vorbei.«
»Ihr wißt recht gut, Achaz, daß es Dinge gibt, die, ob auch lange schon geschehen, nie, nie vorbei sind.«
»Wohl, das hat seine Richtigkeit. Es gibt Ursachen, deren Wirkungen einer endlosen Schraube gleichen. Wäre dem nicht so, hatte ich, bei Jove! nicht ein Dokument in der Tasche, welches mir für meine alten Tage eine behagliche Existenz sichert. Wollte, Ihr hättet mit angesehen, wie ich diese giftige Kröte, unsern Freund Veit, kleindrückte. War das, rechne ich, eine ganz allerliebste, recht dramatische Szene.«
»Nehmt Euch vor dem Veit in acht, Achaz.«
»Vor dem Veit? Bah! der Kerl besitzt nicht Mut genug, mir ins Gesicht zu sehen.«
»Und dennoch wird er Euch früher oder später ein Bein stellen. Er ist das Faktotum des Grafen und –«
»Beiden muß, ganz abgesehen von der mir zugesicherten Rente, meine Heimkehr höchst unangenehm sein, wollt Ihr sagen, nicht? Mag ich erschossen werden, wenn ich das nicht so gut weiß als irgend jemand. Aber sie werden es nicht wagen, mit mir anzubinden. Seht, Lore, ich gebe eine meiner monatlichen Raten darum, wenn ich hätte mitanhören und mitansehen können, wie der Schuft von Müller meine Botschaft an den Grafen ausgerichtet hat. Kalkuliere, wäre das herzerquickend für mich gewesen. War ich doch ein rechter Esel, daß ich nicht selber meinen Gesandten machte. Hätte da das utile cum dulci gehabt, daß heißt den Vorteil und den Spaß. O, es ist süß für unsereinen, diese Erdengötter zu demütigen, welche alles Ernstes glauben, aus besserem Teig geknetet zu sein als wir. Aus besserem? Höll' und Teufel! War der Stoff, aus welchem Ihr und ich geformt sind, nicht ursprünglich ein guter, ein edler? Wer hat das versäuernde Element in die Mischung gebracht? Ihr wißt es, Lore. Bei allen höllischen Mächten, ich sage, es war eine Eselei, daß ich mir nicht den Genuß verschaffte, den feigen Grimm, die zitternde Angst, welche unsern Verderber bei der Nachricht von meiner Wiederkehr befallen haben müssen, mit eigenen Augen zu sehen.«
»Die Rache ist süß!«
Diese Worte fielen von den blassen Lippen der Traumlore so schwer und langsam, als wären es Tropfen geschmolzenen Bleies, und aus ihren Augen züngelte ein Blitz, vor dessen grellem Lichte selbst Twerenbold erschrak.
»Jetzt erst,« sagte er nach einer Pause, »verstehe ich, Lore, wie es gemeint war, als Ihr mir vor einigen Tagen sagtet, daß Ihr nur zu dem Gott des Alten Testamentes betet.«
»Ja,« versetzte sie eintönig, »so tue ich, denn Jehova ist ein starker und eifriger Gott, und er ist ein Gott der Rache.«
»Wohl, und ich schieße, kalkulier' ich, nicht fehl, wenn ich das alte Ding dort an der Wand für eine Art von Weiheopfer halte, dargebracht diesem Gotte.«
»So ist es. Ihr wißt, es ist Brauch bei uns zu Lande, daß Kranke, wenn sie genesen, das Glied, an welchem der Schaden gesessen, in Wachs abgebildet in den Kirchen und Kapellen aufhängen, als Dankopfer. Ich nun habe fünfundzwanzig Jahre lang jenen Strohkranz mir vor Augen gehalten, freilich nicht als Symbol der Genesung, sondern der Erkrankung. Was Ihr mir vorhin erzähltet, scheint mir eine Bürgschaft zu sein, daß der alte Gott noch lebt, und daß er nicht taub war für die glühenden Gebete, die ich zu ihm emporsandte seit jener dreimal verfluchten Stunde, wo jener Kranz mir die Stirne sengte. Wenn ich damals nicht starb, so war es, weil wie ein Blitz Gottes mich der Gedanke durchzuckte, es würde eine Stunde kommen, wo ich das Zeichen meiner Schmach dem Jehova als ein Rauchopfer würde darbringen können.«
Die Frau sprach mit einer so ruhigen Energie und in so gewählten Ausdrücken, daß ihr Gesellschafter sich darüber verwundert haben müßte, hätte er nicht ihre Geschichte gekannt. Ein Fremder würde die Redeweise der Traumlore mit ihrem Anzuge nicht haben reimen können. Aber auch auf Twerenbold übte ihr Gebaren einen sozusagen beherrschenden Einfluß. Er enthielt sich in ihrer Gegenwart seiner zynischen Gewohnheiten, wenn nicht völlig, doch nach Kräften, und die augenscheinliche Achtung, welche er ihr gegenüber in sein Benehmen legte, bildete einen charakteristischen Gegensatz zu der souveränen Verachtung, womit er den Müller Veit behandelt hatte. Auch jetzt machte sich der Eindruck bemerkbar, welchen die würdevolle, feste Haltung und Sprache der Lore auf den verwilderten Menschen hervorbrachte. Er zog seine Füße von dem Tischrande zurück, steckte die Kapsel mit Kautabak, welche er hervorgezogen, wieder in die Tasche, wahrscheinlich aus Rücksicht für den blankgefegten Fußboden, und setzte sich mit über der Brust gekreuzten Armen in eine anständige Stellung.
»Ihr habt jederzeit ein starkes und stolzes Herz in der Brust getragen, Lore,« sagte er, »aber dennoch wundere ich mich, daß Ihr, ein Weib, einen Gedanken durch eine so lange Reihe von Jahren mit solcher Zähigkeit festhalten und pflegen konntet. Seid Ihr nie daran verzweifelt, daß die Stunde kommen würde, wo Ihr dem Gott des Zorns und der Rache das erwähnte Rauchopfer würdet darbringen können?«
»Nie!«
»Das nenne ich einen Glauben und eine Ausdauer, bei Jove! Seht, ich bin, gegen Euch gehalten, doch ein rechter Lump.«
»Warum, Achaz?«
»Warum? Kalkuliere, deshalb, weil ich aus weit gemeineren Motiven gestrebt habe, noch einmal in die Nähe unseres erlauchten Gönners und Freundes zu kommen. Allerdings lief dabei auch ein kleines Rachegelüst mit unter, aber, zu meiner Schande sei's gesagt, das war doch nur Nebensache, während meine Hauptabsicht dahin ging, auf Kosten besagten Gönners dem Vergnügen der Bummelei zu frönen. Ihr seid ein Charakter, Ihr, Gott verdamm' mich! und als Ihr vorhin das Wort von der Süßigkeit der Rache spracht, kam es mir vor, Ihr könntet mich überreden, dieser Trank sei süßer als der beste Wein in den Kellern des Schlosses Wippoltstein. Doch erlaubt mir, Euch zu bemerken, daß gerade der beste Trank nicht jedem zugänglich, und daß es von den Lippen zum Kelch oft eine sehr weite Strecke ist. Man kann nicht zwanzig Jahre lang und länger ins Blaue hinein hoffen. Wer sagt Euch, daß Euer Hoffen je sich erfüllen werde?«
»Die Stimme in meiner Brust, Achaz, die zu mir spricht im Wachen und in Träumen.«
»In Träumen? Bah! Träume sind Schäume. Wenn Ihr Euch damit belustigt, einfältigen Burschen und Dirnen aus ihren albernen Träumen die Zukunft zu deuten, so finde ich das ganz in der Ordnung. Jeder Mensch muß seine Art von Vergnügen haben, sonst geht er vor Langweile zugrunde. Aber, daß Ihr im Ernst und in eigener Sache Euch mit Träumen zu schaffen macht, darin scheint mir kein Spunk zu liegen, wie meine werten Mitbürger, die Yankees, sagen.«
»Und wenn doch, Achaz? Nicht immer lügen die Träume. Ihr habt mir vorhin eine Geschichte erzählt, ich will Euch auch eine erzählen, wenn Ihr hören wollt.«
»Ich höre.«
»Anderthalb Jahre mögen vergangen sein, da träumte ich eines Nachts, ich sähe den Grafen und seine junge Gemahlin drüben im Park am Flusse spazieren. Ein großer schöner Edelkrebs arbeitete sich ans Ufer, und den gnädigen Herrn wandelte die Laune an, das Tier zu fangen. Es gelang ihm, aber durch einen sonderbaren Zufall brachte er das zappelnde Tier seinem Gesichte näher, als gut war, denn plötzlich hatte der Krebs mit einer seiner Scheren wie mit einer Kneipzange die Nase des Grafen gefaßt und hing so fest an derselben, daß ihn Seine Erlaucht vergebens wegzureißen versuchte und vor Beschämung, Schmerz und Wut laut aufschrie. Die gnädige Frau wollte sich vor Lachen ausschütten.«
»Und weiter?«
»Ich hatte ausgeträumt.«
»Ein lächerlicher Traum, by all the powers!«
»Jawohl, ein lächerlicher Traum.«
»Der Gnädige mit dem an seiner Nase baumelnden Krebs im Kreise herumspringend – 'ne dumme, aber höchst spaßhafte Geschichte, kalkulier' ich.«
»Der spaßhafte Traum hatte eine sehr ernste Bedeutung.«
»Wirklich? Bin omnipotent neugierig, das zu erfahren.« »Als ich beim Erwachen des wunderlichen Traumes mich erinnerte, dachte ich sogleich, der Tag müßte dem Grafen ein Unheil bringen.«
»Und kam es so?«
»Hört nur. Noch dämmerte der Tag kaum, als das jüngste Kammermädchen der Gräfin zu mir kam, mich um Rat und Hilfe anzuflehen. Der Müller Veit hatte den Eintritt des armen, kaum fünfzehnjährigen Geschöpfes in den Schloßdienst vermittelt. Das Mädchen hieß Ottilie und war die Tochter ehrlicher Leute drüben in Lerchenau. Seit sechs Monaten war sie im Schloß gewesen. Sie war in Verzweiflung, außer sich. Weiter brauche ich Euch ihren Zustand nicht zu beschreiben.«
»Nein.«
»Ihr Verderber wollte sie zwingen, seinen Kutscher, einen ausgemachten Trunkenbold, zu heiraten. Er nannte das die Sache gut machen.«
»Verstehe.«
»Ottilie wollte aber lieber in den See springen, als dieses Gutmachen sich gefallen lassen.«
»Ein obstinates Ding!« sagte Twerenbold mit bitterem Lachen.
»Ich behielt sie bis zum Abend bei mir und überredete sie, sich ohne weiteres der Gräfin, ihrer Gebieterin, zu entdecken.«
»Verstehe.«
»Ich wußte, um welche Stunde die Herrschaft ihren Spaziergang im Park zu machen pflegte. Damals spazierte das gräfliche Paar noch mitsammen. Es hielt schwer, das arme Ding zu einem mutigen Entschluß zu bringen, aber es ging am Ende doch.«
»Der Gott der Rache machte Euch ohne Zweifel beredt, Lore.« Wohl; sie versprach mir unbedingte Folgsamkeit und war ja das, was ich wollte, im Grunde auch das Beste für sie. Ich brachte sie in meinem Weidling über den See, und wir gingen in den Park. Ottilie hatte mir gesagt, daß das Ahornboskett unterhalb der Ruine des alten Schlosses am Flußufer der Lieblingsplatz der Gräfin sei. Dorthin richteten wir unsere Schritte, und nach einiger Zeit sahen wir die Herrschaft wirklich von der großen Allee links herauf dem Boskette sich nähern. Ich zog meine Schutzbefohlene ins Gebüsch und wiederholte noch einmal meine Instruktion.«
»Aha, Ihr lehrtet sie die Rolle des Krebses spielen? Rechne, war das verdammt gut ausgesonnen, bei Jove!«
»Als die Herrschaft das Wäldchen betrat, zitterte Ottilie wie Espenlaub, aber ich flüsterte ihr Mut zu, und so stürzte sie aus dem Dickicht hervor, warf sich der Gräfin zu Füßen und brachte, wenn auch vom Schluchzen halb erstickt, doch in ziemlich zusammenhängender Form die Anklage gegen ihren Verführer vor. Ich bohrte mit meinen Augen durch das Blätterwerk. Was die Gräfin sagte, wie der Graf in seiner Überraschung sich gebärdete, überhaupt des Abenteuers weiterer Verlauf, das alles ist von keinem Belang. Aber, Achaz, Ihr könnt nicht ermessen, wie mir der Blick wohltat, welchen die Gräfin ihrem Gemahle zuschleuderte. Es war ein Blick unsäglicher Verachtung und brennenden Hasses zugleich, ein Blick, der mir sagte, daß ich ein gutes Feuer angezündet, ein Feuer –«
»Ein Feuer? Ei, dort drüben brennt auch eins!« rief Twerenbold aus und eilte ans Fenster, welches er hastig aufriß.
Die Dämmerung war hereingebrochen, und schon dunkelte es rings um den See her. Um so greller aber strahlte der Schein einer Feuersbrunst aus dem Dorfe über das Wasser.
»Rechne, es muß ein artlicher Brand sein,« sagte Twerenbold kalt und bedächtig. »Horcht, Lore, sie stürmen mit allen Glocken. Es war heiß Wetter die letzten Wochen her, und da, kalkulier' ich, brennen die hölzernen Häuser wie Zunder. 's muß ganz in der Nähe der Kirche sein, vermut' ich. Kommt mit hinaus, Lore; wir sehen das Ding draußen deutlicher als durch die engen Gucklöcher da.«
Er eilte hinaus und sah sich von dem Felsvorsprung vor der Hütte die augenscheinlich mehr und mehr um sich greifende Brunst an. Es kam ihm in den Sinn, in den zu seinen Füßen in der kleinen Bucht sich schaukelnden Kahn der Traumlore zu springen, um hilfebereit über den See nach dem Schauplatz des Unglücks zu eilen. Aber er zog den Fuß, welchen er schon auf die oberste der zum Wasser abwärts führenden Stufen gesetzt, wieder zurück, indem er in den Bart brummte:
»Bah! Wozu? Werden, kalkulier' ich, Leute genug zur Stelle sein, und im übrigen – was gehen mich diese Kaffern und ihre Baracken an?«
»Achaz,« sagte nach einer Weile die ihm zur Seite getretene Bewohnerin der Einsiedelei, »könntet Ihr mir erklären, wie es kommt, daß die Menschen beim Anblick eines Brandunglücks im Grunde ihres Herzens mehr Freude als Schrecken und Mitgefühl empfinden?«
»Wie das kommt? Ei, liebe Lore, ich habe die Notion, bei solchen Gelegenheiten lacht das Tier im Menschen aus ihm heraus. Unsere Zivilisation gibt sich alle mögliche Mühe, die Bestie zu zähmen und ihr allerlei weiche und süße Empfindungen anzubilden. Aber manchmal muß sich doch wieder die Natur Luft machen. Dann grinst das Tier in uns der Kultur höhnisch ins Gesicht. Es ist, wie Ihr sagt. Geht wo Feuer auf, eilen die Leute zuerst nur herbei, um ihre Neugierde zu stillen. Dann danken sie ihrem Herrgott, daß nicht ihnen so ein Unglück passiert sei, und endlich fühlen sie in ihren innersten Fibern den wollüstigen Kitzel der Schadenfreude. Sagen tun Sie freilich nichts davon, im Gegenteil, man hört nur Worte christlichen Mitleids und Ausrufungen des humansten Bedauerns; aber man braucht bloß die Augen dieser Gefühlvollen und Mitleidigen anzusehen, um zu wissen, wie ihnen das ganze Spektakel innerlichst Freude macht.«
»Aber ist das nicht schrecklich?«
»Schrecklich? Bah! Was wandelt Euch an? Vermute, sind wir beide nicht die Leute, die Empfindsamen zu spielen. Ist das 'ne Sache für bleichsüchtige Mädelchen und zwanzigjährige Poeten. Kalkuliere, es war nicht nur ein sehr gescheiter, sondern auch ein sehr ehrlicher Mann, welcher zuerst offen aussprach, das Leben sei ein Krieg aller gegen alle. Ja, ein mörderischer, unersättlich mit Blut sich vollschlingender Krieg ist es. Frißt einer so lange die anderen, bis er selber von einem dritten gefressen wird – ist ein Fakt, bei Jove! Vor dem Gefressenwerden so lange als möglich sich zu bewahren, das ist, rechne ich, der einzige reelle Zweck des Daseins. Die Narren mit ihren großartigen Zukunftsideen und humanen Phantasien! Sie werden zuletzt nicht mehr und nicht minder als unsereiner, nämlich Mist. Und ihre Ideen und Phantasien? Die werden Makulatur, Papier zum Einpacken von Käse und Heringen. Kalkuliere, das Sterben der sogenannten Unsterblichen dauert nur etwas länger als das von uns andern. Das ist am Ende der ganze Unterschied. Das Beste ist, wenn man sich das Abrollen dieses Knäuels von Unsinn und Jammer, welchen man Menschenleben nennt, so kurzweilig macht als möglich. Wollen daher darauf bedacht sein, daß sich das Endchen besagten Knäuels, welches uns beiden noch übrig ist, nicht ohne Zeitvertreib abrollt, liebe Lore. Habe die Notion, das, was ich heute am Donnerfall gesehen und gehört, könnte uns omnipotent ergötzlichen Stoff liefern, könnte es nicht? Denkt darüber nach, was von dem schwachmattischen Zeug in Euren Kram paßt. Rechne, es könnte ein Fingerzeig von dem Gott der Rache sein. Und jetzt will ich Euren Weidling nehmen und mir das Feuerchen dort, welches das Ufer drüben so romantisch illuminiert, mehr aus der Nähe ansehen. Gut' Nacht!«