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Mehr als ein Monat war seit dem Abend vergangen, wo Robert und Thekla in der Einsiedelei von Sankt-Georg eingekehrt, als der Müller Veit in der Mittagshitze eines Hundstages von seiner Mühle herab gegen das Dorf zu geritten kam. Als er durch die lange Gasse desselben ritt, wurde er aus dem Erkerstübchen des Steinbocks von Twerenbold angerufen und aufgefordert, eine Flasche Roten mit ihm zu trinken. Allein der Müller schützte ein dringliches Geschäft vor, welches ihm keinen Aufenthalt gestatte, und setzte die braune Stute in Trott.
»Der infame Kerl!« brummte er vor sich hin. »Auf Schritt und Tritt muß er einem begegnen. Das soll und muß ein Ende nehmen. Seit er in der Gegend umherbummelt, ist mir nie wieder recht wohl und behaglich zumute geworden.«
Am Ende des Dorfes angelangt, schlug er den Fahrweg ein, welcher zwischen dem Bergabhang und der Einzäunung des Parkes linkshinauf gegen Lerchenau zuführte.
Jenseits Lerchenau steht ein einsames Wirtshaus an der Straße. Nach anderthalbstündigem gemächlichem Ritte bekam Veit dasselbe zu Gesicht. Bemerkend, daß ein bespannter Reisewagen vor dem Hause hielt, ließ er sein Pferd schärfer ausgreifen und war bald an Ort und Stelle.
»Der gnädige Herr ist also schon da?« fragte er die um den Wagen her lungernden Postillione. »Freilich, schon eine halbe Stunde mindestens,« lautete die Antwort.
Der Müller stieg schnell ab, übergab sein Pferd einem Knecht und ging ins Haus.
Auf dem Flur begegnete ihm der Kammerdiener des Grafen.
»Seid Ihr es, Meister Veit, auf welchen Se. Erlaucht hier wartet?«
»Vielleicht bin ich es.«
»Nun, da werdet Ihr schön ankommen. Wir warten schon eine gute Weile in der verdammten Knallhütte da.«
»Bedaure sehr. Wo befindet sich der gnädige Herr?«
»In der oberen Stube. Rechts dort von der Treppe. Aber ich sag' es Euch vorher, Ihr werdet den Herrn nicht in der besten Laune treffen.«
»Bedaure abermals.«
»Ja, wir sind Tag und Nacht gereist, und während der ganzen Reise hat Se. Erlaucht niemand ein gutes Wort gegeben. Sagt mir doch, Meister Veit –«
»Ein andermal,« versetzte der Müller, sich von dem neugierigen Diener losmachend und die Treppe hinaufeilend.
Bei seinem Eintritt in die bezeichnete Stube fand er den Grafen Nepomuk allein.
Er saß an dem Tisch und hatte vor sich eine Brieftasche, aus welcher er mehrere Papiere genommen, deren Durchsicht ihn soeben beschäftigt zu haben schien.
Er empfing den Müller mit einem gelassenen:
»Kommst du endlich, Veit?«
Dieser kannte seinen ehemaligen Herrn zu genau, um sich über diese auch unter den obwaltenden Umständen an den Tag gelegte vornehme Gelassenheit desselben zu verwundern. Er wußte, daß es ein plötzlicher Schlag sein mußte, wenn er imstande sein sollte, den Grafen aus seiner Fassung zu bringen.
»Ich bedaure unendlich, Euer Gnaden,« entschuldigte sich der Müller, »daß ich nicht eine Stunde früher von Hause weggeritten. Aber ich dachte, ich müßte auch so noch lange vor Euer Erlaucht hier eintreffen, und konnte nicht vermuten, daß mir der gnädige Herr zuvorkäme.«
»Laß das, mein lieber Veit. Ich glaube wohl, daß du nicht im Sinne hattest, mich warten zu lassen, und ich vertrieb mir auch die Zeit ganz gut damit, daß ich deine Briefe nochmals mit Bedacht überlas. Setz dich, denn unsere Unterredung dürfte vermutlich nicht ganz kurz ausfallen.«
Dies gesagt, rührte der Graf das vor ihm stehende Zuckerwasser um, machte es sich in dem alten Großvaterstuhl, welchen er sich an den Tisch gerückt, möglichst bequem, überblickte flüchtig die Papiere, welche er vor sich liegen hatte, und nahm dann wieder das Wort:
»Du hast mir drei Briefe geschrieben?«
»Ja, gnädiger Herr. Sie befahlen mir ja bei Ihrer Abreise, ein offenes Auge für alles zu haben und Ihnen von Zeit zu Zeit Bericht abzustatten.«
»Richtig, und du bist, wie ich mit Befriedigung erfuhr, meinem Wunsche treufleißigst nachgekommen.«
»Ich schmeichle mir, sagen zu dürfen, daß ich stets ein treuer Diener meines gnädigen Herrn war.«
»Wohl. Aber, mein guter Veit, es gibt auch einen Pflichteifer, der vor lauter Scharfsichtigkeit alles doppelt und dreifach sieht oder gar vollständig über das Ziel hinausschießt.«
»Gnädiger Herr, Ihr untertäniger Diener besaß nie viel von dem, was die Menschen Phantasie nennen, aber er untersteht sich zu sagen, daß er sich jetzt noch Verstand genug zutraut, das zu kombinieren, was seine Augen sehen und seine Ohren hören.«
»Verstehe mich wohl. Ich beabsichtigte durchaus nicht, deinem Verstand ein Mißtrauensvotum zu geben. Du weißt, daß ich denselben immer respektierte. Ich wollte nur andeuten, daß es sich hier zwischen uns um eine Sache von äußerster Wichtigkeit handle. Große Phrasen zu machen war nie meine Liebhaberei, aber daß hier das Gleichgewicht meines Lebens in Frage steht, ein Gleichgewicht, welches ich bisher so hübsch zu erhalten vermochte, das wirst du selber begreifen.«
»Allerdings, gnädiger Herr, und wenn das innigste Mitgefühl eines alten treuen Dieners Ihren nur zu gegründeten Kummer –« »Keine Phrasen, lieber Veit, wenn ich bitten darf. Ich liebe dergleichen, wie schon gesagt, ganz und gar nicht. Überhaupt wollen wir alle Emotion möglichst vermeiden und uns auf die Untersuchung der Fakta beschränken. Hierzu ist kaltes Blut vonnöten, und da du vom raschen Reiten erhitzt zu sein scheinst, so rate ich dir, vor allem ein Glas Wasser zu trinken.«
Und damit schob der Graf dem Müller die auf dem Tische stehende Wasserflasche hin. Veit füllte sich ein Glas, und während er trank, fuhr der Graf fort:
»In deinem ersten Briefe gabst du einige dunkle Andeutungen, daß zwischen meinem Sohn und der Gräfin nicht alles wäre, wie es sein sollte. Wie verstandest du das?«
»Gnädiger Herr, ich bemerkte, daß der Rittmeister und die gnädige Frau nach Ihrer Abreise auf Schritt und Tritt beisammen, sozusagen voneinander unzertrennlich waren.«
»Bei welcher Gelegenheit fiel dir das zuerst auf?«
»Am Tage nach Euer Gnaden Abreise. Da ritten der Herr Rittmeister und die Frau Gräfin nach dem Donnerfall. Sie kamen an mir vorbei, der ich am Wege stand, aber ich meine, sie sahen mich kaum. Das machte, sie hatten nur füreinander Augen.«
»Sie waren allein?«
»Das nicht gerade. Der schwarze Knirps, der Berdoa, war mit ihnen, das heißt, er hütete unten am Saum des Wäldchens die Pferde, bis die Herrschaften von dem Wasserfall zurückkamen. Es währte lange.«
»Das begreift sich. Beide sind jung und romantisch gestimmt. Ein Ding wie der Donnerfall vermag Naturenthusiasten eine gute Weile zu fesseln.«
»Der Herr Rittmeister und die Frau Gräfin machten aber täglich, wenn die Witterung nur immer es erlaubte, mitsammen Ausflüge, und nicht immer war, wie ich genau erkundete, der kleine Mohr mit ihnen.«
»Wozu auch? Robert war von Kindesbeinen an ein Berg- und Waldläufer, Madame hat, seit sie in Wippoltstein ist, während der schönen Jahreszeit fast immer den ganzen Tag außerhalb des Hauses zugebracht, und daß sie ihre Partien mitsammen machten, war doch die einfachste Sache von der Welt. Ich selbst habe sie dazu aufgemuntert.«
»Wohl, aber sie schlossen sich in auffallender Weise gegen jedermann ab. Einzig und allein der Pfarrer wurde öfter in ihrer Gesellschaft gesehen.«
»Siehst du? Das spricht gegen dich. Du weißt, ich liebe den Frieding nicht. Sein ganzes Wesen harmoniert nicht mit dem meinigen, und zudem hat er sich unterstanden, wie du ebenfalls weißt, ein paarmal Pläne zu durchkreuzen, die sich auf meine kleinen Privatvergnügungen bezogen. Dessenungeachtet aber kann ich nicht umhin, zu gestehen, daß der Pfarrer in seiner Art ein achtungswerter Mann ist. Er hat meinem Sohne eine tüchtige Bildung gegeben, was heutzutage auch unsereinem nötig ist, und ich hin überzeugt, daß er mit dem ganzen Ansehen, welches er bei meinem Sohn und bei Madame genießt, dazwischen getreten wäre, falls er irgend Ungebührliches zwischen ihnen bemerkt hätte.«
»Erlauben Euer Gnaden, wenn er es bemerkt hätte, jawohl! Aber Sie wissen ja, wie der Frieding ist. Ein harmloser Gelehrter, der zu neun Zehnteilen in der Vergangenheit lebt.«
»Hm, er hat mir bei mehr als einer Gelegenheit gezeigt, daß er auch für das ein Auge hat, was um ihn her vorgeht.«
»Ei, ich sollte meinen, daß ich dem Pfarrer in bezug auf Euer Erlaucht kleine Privatvergnügungen, auf welche Sie ja doch wohl anzuspielen belieben, manche derbe Nase gedreht hätte. Noch zuletzt mit der Kleinen aus dem Siggital –«
»Still davon! Die kleine Hexe ist mir schon in Prag davongelaufen. Wir wollen ernsthaft reden und alle Abschweifungen vermeiden.«
»Ich wollte nur sagen, daß ich es für keine Hexerei halte, dem Frieding etwas vorzumachen und sich vor ihm zu verstellen. Ein altes Sprichwort sagt: Die Liebe ist schlau.«
»Wohl, aber sie ist auch naiv, wenigstens bei jungen Leuten. Die argwöhnischen Andeutungen in deinem ersten Briefe scheinen mir, alles in allem betrachtet, jedes stichhaltigen Grundes zu entbehren.«
»Haben Euer Gnaden denn auch die Stelle darin, welche von der Feuersbrunst handelt, genau betrachtet?«
»Gewiß, aber auch das in dem fraglichen Passus Mitgeteilte scheint mir ganz ordinärer Natur zu sein.«
»Oh, gnädiger Herr, hätten Sie nur die Blicke gesehen, mit welchen die Frau Gräfin vom Fenster des Pfarrhauses aus den Herrn Rittmeister betrachtete, während er die Löscharbeiten kommandierte. Was für Blicke! Verliebte in höchster Potenz, abgöttische, sag' ich Euer Gnaden. Und dann der Ausdruck der Züge der Frau Gräfin, der Ton ihrer Stimme, als der Herr Rittmeister nach der Rettung des dummen Bauernjungen ohnmächtig zusammenbrach. Sie brachte auch fast alle Stunden des Tages an seinem Krankenbette zu, bis er genesen war. Kaum zum Essen nahm sie sich Zeit, wie ich bestimmt weiß, und mit der ängstlichsten Sorgfalt bereitete sie ihm eigenhändig Speise und Trank und bewachte seinen Schlummer. Sind das keine Indizien?«
»Indizien freundschaftlicher Gesinnung, allerdings. Wie sollte sich die lebhafte Phantasie einer idealisch, nur zu idealisch gestimmten Frau, wie Madame ist, nicht im höchsten Grad angesprochen fühlen durch die romanhafte Tat eines jungen Mannes, welcher ihr durch die Verhältnisse nahegestellt ist, und welcher nicht zaudert, das Leben des Stammhalters der Wippoltsteine um das Leben eines albernen Bauernjungen einzusetzen! Die Unbesonnenheit, um nicht zu sagen die Einfältigkeit dieses Tuns konnte in den Augen einer Romantikerin nicht in Betracht kommen, und es war ganz natürlich, daß sie dem jungen Helden ihren bewundernden Dank in der Form frauenhafter Sorgfalt und Pflege darzubringen sich beeiferte.«
»Erlauben Sie mir zu bemerken, gnädiger Herr, daß ich mich erinnere, irgendwo gelesen zu haben, die Phantasie sei die Kupplerin zwischen den Sinnen und dem Herzen der Frauen.«
»Auch der Männer; das ist ein psychologischer Erfahrungssatz, mein lieber Veit. Angenommen jedoch, das Gefühl von Madame für Robert sei infolge jenes Abenteuers über das einer Stiefmutter hinausgegangen, so erfordert es die größte Genauigkeit und Kaltblütigkeit, die Anzeichen zu prüfen, welche dartun sollen, Madame habe für Robert mehr gefühlt, als einer Freundin zukommt, und umgekehrt. Sehen wir zu. Da ist dein zweiter Brief. Dieser war, ich gestehe es, viel geeigneter, mir Besorgnisse einzuflößen, als der erste.«
»Ich dachte es wohl.«
»Ja, es sind da Angaben darin, welche in der Tat zu Anhaltspunkten deines Verdachts werden und einen stutzig machen konnten.«
»Gnädiger Herr, Sie haben wohl die Güte, sich zu erinnern, wie ich damals, als ich Ihnen die Zurückkunft des Lump von Twerenbold zu melden kam, meine Bedenklichkeit äußerte über Ihren Entschluß, den Herrn Rittmeister und die Frau Gräfin sommerlang im Schlosse mitsammen zu lassen, sozusagen allein.«
»Ich erinnere mich dessen.«
»Nun wohl, Feuer und Pulver sollte man nicht so nahe zusammenbringen.«
»Freilich, aber wir sind noch nicht so weit, festgestellt zu haben, daß dein Gleichnis ein richtiges und daß, falls es ein richtiges, das Pulver Feuer gefangen.«
»Ich will es mit hundert Eiden beschwören.«
»Eide? Lieber Veit, keine Phrasen! Du hast das schon wieder vergessen. Lassen wir übrigens den Punkt, auf welchen du hauptsächlich es abgesehen hast, vorerst noch ganz aus dem Spiele, um einen andern ins Auge zu fassen, der mir viel zu denken gab. Wie kam Robert mit dem verdammten Kerl, mit dem Twerenbold zusammen?«
»Alles, was ich darüber zu ergattern vermochte, beschränkt sich darauf, daß die Herrschaften am Medardustag nach Guggisried geritten sind, um an dem Hirtenfest auf dem Seeboden am Guggishorn teilzunehmen, und daß bei diesem Fest auch Twerenbold anwesend war.«
»Dort also wurde diese Bekanntschaft gemacht?«
»So vermut' ich, sicher aber ist, daß von jenem Tage an der Herr Rittmeister zu verschiedenen Malen mit Twerenbold zusammen gesehen wurde, und daß der letztere gegenwärtig häufig ins Schloß kommt.«
»Das ist seltsam, und ich verhehle dir nicht, daß es mich höchlich beunruhigt, um so mehr, wenn ich bedenke, daß mir Robert gerade von der Zeit an, in welche deiner Angabe zufolge seine Bekanntschaft mit Twerenbold fällt, nie wieder geschrieben hat.«
»Wie, gnädiger Herr?«
»Gerade von jener Zeit an blieben Roberts Briefe an mich aus. Wenn der Schurke geplaudert hätte!«
»Aber welchen Grund zu einer solchen Tollheit könnte ein Mensch von fünf gesunden Sinnen haben?«
»Was weiß ich? Solchen Säufern setzen sich manchmal die tollsten Schrullen ins Gehirn. Noch kann ich zwar nicht daran glauben, denn was hätte der Mensch damit erreichen wollen? Aber möglich ist es immerhin. Veit, ich fürchte, wir haben leichtsinnig gehandelt, daß wir bei der Zurückkunft des Kerls uns nicht seiner sofort entledigten, so oder so.«
»Ich teile die Befürchtung von Euer Gnaden, teile sie im vollsten Umfang. Der Anblick des alten Taugenichts erregt mir unsäglichen Widerwillen und, gerade herausgesagt, Angst. Wenn er mich ansieht mit seinen verdammt stechenden Augen, fühle ich immer einen kalten Schauer mir den Rücken heraufkriechen. Das ist unerträglich.«
»Ich finde deinen Ekel begreiflich, aber beruhige dich; auch dafür soll Rat geschafft werden, wie für alles andere. Ich habe einen verschiedener Umstände halber sehr angenehmen Aufenthalt in Karlsbad nicht so plötzlich abgebrochen, um nicht entschlossen zu sein, alle widerwärtigen Schicksalsknoten, die sich während meiner Abwesenheit vom Hause geknüpft, zu durchhauen. Verlaß dich darauf. Jetzt aber weiter im Texte. Dein Brief Nr. 2 enthält einige ganz wunderliche Angaben über die zwischen Robert und Madame obwaltende Freundschaft.«
»Freundschaft? Ich erlaube mir untertänigst die Bemerkung, daß es im Liede heißt:
Der Weg von Freundschaft bis zur Liebe
Gleicht einer blumenreichen Flur.«
»Veit, der Haß macht dich poetisch. Ja, apropos, ich wollte es schon früher sagen, denn der Ton deiner Briefe machte mich darauf aufmerksam: du hassest Robert und Madame.«
»Hassen? Ich?«
»Still, keine Ausflüchte! Ich kenne dich.«
»Nun ja, unsereiner ist auch nur von Fleisch und Bein, und die hochmütige Verachtung, welche mir ganz ohne Grund die Frau Gräfin bei jeder Gelegenheit bezeigte, war nicht eben geeignet, mir Verehrung und Anhänglichkeit gegen sie einzuflößen. Der Herr Rittmeister seinerseits hat mich bei einer speziellen Veranlassung ohne irgend ein Verschulden von meiner Seite wie einen Hund behandelt, schlechter als einen Hund.«
»Wie war das?«
»Ich ging eines Morgens ins Schloß und erbat mir Gehör bei dem Herrn Rittmeister. Es war – richtig, es war gerade am zweiten Tag nach dem Hirtenfest auf der Medardusalm.«
»Und Robert ließ dich nicht vor?«
»Doch, aber wie! Es handelte sich um das verdammte Ermshölzle – bitt' um Entschuldigung, gnädiger Herr – wegen dessen mir der Oberrentmeister, wahrscheinlich von dem Oberförster angestiftet, neue Schwierigkeiten machte. Ich wurde verhindert, Besitz davon zu ergreifen, angeblich, weil sich im Kaufkontrakt ein Formfehler vorgefunden. Da wollt' ich den Herrn Rittmeister um seine Dazwischenkunft angehen, mußte aber froh sein, daß er mich bloß mit Worten und nicht mit Fußtritten aus seinem Vorzimmer jagte.«
»Aha, das Ermshölzle! Hinc illae lacrimae?«
»Erlaucht, gestatten Sie mir, zu sagen, daß sich in meinem Schulsack gerade noch so viel Latein vorfindet, um mich zu lehren, welchen Zweifel Sie aussprechen wollen. Allein Sie tun unrecht, gnädiger Herr. Nicht der Verdruß um das lumpige Gehölz trieb mich dazu, um meines gnädigen Herrn Ruhe und Ehre willen Tag und Nacht auf der Lauer zu liegen, sondern meine alte Anhänglichkeit an die Person von Euer Gnaden, eine Anhänglichkeit, die ich mit Schmerz bezweifelt sehe, denn, alter Zeiten denkend, glaubte ich, sie müßte unter allen Umständen für eine bewährte gelten.«
»Veit, du bist ein alter Herrendiener und solltest demnach wissen, daß die Großen an ihnen geleistete Dienste nicht erinnert sein wollen. Auch sind, glaube ich, die deinigen redlich bezahlt worden. – Aber haben wir denn nichts Wichtigeres zu tun, als die Empfindlichen zu spielen? Sieh dir doch einmal mich an! Wer hätte mehr Grund, ob dieser ganzen häßlichen Geschichte den Gleichmut zu verlieren, ich oder du? Genug davon! – Wie war es mit der dreitägigen oder gar viertägigen Bergtour, welche Robert und Madame allein mitsammen unternahmen?«
»Ich sah die Herrschaften am nämlichen Morgen, wo mich der Herr Rittmeister so barsch von sich gewiesen, in der Barke der Frau Gräfin über den See fahren. Es fiel mir auf, daß sie ganz ohne Dienerschaft waren, doch glaubte ich, sie hätten nur einen kurzen Ausflug vor. Andern Tags jedoch erfuhr ich durch den alten Tafeldecker Wilms, der mir getreulich kundschaften half, daß die Herrschaften noch nicht zurückgekommen. Auch am dritten Tag kamen sie nicht. Am vierten Tag kam mir plötzlich zu Sinn, daß sich die gnädige Frau im vorigen Sommer droben im Gluritälchen, welches bei unserem dummen Bauernvolk als ein Ort, wo es nicht geheuer ist, in Verruf steht, die zerfallene Hütte des sogenannten Gluricyriaks zu 'ner Sommerfrische hatte herrichten lassen, und nachmals auch wirklich zu verschiedenen Malen etliche Tage dieselbe bewohnt hatte. Ah, dacht' ich, wahrscheinlich sind die Herrschaften dahinaufgegangen, um die Behausung des alten Wilderers zum Tempel der – Freundschaft zu weihen.«
»Behalte deine Witze für dich, Veit. Sie sind nicht nach meinem Geschmack.«
»Bitt' um Vergebung, gnädiger Herr; es kam mir nur so unversehens auf die Zunge. – Ich nahm also mein Gewehr und ging in die Berge hinauf jagen, das heißt, ich näherte mich auf Umwegen dem Gluritälchen, um zu sehen, ob die Herrschaften nicht etwa durch einen schlimmen Zufall verunglückt wären. In Ausführung dieser Absicht wäre ich beinahe selber verunglückt, denn ein furchtbares Hochgewitter überfiel mich in der Nähe des Klakenstocks, und all meine Lebtage habe ich keinen solchen Sturm im Freien und noch dazu im Hochgebirge ausgehalten. Als ich mich aus dem Schutz eines überhängenden Felsens, wo ich das ärgste Wüten der Elemente hatte vorübergehen lassen, wieder hervorwagen konnte, kletterte ich dem Glurital zu. Aber das existierte sozusagen gar nicht mehr. Eine fürchterliche Runs, von dem ausgebrochenen Klakensee herabgewälzt, hatte die Talsohle hochauf mit Wasser, Schlamm, Geröll und Steinblöcken gefüllt und Hütte und Steg fortgerissen. Da ich nicht das Rinnsal des ungeheuer angeschwollenen Gluribachs entlang herabsteigen konnte, erinnerte ich mich zum Glück eines anderen Pfades, der, zu den Zeiten des Gluricyriaks eine Art Geheimweg, nur diesem und seinen intimsten Freunden bekannt, die Schlucht zum Ausgangspunkt hat, in welcher die Einsiedelei von Sankt-Georg liegt. In der Dämmerung bei dieser angekommen, spähte ich ein bißchen um das Häuschen und die Kapelle her, denn Sie müssen wissen, gnädiger Herr, daß der Twerenbold bei der Traumlore sein Hauptquartier aufgeschlagen hat. Das Ohr an die Türe legend, hörte ich drinnen laute Stimmen, dann Schritte, und kaum konnt' ich mich noch an die Hinterwand retirieren, als die Türe aufging und der Herr Rittmeister und die gnädige Frau heraustraten, jener von Twerenbold, diese von der Lore begleitet und mit einem Habit derselben angetan. Wahrscheinlich waren die Herrschaften aus ihrer Sommerfrische entwichen, bevor die Runs ging. Ob der Twerenbold dabei seine Hand im Spiele gehabt, ob sie von ihm geleitet oder zufällig in die Behausung der Lore gekommen, weiß ich nicht. Ich sah nur noch, daß der Twerenbold mit dem Herrn Rittmeister ganz kordial, die Lore mit der Frau Gräfin sehr freundlich tat, als die Herrschaften in den Weidling der Lore stiegen, um seeüber zu fahren. Der Twerenbold und die Lore blieben noch am Ufer stehen, sahen dem Kahn nach und munkelten mitsammen. Ich konnte mich aber nicht nahe genug herbeischleichen, zu hören, was sie sprachen, und hielt es für geraten, mich davonzumachen, während sie in ihr Gespräch vertieft waren.«
»Es scheint also, daß Robert und Madame einige Tage in völliger Abgeschiedenheit droben in den Bergen zugebracht?«
»Allerdings, einige Tage und – Nächte.«
»Das ist in der Tat ein Indizium.«
»Ein gravierendes, denk' ich.«
»Freue dich immerhin; diese Villeggiatur scheint auch mir über die Grenzen der Freundschaft entschieden hinauszugehen.«
»Freuen soll ich mich? Euer Erlaucht lassen es mich bitter entgelten, daß ich vorhin so schwach war, zu gestehen, die Demütigungen, welche ich von seiten des Herrn Rittmeisters und der gnädigen Frau erfuhr, hatten mich empört. Nein, ich kann mich nicht freuen über ein so schreckliches Mißgeschick, welches meinem gnädigen Herrn widerfährt; aber Euer Gnaden begreifen, daß mir daran gelegen sein muß, nicht als leichtsinniger Lügner vor Ihnen zu erscheinen.«
»Gut, gut. – In deinem dritten Briefe finden sich Angaben, welche die früheren teils bestätigen und ergänzen, teils neue Besorgnisse aufrühren. Du schreibst, daß die zwischen Robert und Madame herrschende Vertraulichkeit anfange, die Aufmerksamkeit der Schloßdienerschaft zu erregen.«
»Wie könnte das auch anders sein? Die Herrschaften sind all die Tage über voneinander unzertrennlich. Die Abende bis spät in die Nacht hinein bringen sie mitsammen auf der Wippoklippe zu und – der Rückweg von dort in die Zimmer des Herrn Rittmeisters führt durch die Gemächer der gnädigen Frau.«
»Ich muß noch einmal auf den Pfarrer zurückkommen. Es ist ein streng moralischer Mann – im landläufigen bürgerlichen Sinne. Wenn aber die Dienerschaft bereits angefangen hat, über die Sache Glossen zu machen, so ist es unbegreiflich, daß Frieding, der doch nach deiner Aussage oft mit den jungen Leuten zusammen war, nichts von dem bemerkt haben sollte, was in und zwischen ihnen vorging. Hätte er aber etwas bemerkt, so würde er augenblicklich eingeschritten sein, und wenn ohne Erfolg, so hätte er nicht gezaudert, sich an mich zu wenden; davon bin ich überzeugt.«
»Ich nicht minder, aber Sie übersehen, gnädiger Herr, oder vielmehr ich vergaß, Ihnen zu sagen, daß der Pfarrer schon seit Monatsfrist oder noch etwas länger von Wippoltstein entfernt ist.«
»Wie?«
»Der alte Herr hat von den Nachwirkungen seiner übereifrigen Anstrengungen bei jener vertrackten nächtlichen Feuersbrunst einen Krankheitsanfall davongetragen, so daß er dem gemeinsamen Drängen des Arztes und der alten Urschel nachgeben und ins Bad reisen mußte. Er wird, glaube ich, in den nächsten Tagen zurückerwartet.«
»Daraus erklärt sich freilich, daß von dieser Seite her keine Intervention stattfand. – Du hast ferner in deinem letzten Brief, der mich so dringend zu augenblicklicher Heimkehr aufforderte, von einer zweimaligen Reise des alten Dieners von Robert gesprochen. Wie ist's damit?«
»Am nämlichen Tage, wo die Herrschaften nach dem Glurital in die Sommerfrische gingen, reiste der alte Andres ab und blieb einige Wochen aus. Wo er gewesen, weiß ich nicht, vermute aber aus verschiedenen Umständen, daß er in der Residenz war. Es gelang mir, zu erlickern, daß er eine große Geldsumme mit zurückbrachte, teils in bar, teils in Wertpapieren. Nach wenigen Tagen verreiste er abermals und ist noch nicht wiedergekommen. Der Tafeldecker Wilms teilte mir mit, daß sich der Herr Rittmeister vor des alten Andres zweiter Abreise viele Stunden lang mit demselben eingeschlossen und daß der Andres sehr grämlich und sorgenvoll ausgesehen hätte.«
»Hast du denn nicht versucht, an den alten Kerl zu kommen?«
»Doch, ich machte einen Versuch, ihn auszuholen, allein ich muß zu meiner Schande gestehen, ohne allen Erfolg. Der hagebuchene alte Kriegsknecht ließ mich garstig abfahren. Er ist seinem Herrn mit Leib und Seele ergeben.«
»Das sind seltsame Rätsel.«
»Gewiß, es ist etwas im Werke, darauf können sich Euer Gnaden verlassen. Ich schrieb daher auch so dringlich.«
»Du tatest recht.«
Der Graf stand auf und ging wohl eine halbe Stunde tief nachsinnend in der Stube auf und ab.
Veit wagte nicht, ihn zu stören, denn er kannte die Gewohnheiten seines Herrn.
Plötzlich blieb dieser vor dem Müller stehen und sagte leise, aber mit Nachdruck:
»Lieber Veit, ich hatte nie einen Vertrauten als dich. Zuweilen kam es mir vor, als wäre es besser getan, überhaupt keinen Vertrauten zu haben; aber du bist nun einmal der meinige, und so sage ich dir: ich bin ein betrogener und verratener Mann!«
»Erlaucht, ich verstehe Ihren Schmerz und –«
»Schon gut, schon gut! Daß Madame mich betrog und verriet, läßt sich begreifen. Sie ist jung und feurig und hatte, wie du weißt, mehrfache Gründe, sich schadlos zu halten und zu rächen. Aber daß Robert – oh! du weißt, was ich für ihn getan. – Doch, was geschehen, bleibt geschehen. Es war töricht, die jungen Leute so beisammen zu lassen, sehr töricht. Allein mit Bedauern und Klagen ist da nichts auszurichten. Überhaupt nichts mit der Leidenschaftlichkeit. Kaltes Blut, kaltes Blut, das ist das beste.«
Er leerte ein volles Glas Wasser und sagte dann mit Fassung: »Einen so verwirrten Knäuel abzuwickeln, bedarf es einer ebenso geduldigen als festen Hand.«
»Ich bewundere Sie höchlich, gnädiger Herr,« bemerkte Veit. »Ein anderer würde wüten und toben, und kein Mensch könnte es ihm verübeln.«
»Was hülfe es? Man lernt Kontenance halten in der diplomatischen Karriere, mein lieber Veit.«
»Ja, aber Privatangelegenheiten pflegen die Menschen mehr aufzuregen als öffentliche, soviel ich weiß.«
»Du warst jederzeit ein scharfer Beobachter. Wer aber sich die Kunst aneignete, alle Seiten des Lebens, auch die privaten und privatesten, vom objektiven Standpunkt zu betrachten und zu fassen, dem wächst nichts über den Kopf. – Es ist ein sehr leidiger Umstand, daß der Frieding dermalen abwesend.«
»Was soll denn der Pfarrer, wenn ich fragen darf?«
»Ich hätte ihn gerne zu meinem Geschäftsträger gemacht.«
»In dieser Sache?«
»Ja. Ich bin überzeugt, niemand hat einen solchen Einfluß auf Robert wie er, und dann hasse ich, wie die pathetischen Phrasen, so auch die pathetischen Szenen. Beide hätte mir die Vermittlung des Pfarrers ersparen können.«
»Aber, gnädiger Herr, indem Sie den Frieding mit ins Spiel ziehen wollten, vergäßen Sie die bedenkliche Verbindung, in welche der Herr Rittmeister mit Twerenbold getreten ist. Ich sage nicht, daß dieser von alten Geschichten geplaudert habe, aber, wie Sie selbst schon bemerkten, er kann doch möglicherweise geplaudert haben. Wäre nun nicht vielleicht zu befürchten, daß der Rittmeister in der Leidenschaftlichkeit seines Wesens dem Pfarrer, wenn ihm derselbe scharf zusetzte, von gewissen alten – Inkonvenienzen im Hause Wippoltstein vorredete? Wie dann? Sie sagten vorhin, der Frieding sei ein moralischer Mensch, und wir könnten demnach uns von ihm nur schlimmer Dinge versehen.«
»Das ist wahr,« versetzte der Graf, indem er sich wieder setzte. »Falls Robert von diesem höllischen Schuft, dem Twerenbold, erfuhr, was er nie erfahren sollte, konnte er sich dem Pfarrer gegenüber leicht zu einer Offenherzigkeit verleiten lassen, die sehr unzukömmlich wäre, sehr. Zwar ist einerseits auf Roberts Stolz auf die Ehre seines Wappens und Namens zu rechnen, aber andererseits ist ein junger, heißblütiger Mann in einer derartigen Situation ganz unberechenbar. Überdies ist es menschliche Art, die Berechtigung zum Sündigen aus den Sünden anderer herzuleiten. So ist es denn am Ende gut, daß der Pfarrer nicht anwesend. – Wäre nur diese heillose Verbindung nicht, in welche Robert und Madame mit dem Twerenbold und der Lore geraten sind. Ich möchte fast sagen, diese Verbindung komme mir unheimlich vor. Du weißt, Veit, ich bin kein Träumer und Phantast, war es nie, aber zuweilen überschlich mich, schon in früherer Zeit, etwas wie ein Vorgefühl, daß mir von seiten dieses Weibes, von der Lore, ein Unheil drohe. Das ganze Wirrsal, so schlimm es auch an und für sich schon sein mag, wäre doch viel leichter zu schlichten, wenn diese zwei Menschen, der Twerenbold und die Lore, keinen Finger im Spiele hätten.«
»Sicherlich, Erlaucht. Aber sie haben ihre Hand darin; darauf will ich jede Wette eingehen, obgleich ich nicht zu sagen weiß, wie.«
Nach einer Pause des Nachdenkens sagte der Graf:
»Das Hin- und Herreden führt zu weiter nichts. Ich denke, wir haben uns die Sache so klar gemacht, als es die gebotenen Hilfsmittel nur immer erlauben. Jetzt handelt es sich darum, einen raschen Entschluß zu fassen; denn es muß gehandelt werden und zwar unverweilt. Was ist dein Rat, Veit?«
»Gnädiger Herr, wie dürfte ich mich unterstehen, in einer so delikaten Angelegenheit Euer Gnaden raten zu wollen?«
»Bah, Nonsens. Du bist sonst nicht so zimperlich! Rede!«
»Nun denn, gnädiger Herr, ich setze voraus, daß Sie, wie in allem und jedem, so auch in dieser Sache die Dehors beobachtet wissen wollen.«
»Gut gesagt, Veit. Man sieht, daß du ein alter und gewiegter Herrendiener bist. Es ist selbstverständlich, daß aller Eklat vermieden werden soll und muß. Ich möchte die Perle nicht vor die Säue, das heißt, meinen Namen nicht vor das Publikum geworfen sehen. – Vielleicht dient es zur Abkürzung unserer Beratung, wenn ich dir sage, daß ich nach einer Seite hin schon handelte, sobald ich deinen letzten Brief erhielt. Vielleicht empfängt Robert schon morgen den Befehl, welcher ihn zu seinem Regiment einberuft. Dasselbe wird demnächst Marschorder erhalten, um wieder ins Feld zu rücken, und wenn er nicht vor sich selbst und der Welt zuschanden werden will, kann er nicht zögern, dem Befehl sofort nachzukommen.«
»In diesem Falle bliebe also nur die Gräfin übrig?« bemerkte der Müller und schwieg dann.
»Veit,« sagte der Graf, seinen ehemaligen Kammerdiener fixierend, »ich lese in deinen Augen eine Idee, aber sie taugt nichts. Solche junge vollsaftige Personen bekommen allerdings oft ganz plötzlich schlimme Zufälle. Allein ich will davon nichts wissen. Man wird mit den Jahren immer vorsichtiger, meinetwegen sage sogar, ängstlicher. Nein, behalte deine Idee nur für dich, ich mag sie nicht hören, wenigstens vorderhand nicht. Geht es absolut nicht anders, dann kann man ja sehen, was zu tun ist. Aber zunächst wollen wir gelindere Saiten aufziehen. Madame wird morgen früh von hier abreisen.«
»Abreisen? Und wenn sie nicht will?«
»So wird sie wollen müssen.«
»Und wohin soll sie?«
»Du weißt, ich besitze auf dem einen meiner Güter in Böhmen ein hübsch einsam zwischen Bergen und Wäldern auf einem hohen Felsen gelegenes Schlößchen.«
»Starohrad?«
»Ja.«
»Wohin ich vorzeiten auf meines gnädigen Herrn Befehl die Tochter des ehemaligen Pächters auf der Donnerfallmühle brachte, als das dumme Ding gewisser Kleinigkeiten wegen närrisch wurde?«
»Eben die Lokalität meine ich.«
»Es ist ein düsterer Ort. Die verrückte Müllerstochter starb dort elend.«
»Ihr Geist wird Madame nicht beunruhigen, sollte ich meinen. Dazu ist Madame zu aufgeklärt, auch wenn sie von der alten dummen Geschichte wüßte.«
»Und die gnädige Frau soll dort sozusagen gefangen gehalten werden?«
»Ja, sozusagen. Übrigens in aller Gemächlichkeit und nur so lange, bis Robert die ganze Schnurrpfeiferei sich aus dem Sinn geschlagen haben wird. Ich hoffe, dies wird um so rascher geschehen, als ich auf meiner Reise eine Partie für ihn ausfindig gemacht, die in jeder Beziehung angemessen ist. Es ist ein außerordentlich reizendes Mädchen, die einzige Tochter und Erbin eines großen Hauses. Sie wird Robert zu trösten wissen.«
»Aber wie wollen Euer Gnaden die Frau Gräfin nach Starohrad bringen?«
»Sie wird unter der Obhut eines Mannes dahin reisen, dem ich meine Vollmacht mitgebe und auf den ich mich unbedingt verlassen kann.«
»Darf ich fragen, wer dieser Mann ist?«
»Wer anders als du, Veit?«
»Ich?«
»Freilich.«
»Gnädiger Herr, das ist ein sehr schwieriger und peinlicher Auftrag.«
»Der aber in entsprechendem Maße belohnt werden soll und wird. Du wirst auf Starohrad die nötigen Verabredungen mit dem alten Kastellan treffen, auf den ich mich ebenfalls unbedingt verlassen kann. Du weißt, er hat, gleich dir, in solchen Dingen Erfahrung und ist ein Mann von Eisen.«
Sei es, daß die ihm zugesicherte entsprechende Belohnung ihn lockte, sei es, daß ein Hintergedanke ihn reizte, genug, der Müller erklärte sich zur Übernahme des ihm zugedachten Auftrags bereit.
Der Graf, welcher die grenzenlose Habsucht des Mannes kannte, beachtete das eigentümliche Lächeln der Befriedigung, welche dabei Veits dünne Lippen überschlich, nicht weiter. Er glaubte, der Geiz kitzle den Müller.
Welche Gedanken aber auch in diesem wachgeworden sein mochten, er kehrte sogleich wieder zum Nächstliegenden zurück.
»Und Twerenbold?« fragte er.
»Auch an den soll die Reihe kommen,« versetzte der Graf. »Auch mit ihm müssen wir fertig werden, fertig für immer.«
»Da bin ich mit Kopf und Herz und Hand dabei, ja, das bin ich! Dieser Halunke beunruhigt mich schon durch seinen bloßen Anblick. Er ist mir wie Gift und Opperment, und seine unverschämte Vertraulichkeit treibt mir die Galle ins Blut. Geht das noch lange, so lauere ich ihm, entstehe daraus, was da wolle, eines schönen Tages hinter einem Busch auf und schieße ihn nieder wie 'nen tollen Hund, der er ist.«
»Das wirst du bleiben lassen, mein guter Veit. Keinen Eklat, nie und nimmer! Mit diesem Grundsatz kommt man weit und erreicht viel. – Sowie du von deiner Sendung nach Böhmen zurück bist, und du wirst dich möglichst beeilen, wollen wir mit dem Kerl reinen Tisch machen, so oder so. Ich habe schon einen kleinen Plan in petto. Komm nur, ich will ihn dir im Wagen mitteilen. Du läßt dein Pferd von einem der Postillione reiten und fährst mit mir bis zum Parktor. Wir haben noch manche nähere Bestimmung hinsichtlich deiner Reise und dieser ganzen fatalen Sache zu besprechen.«