Friedrich Schiller
Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande
Friedrich Schiller

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Der Staatsrath.

(1564.) Unmittelbar nach dem Abzug des Ministers zeigten sich alle die glücklichen Folgen, die man sich von seiner Entfernung versprochen hatte. Die mißvergnügten Großen nahmen ihre Stellen im Staatsrath wieder ein und widmeten sich den Staatsgeschäften wieder mit gedoppeltem Eifer, um keiner Sehnsucht nach dem Vertriebenen Raum zu geben und durch den glücklichen Gang der Staatsverwaltung seine Entbehrlichkeit zu erweisen. Das Gedränge war groß um die Herzogin. Alles wetteiferte, einander an Bereitwilligkeit, an Unterwerfung. an Diensteifer zu übertreffen; bis in die späte Nacht wurde die Arbeit verlängert; die größte Eintracht unter allen drei Curien, das beste Verständniß zwischen dem Hof und den Ständen. Von der Gutherzigkeit des niederländischen Adels war alles zu erhalten, sobald seinem Eigensinn und Stolz durch Vertrauen und Willfährigkeit geschmeichelt war. Die Statthalterin benutzte die erste Freude der Nation, um ihr die Einwilligung in einige Steuern abzulocken, die unter der vorigen Verwaltung nicht zu ertrotzen gewesen war. Der große Kredit des Adels bei dem Volke unterstützte sie darin auf das nachdrücklichste, und bald lernte sie dieser Nation das Geheimniß ab, das sich auf dem deutschen Reichstage so oft bewährt hat, daß man nur viel fordern müsse, um immer etwas von ihr zu erhalten. Sie selbst sah sich mit Vergnügen ihrer langen Knechtschaft entledigt; der wetteifernde Fleiß des Adels erleichterte ihr die Last der Geschäfte, und seine einschmeichelnde Demuth ließ sie die ganze Süßigkeit ihrer Herrschaft empfinden.Hopper. 38.  Burg. 78. 79.  Strada 95. 98.  Grot. 17.

(1564.) Granvella war zu Boden gestürzt, aber noch stand sein Anhang. Seine Politik lebte in seinen Geschöpfen, die er im geheimen Rath und im Finanzrath zurückließ. Der Haß glimmte noch unter den Parteien, nachdem der Anführer längst vertrieben war, und die Namen der Oranisch- und Königlich-Gesinnten, der Patrioten und Cardinalisten fuhren noch immerfort, den Senat zu theilen und das Feuer der Zwietracht zu unterhalten. Viglius von Zuichem von Aytta, Präsident des geheimen Raths, Staatsrath und Siegelbewahrer, galt jetzt für den wichtigsten Mann im Senat und die mächtigste Stütze der Krone und der Tiare. Dieser verdienstvolle Greis, dem wir einige schätzbare Beiträge zu der Geschichte des niederländischen Aufruhrs verdanken, und dessen vertrauter Briefwechsel mit seinen Freunden uns in Erzählung derselben mehrmals geleitet hat, war von den größten Rechtsgelehrten seiner Zeit, dabei noch Theologe und Priester, und hatte schon unter dem Kaiser die wichtigsten Aemter bekleidet. Der Umgang mit den gelehrtesten Männern, welche jenes Zeitalter zierten und an deren Spitze sich Erasmus von Rotterdam befand, mit öftern Reisen verbunden, die er in Geschäften des Kaisers anstellte, hatten den Kreis seiner Kenntnisse und Erfahrungen erweitert und seine Grundsätze in manchen Stücken über seine Zeiten erhoben. Der Ruhm seiner Gelehrsamkeit erfüllte sein ganzes Jahrhundert und hat seinen Namen zur Nachwelt getragen. Als im Jahr 1548 auf dem Reichstag zu Augsburg die Verbindung der Niederlande mit dem deutschen Reiche festgesetzt werden sollte, schickte Karl der Fünfte diesen Staatsmann dahin, die Angelegenheit der Provinzen zu führen, und seine Geschicklichkeit vorzüglich half die Unterhandlungen zum Vortheil der Niederlande lenken.A. G. d. v. N. II. Theil. 503 u. folg. Nach dem Tode des Kaisers war Viglius der Vorzüglichsten einer, welche Philipp aus der Verlassenschaft seines Vaters empfing, und einer der Wenigen, in denen er sein Gedächtniß ehrte. Das Glück des Ministers Granvella, an den ihn eine frühe Bekanntschaft gekettet hatte, trug auch ihn mit empor; aber er theilte den Fall seines Gönners nicht, weil er seine Herrschsucht und seinen Haß nicht getheilt hatte. Ein zwanzigjähriger Aufenthalt in den Provinzen, wo ihm die wichtigsten Geschäfte anvertraut worden waren, die geprüfteste Treue gegen seinen Monarchen und die eifrigste Anhänglichkeit an den katholischen Glauben machten ihn zum vorzüglichsten Werkzeuge der Monarchie in den Niederlanden.Vita Vigl.

Viglius war ein Gelehrter, aber kein Denker; ein erfahrner Geschäftsmann, aber kein erleuchteter Kopf; nicht starke Seele genug, die Fesseln des Wahnes, wie sein Freund Erasmus, zu brechen, und noch viel weniger schlimm genug, sie, wie sein Vorgänger Granvella, seiner Leidenschaft dienen zu lassen. Zu schwach und zu verzagt, der kühneren Leitung seines eignen Verstandes zu folgen, vertraute er sich lieber dem bequemeren Pfad des Gewissens an; eine Sache war gerecht, sobald sie ihm Pflicht war. Er gehörte zu den rechtschaffenen Menschen, die den schlimmen unentbehrlich sind; auf seine Redlichkeit rechnete der Betrug. Ein halbes Jahrhundert später hätte er seine Unsterblichkeit von der Freiheit empfangen, die er jetzt unterdrücken half. Im geheimen Rath zu Brüssel diente er der Tyrannei; im Parlament zu London oder im Senat zu Amsterdam wär' er vielleicht wie Thomas Morus und Olden Barneveldt gestorben.

Einen nicht weniger furchtbaren Gegner, als Viglius war, hatte die Faktion an dem Präsidenten des Finanzraths, dem Grafen Barlaimont. Es ist wenig, was uns die Geschichtschreiber von dem Verdienst und den Gesinnungen dieses Mannes aufbewahrt haben; die blendende Größe seines Vorgängers, des Cardinals Granvella, verdunkelte ihn; nachdem dieser von dem Schauplatz verschwunden war, drückte ihn die Ueberlegenheit der Gegenpartei nieder; aber auch nur das Wenige, was wir von ihm auffinden können, verbreitet ein günstiges Licht auf seinen Charakter. Mehr als einmal bemüht sich der Prinz von Oranien, ihn von dem Interesse des Cardinals abzuziehen und seiner eignen Partei einzuverleiben – Beweis genug, daß er einen Werth auf diese Eroberung legte. Alle seine Versuche schlagen fehl, ein Beweis, daß er mit keinem schwankenden Charakter zu thun hatte. Mehr als einmal sehen wir ihn, allein unter allen Mitgliedern des Raths, gegen die überlegene Faktion heraustreten und das Interesse der Krone, das schon in Gefahr ist aufgeopfert zu werden, gegen den allgemeinen Widerspruch in Schutz nehmen. Als der Prinz von Oranien die Ritter des goldenen Vließes in seinem Hause versammelt hatte, um über die Aufhebung der Inquisition vorläufig einen Schluß zu fassen, war Barlaimont der Erste, der die Gesetzwidrigkeit dieses Verfahrens rügte, und der Erste, der der Regentin davon Unterricht gab. Einige Zeit darauf fragte ihn der Prinz, ob die Regentin um jene Zusammenkunft wisse, und Barlaimont stand keinen Augenblick an, ihm die Wahrheit zu gestehen. Alle Schritte, die von ihm aufgezeichnet sind, verrathen einen Mann, den weder Beispiel, noch Menschenfurcht versuchen, der mit festem Muth und unüberwindlicher Beharrlichkeit der Partei getreu bleibt, die er einmal gewählt hat, der aber zugleich zu stolz und despotisch dachte, um eine andre als diese zu wählen.Strada 82. 83.  Burgund 91. 168.  Vita Vigl. 40.

Noch werden uns unter dem königlichen Anhang zu Brüssel der Herzog von Arschot, die Grafen von Mansfeld, Megen und Aremberg genannt – alle drei geborne Niederländer und also mit dem ganzen niederländischen Adel, wie es schien, auf gleiche Art aufgefordert, der Hierarchie und der monarchischen Gewalt in ihrem Vaterland entgegen zu arbeiten. Um so mehr muß uns der entgegengesetzte Geist ihres Betragens befremden, der desto auffallender ist, weil wir sie mit den vornehmsten Gliedern der Faktion in freundschaftlichen Verhältnissen finden und gegen die gemeinschaftlichen Lasten des Vaterlands nichts weniger als unempfindlich sehen. Aber sie fanden in ihrem Busen nicht Selbstvertrauen, nicht Heldenmuth genug, einen ungleichen Kampf mit einem so überlegenen Gegner zu wagen. Mit feiger Klugheit unterwarfen sie ihren gerechten Unwillen dem Gesetz der Notwendigkeit und legten ihrem Stolze lieber ein hartes Opfer auf, weil ihre verzärtelte Eitelkeit keines mehr zu bringen vermochte. Zu wirtschaftlich und zu weise, um das gewisse Gut, das sie von der freiwilligen Großmuth ihres Herrn schon besaßen, von seiner Gerechtigkeit oder Furcht erst ertrotzen zu wollen, oder ein wirkliches Glück hinzugeben, um den Schatten eines andern zu retten, nutzten sie vielmehr den günstigen Augenblick, einen Wucher mit ihrer Beständigkeit zu treiben, die jetzt bei dem allgemeinen Abfall des Adels im Preise gestiegen war. Wenig empfindlich für den wahren Ruhm, ließen sie ihren Ehrgeiz entscheiden, welche Partei sie ergreifen sollten; kleiner Ehrgeiz aber beugt sich unter das harte Joch des Zwanges weit lieber, als unter die sanfte Herrschaft eines überlegenen Geists. Das Geschenk war klein, wenn sie sich dem Prinzen von Oranien gaben, aber das Bündniß mit der Majestät machte sie zu seinen desto furchtbarern Gegnern. Dort ging ihr Name unter dem zahlreichen Anhang und im Glanze ihres Nebenbuhlers verloren; auf der verlassenen Seite des Hofes strahlte ihr dürftiges Verdienst.

Die Geschlechter von Nassau und Croi, welchem letztern der Herzog von Arschot angehörte, waren seit mehreren Regierungen Nebenbuhler an Ansehen und Würde gewesen, und ihre Eifersucht hatte zwischen ihnen einen alten Familienhaß unterhalten, welchen Trennungen in der Religion zuletzt unversöhnlich machten. Das Haus Croi stand seit undenklichen Jahren in einem vorzüglichen Rufe der Andacht und papistischen Heiligkeit; die Grafen von Nassau hatten sich der neuen Sekte gegeben – Gründe genug, daß Philipp von Croi, Herzog von Arschot, eine Partei vorzog, die dem Prinzen von Oranien am meisten entgegengesetzt war. Der Hof unterließ nicht, einen Gewinn aus diesem Privathaß zu ziehen und dem wachsenden Ansehen des nassauischen Hauses in der Republik einen so wichtigen Feind entgegenzustellen. Die Grafen von Mansfeld und Megen waren bis hieher die vertrautesten Freunde des Grafen von Egmont gewesen. Gemeinschaftlich hatten sie mit ihm ihre Stimme gegen den Minister erhoben; gemeinschaftlich die Inquisition und die Edikte bestritten und redlich mit ihm zusammengehalten bis hieher, bis an die letzten Linien ihrer Pflicht. – Diese drei Freunde trennten sich jetzt an dem Scheidewege der Gefahr. Egmonts unbesonnene Tugend riß ihn unaufhaltsam auf dem Pfade fort, der zum Verderben führte; seine gewarnten Freunde fingen noch bei guter Zeit an, auf einen vortheilhaften Rückzug zu denken. Es sind noch Briefe auf uns gekommen, die zwischen den Grafen von Egmont und Mansfeld gewechselt worden und die uns, obgleich in einer spätern Epoche geschrieben, doch eine getreue Schilderung ihrer damaligen Verhältnisse liefern. »Wenn ich,« antwortete der Graf von Mansfeld seinem Freund, der ihm freundschaftliche Vorwürfe über seinen Abfall zum Könige gemacht hatte, »wenn ich ehemals der Meinung gewesen bin, daß das gemeine Beste die Aufhebung der Inquisition, die Milderung der Edikte und die Entfernung des Cardinals Granvella nothwendig mache, so hat uns der König ja diesen Wunsch jetzt gewährt, und die Ursache unsrer Klagen ist gehoben. Zu viel haben wir bereits gegen die Majestät des Monarchen und das Ansehen der Kirche unternommen; es ist die höchste Zeit, einzulenken, daß wir dem König, wenn er kommt, mit offener Stirne, ohne Bangigkeit entgegen gehen können. Ich für meine Person bin vor seiner Ahndung nicht bange; mit getrostem Muthe würde ich mich auf seinen Wink in Spanien stellen und von seiner Gerechtigkeit und Güte mein Urtheil mit Zuversicht erwarten. Ich sage dieses nicht, als zweifelte ich, ob Graf Egmont dasselbe von sich behaupten könnte, aber weise wird Graf Egmont handeln, wenn er je mehr und mehr seine Sicherheit befestigt und den Verdacht von seinen Handlungen entfernt. Höre ich,« heißt es am Schlusse, »daß er meine Warnungen beherzigt, so bleibt es bei unserer Freundschaft; wo nicht, so fühle ich mich stark genug, meiner Pflicht und der Ehre alle menschlichen Verhältnisse zum Opfer zu bringen.«Strada 159.

Die erweiterte Macht des Adels setzte die Republik beinahe einem größern Uebel aus, als dasjenige war, dem sie eben durch Vertreibung des Ministers entronnen war. Durch eine lange Ueppigkeit verarmt, die zugleich seine Sitten aufgelöst hatte, und mit der er bereits zu sehr vertraut worden war, um ihr nun erst entsagen zu können, unterlag er der gefährlichen Gelegenheit, seinem herrschenden Hange zu schmeicheln und den erlöschenden Glanz seines Glücks wieder herzustellen. Verschwendungen führten die Gewinnsucht herbei, und diese den Wucher. Weltliche und geistliche Aemter wurden feil; Ehrenstellen, Privilegien, Patente an den Meistbietenden verkauft; mit der Gerechtigkeit selbst wurde ein Gewerbe getrieben. Wen der geheime Rath verdammt hatte, sprach der Staatsrath wieder los; was jener verweigerte, war von diesem für Geld zu erlangen. Zwar wälzte der Staatsrath diese Beschuldigung nachher auf die zwei andern Curien zurück; aber sein eigenes Beispiel war es, was diese ansteckte. Die erfinderische Habsucht eröffnete neue Quellen des Gewinns. Leben, Freiheit und Religion wurden wie liegende Gründe für gewisse Summen versichert; für Gold waren Mörder und Uebelthäter frei, und die Nation wurde durch das Lotto bestohlen. Ohne Rücksicht des Ranges oder Verdienstes sah man die Dienstleute und Kreaturen der Staatsräthe und Provinzstatthalter zu den wichtigsten Bedienungen vorgeschoben; wer etwas von dem Hof zu erbitten hatte, mußte den Weg durch die Statthalter und ihre untersten Diener nehmen. Kein Kunstgriff der Verführung wurde gespart, den Geheimschreiber der Herzogin, Thomas Armenteros, einen bis jetzt unbescholtenen und redlichen Mann, in diese Ausschweifungen mit zu verwickeln. Durch vorgespiegelte Betheurung von Ergebenheit und Freundschaft wußte man sich in seine Vertraulichkeit einzudrängen und seine Grundsätze durch Wohlleben aufzulösen; das verderbliche Beispiel steckte seine Sitten an, und neue Bedürfnisse siegten über seine bis jetzt unbestechliche Tugend. Jetzt verblindete er zu Mißbräuchen, deren Mitschuldiger er war, und zog eine Hülle über fremde Verbrechen, um unter ihr auch die seinigen zu verbergen. Einverstanden mit ihm beraubte man den königlichen Schatz und hinterging durch schlechte Verwaltung ihrer Hilfsmittel die Absichten der Regierung. Unterdessen taumelte die Regentin in einem lieblichen Wahne von Herrschaft und Thätigkeit dahin, den die Schmeichelei der Großen künstlich zu nähren wußte. Der Ehrgeiz der Parteien spielte mit den Schwächen einer Frau und kaufte ihr eine wahre Gewalt mit deren wesenlosen Zeichen und einer demüthigen Außenseite der Unterwürfigkeit ab. Bald gehörte sie ganz der Faktion und änderte unvermerkt ihre Maximen. Auf eine ihrem vorigen Verhalten ganz entgegengesetzte Weise brachte sie jetzt Fragen, die für die andern Curien gehörten, oder Vorstellungen, welche ihr Viglius ingeheim gethan, widerrechtlich vor den Staatsrath, den die Faktion beherrschte, so wie sie ihn ehmals unter Granvellas Verwaltung widerrechtlich vernachlässigt hatte. Beinahe alle Geschäfte und aller Einfluß wendeten sich jetzt den Statthaltern zu. Alle Bittschriften kamen an sie, alle Benefizen wurden von ihnen vergeben. Es kam so weit, daß sie den Obrigkeiten der Städte Rechtssachen entzogen und vor ihre Gerichtsbarkeit brachten. Das Ansehen der Provinzialgerichte nahm ab, wie sie das ihrige erweiterten, und mit dem Ansehen der Obrigkeit lag die Rechtspflege und bürgerliche Ordnung darnieder. Bald folgten die kleinern Gerichtshöfe dem Beispiel der Landesregierung. Der Geist, der den Staatsrath zu Brüssel beherrschte, verbreitete sich bald durch alle Provinzen. Bestechungen, Indulgenzen, Räubereien, Verkäuflichkeit des Rechts wurden allgemein auf den Richterstühlen des Landes, die Sitten fielen, und die neuen Sekten benutzten diese Licenz, um ihren Kreis zu erweitern. Die duldsameren Religionsgesinnungen des Adels, der entweder selbst auf die Seite der Neuerer hing, oder wenigstens die Inquisition als ein Werkzeug des Despotismus verabscheute, hatten die Strenge der Glaubensedikte aufgelöst; durch die Freibriefe, welche man mehreren Protestanten ertheilte, wurden dem heiligen Amt seine besten Opfer entzogen. Durch nichts konnte der Adel seinen nunmehrigen neuen Antheil an der Landesregierung dem Volk gefälliger ankündigen, als wenn er ihm das verhaßte Tribunal der Inquisition zum Opfer brachte – und dazu bewog ihn seine Neigung noch mehr, als die Vorschrift der Politik. Die Nation ging augenblicklich von dem drückendsten Zwange der Intoleranz in einen Zustand der Freiheit über, dessen sie bereits zu sehr entwohnt war, um ihn mit Mäßigung auszuhalten. Die Inquisitoren, des obrigkeitlichen Beistands beraubt, sahen sich mehr verlacht, als gefürchtet. In Brügge ließ der Stadtrath selbst einige ihrer Diener, die sich eines Ketzers bemächtigen wollten, bei Wasser und Brod ins Gefängniß setzen. Um eben diese Zeit ward in Antwerpen, wo der Pöbel einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, dem heiligen Amt einen Ketzer zu entreißen, eine mit Blut geschriebene Schrift auf öffentlichem Markt angeschlagen, welche enthielt, daß sich eine Anzahl Menschen verschworen habe, den Tod dieses Unschuldigen zu rächen.Hopper. 40.  Grot. 17.  Vita Vigl. 39.  Burg. 80. 87. 88.  Strada 99. 100.

Von der Verderbniß, welche den ganzen Staatsrath ergriffen, hatten sich der geheime Rath und der Finanzrath, in denen Viglius und Barlaimont den Vorsitz führten, noch großenteils rein erhalten.

Da es der Faktion nicht gelang, ihre Anhänger in diese zwei Curien einzuschieben, so blieb ihr kein andres Mittel übrig, als beide ganz außer Wirksamkeit zu setzen und ihre Geschäfte in den Staatsrath zu verpflanzen. Um diesen Entwurf durchzusetzen, suchte sich der Prinz von Oranien des Beistands der übrigen Staatsräthe zu versichern. »Man nenne sie zwar Senatoren,« ließ er sich öfters gegen seinen Anhang heraus, »aber Andre besitzen die Gewalt. Wenn man Geld brauche, um die Truppen zu bezahlen, oder wenn die Rede davon sei, der eindringenden Ketzerei zu wehren, oder das Volk in Ordnung zu erhalten, so halte man sich an sie, da sie doch weder den Schatz noch die Gesetze bewachten, sondern nur die Organe wären, durch welche die beiden andere Collegien auf den Staat wirkten. Und doch würden sie allein der ganzen Reichsverwaltung gewachsen sein, die man unnöthiger Weise unter drei verschiedene Kammern vertheilt hätte, wenn sie sich nur unter einander verbinden wollten, dem Staatsrath diese entrissenen Zweige der Regierung wieder einzuverleiben, damit Eine Seele den ganzen Körper belebe.« Man entwarf vorläufig und in der Stille einen Plan, welchem zufolge zwölf neue Ritter des Vließes in den Staatsrath gezogen, die Gerechtigkeitspflege an das Tribunal zu Mecheln, dem sie rechtmäßig zugehörte, wieder zurückgegeben, die Gnadenbriefe, Patente u. s. w. dem Präsidenten Viglius überlassen werden, ihnen aber die Verwaltung des Geldes anheimgestellt sein sollte. Nun sah man freilich alle Schwierigkeiten voraus, welche das Mißtrauen des Hofes und die Eifersucht über die zunehmende Gewalt des Adels dieser Neuerung entgegensetzen würden; um sie also der Regentin abzunöthigen, steckt man sich hinter einige von den vornehmsten Officieren der Armee, welche den Hof zu Brüssel mit ungestümen Mahnungen an den rückständigen Sold beunruhigen und im Verweigerungsfall mit einer Rebellion drohen mußten. Man leitete es ein, daß die Regentin mit häufigen Suppliken und Memorialen angegangen wurde, die über verzögerte Gerechtigkeit klagten und die Gefahr übertrieben, welche von dem täglichen Wachsthum der Ketzerei zu besorgen sei. Nichts unterließ man, ihr von dem zerrütteten Zustand der bürgerlichen Ordnung, der Rechtspflege und der Finanzen ein so abschreckendes Gemälde zu geben, daß sie von dem Taumel, worein sie bisher gewiegt worden war, mit Schrecken erwachte.Burgund. 92–94.  Hopper. 41.  Vita Vigl. § 87. 88. Sie beruft alle drei Curien zusammen, um über die Mittel zu beratschlagen, wie diesen Zerrüttungen zu begegnen sei. Die Mehrheit der Stimmen geht dahin, daß man einen außerordentlichen Gesandten nach Spanien senden müsse, welcher den König durch eine umständliche und lebendige Schilderung mit dem wahren Zustand der Sachen bekannter machen und ihn vielleicht zu bessern Maßregeln vermögen könnte. Viglius, dem von dem verborgenen Plane der Faktion nicht das Mindeste ahnete, widersprach dieser Meinung.»Das Uebel,« sagte er, »worüber man klage, sei allerdings groß und nicht zu vernachlässigen, aber unheilbar sei es nicht. Die Gerechtigkeit werde schlecht verwaltet, aber aus keinem andern Grunde, als weil der Adel selbst das Ansehen der Obrigkeit durch sein verächtliches Betragen gegen sie herabwürdige, und die Statthalter sie nicht genug unterstützten. Die Ketzerei nehme überhand, weil der weltliche Arm die geistlichen Richter im Stiche lasse, und weil das gemeine Volk nach dem Beispiel der Edeln die Verehrung gegen seine Obrigkeit ausgezogen habe. Nicht sowohl die schlechte Verwaltung der Finanzen, als vielmehr die vorigen Kriege und die Staatsbedürfnisse des Königs haben die Provinzen mit dieser Schuldenlast beschwert, von welcher billige Steuern sie nach und nach würden befreien können. Wenn der Staatsrath seine Indulgenzen, Freibriefe und Erlassungen einschränkte, wenn er die Sittenverbesserung bei sich selbst anfinge, die Gesetze mehr achtete und die Obrigkeit in ihr voriges Ansehen wieder einsetzte, kurz, wenn nur die Collegien und die Statthalter erst ihre Pflichten erfüllten, so würden diese Klagen bald aufhören. Wozu also einen neuen Gesandten nach Spanien, da doch nichts Neues geschehen sei, um dieses außerordentliche Mittel zu rechtfertigen? Bestünde man aber dennoch darauf, so wolle er sich dem allgemeinen Gutachten nicht entgegensetzen; nur bedinge er sich aus, daß der wichtigste Auftrag des Botschafters alsdann sein möge, den König zu einer baldigen Ueberkunft zu vermögen.«Burg. 95. 96.  Hopper. 41. 43 sq.

Ueber die Wahl des Botschafters war nur eine Stimme. Unter allen niederländischen Großen schien Graf Egmont der einzige zu sein, der beiden Theilen gleich Genüge thun konnte. Sein erklärter Haß gegen die Inquisition, seine vaterländischen und freien Gesinnungen und die unbescholtene Rechtschaffenheit seines Charakters leisteten der Republik hinlängliche Bürgschaft für sein Betragen; aus welchen Gründen er dem König willkommen sein mußte, ist schon oben berührt worden. Da bei Fürsten oft schon der erste Anblick das Urtheil spricht, so konnte Egmonts einnehmende Bildung seine Beredsamkeit unterstützen und seinem Gesuch eine Hilfe geben, deren die gerechteste Sache bei Königen nie entübrigt sein kann. Egmont selbst wünschte diese Gesandtschaft, um einige Familienangelegenheiten mit dem König zu berichtigen.Strada 103.

Die Kirchenversammlung zu Trient war unterdessen auch geendigt und die Schlüsse derselben der ganzen katholischen Christenheit bekannt gemacht worden. Aber diese Schlüsse, weit entfernt, den Zweck der Synode zu erfüllen und die Erwartungen der Religionsparteien zu befriedigen, hatten die Kluft zwischen beiden Kirchen vielmehr erweitert und die Glaubenstrennung unheilbar und ewig gemacht.

Der alte Lehrbegriff, anstatt geläutert zu sein, hatte jetzt nur mehr Bestimmtheit und eine größere Würde erhalten. Alle Spitzfindigkeiten der Lehre, alle Künste und Anmaßungen des heiligen Stuhls, die bis jetzt mehr auf der Willkür beruht hatten, waren nunmehr in Gesetze übergegangen und zu einem Systeme erhoben. Jene Gebräuche und Mißbräuche, die sich in den barbarischen Zeiten des Aberglaubens und der Dummheit in die Christenheit eingeschlichen, wurden jetzt für wesentliche Theile des Gottesdiensts erklärt und Bannflüche gegen jeden Verwegenen geschlendert, der sich diesen Dogmen widersetzen, diesen Gebräuchen entziehen würde. Bannflüche gegen Den, der an der Wunderkraft der Reliquien zweifeln, der die Knochen der Märtyrer nicht ehren und die Fürbitte der Heiligen für unkräftig zu halten sich erdreisten würde. Die Kraft der Indulgenzen, die erste Quelle des Abfalls von dem römischen Stuhl, war jetzt durch einen unumstößlichen Lehrsatz erwiesen und das Mönchthum durch einen ausdrücklichen Schluß der Synode in Schutz genommen, welcher Mannspersonen gestattet, im sechzehnten Jahre, und Mädchen, im zwölften Profeß zu thun. Alle Dogmen der Protestanten sind ohne Ausnahme verdammt, nicht ein einziger Schluß ist zu ihrem Vortheil gefaßt, nicht ein einziger Schritt geschehen, sie auf einem sanftern Weg in den Schooß der mütterlichen Kirche zurückzuführen. Die ärgerliche Chronik der Synode und die Ungereimtheit ihrer Entscheidungen vermehrte bei diesen wo möglich noch die herzliche Verachtung, die sie längst gegen das Papstthum hegten, und gab ihren Angriffen neue, bis jetzt noch übersehene Blößen preis. Es war ein unglücklicher Gedanke, die beleuchtende Fackel der Vernunft den Mysterien der Kirche so nahe zu bringen und mit Vernunftschlüssen für Gegenstände des blinden Glaubens zu fechten.

Aber die Schlüsse des Conciliums befriedigten auch nicht einmal alle katholischen Mächte. Frankreich verwarf sie ganz, sowohl den Calvinisten zu Gefallen, als auch weil die Superiorität, deren sich der Papst über das Concilium anmaßte, es beleidigte; auch einige katholische Fürsten Deutschlands erklärten sich dagegen. So wenig Philipp der Zweite von gewissen Artikeln darin erbaut war, die zu nahe an seine eigenen Rechte streiften, worüber kein Monarch der Welt mit mehr Eifersucht wachen konnte, als er; so sehr ihn der große Einfluß des Papsts auf das Concilium und die willkürliche, übereilte Aufhebung desselben beleidigt hatte; so eine gerechte Ursache zur Feindseligkeit ihm endlich der Papst durch die Zurücksetzung seines Gesandten gab, so willig zeigte er sich doch, die Schlüsse des Conciliums anzuerkennen, die auch in dieser Gestalt seinem Lieblingsentwurfe, der Ketzervertilgung, zu Statten kamen. Alle übrigen politischen Rücksichten wurden dieser Angelegenheit nachgesetzt, und er gab Befehl, sie in allen seinen Staaten abzukündigen.Hist. de Philippe II. Watson T. II. L. IV.  Thuan. II. 29. 491. 350.  Essay sur les Moeurs T. III. Concile de Trente.  Meteren 59. 60.

Der Geist des Aufruhrs, der alle niederländischen Provinzen bereits ergriffen hatte, bedurfte dieses neuen Zunders nicht mehr. Die Gemüther waren in Gährung, das Ansehen der römischen Kirche bei Vielen schon aufs tiefste gesunken; unter solchen Umständen konnten die gebieterischen und oft abgeschmackten Entscheidungen des Conciliums nicht anders als anstößig sein; aber so sehr konnte Philipp der Zweite seinen Charakter nicht verleugnen, daß er Völkern, die eine andere Sonne, ein anderes Erdreich und andere Gesetze haben, einen andern Glauben erlaubte. Die Regentin empfing den gemessensten Befehl, in den Niederlanden eben denselben Gehorsam gegen die Trientischen Schlüsse zu erpressen, der ihnen in Spanien und Italien geleistet ward.Strada 102.

Die Schlüsse fanden den heftigsten Widerspruch in dem Staatsrath zu Brüssel. Die Nation – erklärte Wilhelm von Oranien – würde und könnte dieselben nicht anerkennen, da sie größtenteils den Grundgesetzen ihrer Verfassung zuwider liefen und aus ähnlichen Gründen von mehreren katholischen Fürsten verworfen worden seien. Beinahe der ganze Staatsrath war auf Oraniens Seite; die meisten Stimmen gingen dahin, daß man den König bereden müsse, die Schlüsse entweder ganz zurückzunehmen, oder sie wenigstens nur unter gewissen Einschränkungen bekannt zu machen. Diesem widersetzte sich Viglius und bestand auf dem Buchstaben der königlichen Befehle.»Die Kirche,« sagte er, »hat zu allen Zeiten die Reinigkeit ihrer Lehre und die Genauigkeit der Disciplin durch solche allgemeine Concilien erhalten. Den Glaubensirrungen, welche unser Vaterland schon so lange beunruhigen, kann kein kräftigeres Mittel entgegengesetzt werden, als eben diese Schlüsse, auf deren Verwerfung man jetzt dringt. Wenn sie auch hie und da mit den Gerechtigkeiten des Bürgers und der Constitution im Widerspruch stehen, so ist dieses ein Uebel, dem man durch eine kluge und schonende Handhabung derselben leicht begegnen kann. Uebrigens gereicht es unserm Herrn, dem König von Spanien, ja zur Ehre, daß er allein vor allen Fürsten seiner Zeit nicht gezwungen ist, sein besseres Wissen der Notwendigkeit unterzuordnen und Maßregeln aus Furcht zu verwerfen, die das Wohl der Kirche von ihm heischt und das Glück seiner Unterthanen ihm zur Pflicht macht.« Da die Schlüsse Verschiedenes enthielten, was gegen die Rechte der Krone selbst verstieß, so nahmen Einige davon Veranlassung, vorzuschlagen, daß man diese Capitel wenigstens bei der Bekanntmachung hinweglassen sollte. Damit der König dieser anstößigen und seiner Würde nachtheiligen Punkte mit guter Art überhoben würde, so wollten sie die niederländische Nationalfreiheit vorschützen und den Namen der Republik zu diesem Eingriff in das Concilium hergeben. Aber der König hatte die Schlüsse in seinen übrigen Staaten ohne Bedingung angenommen und durchsetzen lassen, und es war nicht zu erwarten, daß er den übrigen katholischen Mächten dieses Muster von Widersetzlichkeit geben und das Gebäude selbst untergraben werde, das er zu gründen so beflissen gewesen war.Watson T. I. L. VII. 262.  Strada 102.  Burg 114.


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