Friedrich Schlögl
Skizzen
Friedrich Schlögl

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Der Fasching der Armen

Wer gerne tanzt, dem ist bald gepfiffen, und wer seinen Fasching haben muß, findet ihn ohne viel kopfzerbrechendes Arrangement und macht auch kurzen Prozeß bei Vervollständigung der erforderlichen Toilette. Genügsame Naturen – und die Armut zwingt wohl zur Genügsamkeit – überraschen dann geradezu durch den bescheidenen Apparat, den sie zu ihren karnevalistischen Vergnügungen benützen, und sie beschämen mit der Einfachheit der mise-en-scène auch die kunst- und mühevollen Anstrengungen der Millionen-Chefs, indem zwischen den vier schlecht geweihten, mit farbigen Papierketten dürftig aufgeputzten Wänden einer zu einem Tanzsaal rasch improvisierten Tischlerwerkstätte doch mehr freudestrahlende Gesichter erglänzen als in den goldstrotzenden Appartements einer beliebigen Finanzgröße.

Ich habe nämlich noch nie gehört, daß sich arme Leute, wenn sie unter ihresgleichen gewesen, selbst bei den kümmerlichsten Ballversuchen je gelangweilt hätten – was bei der gegenteiligen Partei mitunter passieren soll; ich habe ferners nie gehört, daß die Ballgäste des holperigsten Tanzbodens über die Juchtenstiefel mancher hausknechtischen Solisten die Nasen rümpften, während die zierlichsten Juchten-Bouquets der ätherischsten Komtessen eine Walzertour zur Höllentour machen können, und schließlich habe ich auch noch nie gehört, daß der Unternehmer eines kleinen »Tanzlätizel« im dumpfsten Wagenschuppen nachträglich davon so viel Verdruß gehabt hätte, wie der generöseste Veranstalter jener rivalisierenden Ballfeste in gewissen rivalisierenden Palais. Denn man ist, wo nur Talglichter den Produktionen vorstädtischer Terpsichoren leuchten und man die Erfrischungen in der Raststunde aus einem Ziment kredenzt, schon von Haus aus bescheidener und genügsamer und mit Wenigerem zufrieden, als in den exquisiten Regionen, die von Brillanten erhellt werden. –

»Du, beim Greißler is am Irtag a Ball, er hat die Krautkammer auskramt, a Zehnerl is Eintritt, 's kummen lauter Bikennte aus der Nachbarschaft – daß di daweil z'sammrichst, mir gengan a übri!«

Mit dieser schmucklosen und unparfümierten Einladung avisiert ein ausgedienter Deutschmeister und nunmehriger Stiefelputzer die Seinige, die am ganzen Grund bekannte Wäscherin und kreuzbrave Frau Kathel, von dem bevorstehenden Faschingsgenuß. Und nun wird gewaschen und gebügelt, die Unterröcke werden gestärkt und das blaugetupfte Kammertuchkladl, worin s' vor neununddreißig Jahr' bei der Hochzeit so sauber ausg'schaut hat, daß alle Mannsbilder auf sie »gschiärng'lt« habn, wird aus dem Archive hervorgesucht und noch einmal ins Treffen geführt.

Und am Irtag ist wirklich der Ball in der Krautkammer des Greißlers. Es kommen übrigens tatsächlich nur »Bikennte«. Da ist z. B. der Herr Alois, der Laternanzünder, mit seinen fünf Madeln, wovon vier ins »Nähen gehn«, und eine fürs Ballett ausgebildet wird. Ferner ist der »Mussi Franz« anwesend, der durch einundzwanzig Jahre Himmeltrager war, aber seines Brustleidens wegen den Dienst verließ und nun dem Greißler beim Krauteintreten hilft. Dann die »Mamsell Schanett«, eine ältliche Person, die in ihrer Jugend eine reiche Partie hätte machen können, indem ihr ein vornehmer Herr einmal von den Klepperstallungen bis in die Reißnerstraße »nachg'stiegn« ist, und die nun vom »Umsetzen«, »Krankenwarten«, »Platzaufheben« und der Bereitung eines sehr gesuchten schwarzen Gichtpflasters lebt. Weiters die Frau Susl, die Auskocherin, mit ihrem Sohne Ignaz, der »ins Läuten« geht. Der Werkelmann vom hintern Hof, der nicht nur sein Instrument, sondern auch elf lebendige Kinder mitgebracht, die älteste Tochter sogar in der Maske; der Herr Jakob, der Holzhacker; Herr Wenzel, der Flickschneider aus der Dachwohnung, und Herr Peter, der Zettelanpapper, der nicht lange bleiben kann, weil er zeitlich ins G'schäft muß, sind ebenfalls, und zwar samt ihren Ehehälften und dem vollkommen legitimen Nachwuchs erschienen usw.

Das Fest selbst ist einfach, aber gemütlich. Ist der Saal (die Krautkammer) auch etwas überfüllt, man findet doch Platz, um einen ehrsam gemäßigten Walzer zu je vier oder fünf Paaren durchzumachen. Herr Wenzel, der Flickschneider, ein durch und durch musikalisch gebildeter Mann, sozusagen ein Tausendkünstler, besorgt die Musik, d. h. er spielt abwechselnd Gitarre oder bläst Klarinette. Auch der Werkelmann gibt sein Repertoire zum Besten, auf allgemeines Verlangen aber muß Herr Wenzel Csakan blasen und die Frau Kathel mit dem Ihrigen, der zu diesem Zwecke, »obwohl's a damische Hitz hat«, sogar seinen Rock anzieht, ein Menuett tanzen. Den Schluß bildet ein Polsterltanz, bei welcher Gelegenheit der »Mussi Franz« der »Mamsell Schanett« unter lautem Bravogeschrei ein Bußl zu geben hat, worüber diese feuerrot wird und, an ihrem Platze angelangt, den neben ihr sitzenden Frauen noch einmal die Geschichte erzählt, wie sie in ihrer Jugend eine reiche Partie hätte machen können, denn jener noble Herr schien doch ernste Absichten gehabt zu haben, sonst wäre er nicht (notabene ohne ein Wort zu reden!) den weiten Weg von den Klepperstallungen bis in die Reißnerstraße ihr nachgegangen.

Das Buffet ist selbstverständlich gleichfalls nicht lukullisch. Der Greißler ließ eine Rein Gollasch kochen, das allgemein Beifall fand, und besorgte auch den nötigen Trunk. Die Frau Susl, die Auskocherin, lieferte die Krapfen (solide, kompakte Ware), die sich eines reißenden Absatzes erfreuten und ihr den Ruhm, die erste Krapfenbäckerin weit und breit zu sein, verschaffen. Die Frau Susl wird deshalb auch um das Rezept förmlich bestürmt; sie macht übrigens kein Geheimnis daraus, und während die Jugend walzt, erklärt sie den wißbegierigen Müttern ihr System. »Mein Gott!« sagt sie, in ihrem Siegesbewußtsein etwas schmunzelnd, »es is ka Kunst und ka Hexerei! I nimm halt auf hundert Krapfen a groß's Maßl Mundmehl, vier Eier, ein Vierting Schmalz – 's Schmalz von unsern Herrn Greißler (dieser nickt bejahend), nit mehr und nit weniger, dann das übrige Zugehör, ein Löffel voll Salz, ein Vierting Powidl – vom Herrn Greißler (ganz richtig! ergänzt dieser), um zwei Kreuzer Germ, ein Seitl Mili, nur a ablasene, die Frau Sali soll's sagen – (›Ja, nur a ablasene‹, bestätigt die Aufgeforderte), no, und Zucker, was man eben braucht.« – »Delikat!« ruft der ganze Cercle, und jeder und jede langt noch nach einem solchen Wunderkrapfen. Nur der Herr Jakob, der Holzhacker, refüsiert sie mit der Entschuldigung: »I trau mi nit, mir san s' z' fett, mein Magen is seit a sechs Wochn nit ganz in der Urdnung, i bleib bei dem, was i g'wohnt bin, der Herr Nachbar macht mir nachher a paar Würst in Essig und Öl an, denn man kann net wissen...«

»Recht haben S', Herr Jakob!« kommentiert die Versammlung, »bleibn S' bei Ihrer Ordnung, über Ordnung geht nix!« –

»Segn S'«, sagt die Hausmeisterin, »der Meinige lebet a noch, wann er nit gestorbn wär, das heißt, wenn er bei seiner Ordnung bliebn wär. Sein Lackerl Bier auf d' Nacht hätt' ihm nit g'schadt, aber da hat er mit dem Malefiz-Wein anfangen müssen, der hat 'n z'sammbissn. Gott tröst'n!«

Unter solch anregendem Geplauder der Alten naht das Ende der Ballnacht und beginnt der Morgen zu grauen. Nun heißt's in aller Eile den Kaffee auftragen, da jeden seine Pflichten zur Arbeit rufen. Die Greißlerin bringt ein Häfen Schwarzen und einen Topf Milch, die Schalen werden herumgereicht und mit Dank akzeptiert, mit Ausnahme von Seite des Herrn Jakob, der »'n Kaffee nit ästamiert« und der vom Nachbar »a Glasl Sie wissen schon« verlangt. Darauf gegenseitigem Bekomplimentieren, Händeschütteln usw., und man geht auseinander unter der ungeheuchelten Versicherung, sich sehr gut unterhalten zu haben, denn »es war sehr hübsch und nicht der mindeste Verdruß«!

Soll ich über die Leute nun spötteln? Soll ich ihr harmloses Bestreben, dem Faschingskultus nach ihren bescheidenen Kräften ein kleines Opfer bringen zu wollen, höhnen? Soll ich Witze darüber reißen, daß die anwesende eine Maske, die Fräul'n Rosi, die Werkelmannsche nicht zu intriguieren verstand, oder daß es hier nicht von Patchouli duftete, sondern nur vom Schweinschmalz oder höchstens Bagamotenöl? Es fällt mir nicht ein. Die Leute haben sich ja standesgemäß unterhalten, sie haben weder sich selbst, noch andere mit pathetischer Großtuerei zu düpieren und nicht die Schnackerlbälle der sattsam bekannten spekulativen Familien Maxenpfutsch, Betteltutti etc. zu kopieren oder gar zu überbieten versucht. Sie blieben in ihren Schranken. Sie mögen euch komisch dünken, diese ungraziösen Tänzer und Tänzerinnen, und ihr mögt über sie lachen, aber verlachen dürft ihr sie nicht! »Strecken wir uns nach der Decken«, heißt ihre Lebensregel. Das Ballgollasch wurde gezahlt, niemand ist einen Kreuzer schuldig geblieben, es kommt nun weder die »Kapäunlerin« noch irgendein Hausknecht »federn«, auch die Musik machte nicht viel Auslagen und tat ganz gut ihre Dienste, denn wer gerne tanzt, dem ist bald gepfiffen – und damit Punktum! –

 


 


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