Friedrich Schlögl
Skizzen
Friedrich Schlögl

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Unterm Galgen

Ein Amusement unterm Galgen? Gewiß, und noch dazu ein superbes! Das letzte »Volksfest« dieser Gattung fand in Wien am 30. Mai 1868 (zufällig am Namensfeste Kaiser Ferdinands des Gütigen) statt und galt dem Halse des dreiundzwanzigjährigen Raubmörders Georg Ratkay, eines freilich verwahrlosten Subjektes.

Jahre waren vergangen, ohne daß man der schaulustigen Hefe das Seelengaudium gegönnt: einen baumeln zu sehen. Außerdem blieb das fatale Gerücht, die Todesstrafe werde demnächst abgeschafft, mit Hartnäckigkeit in Permanenz – wer weiß, ob dies nicht der letzte arme Sünder ist, an dem die Schinderzeremonie mit allen ihren interessanten Einzelheiten in persönlichen Augenschein zu nehmen wäre – also: »Auf, nach Spinnerin am Kreuz!«

Der Schauplatz ist günstig gewählt. Ein weiter Plan von riesigster Ausdehnung, gibt er einer »Menschenabtuung« satt zu sehen. Nichtsdestoweniger heißt es, sich zeitlich früh schon ein günstig Plätzchen erobern, will man die Spuren der Todesangst, das Zittern des Delinquenten, ja wenn möglich, sogar die einzelnen Schweißtropfen, die von seiner bleichen Stirne fallen, den Versöhnungskuß des Scharfrichters, das Binden der Stricke, das Knebeln der Hände, das Aufziehen, den gewissen Druck usw. usw. genau betrachten können. Kluge Leute wandern deshalb bereits um die Mitternachtsstunde nach der Gratis-Galgenarena und okkupieren die strategischesten Punkte.

Und so war's auch diesmal. Um ein Uhr nacht kamen sie angezogen in dichten Scharen, lachend und kreischend und johlend und jubilierend und lagerten sich im Grase. Es waren die »Habitués vom Galgenturf«, beiderlei Geschlechtes, konfiszierte Gesichter, Stammgäste der anrüchigsten Kneipen, stabile Insassen der schmutzigsten Höhlen des Elends und des Lasters, ein mixtum compositum aus der vielköpfigen Genossenschaft der Gauner, so daß man weiland Schufterles bekannten Bericht variieren und sagen konnte: Alles, was von der gewissen Sorte nicht in Zuchthäusern, Spitälern und sonstigen k.u.k. Besserungsanstalten gerade verwahrt gewesen, war der Hatz vorangezogen.

Bis der Morgen graute, trieb das Gesindel den heillosesten Unfug. Als es endlich Tag ward, und die Verkäufer und Ständer kamen und ihre »Delinquentenwürstel«, »Armesünderbretzen«, ihren »Galgendanzinger« etc. ausriefen, da ging der Janhagel erst recht los, und die Tausende und Abertausende wurden so kreuzfidel, wie es seinerzeit auf dem Brigittenauer Kirchtage Mode war.

»Was glauben S' denn«, meinte ein Mann in Hemdärmeln, der seinen siebenjährigen Buben aus dem Schnapsflaschl trinken ließ, »was glauben S' denn, so was sieht man nit alle Tag!« – »A Glasl Unblachten wett' i, daß 'n nit padanir'n!« rief ein anderer und stieß mit seinem Stamperl an. – »Gilt!« war die Antwort. »Padanirt muß er werd'n, weil er a Ungar is, und weil s' d' Ebergeny a padanirt habn!« – »I bin nur neugieri, wie s' 'n henk'n«, warf ein Fünfter ein. »Der alte Hofmann hat alleweil so umabandelt – der jetzige soll a neiche Method habn.« – »Na, vielleicht henkt er 'n per Dampf«, witzelte ein Sechster, »umabandelt hat er oft, der Hofmann, das is wahr – i hab' alle g'seg'n, aber schön dag'henkt san s' nachher a!« –

Mittlerweile kamen auch die sogenannten »schönen Leute« anmarschiert und angefahren. Die meisten in Fiakern; elegante Damen, mit Opernguckern ausgerüstet, standen auf dem Kutschbock oder füllten furchtlos die wackligen Nottribünen und schienen schier entzückt, wenn sie gut postiert waren, und der »Bawlatschen-Entrepreneur« ihnen versicherte: »Hier segn's Eu'r Gnaden wunderschön!« –

Dann kam der arme Sünder – und die amtliche Prozedur nahm ihren ungestörten Verlauf. –

War die Menge entsetzt? War sie von der fürchterlichen Sühne ergriffen? Ein jubelndes Hallo scholl durch die Lüfte, als im Momente, wie der Scharfrichter dem Todeskandidaten den Kopf zurechtlegte, eine Stellage einbrach, und hundert Neugierige hinabpurzelten. Ein lustiger Aufschrei aus mindestens tausend angefuselten Kehlen lohnte ferner die witzige Tat eines Mannes, der einem Kutscher den Hut vom Kopfe schlug, weil er ihn in Gedanken aufbehielt, als der Priester sein Gebet zu sprechen begann.

Und was des lustigen Schabernacks mehr ist. Wie man sieht, kann sich eine Achtung gebietende Majorität auch unterm Galgen köstlich amüsieren.

 


 


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