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Wie Frau von Waldenberg und die Gräfin sehr gute Freundinnen geworden, so wurden auch Herr von Waldenberg und der Graf sehr gute Freunde; denn alle hatten gleich edle Gesinnungen. Obwohl es Friede war, so konnten die Ausgewanderten sich doch noch wenig Hoffnung machen, in ihr Vaterland zurück kehren zu dürfen. Der Krieg brach auch bald wieder mit erneuerter Heftigkeit aus, wurde jedoch in Gegenden geführt, die weit von Waldenberg entfernt waren. Herr und Frau von Waldenberg baten daher den Grafen und die Gräfin dringend, mit ihrem Sohne Ludwig bis auf bessere Zeiten in Waldenberg zu bleiben, und alle Drei freuten sich sehr, einen so sichern und angenehmen Aufenthalt gefunden zu haben. Sie brachten da längere Zeit sehr vergnügt zu.
Eines Tages nun, da man an Nichts weniger dachte als an französisches Militär, kam ein französischer Offizier von einigen Husaren begleitet, in den Schloßhof gesprengt. Er ließ sich als einen französischen Oberst bei Herrn von Waldenberg melden. Alle im Schlosse waren über diesen unerwarteten Besuch nicht wenig erstaunt. Ludwigs Aeltern aber hatten keinen geringen Schrecken; die Gräfin fürchtete gar verhaftet und nach Frankreich abgeführt zu werden. Der Besuch mußte indeß angenommen werden.
Ein schöner, junger Mann in goldgestickter dunkelblauer Uniform trat in das Zimmer. Ludwig that einen Freudenschrei, und sprang mit offenen Armen auf ihn zu. Der Oberst war jener Offizier, der bei Ellersee verwundet worden, sich aber indessen durch seine Einsicht und Tapferkeit so hoch erschwungen hatte. Er hatte mit seinem Regimente einige Meilen weit von Ellersee Rasttag, und war die Nacht durch geritten, um seinem kleinen Freunde Ludwig, dem Erretter seines Lebens einen kurzen Besuch zu machen, und zu sehen, wie es ihm gehe. Zu Ellersee hatte der Oberst vernommen, Ludwig befinde sich sammt seinen Aeltern zu Waldenberg. Er ritt also, ohne vom Pferde zu steigen, augenblicklich dahin.
Er umarmte Ludwig, und erzählte den erfreuten Aeltern, wie unaussprechlich viel Gutes Ludwig ihm erwiesen habe. Herr von Waldenberg lud ihn ein, einige Tage auf dem Schlosse zu bleiben. Allein der Oberst sagte: »Nicht länger als einige Stunden; ich muß auf die Minute wieder bei meinen Leuten eintreffen.« Er redete mit dem Grafen und der Gräfin über deren Schicksale, und sagte bei seinem Abschiede: »Ich werde wieder kommen, und hoffe, Sie und meinen jungen Freund Ludwig dann unter fröhlichern Umständen wieder zu sehen.«
Der Oberst hielt Wort; er kam, einige Zeit, nachdem der Frieden wieder hergestellt war, nach Waldenberg, und brachte Ludwigs Aeltern die schriftliche Zusicherung, daß sie nach Frankreich zurück kehren durften, und ihre Güter wieder zurück erhalten würden. Da der Oberst mächtige Verwandte in Frankreich hatte, so war es ihm gelungen, den Aeltern Ludwigs diese Begünstigung zu bewirken, deren die meisten Ausgewanderten sich erst nach vielen Jahren zu erfreuen hatten. Die Menschenfreundlichkeit, womit Ludwig als ein zarter Knabe einem ausgezeichnetem Offizier das Leben gerettet hatte, wurde allgemein bewundert; Jedermann sagte, den Aeltern eines so liebenswürdigen Kindes dürfe man die Rückkehr in ihr Vaterland nicht wehren.
Der Oberst fuhr hierauf mit Ludwig und dessen Aeltern nach Ellersee. Er besuchte den Pfarrer, der ihm so manches gute Buch zum Lesen mitgetheilt und gar oft selbst gebracht hatte, und verehrte ihm eine schöne Sammlung guter französischer Bücher, alle in den schönsten Auflagen und vortrefflich gebunden. Er beschenkte seine ehemaligen Hauswirthe; den Müller mit dem feinsten himmelblauen Tuche zu einem Rocke, und die Müllerin mit Taffet von gleicher Farbe und mit Band und Spitzen. Er gab Ludwigs Pflegeältern eine ansehnliche Summe Geldes, damit sie davon sich selbst anschaffen möchten, was ihnen das Nöthigste oder Angenehmste wäre. Ueberdieß gab er Johannen und ihren Kindern noch einen großen Pack von mehr als sechzig Ellen feiner Leinwand »Dieß,« sagte er, »ist für die Scharpien.«
Dem Oberst war es eine große Freude, Ludwig und dessen Aeltern, wie im Triumphe, nach Frankreich zurück zu führen. Ludwig sah sein ganzes Leben hindurch es für eine große Wohlthat an, daß er einige Jahre seiner Kindheit auf dem Lande zugebracht hatte. Sein Aufenthalt auf dem Lande hatte nicht nur seine etwas schwächliche Gesundheit sehr gestärkt; auch sein Verstand und Herz hatten dabei sehr gewonnen. Die frommen, einfachen Sitten seiner Pflegeältern, die jeden Tag mit Gebet anfingen und beschlossen, vor allem Bösen eine heilige Scheu hatten, und alle Widerwärtigkeiten des Lebens mit Ergebung und Geduld von Gott annahmen; der Unterricht und die Frömmigkeit des würdigen Landgeistlichen, und der andächtige Gottesdienst in der kleinen Dorfkirche, nährten und befestigten seine Gefühle für Religion und Tugend. Häusliche Andacht und öffentlicher Gottesdienst, Wort und Beispiel hatten sehr schön zusammen gewirkt, ihn nahrhaft fromm und gut zu machen. Er hatte der seinen dürftigen, aber genügsamen Landleuten gelernt, mit wie Wenigem der Mensch gesund und zufrieden leben könne; aller unnütze Aufwand, und überhaupt alles Gekünstelte und Gezierte in den Sitten blieb ihm verhaßt. Er behielt eine große Vorliebe für das Landleben. Sein Schloß in Frankreich war sein liebster Aufenthalt; nicht weil es prächtig gebaut und wohl eingerichtet, sondern weil es, in einer schönen ländlichen Gegend gelegen, und von reichen Kornfeldern, blumigen Wiesen und schattigen Wäldern umgeben war. Gottes Werke näher zu betrachten war seine Lust, und er fand in ihrer Betrachtung eine eigene Seligkeit. Er war von einer ganz vorzüglichen Achtung gegen die niedern Stände durchdrungen; denn er hatte sich mit eigenen Augen überzeugt, wie viele Mühe sie sich geben müssen, die höhern Stände zu ernähren, und welche edle Seelen unter manchem Strohdachs wohnen. Diese Gesinnungen äußerte er in reifern Jahren sehr oft, und sein Vater, der Graf, gab ihm vollkommen Recht.
»Wir haben uns,« sagte der Graf, »durch eitle Prachtliebe zu weit von der Natur entfernt, und Diejenigen, die von den niedrigen Ständen uns zunächst stehen, traten in unsere Fußstapfen ein. Daher rührt alles Elend, alle Unordnung und alle Verkehrtheit unserer Zeiten. Wenn es besser werden soll, müssen wir zur einfachen Natur zurück kehren. Nur auf diese Art kann die Unzufriedenheit vieler Bedrängten unter dem Volke gehoben werden, und auch wir werden dann zufriedener, ruhiger und glücklicher leben.«
Auch Ludwigs Mutter, die Gräfin, war dieser Meinung; eine ganz besondere Freude aber fand sie darin, die Wege der göttlichen Vorsehung in Ludwigs Geschichte zu betrachten. »Gott,« sprach sie, »hat ihn mir entzogen, um mir ihn vernünftiger und tugendhafter wieder zu geben. Ein bunter Schmetterling, ein flüchtiges, unbedeutendes Geschöpf, gab die erste Veranlassung zu einer Reihe von Begebenheiten, die nicht nur für Ludwig, sondern noch für viele Menschen höchst wohlthätig waren. Einem edlen jungen Manne, dem Oberst, ward das gerettet; eine arme, aber edle Familie, der Pächter Lorenz mit seinem Weibe und seinen Kindern, wurden in bessere Umstände versetzt; uns aber ward die Bahn gebrochen, unser liebes Vaterland wieder betreten, und unser väterliches Schloß wieder bewohnen zu dürfen. Ich war bei den Widerwärtigkeiten, die uns betroffen haben, manchmal sehr verzagt und kleinmüthig; allein nun habe ich einsehen gelernt: »Eine höhere, unendlich weise und gütige Macht lenkt in geheim die Schicksale der Menschen, und leitet alle zu unserm Besten; und dieser Glaube ist bei allen Trübsalen, die auf unserer Lebensbahn uns treffen, der einzige feste, sichere Stab, an den wir uns halten können, um auf dem Wege in ein besseres Vaterland nicht muthlos zu erliegen.«