Maximilian Schmidt
Die Schwanjungfrau
Maximilian Schmidt

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VI.

Auf der Saletalm lag alles im friedlichen Schlafe, im glücklichen Träumen. Selbst die alte Nandl kicherte vergnügt, denn es war ihr, als säßen der König und die Königin und die Prinzen um den Tisch im Kaser herum und ließen sich den durch sie bereiteten, fetten Almschmarrn aus der großen Pfanne aufs beste schmecken. Der kleine Lenzl lachte fast laut auf, weil er dem König einen ganzen Sack voll weiße Rüben bringen durfte, für deren jede ihm der freundliche Fürst einen großen, glänzenden Dukaten auf die Hand legte, so daß der Glückliche nicht mehr wußte, wohin er all das Gold stecken sollte. Burgei, auf ihrem hohen Kreister in der Kammer liegend, lachte auch, denn sie war mit dem Gedanken eingeschlafen. »I hon und b'halt mein' Buam am Schnürl!« Und über dieses Thema mochte sie vergnügt weiter träumen, denn für alle Frauen liegt ein unendlicher Reiz darin, mit der überlegenen Kraft des Mannes zu spielen. Und Berchtold, der in der Streuschupfe schlief – ob der im Traume Ursache zum Lachen hatte!

Als er vom Obersee zur Alm gekommen, bewirtete ihn Burgei mit dem Besten, was ihr zu Gebote stand, das schöne Feuerwerk auf Bartlmä, welches sie mit 92 den Ihrigen vor der Hütte stehend ansah, gestattete ihr aber nicht, sich in einen eingehenderen Diskurs mit dem jungen Manne einzulassen und hernach war es höchste Zeit zum Schlafengehen. Lenzl sprach das Nachtgebet, in welchem er namentlich der Schiffer, Holzer, Jäger, Wurzelgräber und Saliner, sowie der armen Seelen im Fegfeuer gedachte, worauf jedes sein Lager aufsuchte.

Berchtold blieb auf der Gred sitzen, bis er sein Pfeifchen ausgeraucht und tappte dann im Zwielicht des Mondscheins zur Streuschupfe. Er mußte fortwährend an die Erscheinung am Obersee denken, doch stiegen mählich sehr nachhaltige Zweifel in ihm auf, ob nicht am Ende die vermeintliche Schwanjungfrau ein ganz natürliches Menschenkind gewesen sei.

Diese Zweifel wurden durch die Visitation der rotsamtenen Börse, welche ihm die gütige Fee überreichte, in nicht geringem Grade verstärkt. Neben den Guldenstücken, Sechsern und Kreuzern befand sich ein kleines, zusammengelegtes Zettelchen, ein Postaufgabeschein für eine Wertsendung an die Armenhausverwaltung in Traunstein, das erst jüngst ein Raub der Flammen geworden. Es wollte dem Jäger doch seltsam dünken, daß sich die Schwanjungfrau bei Übersendung ihrer wohlthätigen Gaben der Post bediene und sich noch dazu einen Schein ausstellen lasse. Dann gedachte er aber wieder des wunderbaren Eindruckes, den ihre Erscheinung schon mittags unter der Riesenesche, beim Weyerzisk und am Obersee auf ihn gemacht, die drei Rubinen funkelten vor seinen Augen und dann, und dann – mit all dem »dann« war er eingeschlafen und er schlief noch fest, als sich über die Felsen 93 im Osten herauf schon der Morgen vorbereitete und es drinnen in der Sennhütte lebendig wurde.

Die Sennerin mahnt hier nicht, wie ihre Schwestern im Bauernhofe, der laute Weckruf des Haushahnes, daß es Morgen werde. Das erste Grau, das durch die Ritzen des luftig gefügten Baues bricht, macht sie wach und sie eilt, den Kühen, die sich früh morgens bei der Hütte warmen Trank holen, ihr Frühstück zu bereiten. Das Feuer prasselt und leckt an dem rußigen Kessel und während das Wasser siedet, schneidet die Sennerin Gras in Fässer und überschüttet es mit Kleienmehl, welche Mischung mit kochendem Wasser abgebrüht, den sogenannten »Brohd« giebt.

Schon klingelt und klingelt es in allen Tonarten die Halden und Schluchten heran, vom Baß begleitet, den sich die rüstigen Kühe dazu brüllen, die nun ihr freies Nachtlager verlassen, um bei der Alm sich »Brohd« für ihre Morgenmilch einzutauschen. In der Hüttenthür stehend, jodelt die Sennerin ihren frischen Morgengruß hinaus und juchzt in die Weite, und sollte noch eine ihrer Pflegebefohlenen hinter den Felsblöcken säumen, dann eilt sie auf dieses Juh mit lautem Brüllen heran.

Der Hüterbub rangiert mit lautem Zuruf die harrende Gilde. Die Sennerin, mit Dreifuß und Sechter, faßt Posto vor der Alm und die verständigen Kühe, des Brauches gewöhnt, schreiten bedächtig vor den Zollstuhl, wenn ihre Namen gerufen werden. »Blaßl«, »Franzi«, »Mudei«, »Scheck« u. s. f. schreit die geschäftige Sennerin und während die Schoßdirn den gerufenen Kühen den bereitgehaltenen Trank darreicht, werden sie bedächtig von der Sennerin gemolken.

Die schäumende Milch wandert, sobald der Sechter 94 gefüllt, durch ein Haarsieb in den Milcheimer und mit gelindem Schlag und freundlichem Wort wird Kuh um Kuh entlassen.

Die Frühmilch wird dann in den großen Kessel mit Zusatz von »Lab« (Schleimhaut des Kälbermagens) gefüllt, damit sie bei geringem Feuer gerinnen möge, und sodann verkäst, während die Abendmilch in die in Reih und Glied in der Milchkammer stehenden »Waidlinge« (Schüsseln) geschüttet wird, wo sie rahmt und nächsten Tages für die Butterbereitung abgeschöpft wird. Schon steht das mit Rahm gefüllte Butterfaß bereit und die Nandl macht sich so ihre Gedanken bei dem gleichmäßigen Auf- und Niederrühren.

Eine scharfe Morgenluft streicht über den in Nebelschleier gehüllten See herein. Auf den obersten Spitzen und Graten der Riesenberge funkelt es und über das Grün der höheren Alpenweiden zuckt es dann und wann in blaßgelben Streifen. Bald aber schimmern goldene Feuerwolken am tiefblauen Himmelsbogen, erst hell, dann immer dunklerer Purpur färbt die Alpen, blitzende, goldene Ströme wie Lavabrüche scheinen sich von den Flanken der strahlenden Häupter des Hochgebirges herniederzugießen, funkelnde Lichtwellen verdrängen die leisen Nebel, unter deren fliegendem Zauber der goldspiegelnde Königssee schimmert und glänzt.

Ein freudiger Juhschrei löste sich aus Burgeis Brust, sie sandte ihn hinaus zu den östlichen Bergen, weit über die Region des Königsbaches, wo sich Nazis Arbeitsplatz befand und wohin sie ihn seit Sonnenaufgang unterwegs glaubte, und Grüße und Jodler tönten herab von den oberen, selbst weit entfernten Alpen.

95 Berchtold hatte sich jetzt auch von seinem Lager erhoben, auch er ließ seinen Juhschrei als Morgengruß hinaushallen über den Königssee und wieder zum Obersee und hinein in den lichten Felsensaal, welchen die roten Kalkmauern der Kauner- und Waldhüttenwand umschließen und über welchem die gigantischen Teufelshörner in glühender Firnenpracht emporragten.

Burgei lud den Jäger zum Almkaffee in die Hütte, und Berchtold ließ sich letzteren wohl schmecken.

»Muaßt schon vozeihn,« sagte die Sennerin, »daß ma' dir gestern nimmer viel Ehr anthoa' kunnten. Woaßt, der Küni is halt bei uns zuarikehrt und über a seln Freud vergißt leicht aaf alles andere und aftn dös schö' Feuerwerk hat uns aa gfreut, und mei' Nazl is aa no' unversehens kemma und dös Fraaln is mir aftn aar im Kopf gsteckt, dös er vom Obersee abholn sollt und was eam gwihrt hon, no' ja, da bin i woltern froh gwen, wier i in mein Bett glegn und alles ruhri hon überdenka kinna.«

»A Fräuln hätt' dei' Nazl vom Obersee abholn solln?« fragte Berchtold sichtlich errötend.

»So is 's!« entgegnete Burgei. »Aber dernthalbn brauchst d' nit rot wern,« setzte sie lachend hinzu. »Woaßt, a Edelfraaln von unserer Künigin is 's gwen, die si halt an dem glanzetn See nit satt sehgn hat kinna und die mei' Nazi hätt' a'holn und 'n Prachtschiff nachifahren solln. Er is halt z' spät kemma, i hon 's scho a so g'richt, so is 's halt alloa awakemma in ihren schneeweißn Gwandta und es wird si ebba wohl nix gfeit ham. Von mir is 's grad a so a Dummheit gwen, aber ma' hat halt diermal so sein dumma Tag.«

96 »Ja, ja,« stimmte Berchtold bei, »i hon gestern aa mein dumma Tag ghabt.«

Er schlug sich zwar nicht auf die Stirne, aber immerhin machte er eine derartige Bewegung; dann starrte er schweigend in die leere Kaffeeschale.

»Magst no' a Schaln Kaffee?« fragte Burgei.

»Na', na',« entgegnete Berchtold – »dös is a rarer Kaffee!« dabei meinte er sein gestriges Abenteuer.

»Ebba nit?« fragte Burgei, »koa Stammel Cichorie is drin und 'n Rahm hon i selm a'gnomma.«

»Siehgst ja, daß er mir gschmeckt hat,« beruhigte sie der Jäger; »aber mir san halt so gachs allerlei Gedankn kumma über dös Edelfraaln. No', die wird lacha!«

»Über mi, monst ebba?« fragte Burgei.

»Na', na', scho' über mi! Wenn i nur meine Zeugnis wieder hätt'!«

»Deine Zeugnis? Hast es verlorn?«

Berchtold hielt an sich. Seine gestrige Dummheit ausplaudern, wäre eine neue, dachte er bei sich und er suchte ein anderes Gespräch.

»Wie kimm i denn aaf Bartlmä?« fragte er Burgei. »I muaß zum Förster.«

»Zum Förster? Da fahrst halt mit der Nandl; die wird eh bal g'richt sei', weils 'n Butter auf Königssee außibringt. Da wünsch ich dir halt, daß der Förster heunt mit 'n rechtn Fuaß z'erst aus 'n Bett gstiegn is, sunst kannst nit viel mit eam machn.«

»Er is a guater Freund von mei'm Vater seli gwest, da verhoff i das Best'!«

»I wünsch dir's,« sagte Burgei, »aber wenn er aa im Anfang grandi is und dir 'n Kopf abreißn möcht, 97 dernthalbn därfst di nit kränken; wennst 'n a andersmal bei guater Stimmung dawischt, setzt er dir 'n Kopf gern wieder auf. Woaßt, es is halt an' alta eisgrauer Brummbär, sunst aber a kreuzbraver Mo'.«

»I fürcht koan Bärn!« sagte Berchtold lächelnd, »wenn i mei' Büchserl aus 'n Fuatteral hon. Möcht der Förster nur mit 'n rechtn Fuaß z'erst aus 'n Bett gstiegn sei'! Und iatz sag mir mei' Schuldigkeit.«

»Ja was denn nit gar! Erstens kost's dir eh nix, zwoatens gaangs auf meiner Kameradin, der Sabina, ihra Rechnung und drittens wirst eh nit viel Geld habn. Kimm nur wieder auf d' Saletalm, wann's di gfreut, du kriegst, was ma ham und an' Juchaza zum Pfüat Gott.«

Dieser hallte alsbald an den Felsenwänden wieder, als Nandl, den blau bemalten Stotzen (niederes Schaff) voll Butter auf dem Kopfe, herzukam und sagte:

»So, i bin g'richt!«

Berchtold bedankte sich bei der freundlichen Sennerin und stieg zu Schiff; ein Juhschrei – und mit kräftigem Ruderschlag ging es dem grünen Vorlande St. Bartlmä zu.

Die alte Nandl plauderte während des Ruderns ohne Unterlaß, besonders gesprächig aber wurde sie, als ihr Berchtold mitteilte, daß er der Sohn Perlachers sei, der in früheren Jahren auf Bartlmä Jäger gewesen.

»Vom Perlacher bist a Suhn? Ja, was d' sagst! No', dös gfreut mi! Mei' liawe Zeit, wie oft hon i mit dem schuahplattelt! Dem hat koana ankinna im Tanzn und Singa. Da hat eam so a Loder von an' Wilderer an' Schuß in 'n Fuaß beibracht und aus war's mit 'n Tanzen und Bergsteign, drum is er ins Flachland vosetzt worn. Hat wir recht load tho' um den braven Mo' und 98 um sei' brav's Wei', die 's oanzige Kind vom Oberjäger draus z' Berchtesgadn war und der ihre Eltern kurz hinteranand gstorbn san. Gott tröst's – warn brave Leut! Und 'n Perlacher, dein Vatan, tröst 'n Gott aa. Siehgst eam völli gleich, bist grad so sauber. Ja no', i muaß oft gnua an eam denkn, er hat ja an Andenkn zrucklassen –«

Nandl stockte.

»An Andenkn?« fragte Berchtold, »wie so?«

Nandl war sichtlich verlegen, da sie sich verplaudert hatte und lenkte ein.

»No' ja,« erwiderte sie, »halt daß 'n die Deandln nit vergessn, mit denne er so schö' Landler tanzt hat. Iatzt freili san scho alle gstandne Weibats; schau nur mi an, i bin no' die sauberst drunter, weil i koan Kropf hab. Gel, da lachst? Ja no', magst es glaubn oder nit, i und 's Grafendeandl san dazumal die saubersten Deandln in unserer Gnodschaft gwen, wir warn oa' Herz und oa' Sinn, koa' Gheimnis ham ma vorananda g'habt und nit leicht hon i no' so gflennt, wier an dem Tag, wo ihr mit der Leich ganga bin.«

»'s Grafendeandl?« fragte Berchtold, sich der gestrigen Erzählung der Ruppelleni erinnernd. »Moanst d' Muatta vom Grafenpeter?«

»Wieso woaßt du dös?« fragte Nandl überrascht.

»D' Rappelleni hat mir gestern davon erzählt, wie i Rast ghaltn hon unter der großen Eschen außer Berchtesgadn –«

»Hast ihr aftn du gsagt, daß d' 'n Perlacher sei' Suhn bist?« fragte Nandl.

»I glaab nit,« entgegnete Berchtold. »Sie hat mir 99 nix Guats über ihren Enkel gsagt, und d' Sabina, die mi aaffa gfahrn hat zu Enk, scheint mir aa nit guat auf eam z' sprechen sein.«

»D' Sabina?« entgegnete Nandl. »Ja, ja, auf die hat's der Loder abgsehgn, z' wegn der brechet er si 'n Hals und 's Gnack, und 's Deandl möcht 'n aa, wenn er nur arbeta thaat. Der Grillersepp, 'n Deandl sei' Vata, hat 'n in d' Holzarbet gnomma, aber die grob' Arbet scheucht er, und die sitzend' kann er nit vertragn, mei', es liegt halt scho' im Geblüat. Im Wald frei umagehn, jagern und birschen und Edelweißbrocken sagt eam halt besser zua, und so an' Mannets ohne festen Vodeanst giebt der Grillersepp sei' Deandl nit, dös muaßt dir mirkn. So, und iatzt san ma mit lauter Schwatzn zurikemma aaf Bartlmä – also steig aus in Gottsnam! Wünsch dir halt a recht guate Verrichtung! Und willst dei' Sach recht guat machn, so geh z'erst aaffi zum Wallfahrtskirchl vom heilin Peter und Pauli, es is a kloas Wegl hin, dös Kirchl ham vor uralters Zeit fromme Jaga baut und alle Zeit ham d' Jaga viel Vertraun, wenn's durt betn thuan, i bin dir guat Rats. Und aftn vergiß nit und trink von dem Wasser, dös nebn der Kapelln aus 'n Felsen kimmt, da kriegst an' klar'n Verstand und liachte Aug'n, die braucht a Jaga – und iatz pfüat di Gott!«

Berchtold dankte der Alten, warf ihr einige Sechser zu und stieg rasch ans Land. Nandl konnte ihm deshalb das Geld nicht mehr zurückgeben.

»No', so hast was guat,« rief sie ihm nach und sandte ihm ihren frischen Juchzer nach. Berchtold aber schritt voll froher Hoffnungen dem Forsthause zu.

In der unteren Flur des Hauses, welche mit den 100 bekannten Ahnenbildern der naturhistorischen Familie Saibling (salmo salotinus), welche in riesigen Exemplaren hier vertreten ist, und mit Jagdbildern geschmückt ist, fragte Berchtold nach dem Förster.

Dieser war aber noch nicht zu sprechen; man hieß Berchtold in einer Stunde wieder anfragen.

Berchtold benützte diese Zeit, dem Rate der alten Nandl folgend, und suchte die alte Peters- und Paulskapelle auf, am Eingange zur Gletscherschlucht, der sogenannten Eiskapelle. Er empfahl sein Geschick den beiden Aposteln und trank auch aus der frischen, eiskalten Quelle, mit deren Wasser er sich dann auch, wie es ihm Nandl empfohlen, die Augen wusch.

Gewiß hatte auch sein Vater oft hier geweilt! Er gedachte lebhaft desselben und legte nicht ohne Rührung wieder den Weg zum Forsthause zurück.

Der Förster war jetzt zu sprechen. Berchtold trat mit höflichem Gruße ein.

Der alte Weidmann, mit weißem Schnurrbart und kahlem Kopfe, gekleidet in eine graue Joppe, ebensolche Hose und eine grüne Weste, saß am vorderen Tische und aß soeben seine Morgensuppe. Ein paar Dachshunde lagen zu seinen Füßen.

Die Hunde liefen dem Ankömmling sofort freundlich entgegen und wedelten um seine Füße. Der Förster aber sah in nicht sehr freundlicher Weise von seiner Schüssel auf.

»Was is 's? Was soll's?« rief er dem jungen Manne zu.

»Herr Förster,« begann Berchtold, »i bin der Sohn vom verstorbna Perlacher, der a guata Freund von Eahna war und so hätt' i halt dös Vertraun zu Eahna, daß 's 101 mir zur a Stellung verhelfeten als Jagdknecht da im Revier. I bin a g'lernter Jaga und bin aa im Forst wohl bewandert!«

»Natürli,« rief der Förster spöttisch, »auf di hab i grad g'wart'. Moanst, es braucht nix, als daherroasen und an' Anstellung kriegn?«

»I hon halt gmoant, weil's a guata Freund von mein Vatan –«

»Wenn i alle Söhn von meine guatn Freund anstelln wollt, so hätt' i bald mehr Jagdpersonal als Gamsen und Hochwild im Revier. Da schreibt ma' doch erst, eh ma's Geld verroast. Übrigens weis' wir deine Zeugnis, damit i's schwarz auf weiß sehg, was 's mit dir is, denn daß d' der Sohn vom Perlacher bist, für dös kannst nix; obst a braver, richtiger Jaga bist, da drauf kommts an. Also wo san die Papier?«

Berchtold errötete.

»Dös is mir jetzt schon recht zwida!« sagte er, »i kann Enks nit zoagn, Herr Förster.«

»Warum nit? Aha, sans halt danach!«

»Na', na', alle sands ganz guat – aber i hons gestern nacht ebban gebn und –«

»Wem hast es gebn?« fragte der Förster kategorisch.

»An' Fräuln hon i 's gebn. I kriegs aber heunt hoffentli wieder.«

»Was?« rief der Förster mit wildrollenden Augen, »an' Fräuln? An' Deandl, willst sagn. A so oana bist du? Wie hoaßts denn?«

»I woaß 's nit. Aber sie is koa Unrechte –«

»Wann bist denn ankemma?«

»Gestern nachts.«

102 »Ja, was d' sagst! Gestern nacht bist kemma und heunt hast scho' koane Zeugnis mehr in der Taschen, weilst es an' Deandl gebn hast! Mir scheint ja, du bist a rechter Flottwell, a ganz leichtsinniger Patron! No', an solchen kunnt i grad brauchen da auf Bartlmä, 's is a rechts Glück, daß d' kemma bist!«

»I hoff, daß Eahna morgn die Zeugnis zoagn kann,« sagte Berchtold.

»Morgn?« rief der Förster. »I hab an der Ehr von dein Bsuach heunt scho' gnua – da – da hast dei' Gschenk und somit guate Roas'.«

Der Förster hatte unter diesen Worten den Geldbeutel gezogen und dem Jäger einen halben Gulden hingeworfen.

Dieser aber sagte, das Geschenk zurückweisend:

»Herr Förster, i bin nit betteln da. Könnts mi nit brauchen, so geh i in Gottsnam wieder weiter. Brauch i a Geld, so kann i arbeiten, und is 's, was da will, wenn's nur ehrli is. Der Grillersepp nimmt mi g'wiß auf als Holzknecht, bis si' amal was find't.«

»Ganz recht,« sagte der Förster, »koa' Arbet schänd't. Dös gfallt mir scho' besser von dir, als deine Zeugnis, di i nit lesen kann, weil's a fremds Deandl in der Taschen hat. Dös is ja merkwürdi!«

»So pfüat Gott!« sprach Berchtold. »Nix für unguat, Herr Förster.«

Und er war im Begriff zu gehen.

»Hör amal!« sagte jetzt der Förster, »was bist d' denn für a Schütz? Triffst was?«

»I kann mi just sehgn lassen. Freili reich i Eahna 's Wasser nit auf meilenwegs – mei' Vata hat wir oft 103 von Eahna dazählt, i moan, 'n Scheib'nküni ham's Eahna ghoaßn, is 's nit a so?«

»Ja, ja,« erwiderte der Alte geschmeichelt, »so hoaßens mi heunt no', wenn i aa scho' recht zsammschaugn muaß und d' Händ' nimmer haltn wolln. No', sehgn möcht i grad, was d' kannst. Nimm mei' Kugelbix durt aus 'n Glaskastn und geh mit mir außi zum Scheib'nstand.«

Berchtold nahm die Büchse, besah sie mit großer Befriedigung und hing sie, nachdem der Förster gesagt, daß sie geladen, über die Schulter. Er folgte dann dem Förster in den Eschenwald hinaus, wo ein schöner Schießstand errichtet war. Der Förster stellte den Mann auf die weiteste Distanz und hieß ihn dann auf die Scheibe schießen.

Berchtold zielte und schoß.

»A Vierer is 's, rechts vom Punkt!« sagte er, das Gewehr noch immer im Anschlag haltend.

»So laß uns außischaugn,« sagte der Förster und schritt mit Berchtold der Scheibe zu.

»Dös is a Prachtbix!« bewunderte Berchtold im Hingehn.

»Ja, ja,« meinte der Förster, »aber von selm triffts trotz aller Pracht nix; es ghört a guata Schütz dazua. – Wahrhafti, rechts vom Punkt a guata Vierer!« rief er, als er an der Scheibe angekommen war.

»Dös is scho' was!« fuhr er dann fort. »Guat schießn und 'n Schuß ansagn kinna. Aber wie siehgt 's aus mit der Jagdwissenschaft?«

»I versteh mi aufs Hoch- und Niederwild so guat, wie aufs Geflüg,« entgegnete Berchtold. »In meine Zeugnis steht's schon.«

104 »Ja, ja, in die Zeugnis!« meinte der alte Jäger, jetzt schon freundlicher lachend. »Wenn ma's halt hätten, deine Zeugnis! Hast alle die Requisita, die zu an' vollkommena edlen Weidmann gehörn? Woaßt, was derselbe billi vor allen Dingen sein soll?«

Und Berchtold antwortete:

»Der Weidmann muß hirschgerecht, jagdgerecht, holzgerecht und forstgerecht sein, dann gottesfürchtig, treu und redlich, vorsichtig, anständig, klug, edel, wachsam, unverdrossen, arbeitsam, resolut, listig, geschwind, tapfer und dem Trunk nicht ergeben.«

»Brav!« sagte der Förster, »dazua muaß er a guats und a reinlichs Gwehr, muaß Liab zu die Hund habn und von guter Leibeskonstitution sein. Bist auch in die Weidmannssprüch bewandert? Dei Vata und i warn stolz drauf.«

»Sag mir an, mein lieber Weidmann:
Was macht den Wald weiß,
Was macht den Wolf greis,
Was macht den See breit,
Woher kommt alle Klugheit?«

Und Berchtold, dieser Sprüche wohl kundig, erwiderte dem alten Jäger:

»Das will ich dir wohl sagen schon:
Der Schnee macht den Wald weiß,
Das Alter macht den Wolf greis,
Und das Wasser den See breit,
Vom schönen Jungfräulein kommt alle Klugheit.«

Der Alte nickte zufrieden, und sich ganz zurückversetzend in längst vergangene Jahre, fragte er wieder

»Weidmann, lieber Weidmann, sag mir an,
Was ist weißer, denn der Schnee,
Was ist grüner, denn der Klee, 105
Schwärzer, denn der Rab,
Und klüger, als der Jägerknab?«

Auch hierauf wußte Berchtold richtig zu antworten.

Das kann ich dir wohl sagen an:
Der Tag ist weißer als der Schnee,
Die Saat ist grüner als der Klee,
Die Nacht ist schwärzer als der Rab,
Schöne Mädchen klüger, als der Jägersknab.«

Der Alte lächelte.

»Guat hat dir's dei' Vata beibracht. Die Sprüch san aa wahr. Glaubst denn, a schön's Madl wär so unklug gwen und hätt' dir so mir nix, dir nix, ihre Zeugnis gebn? Dös is dös oanzige, was mir an dir nit gfallt! Aber mit die Gams, wie? da wirst nix machn kinna? Im Unterland giebt's koa' und bei uns herin is dös d' Hauptsach.«

»Grad dös is mei' Force,« entgegnete Berchtold. »I bin ja über zwoa Jahr im Tegernseer Revier gwen. Hätt' i nit zum Militär müassn, wär' i no' dort; 's wird aa 's gscheitast sei', i roas dorthin, i verhoff nit, daß i umsunst hingeh.«

»Dös is dei' freier Willn!« versetzte der Förster, »aber wennst die Zeugnis hast, so kannst bei wir aa no' mal anfragn – verstandn? Und jetzt gehst vüri mit mir und i werd' sorgn, daß d' was z' essen und z' trinken kriegst. I will koa' Einred hörn! Da hast aar a paar Zigarrln. Nimm's, sag i, oder laß 's bleibn! So zünds nur an! Und iatz woaßt, wie i gstimmt bin. I hab koa' Zeit mehr, i muaß meine Rechnungen zammstelln. Dös Roaten macht mi anemal granti. So, z' essen und z' trinka kriegst glei außa. Dein Rucksack und dei' G'wehr kannst dalassen bis morgen und 's weitere wern ma' sehgn.«

Damit verschwand er in dem Hausflur. Gleich darauf erschien eine Dirn mit Speise und Trank, setzte alles auf 106 einen Tisch und rief dem unter den Bäumen wandelnden Jäger zu, es sich gut schmecken zu lassen.

Das war denn auch der Fall. Die »Dackeln« leisteten ihm Gesellschaft und er teilte ihnen redlich von seinem Teller.

Mit nächster Gelegenheit fuhr er dann nach Königssee zurück und ging nach Berchtesgaden, den Heimatsort seiner Mutter. Nun begriff er wohl das Heimweh der guten Frau.

Lange vor der bestimmten Zeit schlug er sodann den Weg nach dem Thale ein; hoffend und bangend hatte er bald die Riesenesche erreicht. – Er setzte sich auf die Bank und zündete sich eine Zigarre an. Während er den blauen Rauch in die klare Abendluft blies, harrte er der Lösung des Rätsels und vor seinem geistigen Auge schwebte wieder lebhaft das Bild der Schwanjungfrau. 107


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