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Prinzessin Kunigunde wandelte in ernstem Gespräche mit ihrer Schwester, Wilhelms Gemahlin Eleonore Dorothee, im Schloßgarten auf und nieder. Sie nahmen den Kommenden zunächst nicht wahr, denn eine dichte Taxuswand entzog ihn ihren Blicken.
Dem Herzog stockte einen Augenblick der Fuß, und Tränen wollten sich ihm in die Augen drängen, als er die Stätte wieder betrat, mit der so viele seiner schönsten Kindheits- und Jugenderinnerungen verknüpft waren. Das Lustgärtlein hinter dem Schlosse hatte sein Vater angelegt, den er nie gekannt hatte, da er ein Jahr nach seines jüngsten Sohnes Geburt gestorben war. Die Mutter hatte dann die Schöpfung des Gatten liebevoll weitergepflegt, und der Garten war ihr ein häufiger und lieber Aufenthalt gewesen. Von dort drüben grüßte die steinerne Bank herüber, auf der sie oftmals an schönen Sommernachmittagen mit ihren jüngsten Kindern gesessen hatte. Dem Herzog war es, als hörte er gedämpft, wie aus weiter Ferne, ihr lebensfrohes Lachen und dazwischen das zarte Stimmchen seiner Schwester, die als kleines Mädchen gestorben war. Wie lange war das nun schon her! Als er zum letzten Male hier mit der Mutter saß, war sie eine Frau von dreiundvierzig Jahren, –und heute hätte sie ihr neunundfünfzigstes Jahr vollendet, wenn sie am Leben geblieben wäre. Fünfzehn Jahre waren also schon verronnen seit ihrem frühen Tode. Und etwa sieben Jahre mochte es her sein, da hatte er da hinter der Steinbank in die Rinde der hohen Ulme ein Herz eingeschnitten das die beiden Buchstaben K und B umrahmte. Denn dort hatte er seine Gundel zum ersten Male in den Armen gehalten und zum ersten Male ihren Mund geküßt, und wenn ihn an diesem Orte der Erinnerung viele Schatten teurer Verblichener umschwebten – sie, die Geliebte, war noch am Leben und war ihm nahe, und er vernahm schon den Laut ihrer Stimme, denn eben kamen die Schwestern den Laubengang wieder heruntergeschritten. Sie waren beide trotz ihrer Jugend in einfache, dunkle Gewänder gekleidet, da ernster gerichteten Frauen die Not und Trübsal der Zeit zu groß erschien, als daß sie sich in helle Kleider hätten hüllen mögen.
Bernhard wartete mit klopfendem Herzen, bis sie ganz nahe herangekommen waren, und als sie nun um die Ecke bogen, trat er einige Schritte vor, breitete seine Arme aus und rief nur das eine Wort: »Gundel!« Die Prinzessin fuhr zusammen und blickte ihm einen Augenblick fassungslos ins Gesicht. Die Überraschung schien ihr die Glieder gelähmt zu haben. Dann aber schoß ihr eine jähe Purpurröte ins Antlitz, sie stürzte auf ihn zu und warf sich an seine Brust.
Ihre Schwester dagegen blickte zunächst ebenso erstaunt und erschrocken auf ihn, der so völlig unerwartet hier erschien. Aber sie hatte keinen Gruß für ihn; sie warf den Kopf zurück, wandte sich kühl ab von den beiden und schlug einen Seitenpfad ein.
Bernhard bemerkte davon nichts. Sein Blick hing an den geliebten Zügen, aus denen nun langsam die Röte wich, um einer tiefen Blässe Platz zu machen. Mit heiß aufzuckendem Schmerze sah er, daß sie einen Zug des Leidens um den Mund trug, den er früher nicht an ihr wahrgenommen hatte. Sie hatte wohl viel gelitten in den letzten Monaten, und sie hatte gelitten um seinetwillen. War es auch anders möglich bei der Verstimmung und Gereiztheit gegen ihn, die hier herrschte?
»O Bernhard,« flüsterte sie. »Wie gut, daß du noch kommst! Nie habe ich mich so nach dir gesehnt wie jetzt!«
»Sie sind nicht gut zu dir gewesen?« fragte er mit tief verfinstertem Gesicht.
»Niemand hat mir ein kränkendes Wort gesagt. Dazu sind Wilhelm und Eleonore viel zu vornehm, und alle Hofleute wissen das und richten sich danach. Aber es wurde in meinem Beisein nie mehr von dir gesprochen. Wie oftmals, wenn ich eintrat, stockten die Gespräche! Und fing ich an von dir zu reden, so schwieg man und lenkte die Rede sogleich auf andere Dinge. Nur Ernst hält zu dir, besonders seit er von Frankfurt wiedergekommen ist, wo er mit dir sich unterredet hat. Du hast ihn dort gänzlich für dich gewonnen, aber er ist ja leider so wenig hier, fast immer auf Landesreisen. Dein Bruder Wilhelm aber ist dir sehr gram, und meine Schwester folgt ihrem Manne.«
»Ich bin auch deshalb hergekommen, um mich mit ihm zu vergleichen, und ich denke, es wird mir wohl gelingen. Doch jetzt komm, Liebste, und setze dich mit mir auf die Bank dort! Ich habe dir vieles zu erzählen!«
Er legte ihren Arm in den seinen und führte sie hinüber zu dem steinernen Sitz unter der Ulme. Dort zog er sie an seiner Seite nieder und küßte sie heiß auf den Mund. »Hier hob es an!« sagte er. »Weißt du noch? Die andern spielten dort hinten auf der Wiese ein zierliches Schäferspiel. Du aber hattest einen kleinen Streit gehabt und saßest hier zornig und in Tränen, als ich aus der Türe trat. Ich sah dein weißes Kleid durch die Büsche schimmern und ging zu dir hin und tröstete dich, und da hielt ich dich auf einmal in meinen Armen, und du botest mir willig deinen roten Mund, und ich küßte dich, wie ich jetzt tue!« Und er preßte seine Lippen wieder und wieder auf die ihren.
Gundel erwiderte seine Küsse, aber währenddem traten ihr die Tränen in die Augen. »Ach Bernhard, warum hat es nicht so bleiben können? Warum mußte uns das Leben so grausam trennen?«
»Weil wir in einer Zeit leben, in der Gottes Zorn die Welt heimsucht. Lebten wir in einer ruhigen Zeit, so fänden wir wohl irgendein stilles Glück, hätten es wahrscheinlich schon längst gefunden. Aber in diesen Tagen gehört ein Mann wie ich ins Feld. Sage doch, möchtest du in Wahrheit, ich säße zu Hause hinter dem Ofen und zöge meine Nahrung aus meinen Ämtern Burgau und Brembach, wo übrigens jetzt so gut wie nichts zu holen ist?«
Die Prinzessin blickte ihm eine Weile schweigend ins Gesicht, und immer mehr leuchteten dabei ihre Augen auf. Dann schlang sie die Arme um seinen Hals und rief: »Nein, Bernhard, nein! Würde ich dich denn so lieben, wie ich dich jetzt liebe? Ich kann nur einen Helden lieben. Einem Manne von gewöhnlichem Schlage könnt' ich nimmermehr als sein Weib folgen, und wenn er noch so fromm und bieder wäre!«
Bernhard zog sie fester an sich. »Siehst du,« sagte er, »du würdest mich also nicht ändern und damit unser Geschick nicht ändern wollen, auch wenn du es könntest. Und eben jetzt gerade öffnet sich uns ja ein Weg zur Vereinigung und zum Glück, wie ich zu Gott hoffe.«
»Ich habe es gehört, Bernhard, und mocht' es kaum glauben. Ist es wahr, daß du sollst Herzog in Franken werden?«
»Ich bin es schon. Liebste.«
Sie stieß einen leisen Schrei der Überraschung aus. »Wie ist das möglich?«
»Das Dokument der Verleihung ist vom Kanzler unterzeichnet und bereits in meiner Hand. In zehn Tagen ziehe ich in Würzburg ein.«
»Und dann?«
»Dann muß ich sofort wieder zur Armee.«
»Und holst mich noch nicht heim?«
»Noch nicht sogleich. Liebste!«
»Warum nicht?«
»Aus vielen Gründen. Zuvörderst: ich muß ins Feld, ich muß! Die größten, die allerimportentesten Dinge stehen auf dem Spiel.«
»Und könnten wir nicht vorher heiraten, und ich harrte dann deiner Rückkehr als dein Weib im Schlosse zu Würzburg?«
»O liebster Schatz, wie gerne böt' ich dir ein sicheres Heim, und wie begreife ich, daß du es müde bist, bei Verwandten zu leben! Und wie sehne ich mich nach dir! Und doch kann ich dich vor der Hand nicht heimführen, denn ich könnte dich nicht allein in Würzburg lassen. Denn wisse: zwei Drittel meiner Untertanen sind mir heimlich feind. Die beiden Stifter waren bisher feste Bollwerke des päpstlichen Wesens, die Leute sind von Kindesbeinen an im katholischen Glauben erzogen, sie fürchten sich vor der Herrschaft eines lutherischen Fürsten und möchten um alles in der Welt nicht für immer unter ihr bleiben. Und ihre Pfaffen wühlen und hetzen, wie sie das so wohl verstehen. Da wird's viele geheime Rebellion geben und wohl auch hier und da offenen Aufruhr. Nun will ich ja Ernst hinsetzen, meinen Bruder, als meinen Verweser, aber er wird dort noch viel mehr im Lande umherreisen müssen als hier. Du wärest also fast immer allein. Wie leicht könnte da irgendeine verwegene Rotte eine Gewalttat gegen dich ins Werk setzen, und hätten sie dich in ihrer Macht, so hätten sie mein Herz in der Hand. Ohne mich kann dort mein Weib nicht hausen. Sie werden wohl erst nach Jahren treue und gehorsame Untertanen.«
Gundel neigte die Stirn. »Du dürftest wohl recht haben,« sagte sie nach einer Pause. »Aber,« setzte sie mit zuckenden Lippen hinzu, »wann endlich kannst du mich heimholen?«
»Könnt' ich dir das doch bestimmt sagen! Ich hoffe, in einem Jahre sind wir so weit.«
»Und woher nimmst du solche Hoffnung? Warum in einem Jahre?«
»Weil bald eine große Entscheidung fallen muß. Insgeheim sage ich dir, was niemand, hörst du, niemand hier jetzt schon wissen soll: ich werde demnächst Regensburg überfallen und, so Gott will, bring' ich's in meine Gewalt. Weißt du, was das bedeutet? Als Tilly starb, da röchelte er dem bayrischen Kurfürsten noch zu: Regensburg, Herr, Regensburg! Denn diese Stadt ist der Schlüssel zu Bayern und zu den Erblanden des Kaisers. Ich habe geheime Verbindungen in der Stadt, sie ist reif zum Fall wie ein Kornapfel am Ende des Augustmondes. Die protestantische Bürgerschaft trägt das bayrische Joch mit Ingrimm und sehnt sich nach unserm Kommen. So wird die Stadt mein durch Verrat. Hab' ich aber Regensburg, so trag' ich den Krieg vor Wien.«
»Und der Friedländer, Bernhard, wird er dem ruhig zusehen?«
»Schwerlich, liebster Schatz, und das soll er ja gerade nicht. Bedroh' ich des Kaisers Erblande, so muß er schlagen. Und diese Schlacht bringt die Entscheidung. Geht sie dem Kaiser verloren, so ist er am Ende! Dann ist der Friede nahe!«
»Und wenn er sie gewänne?«
Bernhard antwortete nicht sogleich. Dann sagte er langsam: »Das wäre in Wahrheit ein furchtbarer Schlag für uns. Verloren wären wir ja auch dann noch nicht, aber die Frucht dreijähriger Kampfesmühen wäre dahin, das Ringen müßte von neuem anheben. Aber ich glaube nicht mehr an den Stern des Friedländers. Der große Feldherr ist zum Diplomatikus geworden, erwartet alles von Verhandlungen, statt mit dem Schwerte dreinzuschlagen. Noch weiß ich's nicht bestimmt, aber man munkelt, daß er auf eigene Faust mit dem sächsischen Fuchse Frieden schließen und den Kaiser und uns so zum Frieden zwingen wolle.«
»Wie, Bernhard?« rief die Prinzessin freudig überrascht. »Das wäre ja herrlich! Da müßtest du ihm ja alle Förderung angedeihen lassen!«
Bernhard lachte. »Träume eines kranken Hirns! Er ist ein Mensch, der nach den Sternen schaut und dabei nicht merkt, wie ihm der feste Boden unter den Füßen schwindet. In Wien ist seine Stellung schon ganz unterwühlt, und in seinem Heere schleicht der Verrat heimlich durch die Reihen. Sollte er so wahnsinnig sein, große Politik machen zu wollen ohne den Kaiser oder gar gegen ihn, so erlebt er den Winter schwerlich. Er muß mir vor die Klinge, oder er ist ein verlorener Mann.«
»So laß uns denn auf Gott hoffen und seiner Gnade trauen!« rief die Prinzessin und schmiegte ihr blondes Haupt innig an seine Brust. »Sein Rat ist wunderbarlich, aber er führt es herrlich hinaus!«
»Amen,« sagte der Herzog. »Wir haben nicht umsonst als Kinder gelernt, was ein deutscher Fürst in großer Drangsal gesungen hat:
Er hilft aus Not, der fromme Gott, und züchtiget mit Maßen.
Wer Gott vertraut, fest auf ihn baut, den wird er nicht verlassen!
Daran wollen wir uns halten, und das soll unsers Lebens Grund sein, jetzt und alle Tage. Und siehe, dort kommt der Mann, der mich das gelehrt hat!«
Er wies auf Hortleder, der aus dem Schlosse getreten war und suchend um sich blickte. Als er die beiden hinter dem Gebüsch auf der Steinbank bemerkte, kam er eilfertig heran. Der Herzog stand auf und ging ihm ein paar Schritte entgegen.
»Nun, Doktor, wie ist's geglückt?«
Hortleder rieb sich die Hände und lächelte verschmitzt. »Seine Fürstliche Gnaden Herzog Wilhelm lassen Seine Fürstliche Gnaden Herzog Bernhard zum Abendessen und einem nachfolgenden Trunke einladen!«
Die Prinzessin sprang mit einem Freudenrufe auf. »Das ist die Versöhnung! Gott sei Lob und Preis!«
»Wir haben auch«, fuhr Hortleder fort, »einen reitenden Boten nach Kapellendorf geschickt, wo Herzog Ernsts Liebden weilt. So werden also hoffentlich heute drei Herzöge von Sachsen-Weimar wieder einmal beisammen sitzen. Herzog Albrecht ist mit seiner jungen Frau nach Altenburg gefahren, sonst könnte gleich ein fürstbrüderlicher Kongreß eröffnet werden.«
»Hortleder!« rief Bernhard und faßte des Vertrauten Hand. »Es ist mir doch sehr lieb, daß es so gekommen ist. Ich mußte meinem Bruder weh tun, konnte es nicht vermeiden, aber im Herzen war mir's immer leid.«
»Ihr habt ihm einen großen Dienst getan,« erwiderte der alte Rat und Professor. »Ihr habt ihn auf den Weg gewiesen, nicht ohne Gewalt, den er nach Gottes Willen gehen soll. Herzog Wilhelm ist von der Natur zu einem exzellenten Regenten und Landesvater geschaffen, aber ein Feldherr ist er nicht. Gerade darauf hatte er sich indessen kapriziert, wie so viele Menschen ihr Talent verkennen. Nun habt Ihr ihn kuriert, die Feldherrnrolle muß aus sein, und es kommt wohl die Stunde, da er Euch das danken wird.«
Sie hatten sich während dieser Rede dem Schlosse genähert. Droben am Fenster erschien das Antlitz der Herzogin Eleonore, und als Bernhard den Hut zog und hinauf grüßte, erhielt er ein sehr gnädiges Kopfnicken und ein huldvolles Lächeln als Gegengruß.
»Es ist gutes Wetter bei Wilhelm,« sagte Gundel vergnügt. »Ihr Mann ist die Sonne, und sie ist wie ein Laubfrosch, der anzeigt, ob die Sonne scheinen will oder nicht.«
Die beiden Männer lachten. »Nun,« rief Bernhard, »so wird es hoffentlich noch ein herzerfreuender Abend im väterlichen Schlosse. Denn morgen um diese Zeit hoffe ich schon wieder die Türme der Coburg zu sehen.«