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»Der König von Frankreich hat mit Richelieu um fünfhundert Dublonen gewettet, daß der Herzog von Weimar Breisach nicht angreifen werde. Er meint. Eure Fürstliche Gnaden würden sich ins Reich machen und diese Festung links liegen lassen, da sie, wie verständige Kriegsleute ihm versichert hätten, uneinnehmbar sei.«
So sprach zu Herzog Bernhard der Schweizer Hans Ludwig von Erlach, der auf einem starken braunen Pferde neben ihm dahinritt, als das weimarische Heer sich der Stadt und Festung Breisach näherte. Er war erst vor kurzer Zeit in des Herzogs Dienste getreten, und zwar aus reiner Begeisterung für Bernhards Person, in dem er den Vorkämpfer des reinen Evangeliums und den Hauptfeind des Hauses Habsburg sah. Er war wohl acht Jahre älter als Bernhard und hatte ein unglaublich bewegtes Leben hinter sich, hatte in Italien, Böhmen, den Niederlanden, in Ungarn und Deutschland auf den verschiedensten Schlachtfeldern gestanden, war dreimal in Gefangenschaft gewesen, hatte dem Winterkönig, dem Mansfelder und endlich Gustav Adolf gedient als ein geschworener Feind des Hauses Habsburg, in dem er eine Hauptstütze des Teufels in der Welt erblickte. Dann war er in seine Vaterstadt Bern zurückgekehrt, wo man ihn sogleich in den großen Rat wählte und mit den wichtigsten diplomatischen Geschäften betraute. Denn Erlach war nicht nur ein tüchtiger Kriegsmann, sondern auch ein überaus kluger und zäher Politikus, ein so gewandter Unterhändler, daß er auch in der schwierigsten Lage noch für die Partei, die er vertrat, einen Vorteil herauszuschlagen wußte. Deshalb hatte ihn Bernhard als seinen Gesandten nach Paris geschickt und hatte es nicht zu bereuen, denn Erlach wußte den allmächtigen Kardinal und seinen Pater Joseph persönlich für sich einzunehmen und erreichte mehr von ihnen, als jeder andere hätte erreichen können. Jetzt war er auf einige Tage zum Heer gekommen, um geheime Weisungen vom Herzog zu empfangen, die nur mündlich gegeben werden konnten. Der Herzog hatte ihn, während er bei ihm verweilte, noch kaum von seiner Seite gelassen, denn es war ihm eine Freude, sich mit einem halbwegs ebenbürtigen Geiste unterhalten zu können, und er vertraute ihm unbedingt. Erlach diente ihm ohne jeden Eigennutz, oder vielmehr, er diente überhaupt nicht einem Menschen zu Gefallen, sondern um der protestantischen Sache eine Förderung angedeihen zu lassen. Er hätte daheim in seiner Vaterstadt als reicher und unabhängiger Mann in Ruhe und Behagen leben können.
So sprach Bernhard ihm gegenüber seine Meinung über Menschen und Dinge mit aller Deutlichkeit aus, und darum erwiderte er auch jetzt auf seine Worte ganz ungeschminkt: »Wißt, Erlach, der König von Frankreich versteht vom Kriegswesen nicht viel mehr als ein Pferd, und die verständigen Kriegsleute, die ihn beraten, sind Pfaffen und alte Weiber.«
Der Schweizer lachte. »Da haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen! Wie kann ein Mensch, der Eure Fürstliche Gnaden kennt, meinen, Sie würden Breisach in des Kaisers Händen lassen! Wie kann man dem Eroberer Regensburgs zutrauen, er werde eine Stadt nicht angreifen, weil die Sage geht, sie sei uneinnehmbar! Nun vollends eine Stadt, die wichtiger ist als irgendein anderer fester Platz in Europa! Wer Breisach hat, der hat den Schlüssel zu Burgund, der kann leicht verhindern, daß die Spanier in den Niederlanden und in Italien miteinander kommunizieren. Er hat das Zeughaus des Elsaß, den festesten Paß über den Rhein, eine Zwangskette, an der alle benachbarten Lande hängen.«
»So spricht der Feldherr, der in Euch steckt. Erlach,« erwiderte der Herzog und blickte dem vertrauten wohlgefällig in das kluge Gesicht. »Ich wollte, ich könnte Euch immer um mich haben.«
»Ich wäre auch am liebsten bei Eurer Gnaden im Lager. Mir ist da viel wohler zumute, wo die Kartaunen krachen, als wo geschrieben und geflüstert und konspiriert wird. Aber ich acht', ich sei Ihnen mehr von Nutzen in Paris als hier.«
»Das seid Ihr ohne Zweifel, Erlach. Setzt nur bei Eurer Rückkehr nach Sodom alles daran, daß sie mir von dort die versprochenen Hilfsgelder bald schicken, denn mir muß jetzt alles daran liegen, meine Leute bei gutem Humor zu erhalten. Sie kommen abgerissen und ermattet hierher und haben ein schweres Werk vor sich.« Er bog sich im Sattel zu ihm hinüber und fuhr flüsternd fort: »Vor allen Dingen macht den Kardinal glauben, daß ich Breisach für Frankreich erobere. Wenn er wähnt, die Früchte meines Sieges einzuheimsen, so wird er willig Geld geben.«
»Ach, Fürstliche Gnaden,« erwiderte Erlach, »ein Zweifel daran ist ihm noch gar nicht in den Sinn gekommen. Die ungeheure Kühnheit, diesen Platz selber behalten und behaupten zu wollen, traut er Ihnen wohl nicht zu, wie er denn überhaupt wenig ahnt von Ihren großen, weitausgreifenden Plänen.«
»Er ahnt wohl immer noch viel zu viel davon. Hielte er mich für ungefährlich, so hätte er mich besser unterstützt. Aber er hat mir nicht den dritten Teil von dem gehalten, was er mir feierlich versprochen und geschworen hat. Er wollte mich nicht zu mächtig werden lassen. Damit hat er sich freilich nur ins eigene Fleisch geschnitten, denn das entbindet mich jeder Rücksicht auf Frankreich. Ich habe oftmals geseufzt und gestöhnt und geflucht über die Treulosigkeit der Franzosen, ja, ich bin darüber zweimal vor Ärger krank geworden. Jetzt aber sehe ich, daß es Gott so gefügt hat. Wäre mir der König ein wahrer Helfer und treuer Freund gewesen, so fesselten mich jetzt Ehre und Gewissen an ihn. Weil er aber an mir gehandelt hat wie ein eidbrüchiger Halunke, so kann ich ruhig meine eigenen Wege verfolgen. Und der Kardinal weiß wohl, daß ich mich über ihn und seinen König schwer zu beklagen habe. Er hat gegen mich ein schlecht Gewissen, soweit man bei ihm von einem Gewissen reden kann, und darum beargwöhnt er alle meine Schritte.«
»Trotzdem – was Eure Fürstliche Gnaden vorhat, das ahnt er nicht. Es wird eine bittere Stunde für ihn, der auf seine große Klugheit so eitel ist, wenn er einsehen muß, daß er an einen Klügeren und Kühneren gekommen ist.«
»Ja, von da ab mag ich mich vor seiner Rache hüten!«
Erlach fuhr zusammen. Ein jähes Erschrecken spiegelte sich in seinen Zügen wieder. »Da wollen Eure Fürstliche Gnaden nur recht auf Ihrer Hut sein! Die Rache des Kardinals schleicht im Finstern. Er schreckt vor nichts zurück, am wenigsten einem Ketzer gegenüber.« Er schwieg eine Weile und blickte sinnend mit gerunzelter Stirn vor sich hin. Dann fragte er halblaut, aber mit großer Lebhaftigkeit: »Ist es wahr, Fürstliche Gnaden, daß Sie den Arzt noch bei sich haben, den Ihnen Richelieu empfohlen und zugeschickt hat?«
»Das ist wahr, Erlach. Er hat mich, als ich in Paris war, sehr schnell von einem Gallenfieber befreit, an dem ich zuweilen leide. Ich habe ihn in meinen Dienst genommen.«
»Den schafft' ich auf der Stelle ab, Fürstliche Gnaden!«
»Warum? Ihr meint doch nicht, – nein. Erlach, da seid Ihr auf einer falschen Fährte. Der Mann ist Euer Landsmann und Glaubensverwandter. Er stammt aus Genf.«
»So? Nun, die Landsmannschaft ist wohl nur zufällig. Er ist aus Welschland nach Genf gekommen, denn er heißt Blandini. Er trägt also italienisches Blut in den Adern. Gefährlich, Fürstliche Gnaden! Haben Sie von der Aqua Tofana gehört, die dieses Volk zu bereiten versteht?«
»Ach, Erlach, was dichtet Ihr Euch da zusammen! Er hat mich schon zweimal mit großem Geschick kuriert.«
»Jetzt liegt dem Kardinal daran, daß Eure Fürstliche Gnaden gesund sind. Später wird ihm am Gegenteil gelegen sein,« sagte Erlach bedeutungsvoll.
»Ihr krächzt ja wie ein Unglücksrabe, Erlach. Ich sage Euch, er ist ein treuer Protestant, führt seine Bibel mit sich und liest jeden Tag darin.«
»Das kann eine Maske sein. Vielleicht ist er insgeheim Jesuiter.«
Der Herzog schüttelte den Kopf. »Nein, Erlach. Ich sehe dem Menschen zumeist an, was ihm im Gemüte steckt. Der sieht nicht aus wie ein Verräter.«
»Ich kann den Mann nicht beschuldigen und möchte ihn nicht verdächtigen, denn ich kenne ihn nicht weiter als vom Ansehen. Aber einen Arzt, den mir der Kardinal gesandt hätte, den duldete ich, wenn ich Eure Fürstliche Gnaden wäre, nimmermehr in meinem Lager. Schafft ihn bei Zeiten ab, Fürstliche Gnaden!«
»Ich will ihn überwachen lassen, Erlach,« erwiderte der Herzog ausweichend. »Findet sich etwas Verdächtiges, so schicke ich ihn fort. Einen Unschuldigen, der mir noch dazu durch seine Geschicklichkeit wohlgetan hat, will ich durch plötzliche Entlassung nicht kränken.«
»Dann möcht' ich fast wünschen, es fände sich etwas Verdächtiges,« sagte Erlach hartnäckig. »Eine Kreatur des Kardinals in Ihrer Umgebung zu wissen, wird mir immer ein fataler Gedanke sein.«
Der Herzog lachte. »Ihr seid ein Dickkopf, Erlach, und wollet durchaus Recht behalten. Nun, ich verspreche Euch –«
Ein donnerndes Krachen von der Festung her machte ihn jäh verstummen. Sein Pferd bäumte sich hoch empor, und ein Regen von kleinen Erdstücken überschüttete die beiden. Ein gewaltiges Geschoß war dicht vor ihren Füßen in die Erde eingeschlagen.
Ohne Besinnen riß der Herzog sein Roß herum und jagte auf seine Truppen zurück, denen er mit Erlach weit vorausgeritten war. »Halt!« schrie er. »Nicht weiter vorgehen!« und als Erlach, der mühsam seinen Gaul hatte bändigen müssen, herankam, rief er ihm entgegen: »Donner und Hagel, Erlach, das hätte schön ablaufen können. Ich hätte nicht gedacht, daß sie Rohre haben, die so weit tragen.«
»Ich hätte daran denken sollen, denn ich wußte es,« brummte Erlach. »Ich war vor zwanzig Jahren einmal drin. Schon damals war Breisach besser armiert als jeder andere Platz, den ich kenne.«
»Nehmen wir uns eine Lehre daraus!« sagte der Herzog. »Das Lager kommt drei- bis vierhundert Schritte weiter rückwärts, als ich's eigentlich aufschlagen wollte. Wietersheim, tut den andern Obristen zu wissen, daß die ganze Armee halt macht und nicht weiter vorrückt. Dort sollen die Wachen und dort hinten die Zelte aufgestellt werden! Ihr, Erlach, kommt noch einmal mit mir!«
Er ritt etwas abseits auf eine kleine Bodenerhebung hinauf, die außerhalb des Feuerbereichs der Festung lag. »Das also ist Breisach, nach dem ich mich so lange gesehnt habe,« sagte er. »Nun, trutzig und gewaltig genug sieht's aus mit seinen Mauern, die sich dreifach übereinander erheben, und mit den vielen Türmen – nicht wie eine Stadt liegt es da, sondern wie ein ungeheures Schloß. Was ist das für ein Bau da drüben – der mit den zwei spitzen Türmen?«
»Das ist das Münster, Fürstliche Gnaden. Von dort aus läuft über das Plateau hin die breite Hauptstraße der Stadt bis zu der Burg. Fürstliche Gnaden sehen den dicken, viereckigen Turm da drüben. Das ist der Hauptturm der Burg.«
»Und der schlanke Turm gerade zwischen Schloß und Münster in der Mitte?«
»Der überdacht den tiefen Brunnen, aus dem sie das Trinkwasser emporwinden. Denn das Rheinwasser ist nicht zum Trinken gut. Die Leute werden krank davon.«
»Mit Wasser sind sie also wohlversorgt, mit Brot aber nur auf etwa acht Wochen,« sagte der Herzog. »Das weiß ich genau durch meine Kundschafter. Proviant für weitere acht Wochen, der hier eingeworfen werden sollte, habe ich bei Wittenweier durch Gottes Gnade genommen. Länger können sie also nicht widerstehen, aber so lange werde ich wohl auch hier liegen müssen. Denn meine Augen bestätigen mir, was mir das Gerücht schon lange zugetragen hat, daß diese Feste fast uneinnehmbar ist. Sie muß zerniert werden. Kommt, Erlach, wir wollen frühstücken und dann an unser Tagewerk gehen.«
Was der Herzog unter seinem Tagewerke verstand, sollte Erlach mit Staunen innewerden. Nach einer Rast von ungefähr einer halben Stunde bekümmerte er sich zuerst um die Absteckung und Einrichtung des Lagers, und während die Truppen an die Schanzarbeit gingen, umritt er mit dem Oberstleutnant Kluge, der seine Artillerie befehligte, und dem Obristen Schönebeck die Feste von allen Seiten und beriet eingehend mit ihnen, wo und wie die Schanzen und Gräben angelegt, die Batterien aufgestellt werden sollten. Darüber verrann eine Stunde nach der andern. Erlach, der im Zelte zurückgeblieben war, um allerhand Schreibwerk zu erledigen, blickte mit immer mehr steigender Unruhe nach der Uhr und freute sich, daß er nicht mitgeritten war. Denn der Himmel stand in wolkenloser Bläue über dem Rheintale, und die Strahlen der Sonne brannten in sengender Glut hernieder, so daß die Soldaten längst ihre Harken und Schaufeln weggeworfen hatten und hinter Hecken und Zäunen lagerten, um da die kühlere Abendzeit zu erwarten.
Endlich nach vier Uhr kehrte der Herzog zurück. Er zeigte keine Erschöpfung, nur war er ungewöhnlich blaß.
»Es ist, wie ich mir's beim ersten Anblick gedacht habe, Erlach,« sagte er, vom Rosse steigend. »Die Jakobsschanze jenseits des Rheins ist leicht zu stürmen, wenn sie vorher tüchtig beschossen und demoliert wird. Aber damit haben wir nicht viel. Die Feste gewinnen wir schwerlich durch Sturm, da muß der Hunger das Beste tun. Habt Ihr den Brief aufgesetzt an die Landgräfin von Hessen?«
»Ja, Fürstliche Gnaden, er ist fertig. Soll ich ihn holen?«
»Jetzt nicht. Erlach, ich muß erst eine Stunde ruhen. Dann wollen wir ihn durchgehen und dann essen. Bis dahin Gott befohlen!«
Er trat in sein Zelt, das aus mehreren Abteilungen bestand und dicht neben Erlachs Zelt errichtet war. Als der Herzog die Vorhänge zurückschlug, um einzutreten, sah Erlach, wie ihm ein kleiner Mann entgegentrat, der eine Kristallschale in der Hand hielt. Wo hast du diesen Menschen schon einmal gesehen? dachte Erlach, als der Türvorhang niedergefallen war, und es fiel ihm nach einer Weile ein, daß der Mann eine starke Ähnlichkeit mit den Bildern besaß, die den großen Reformator Calvin darstellten. Es war dasselbe feine Gesicht mit der geraden Nase, den dürren Lippen und den durchdringenden, bohrenden Augen, und auch der lange Kinnbart fehlte nicht. Da überdies die Kleidung der des Reformators gleich war, so konnte man wohl annehmen, daß der Mann die Ähnlichkeit künstlich zu steigern trachtete.
Das war ohne Zweifel Blandini, den Richelieu dem Herzog gesandt hatte, obwohl der Arzt Hugenotte war. Das Äußere dieses Mannes war allerdings nichts weniger als verdachterregend, und es wurde ihm erklärlicher, daß der Herzog ihn in seinen Diensten behielt.
Er wollte eben in sein Zelt eintreten, als er plötzlich stehen blieb und den Kopf lauschend emporrichtete. Aus dem Zelte des Herzogs war ein leiser Ruf erklungen, und gleich darauf öffnete sich der Türvorhang, und der Arzt stürzte mit allen Zeichen höchster Aufregung heraus.
Blitzschnell vertrat ihm Erlach den Weg. »Wohin? Was ist geschehen?«
»Der Herzog ist ohnmächtig. Ich muß ihm zur Ader lassen, hole die Instrumente!« stieß der Arzt hervor und wollte an Erlach vorüber; aber der faßte ihn am Arm und hielt ihn fest. »Nicht von der Stelle!« rief er.
Blandini blieb ruhig stehen und blickte ihn fast verächtlich an. »Was soll das?« sagte er. »Meint Ihr, ich wolle dem Herzog ein Leids antun?«
Dieser kühlen Sicherheit gegenüber wurde Erlach schwankend. »Dort steht die Wache,« sagte er. »Ein Ruf von mir, und sie ist hinter Euch her. Aber noch brauch' ich sie nicht. Tretet zurück ins Zelt! Ich will den Herzog sehen.«
»Auf Eure Verantwortung« erwiderte Blandini kalt und trat hinein. Der große Raum war leer. Nur ein Tisch mit etlichen Stühlen war zu sehen. Auf dem Tische stand die noch halbgefüllte Schale.
»Wo ist der Herzog?« fragte Erlach.
Blandini schob einen Vorhang zurück. »Hier!«
Erlach trat näher und sah den Herzog auf seinem Ruhebette liegen mit geschlossenen Augen und geisterhaft bleichem Antlitz. Er hatte das Aussehen eines Toten.
»Mensch!« zischte Erlach, den seine gewöhnliche Ruhe ganz verlassen hatte, »Mensch, du hast ihn vergiftet. Ich habe gesehen, wie du ihm die Schale dort reichtest!«
Der Arzt fuhr auf und schoß einen Wutblick auf seinen Ankläger, aber er gewann sofort seine kalte Ruhe wieder.
»Ja, die habe ich ihm gegeben,« sagte er höhnisch. »Sie enthielt zur Hälfte Wasser, zur Hälfte Wein und den ausgedrückten Saft einer Limone. Das Getränk, sehr erfrischend und wohlschmeckend, mein Herr, nimmt der Herzog jedesmal aus meiner Hand entgegen, wenn er von einem anstrengenden Ritte zurückkehrt. Es ist sehr gesund, mein Herr, und Ihr erlaubt wohl, daß ich's Euch beweise.«
Er schritt zu dem Tische, faßte die Schale mit beiden Händen und trank den ansehnlichen Rest bis auf die Nagelprobe aus. »So, mein Herr,« sagte er, indem er sich auf einen Stuhl niederließ, mit einem Spottlächeln, »nun warten wir ab, ob mich das Gift tötet. Inzwischen hat Monsieur wohl die Güte, Seiner Durchlaucht die Ader zu schlagen.«
Erlach ging die bittere Erkenntnis auf, daß er eine törichte Übereilung begangen habe. Der Mann hatte dem Herzog sicherlich nichts Böses zugefügt, und er durfte ihn nicht abhalten, seine Kunst an dem Kranken zu üben.
»Geht und holt Eure Instrumente,« sagte er mürrisch, und da er ein gerecht denkender Mann war, fügte er mit Überwindung hinzu: »Es ist mir leid, daß ich Euch fälschlich bezichtigt habe.«
»Der Herr befiehlt uns, denen, die uns beleidigt haben, siebenmal siebzigmal zu vergeben,« erwiderte der Arzt und verschwand dann lautlos aus dem Zelte.
Erlach blickte ihm mit neuerwachtem Argwohn nach. Er hatte das Gefühl, daß die frommen Worte dem Manne nicht aus dem Herzen gekommen waren. Der harte Glanz seiner Augen schien ihm das Lügen zu strafen, was seine Lippen sprachen.
Er setzte sich schweigend neben den Herzog ans Lager und erfaßte seine Hand. Sie war kalt, und der Puls ging nur schwach. Wie war das zu erklären? Was war über den kräftigen Mann gekommen? War es der Anfang einer Krankheit? Dann kam sie wahrlich zur ungelegensten Zeit. Die Belagerung Breisachs erforderte einen gesunden Mann, der großen Anstrengungen gewachsen sein mußte, denn es handelte sich nicht nur darum, die Stadt einzuschließen. Das war das wenigste, das konnten Öhme oder Wietersheim oder sonst einer der Obristen ebenso gut besorgen. Wer diese Stadt belagern und gewinnen wollte, der mußte die große Macht über die wilde Soldateska besitzen, die der Herzog besaß. Unter einem Führer von schwächerer Kraft brachen sicherlich im Laufe von vier Wochen Meutereien aus, denn nichts war den Mannschaften so unlieb, wie das lange Liegen vor einer festen Stadt in ausgesogener Gegend, zumal wenn sie nicht auf große Beute hoffen durften. Außer dem, der da still und bleich auf seinem Bette lag, lebte zurzeit überhaupt kein Feldherr, der seinen Truppen so etwas zumuten durfte. Ferner mußte damit gerechnet werden, daß der Kaiser das Letzte, das Äußerste versuchen werde, dieser Stadt Entsatz zu schaffen. Die Schlachten bei Rheinfelden und Wittenweier hatten dem weimarischen Heere den Weg nach Breisach geöffnet; dort sich behaupten konnte es wahrscheinlich erst dann, wenn es noch ein drittes kaiserliches Heer zurückzuwerfen vermochte. Zu dem allen war der Herzog unentbehrlich, schlechterdings keiner, auch er selbst nicht, vermochte ihn zu ersetzen. Vor der Hand mußte seine Krankheit, wenn es irgend anging, dem Heere verheimlicht werden.
Der Wiedereintritt Blandinis unterbrach ihn in seinem Gedankengange. Der Arzt kam nicht allein, er brachte noch einen mit, einen Mann von beträchtlichem Leibesumfang, mit einer Regennase und so vergnügten Gesichtszügen, daß es ihm trotz aller Anstrengung ganz und gar nicht gelang, sich einen Schein von Ernst und Würde zu geben. Ein Feldscher kam nach ein paar Augenblicken auch noch ins Zelt gekeucht. Er hatte eben bei einem Spielchen gesessen.
»Mein Kollega, Herr Doktor Schmidt, wird Seine Durchlaucht zur Ader lassen,« sagte Blandini. »Den Herrn General darf ich wohl bitten, mit mir hinauszugehen. Seine Durchlaucht lieben es gar nicht, wenn sich in solchen Fällen andere Leute als Ärzte in seiner Umgebung befinden.«
»In solchen Fällen?« fragte Erlach verblüfft. »Ist das Seiner Fürstlichen Gnaden schon öfters passiert?«
»Mehrfach. Die Durchlaucht sind leider nicht ganz gesund. Sie leiden an Gallenfieber, wenn dieselben sich ärgern, und sie sind Ohnmächten ausgesetzt, wenn sie sich übermäßig anstrengten.«
»Zum Henker,« brummte Erlach, »seit wann ist das so?«
»Seit ich die Ehre habe, die Durchlaucht zu kennen.«
»Dauert das lange?«
»Nach einer Ohnmacht erholt sich die Durchlaucht gewöhnlich auf der Stelle. Die Fieber dauern zwei bis drei Tage.«
Erlach neigte kurz das Haupt gegen ihn und trat ins Freie. Beinahe wäre er noch einmal umgekehrt, um ihn zu fragen, ob eine direkte Gefahr für den Herzog vorliege, und ob er bei einem solchen Anfalle nicht einmal ganz wegbleiben könne, aber er unterließ es, denn der Mann war ihm zuwider. Er schritt mit gesenktem Haupte hinüber in sein Zelt, setzte sich still in einen Feldstuhl und begann zu grübeln. Der Herzog war leidend, die ungeheuren Aufregungen und Strapazen der vielen Kriegsjahre hatten seine Gesundheit untergraben. Was sollte werden, wenn ihm einmal etwas Menschliches begegnete? Wer sollte, wer konnte seine Erbschaft antreten? Seine Brüder? Die waren nicht die Leute dazu, auch waren sie mit dem Kaiser versöhnt. Einer der Generale des Heeres? Taupadel war gefangen, von den übrigen war keiner mehr als ein tüchtiger Soldat. Also Frankreich oder Schweden – eine andere Wahl gab es nicht.