Paul Schreckenbach
Der getreue Kleist
Paul Schreckenbach

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II

Vier Tage später kehrte Gleim im Gefolge seines Prinzen nach Potsdam zurück, und sein erster Gang galt dem neugewonnenen Freunde. Er hatte am Tage vorher ein Billett Kleists erhalten, das offenbar mit der linken Hand geschrieben war. Darin teilte ihm der Freund mit, daß er, obwohl seine Wunde zu heilen beginne, noch nicht imstande sei, Dienst zu tun, und daß er ihn zu jeder Tageszeit freudig willkommen heißen werde. Darum machte er sich sofort zu ihm auf den Weg, obwohl die Dämmerung schon hereingebrochen war und der Mond zwischen weißem Federgewölk am Himmel stand.

Er schritt eilig die enge Gasse hinab, die zum Havelufer führte, aber plötzlich hemmte er seinen Schritt. Vor der Kleistschen Gartentür hielt ein Wagen, eine kleine halbverdeckte Kalesche, die mit zwei mageren Schimmeln bespannt war. Er entsann sich, daß die prinzliche Kutsche dieses kleine Gefährt auf der Fahrt von Berlin hierher überholt hatte, ohne daß er des Insassen gewahr geworden wäre.

»Verwünscht!« murmelte er. »Kleist hat Besuch. Da wird es besser sein, ich trolle mich wieder.« Der Gedanke war ihm sehr fatal, gerade jetzt beim Wiedersehen einen gleichgültigen Dritten in den Zimmern des Freundes vorzufinden und höfliche Redensarten mit ihm wechseln zu müssen.

Aber während er noch unschlüssig stand und ärgerlich nach dem Wagen hinblickte, nahm plötzlich sein Gesicht den Ausdruck des äußersten Erstaunens an. Denn aus dem Schatten einiger nahestehender Bäume hervor trat ein Mann, den er wohl kannte, und dessen Erscheinen an diesem Orte und zu dieser Stunde ihn verblüffte, ja geradezu erschreckte. Schleunigst zog er sich in das Dunkel eines Torweges zurück, um nicht erkannt zu werden; denn blitzschnell schoß ihm der Gedanke durch den Kopf, daß hier etwas Abenteuerliches vorgehe, worin möglicherweise, ja höchstwahrscheinlich sein Freund verwickelt sei oder verwickelt werden solle.

Klopfenden Herzens wartete er eine Weile, was sich wohl ereignen würde. Aber es geschah nichts, nur schritt jener Herr langsam, wie zufällig an den Wagen heran und knüpfte mit dem Kutscher ein Gespräch an. Das kam denn auch sogleich in Gang; Gleim konnte erkennen, wie der redselige Berliner auf dem Bock gestikulierte, konnte aber kein Wort verstehen. Schon begann er, ungeduldig zu werden und trat unruhig von einem Beine auf das andere. Da sah er, wie mit einem Male der Herr mit einer hastigen Bewegung den Hut berührte und sich eilig in den Schatten zurückzog, aus dem er aufgetaucht war. Gleichzeitig trat aus der Tür eine hohe Frauengestalt, die fest in einen schwarzen Mantel und Kapuze gehüllt war, und von der er zunächst weiter gar nichts wahrnehmen konnte. Aber als sie sich rasch in den Wagen schwang, streifte sich die Kapuze einen Augenblick zurück, und er erkannte das Antlitz, glaubte wenigstens, es zu erkennen.

»Bin ich denn toll geworden?« dachte er ganz perplex und starrte der Kalesche nach, die schnell über den holprigen Damm rollte. Das war doch – konnte es möglich sein? – die Malachowska, die Schauspielerin, die er vor einigen Wochen unter der Komödiantentruppe am Stallplatze in Berlin hatte spielen sehen? Was tat sie hier? Sie war in Kleists Hause gewesen, das litt keinen Zweifel. War sie etwa seine Geliebte?

Der Gedanke war ihm überaus peinlich, es ward ihm ganz heiß dabei. Gott, etwas Wunderbares wäre das ja freilich nicht gewesen. Die jungen Offiziere hatten fast alle ihre Amours mit kleinen Bürgermädchen, Sängerinnen oder Tänzerinnen. Man dachte über solche Dinge sehr frei in Berlin und anderswo fast noch freier. Selbst Seine Majestät war da gar nicht rigoros, drückte gern ein Auge oder beide zu, ja es schien ihm, leider Gottes, sogar lieber zu sein, als wenn sich seine Offiziere verheirateten. Auch er selbst, Wilhelm Ludwig Gleim, war gewiß kein Pedant, sondern ein junger Mann von Welt – aber bei Kleist, seinem Kleist, war das doch etwas anderes! Den konnte und mochte er sich nicht denken als Galan einer Komödiantin, verstrickt in eine unwürdige Liebschaft, bei der er doch nur der Betrogene einer Kokette oder der Verführer eines Mädchens sein konnte. Und was hatte nun vollends dieser Herr bei der Sache zu tun, der jetzt schnell die Straße herauf und dicht an seinem Verstecke vorüber kam? Er hatte sich nicht geirrt, er erkannte mit aller Deutlichkeit das verlebte Gesicht mit den scharfen Zügen und den pechschwarzen, stechenden Augen, auf das ihn sein Prinz vor wenigen Tagen aufmerksam gemacht hatte. Was suchte dieser Mensch hier? War er vielleicht der Nebenbuhler um die Gunst jener Theaterdame, oder sollte sein Freund in eine schlimme Falle gelockt werden?

Der Gedanke trieb ihn an, daß er mit einem Male vorwärts stürmte, denn der Freund mußte unverzüglich gewarnt werden. Ziemlich atemlos kam er in Kleists Wohnung an, wo eben der Diener ein opulentes Abendessen auf den Tisch stellte.

Kleist ging ihm entgegen und umarmte ihn mit der größten Herzlichkeit. Er tat es freilich nur mit dem linken Arm, denn den rechten trug er noch immer in der Binde. »Seien Sie mir herzlichst willkommen, lieber Gleim,« sagte er mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme. »Ich war überzeugt, daß Sie noch kommen würden, und habe deshalb mit dem Essen auf Sie gewartet. Ein paar gute Flaschen stehen auch bereit. Eben habe ich eine Dame zur eiligen Retraite gebracht, damit, daß ich ihr sagte, ich erwarte jede Minute einen Freund. Es freut mich, daß ich keine Lüge geredet habe.«

Er sagte das vollkommen harmlos. Gleim, der eine ganz andere Haltung erwartet hatte, sah ihn so verdutzt und zugleich erfreut an, daß Kleist in ein lautes Lachen ausbrach.

»Ah!« rief er, »Sie sind ihr begegnet und haben natürlich gleich etwas Böses gedacht. Gestehen Sie! Sie glaubten, mich als Suitier entlarvt zu sehen. Wie?«

»Ja, verehrter teurer Freund, wie konnte ich etwas anderes denken? Die Damen vom Theater sind im allgemeinen als nicht allzu spröde bekannt.«

»Wie? Sie kennen sie?« fragte Kleist betroffen.

»Ich gehe in Berlin zuweilen in die deutsche Komödie und habe sie neulich in einem Weißeschen Stücke gesehen. Ich wunderte mich, offen gesagt, des Todes, als ich sie aus Ihrer Tür treten sah.«

»Das will ich Ihnen bei Tische erklären. Jacques, stelle die Flaschen hierher. So. Du kannst nun gehen, wir brauchen dich heute nicht mehr. Geh meinetwegen in den ›Elefanten‹, aber besaufe dich nicht wieder wie das letzte Mal, sonst gebe ich dir Hausarrest. Hier hast du einen guten Groschen.«

Der Diener dankte, grinste und trat ab.

»So, nun sind wir entre nous,« sagte Kleist. »Bitte, greifen Sie zu. Diese Gänsebrust kann ich Ihnen empfehlen, sie ist von meinem Gute Ruschitz, und in der Fabrikation dieser Delikatesse ist Pommern allen Ländern über. Vor allem aber stoßen wir an auf unsere Freundschaft. Möge sie dauern bis zum Grabesrande!«

»Bis in Ewigkeit!« rief Gleim, und da er ein gefühlvoller Poet war, so konnte er nicht verhindern, daß bei diesen Worten seine Stimme merklich zitterte, und daß ihm gleich wieder die Augen voll Tränen standen. Doch hielt ihn seine Rührung nicht ab, den guten Gaben redlich zuzusprechen, die auf dem Tische seines Freundes standen. Sie plauderten nun eine Zeitlang sehr eifrig und angeregt über alle möglichen Dinge, bis Kleist fragte: »Haben Sie in Berlin nichts über die neuen Kriegsaussichten gehört? Sie als Sekretär eines großen Herrn müssen so etwas doch am ehesten erfahren. Seine Majestät soll ja schon angefragt haben, was die drohenden Rüstungen in Sachsen zu bedeuten hätten.«

Gleim lehnte sich zurück und sah sehr betroffen aus.

»Teurer Freund,« sagte er nach einer kleinen Pause, »bevor ich Ihnen diese Frage beantworte, tun Sie mir die Liebe und sagen Sie mir: In welchem Verhältnis stehen Sie zu Herrn von Dorpowski?«

Kleist blickte ihn verwundert an und entgegnete: »Zu Dorpowski? Eigentlich, Gott sei Dank, in gar keinem. Er ist ein Verwandter der zweiten Frau meines seligen Vaters und hat mir als solcher von Berlin aus eine Visite gemacht, die ich natürlich erwidern mußte. Er ist dann noch einmal dagewesen, hat mich aber nicht getroffen. Sonst habe ich ihn mehrmals im Hause einer Familie gesehen, in der ich verkehre, wenn ich in Berlin bin. Aber wie kommen Sie auf den, gelinde gesagt, widerwärtigen Menschen?«

»Ich sah ihn vorhin Ihr Haus umschleichen. Nein – ich irre mich nicht. Ganz deutlich habe ich ihn erkannt.« Er erzählte ihm die Szene, die er beobachtet hatte, und fügte hinzu: »Sofort beschloß ich, Sie vor dem gefährlichen Menschen zu warnen. Mein Instinkt sagte mir: Es droht Ihnen von ihm aus eine Gefahr.«

»Ach, er stellt vielleicht dem armen Mädchen nach, das bei mir war, und glaubt, ich sei sein Rival! Wahrscheinlich hat er irgendwoher erfahren, daß ich mich für sie geschlagen habe.«

»Sie haben sich für die Malachowska geschlagen?«

»Ja, aber ohne ihr Geliebter zu sein. Ich will Ihnen erzählen, lieber Freund, wie das alles zusammenhängt, muß mich freilich dabei ziemlich kurz fassen. Ich habe sehr früh meine Mutter verloren und hatte, als sie tot war, eigentlich keinen Menschen, der mir so recht nahe stand, außer etwa einem Informator, der jetzt Pastor in Pommern ist. Mein Vater war ein strenger Mann und steckte tief in Sorgen, mit meinem älteren Bruder verstand ich mich wenig. Da nahm sich meiner eine Schulmeisterswitwe an, die meine Amme und eine vertraute Dienerin meiner Mutter gewesen war. Bei ihr verlebte ich meine schönsten Stunden, mit ihrer Tochter, meiner Milchschwester, spielte ich jeden Tag. Nachher zogen sie aus dem Dorfe fort, und ich kam auf die Jesuitenschule nach Deutsch-Krone, wo ich viel lernte, aber im ganzen freudlose Jahre verbrachte. Dort sah ich das Mädchen flüchtig wieder und hatte um ihretwillen ein eigenartiges Erlebnis, das ich Ihnen einmal besonders erzählen will. Nun treffe ich sie wieder in Berlin. Sie sind, von einer unsicheren Hoffnung gelockt und betrogen, nach der großen Stadt gezogen, gerieten da in Not, die Mutter wurde gelähmt, was sollte die Tochter anfangen? Sie ist in einem adeligen Hause halb als Dienerin, halb als Gespielin des Fräuleins aufgezogen, zur Waschfrau also verdorben. So wurde sie Komödiantin, und als solche sah ich sie wieder. Sie hat den Namen ihrer Mutter angenommen, in Wahrheit heißt sie ganz anders. Ich suchte sie und ihre Mutter auf und erfuhr dabei, daß ihr ein Fähnrich meines Regiments nachstellte, sie geradezu verfolgte. Ich geriet deshalb mit dem Menschen aneinander, er wurde insolent, und der Schluß war eine Stecherei, wobei ich leider den kürzeren zog, ihn allerdings auch tüchtig zeichnete.«

»Mein Gott, und Sie lieben das Mädchen nicht einmal?« rief Gleim.

»Lieben? Nicht im mindesten. Ich bewahre ihr als der Gespielin meiner Kindheit und als meiner Milchschwester eine Art brüderliche Zuneigung. Das ist alles.«

»Und sind Sie ganz sicher, daß sie dieser Zuneigung würdig ist?«

Kleist lächelte. »Nein, dessen bin ich ganz und gar nicht sicher. Sie ist ja eine beauté, wenn auch nicht mein Genre, und sie hat heißes Blut in den Adern. Und dazu die unbeschützte Stellung! Hochwild für jedermann! Da müßte es ja ganz mirakulös zugehen, wenn sie nicht ihre Vergangenheit hätte. Sie wird wohl auch wie so viele erst durch Schaden klug geworden sein.«

»Ach, das meine ich nicht,« versetzte Gleim. »Aber halten Sie das Mädchen für ehrlich?«

»Ehrlich?« fragte Kleist erstaunt. »Was verstehen Sie darunter? Etwa, ob sie bei gegebener Gelegenheit Wäsche oder Silberzeug entwendet?

Gleim lachte, wurde aber gleich wieder ernst. »Nein, liebster Freund, so meine ich das nicht. Ich sehe schon, ich muß Ihnen reinen Wein einschenken, sonst können Sie mich gar nicht verstehen. Aber ich fordere Ihr Wort als Edelmann und Offizier, daß alles, was ich Ihnen jetzt sage, strengstens unter uns bleibt.«

Kleist hielt ihm verwundert die Hand hin. »Mein Wort! Das versteht sich von selbst.«

»Nun, so hören Sie. Als ich den Polen vor Ihrem Hause promenieren und gleich darauf die Demoiselle aus der Tür kommen sah, schoß mir der Gedanke durch den Kopf, die beiden könnten wohl zusammengehören und Sie in irgendein Abenteuer verwickeln wollen. Lachen Sie nicht, lieber Freund. Der Dorpowski ist nämlich« – hier dämpfte er seine Stimme zum Flüsterton herab – »ein verdächtiges Subjekt. Mein Chef hält ihn für einen sächsischen Spion, einen Agenten des Grafen Brühl. Sie wissen so gut wie ich, daß der in Sachsen allmächtige Minister ein wütender Feind unseres Königs ist, und daß er ebenso wie der Graf Kumnitz in Wien sehr gut bezahlte Spione und Geheimagenten in Berlin unterhält. Einer dieser Generalschurken scheint uns der Dorpowski zu sein. Noch wissen wir nichts Bestimmtes, noch kann er nicht gefaßt werden. Aber ich glaube, wir sind auf einer ganz sicheren Fährte.«

Kleist stand auf. »Donnerwetter!« sagte er. »Sollte der Kerl so tief gesunken sein? Unangenehm war er mir vom ersten Anblick an. Aber wer soll gleich so etwas von einem Menschen denken?«

»Auf jeden Fall hüten Sie sich vor ihm!« bat Gleim. »Gehen Sie ihm aus dem Wege. Weisen Sie ihn ab und seien Sie nie für ihn zu Hause. Natürlich, liebster bester Kleist, weiß ich, daß Sie sich nie zu etwas Zweideutigem brauchen lassen. Aber wenn der Mensch eines Tages verhaftet werden sollte, so könnte ein Verdacht auf Sie fallen, der Sie bitter kränken müßte.«

Kleist stand in tiefem Sinnen. »Sie haben recht,« sagte er nach einer Weile. »Für mich wäre das doppelt gefährlich, und ich will Ihnen erklären warum. Ich habe Ihnen schon vorhin aus meinem Leben etwas erzählt, ich will Ihnen, mein redlicher Freund, noch mehr erzählen. Denn Ihnen traue ich, und ich habe sonst niemand, dem gegenüber ich mich aussprechen möchte. Sie wissen, ich war dänischer Offizier. Ich mußte es werden, um des lieben Brotes willen. Mein Vater war sehr ins Dekrement geraten und wünschte es, weil er glaubte, ich würde dort rascher Fortüne machen, vornehmer Protektion halber. Ich fügte mich, denn ich sah die Notwendigkeit ein. Da lernte ich auf einer Werbereise in Polnisch-Preußen ein Mädchen kennen – oder nein, ich sah sie nach Jahren wieder, denn ich hatte sie schon als Kind gekannt, und sie hatte damals einen tiefen Eindruck auf mein Herz gemacht. Ich verliebte mich sogleich aufs heftigste in sie, denn sie erschien mir schön wie ein Engel, und ihre Charme und Anmut bezauberten mich. Ich fand Gegenliebe, und wir verlobten uns und schwuren uns ewige Treue. Aber nun ging die Qual an. Ich war ein armer Leutnant und sie ein wenig begütertes Fräulein, legten wir zusammen, was wir hatten, so war es immer noch zu wenig. Darum kam die Mutter meiner Braut auf den Gedanken, ich solle in polnischen oder sächsischen Staatsdienst treten; denn einer ihrer Schwiegersöhne war Kammerherr und Kriegsrat des Königs August. Mit ihm bin ich nach Dresden und nach Fraustadt gereist, wo damals die polnische Majestät Hof hielt. Ich habe alles mögliche versucht, suppliziert und antichambriert bei Brühl und Konsorten, aber es war alles vergebens. Hätte ich die Religion ändern wollen, so wäre es wohl gegangen. Nahe genug hat man mir's gelegt. Aber ich habe von der Jesuitenschule her einen unüberwindlichen Widerwillen gegen das katholische Wesen. Nimmermehr könnte ich mich in diese Geistessklaverei begeben. Und dann: Ich bin überzeugter Protestant.

Er ging an ein Tischchen heran und nahm ein sehr zerlesenes Buch heraus. »Sehen Sie, darin lese ich jeden Morgen und jeden Abend. Es sind die Lieder Paul Gerhardts, die mir mein Onkel Manteuffel schenkte, als ich siebzehn Jahre alt war. Das Christentum, das in diesen Liedern lebt, das ist mein Christentum, und das könnte ich nie verleugnen.«

Gleim drückte ihm kräftig die Hand. »Sie reden wie ein Mann und Christ. So habe ich mir meinen Kleist gedacht. Auch ich denke so. Ich will nicht sagen, daß ich mit allen Organen des Kirchenglaubens auf dem besten Fuße stände, aber ich lebe in täglichem Verkehr mit meinem Gott im Gebet, wie Sie, und finde darin eine unvergleichliche Aufrichtung des Gemütes und beständigen Antrieb zum Guten und also den Frieden des Herzens. Darum brauchen wir keine Priester und keine Beichte und kein Meßopfer. Indessen – wir sind ganz von Ihrer Lebensgeschichte abgekommen.«

»Ich wollte Ihnen damit nur sagen,« bemerkte Kleist, »wie gefährlich für mich der Verdacht werden könnte, gerade mit einem sächsischen Agenten Beziehungen zu unterhalten. Denn man würde meinen, ich hätte alte Verbindungen wieder angeknüpft. Darum bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihre Warnung. Ich werde dem Kerle sorgfältig aus dem Wege gehen.«

»Und darf ich, ohne indiskret zu scheinen, noch fragen, wie jetzt Ihre Herzensaffäre steht?« fragte Gleim nach einigem Zögern. »Nicht die Neugierde treibt mich dazu, sondern wahrlich das Mitgefühl der Freundschaft.«

»Sie steht trübselig genug, fürchte ich,« erwiderte Kleist. »Meine Geliebte ist mit ihrer Mutter seit mehreren Tagen in Berlin, und ich habe sie noch mit keinem Blicke gesehen. Aber morgen fahre ich hin, wenn ich auch noch nicht ganz geheilt bin und den Arm noch in der Binde trage. Heute erhielt ich schon das dritte Billett von ihr. Ich glaube, es wird da zu einer Aussprache kommen, besonders auch mit ihrer Mutter, die der Sache mit Kummer zusieht.«

»Sie fahren in der Frühe?«

»Gegen sechs wird der Wagen hier sein.«

»Dann, liebster Freund, gehen Sie jetzt zur Ruhe, und ich verlasse Sie. Nein, widersprechen Sie nicht! Sie sind Rekonvaleszent und dürfen sowieso nicht bis in die Nacht aufsitzen. Ich werde Sie ein paar Tage nicht sehen, denn ich fahre morgen mit meinem Prinzen nach Spandau. Aber wenn ich zurückkomme, wird mein erster Gang zu Ihnen sein, und Gott gebe, daß Sie mir dann etwas recht Gutes zu erzählen haben. Für heute leben Sie wohl.«


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