Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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XI.

Ritter Kurtefrund saß in seinem Gemache, hatte das Haupt schwer auf die Hand gestützt, und sein verdüstertes Angesicht zeigte, daß er sich nicht gerade fröhlichen Gedanken hingab. Es war in der Tat an diesem Tage, obwohl seine Mitte noch nicht erreicht war, mancherlei geschehen, was ihn verstimmen mußte.

Seine Tochter hatte er gestern abend nur flüchtig begrüßen können. Denn als sie auf der Burg eintraf, war schon ein Gelage im Gange, sintemal der feste und gestrenge Ritter Herr Friedrich von Wangenheim schon seit über einer Stunde als Gast innerhalb der Mauern weilte. Vor vierunddreißig Jahren war Werner Kurtefrund mit ihm zusammen Edelknecht gewesen am Hofe des streitbaren Landgrafen Friedrich von Thüringen, den das Volk »den Freidigen« nannte. Die beiden hatten damals Bett und Gelaß geteilt, Jagden und kleine Hofabenteuer zusammen bestanden und waren einander gute und liebe Gesellen gewesen. Dann hatten sich ihre Lebenswege weit getrennt. Kurtefrund war nach der väterlichen Burg zurückgekehrt, und sein Leben ging fortan dahin in unaufhörlichen Fehden, wodurch er mit der Zeit der mächtigste, aber auch der gefürchtetste und am meisten gehaßte Ritter seiner Gegend wurde. Wangenheim dagegen verblieb im Hofdienst, stieg dort höher und höher, war jetzt des tatkräftigen Landgrafen Friedrich des Jüngeren vielvermögender geheimer Rat, in vielen Dingen die rechte Hand seines Fürsten. Daher hatte Herr Kurtefrund gleich bei seinem Einritte geahnt, daß er nicht nur erschiene zur Auffrischung alter Freundschaft, sondern daß er wahrscheinlich kam mit einer Botschaft seines Herrn. Doch war davon am gestrigen Abend nicht die Rede gewesen, man hatte alte Erinnerungen ausgetauscht, gewaltige Krüge geleert, und die Folge war, wie immer bei solchen Gelegenheiten, für Wirt und Gast ein großer, starker, guter Rausch.

In der Frühe jedoch, als die beiden den Kehlenbrand von gestern durch eine Kanne Jenaer Würzweins zu löschen strebten, sprach sich Wangenheim aus. Er redete als alter Freund, nicht als Beauftragter seines Fürsten. Aber er erzählte, daß die Naumburger den Landgrafen gebeten hätten, die Irrungen und Späne auszugleichen, die zwischen ihnen und dem Rudelsburger beständen. Herr Friedrich wollte daraufhin eine Tagung abhalten zu Weißenfels, die Ladung werde ihm bald zugehen, und er möge sie doch ja nicht unbeachtet lassen, sondern seinen guten Willen beweisen.

»Zum Teufel!« war darauf Kurtefrunds Antwort, »warum kümmert sich der Herr um die Waidfärber und Schneider von Naumburg? Sie sind nicht seine Untertanen, gehören unter den Bischof, der ihnen freilich auch schon nicht mehr viel zu sagen hat, denn sie sind ihm über den Kopf gewachsen.«

»Mein gnädiger Herr,« erwiderte darauf Wangenheim, »ist, wie du ja weißt, des Hochstiftes Schirmherr, und außerdem strebt er darnach, den Fehden ein Ende zu machen, die das Land verwüsten.«

Da fuhr Kurtefrund gereizt auf: »Zum Henker, wenn sich doch die Fürsten nicht in das mengen wollten, was sie nichts angeht! Ist nicht schon seit vier Jahren Friede zwischen mir und Naumburg und überall hier herum ein so guter Friede, daß sich Gott im Himmel darüber erbarmen muß? Nun kommt auch noch der Landgraf daher und will uns wehren, die Pfeffersäcke zu zwacken! Daraus wird nichts! Ich will keine Sühnefahrten und Tagungen, ich will über die Kerle kommen wie das siedige Donnerwetter und sie zahm und klein machen.«

Wangenheim sah ihn bestürzt an. »Wie, Werner? Verstehe ich dich recht?« stotterte er, »du willst dich weigern, zu einer Tagung zu erscheinen, die dein oberster Lehnsherr ansetzt?«

»Noch ist ja nichts angesetzt,« sagte Kurtefrund mürrisch. »Du aber rate deinem Herrn, daß er die Hand von der Butter läßt. Was will er das Bürgerpack schützen? Sie sind in zehn Jahren so mächtig wie die Mühlhäuser, wenn's so weiter geht mit ihnen, und dann wollen sie natürlich nur dem Reiche untertan sein wie diese, und ich denke, der Landgraf hat an Mühlhausen, Erfurt und Nordhausen genug zu kauen!«

»Ein Fürst«, entgegnete Wangenheim mit feinem Lächeln, »darf niemanden allzu groß werden lassen in seinem Lande. Sonst wird er ihm und dem Landfrieden gefährlich. Das gilt von den Städten ebenso wie von den Rittern und Herren. Die Schwachen muß er stärken, die Ansprüche der allzu weit Greifenden beschneiden.«

»Wenn sie sich's gefallen lassen!« warf Kurtefrund trotzig ein.

Wangenheim sah mit einem Male sehr ernst aus. «Was meinst du damit?« fragte er.

»Ich meine, es gibt vielleicht in Thüringen Herren, die umgekehrt des Landgrafen Macht auf einen kleinen Rest zusammenschneiden könnten. Ein einzelner vermag nichts gegen ihn, aber einer Meute von Doggen erliegt auch ein Bär.«

Wangenheim stutzte und sah ihn scharf an. Dann trat er auf ihn zu und legte die Hand auf seine Schulter. »Werner, alter Freund, ich höre genau, wer aus dir redet. Das ist ja das Lied, das Graf Günther von Schwarzburg seit Jahren den Thüringer Herren singt und mit dem er die Gimpel auf seinen Leim lockt. Du hast dich das letzte Mal noch fern gehalten, vor zwei Jahren, als sie aufstanden wider ihren Herrn und er sie nach hartem Kampfe bändigte. Daß sie auf neuen Kampf sinnen, wissen wir wohl und sind gerüstet. Sie wühlen und werben überall im Lande und ziehen viele an sich und haben's auf dich vor allem abgesehen. Wer weiß, was sie dir schon versprochen haben, mit welchem Köder sie dich zu fangen trachten! Wäre Graf Günther unvermählt, er würde wohl gar um deine Tochter freien. Aber hüte dich, Werner, hüte dich vor ihrem Locken! Denn wisse, ihre Macht scheint größer als die unseres Herrn, aber sie ist in Wahrheit viel schwächer. Weißt du, warum? Weil sie ihrer zwanzig sind, von denen jeder befehlen, keiner gehorchen will. Friedrich aber ist einer, und sein Wille ist eisern, er ist, wie sein Vater war. Daher wird er sie schlagen und sie gänzlich unter sich zwingen, und es könnte wohl sein, daß manches Haupt, das jetzt hoch getragen wird, nachher in den Sand rollt. Und nun,« schloß er seine Rede, »versprich mir, daß du gen Weißenfels reiten willst, wenn Herr Friedrich die Sühnung einleitet, und daß du dich unter seinen Schiedsspruch beugst.«

»Versprechen will ich dir das noch nicht, aber ich will's erwägen,« gab Kurtefrund unmutig zur Antwort.

»Damit bin ich nicht zufrieden. Ich weiß, daß du dein Wort hältst, darum will ich ein festes Versprechen. Weigerst du mir das, so ziehe ich auf der Stelle von dannen.«

»Das wäre mir leid. Auch würde es nicht eben zeugen für die Festigkeit deiner Freundschaft zu mir, die du noch gestern abend so hoch rühmtest.«

»Dein Freund bleibe ich immer, Kurtefrund! Wir sind zusammen jung gewesen. Nie würde ich mich von dir scheiden in Groll, immer nur in Schmerz und Trauer. Und die fühl' ich jetzt, denn ich sehe wohl, du bist zu groß geworden in deinen Träumen, Werner Kurtefrund! Es ist nicht gut für einen Mann wie du bist, Tag für Tag, jahraus jahrein, auf einer solchen Burg zu sitzen. Wer immer mit den Augen auf andere Menschen niederblickt, der blickt am Ende auch mit einem Herzen voller Hochmut auf sie nieder, fühlt sich weit über sie erhaben, verliert den rechten Maßstab für die Abstände, die es gibt auf Erden. Das ist dein Geschick, Werner Kurtefrund. Ich aber bin nichts anderes und will nichts anderes sein, als meines gnädigen Herrn getreuer Diener. Ich kann nicht weilen auf der Burg eines Mannes, der sich, wie ich fürchte, zu seinen Feinden hält und seiner Lehnspflicht vergißt. Darum lebe wohl, Werner! Möge dich der Himmel davor bewahren, daß du einen bösen, bösen Holzweg einschlägst!«

Damit schied er von der Burg und ließ Herrn Kurtefrund in übler Laune zurück. Vieles in den Worten des alten Jugendfreundes hatte ihm das Herz bewegt und ihn sehr nachdenklich gestimmt. Besonders die Warnung vor dem Köder, mit dem ihn die Schwarzburger und Kevernburger fangen wollten, hatte einen Stachel zurückgelassen in seiner Seele. Sollte etwa die Aussicht auf eine eheliche Verbindung seiner Tochter mit dem jungen Grafen Günther nur eine Vorspiegelung sein, durch die man ihn fangen wollte? Solche Dinge kamen vor in dieser schnöden Welt, Verlöbnisse wurden geknüpft zwischen Fürstenkindern, die noch im zartesten Alter standen, und auch wieder gelöst, je nachdem es Nutz und Vorteil der erlauchten Häuser zu belieben schien. Aber die Kevernburger waren biedere, ehrliche Gesellen und hielten an ihrem Worte fest. Der alte, kluge Wangenheim hatte ihn wohl nur irre machen wollen.

Während er noch darüber nachdachte, trat seine Tochter ein. Sie trug ein dunkelblaues Reitkleid, das trotz seiner Einfachheit die edlen Formen ihrer Gestalt prächtig zur Geltung brachte. Ihre Hände steckten in Stulpenhandschuhen und spielten mit einer Reitgerte, deren Griff ein kostbarer Stein zierte.

Kühl-freundlich trat sie ihrem Vater entgegen, erwähnte die neuliche Szene mit keinem Wort, sondem begann sogleich ohne Umschweife von dem Antrage des Kevernburgers zu reden. Sie sprach klug und kalt und ganz und gar geschäftsmäßig darüber, so wie ihr Nicolaus Kyburg geraten hatte. Daß sie den dicken Günther mit dem vergnügten Spatzengesichte nicht liebe, davon sei ja ihr Vater wohl überzeugt. Aber sie wisse die Ehre, eine gebietende Gräfin zu werden, wohl zu schätzen, und einmal müsse sie ja doch zugreifen, wenn sie nicht als alte Jungfer versauern wolle. So sei sie denn bereit, sein Weib zu werden. Zuvor jedoch müsse Herr Günther heil und gesund aus dem Preußenlande zurück sein, denn sie wolle sich nicht verloben mit einem Manne, dem die wilden Heiden vielleicht ein Auge ausgestochen oder die Nase abgehauen hätten. Sodann müsse er selber zu ihr kommen und um sie werben und sich nicht hinter seinen Vater und Oheim stecken.

So redete sie, um Zeit zu gewinnen, denn vor Winters Anbruch war Herr Günther der Jüngere schwerlich von seiner Heerfahrt zu erwarten. Bis dahin mußte nach ihres Liebsten Meinung seine Stellung in der Welt sich von Grund aus verändert haben. Kam aber das Gräflein über Erwarten früh, so war sie fest entschlossen, sich ihm derartig zu verleiden, daß er bald wieder von dannen zog und froh war, einer solchen wilden Katze noch entgehen zu können.

Werner Kurtefrund war über diese Rede verblüfft. Daß seine Tochter ihren eigenen Willen habe, das wußte er längst zur Genüge. Aber so kurz und klar und bestimmt, wie eben jetzt, hatte sie ihn noch nie zum Ausdruck gebracht. Wie ein ganz gereiftes Weib redete sie, und gegen ihre Wünsche war verständigerweise gar nichts einzuwenden. Was sie da verlangte, das konnte sie als Weib mit Fug und Recht verlangen, und doch ärgerte er sich darüber und zwar nicht wenig. Er hätte gerne denen von Kevernburg eine glatte, runde Zusage durch seine alte Base zukommen lassen. So lautete der Bescheid, den er ihnen geben konnte, zwar günstig, aber er war doch nicht bindend und schob die Werbung hinaus.

Sicherlich hätte er in seine Tochter gedrungen, sich auf der Stelle für den Grafen zu entscheiden, wenn nicht die böse Szene von neulich gewesen wäre. Er schämte sich vor ihr insgeheim, und das schloß ihm den Mund. So antwortete er auf ihre Rede mit einem unwirschen Brummen, sagte aber nichts dagegen.

»Ich will jetzt auf die Reiherbeize reiten, Vater!« fuhr sie ruhig fort. »Und weil Kyburg meinen Falken wieder gesund gemacht hat, so will ich ihn mitnehmen. Er soll das Tier zum Fliegen bringen. Ich meine, du hast nichts dagegen?«

»Meinetwegen!« knurrte er, nickte ihr unfreundlich zu und sank zurück in seine Gedanken.

So hatte er fast eine Stunde dagesessen, als sein alter, vertrauter Knecht Kunemund eintrat. »Herr,« meldete er, »Euer Ohm ist da von Kloster Pforte und Eure Schwester, die Domina!«

»Was?« rief Kurtefrund aufspringend. »Die beiden zusammen? Das hat etwas zu bedeuten, Kunemund!«

»Glaub's wohl, Herr,« erwiderte der alte Knecht bedeutungsvoll. »Der heilige Herr will, daß Ihr zu ihm ans Tor kommt.«

»Wie? Was sind denn das wieder für Mucken? An welches Tor?«

»Ans Tor der Vorderburg. Dort steht er und will dort stehen bleiben, bis Ihr zu ihm kommt.«

»So mag er in des Teufels Namen dort stehen, bis er schwarz wird!« wollte Kurtefrund entgegnen, aber er unterdrückte es doch. Der Greis wurde jetzt offenbar hin und wieder wunderlich, was ja bei seinem hohen Alter nicht eigentlich auffallen konnte. So mußte man ihm denn seinen Willen tun, denn das Alter war zu ehren, auch wenn es sich absonderlich und unsinnig gebärdete. Zudem war er neugierig, zu erfahren, was wohl die beiden geistlichen Personen zusammen in seine Burg geführt haben mochte.

Der alte Hogeniste stand unter dem Torbogen der Vorburg, steif, feierlich, würdevoll, aufgerichtet zu seiner ganzen hageren Länge. Hinter ihm trat die Domina von einem Fuße auf den andern, und ihre vollen Wangen glühten rot wie die Blüten des wilden Mohnes. Kurtefrund sah sie schon von weitem leuchten. Höchst widerwillig war sie dem Greise hierher gefolgt, und als sie jetzt ihren Bruder daherschreiten sah, hätte sie sich am liebsten verkrochen. Der alte Mönch wollte auf der Stelle die ganze Angelegenheit erledigen, den fremden Teufelsgesellen seiner bösen Zauberei anklagen und ernstlich verlangen, daß er dem bischöflichen Gerichte übergeben werde. Sie sollte als Zeugin dienen, und dabei konnte vielleicht ihre heimliche Horcherei an den Tag kommen. Aber auch wenn das nicht geschah, so bangte ihr vor dem Jähzorn ihres Bruders. Es konnte einen greulichen Auftritt geben.

»Werner Kurtefrund,« sagte Hogeniste, indem er ihm seine knöcherne Hand hinstreckte, »ist dies der Turm, in dem der Goldmacher haust, wie der vorige darin hauste?«

»Ja, das ist er. Aber der Mann ist nicht darin. Er ist weggeritten,« erwiderte Kurtefrund gereizt. Ihm schwante, daß der Alte wieder einmal über die Alchymie herfahren werde.

«Er ist fort?« schrie Hogeniste. Er kreischte es fast.

»Bewahre,« erwiderte der Ritter. »Er reitet drunten auf den Wiesen mit Gertrudis, der er einen kranken Falken geheilt hat.«

»So? Mit deiner Tochter?« sagte der Alte und warf seiner Begleiterin einen funkelnden Blick zu. »Nun, Werner Kurtefrund, wenn er auch nicht daheim ist, so vergönne uns doch, daß wir sein Gemach betreten. Wir haben dir mancherlei zu künden, und ich meine, es wird dir wenig Freude machen.«

Einige Minuten später standen alle drei droben in Nikolaus Kyburgs Gemache. Dort drang ihnen ein atembeklemmender Duft entgegen, denn bevor der Insasse dieses Zimmers zur Reiherbeize geritten war, hatte er im Kamin ein Feuer angezündet und große Holzblöcke übereinander getürmt. Sie waren so kunstvoll gelegt, daß keine helle Flamme sie verzehren konnte, sondern daß sie langsam verkohlen mußten, denn Kyburg brauchte viele Holzkohle zu seinem Experimente.

»Wieder die verfluchte Luft!« brummte Kurtefrund und stieß eilend alle Fensterläden auf, so daß ein kräftiger Luftzug entstand.

Der alte Hogeniste begann nun, ohne ein weiteres Wort zu sprechen, das ganze Gemach zu durchsuchen. Er blickte in jeden Winkel, hob jede Flasche und jeden Tiegel empor, schob jedes Schubfach auf, lautlos, mit schleichenden Schritten dahingleitend, nur hier und da den greisen Kopf schüttelnd. Kurtefrund verfolgte dieses Gebaren mit immer verwunderteren Blicken. Mehr und mehr befestigte sich in ihm die Meinung, daß der Alte nicht mehr klar sei in seinem Geiste.

Schon wollte er verdrießlich und geärgert dem Großohm bedeuten, daß er diesem unsinnigen Spiele nicht weiter zuzuschauen gedenke, da stieß der Greis plötzlich ein heiseres Lachen aus. Er hatte einen Wandschrank geöffnet, der nur lose angelehnt war, und hob nun aus der Tiefe dieses Schrankes eine große Flasche ans Licht, nicht ohne sich vorher hastig bekreuzt zu haben. Sie war mit einer schwarzen Materie bis fast an den Rand gefüllt.

Triumphierend stellte sie der Alte auf den Tisch und blickte den Ritter mit funkelnden Augen an.

»Werner Kurtefrund!« begann er. »Das ist das Teufelsgebräu, das hier in der Burg gemacht worden ist. Und ich, Heinrich von dem Hogeniste, dein Großohm, klage den Mann an, den du hier gehegt hast, daß er böse Zauberei und Teufelswerk treibt. Weißt du, was er schon getan hat?

Er hat eine reine Jungfrau verhext, daß sie ihm folgen muß in blinder, sündiger Liebe. Und weißt du, wer diese Jungfrau ist? Deine eigene Tochter Gertrudis!«

Er sowohl wie die Äbtissin hatten gemeint, der Ritter werde auf diese Anschuldigung hin in schrecklichem Zorn aufflammen, und die Domina sprach unaufhörlich, seit sie das Zimmer betreten hatte, mit zitternden Lippen leise Gebete. Aber Kurtefrund blieb ganz ruhig. Er vergaß gänzlich die Ehrfurcht gegen das Alter, führte seinen mächtigen Zeigefinger bedeutungsvoll an die Stirn und erwiderte nur das eine Wort: »Blödsinn!«

»Was? Blödsinn?« schrie der Alte. »Haha, du verblendeter Narr! Frage die da! Sie hat's mit eigenen Augen gesehen, wie sie sich geherzt und geküßt haben. Sie hat's gesehen und will's beschwören.«

Mit einer jähen, wilden Bewegung wandte sich der Ritter zu seiner Schwester.

»Du? Wo hast du das gesehen? Wo?«

»Gestern drüben bei mir im Kloster. Er log, er habe eine geheime Botschaft von dir an sie. Da ließ ich sie allein. Und als sie sich unbelauscht wähnten, da warf sie sich an seinen Hals.«

Werner Kurtefrund hatte die beiden mächtigen Fäuste auf den Tisch gestemmt. Er sah blaurot aus, und seine Augen glühten die Domina an wie eines Raubtieres Augen.

»Das willst du beschwören?« keuchte er.

»Ja, bei Gott und allen Heiligen, es ist wahr!«

»Dann mag er sich vorsehen, wenn er heimkehrt! Er und sie!«

»Nein,« rief Hogeniste, »Gertrudis trifft keine Schuld. Sie ist dem Zauber erlegen. Aber er, der Schuft, der Teufelsbube, der gehört vor das Bischofsgericht, und ich fordere von dir, daß du ihn in Eisen legen läßt und dem Bischof zuschickst. Und sein Höllenkraut muß zur Stunde vertilgt werden, damit deine Burg rein werde vom Teufelswerk!«

Gamit ergriff er die Flasche und schleuderte sie in das schwehlende Feuer des Kamines.

»Siehst du, Werner Kurtefrund,« fuhr er fort, aber weiter kam er nicht. Ein furchtbarer Donnerschlag erfolgte. Die Mauern des gewaltigen Turmes erbebten in ihren Grundfesten, die Fensterrahmen flogen aus ihren Höhlungen, die Tür sprang auf, glühende Kohlen, Holzstücke und Steine schwirrten und prasselten durch das Gemach.

Werner Kurtefrund war hintenüber und zu Boden geschleudert worden. Steinsplitter hatten seine Stirn gestreift, so daß ihm das Blut über das Gesicht rann. Die Äbtissin lag in einer Ecke und schien tot zu sein. Der alte Hogeniste stand aufrecht an der Mauer, an die er rückwärts angeprallt war. Er gab zunächst kein Lebenszeichen von sich.

Aber er kam zuerst wieder zu sich. »Herr, erbarme dich unser!« stammelte er. »Kyrie eleyson! Allmächtiger, erbarme dich, heilige Jungfrau, erbarme dich!«

In diesem Augenblicke begann die Äbtissin zu schreien, gellend und durchdringend, und Herr Kurtefrund erhob sich ächzend und wischte sich das Blut aus den Augen.

»Siehst du nun, wen du beherbergt hast?« fragte der Alte dumpf.

Der Ritter schlug ein Kreuz nach dem andern. »Er stirbt!« knirschte er.

»Aber nicht von deiner Hand,« fiel der Greis ein, der schneller als die anderen ins Leben zurückkehrte. »Beflecke deine Hand nicht mit dem Blute dieses Teufelssohnes. Führe deine Schwester in die Gemächer der Frauen, und mir überlaßt es, ihn hier am Tore zu fangen. Dann führe ich ihn selbst in Ketten nach der Saaleck hinüber. Er entgeht dem Feuer schwerlich!«

So geschah's. Der Greis setzte seinen Willen durch. Werner Kurtefrund schritt mit seiner Schwester durch den Haufen der Burginsassen, die bestürzt von allen Seiten herbeieilten, nach der Vorburg, und der alte Hogeniste wartete stumm und starr, auf einem Steine sitzend, auf die Heimkehr Nikolaus Kyburgs.

Er mußte sehr lange warten, fast bis zur Mittagsstunde, denn die beiden beeilten sich nicht mit dem Heimritt. Sie hatten den Diener, der sie begleitete, unter einem Vorwande nach Hause geschickt, dachten nicht an Jagen und Reiten. An einem versteckten Waldquell waren sie von den Rossen gestiegen und hatten eine Stunde lang auf einem Stein nebeneinander gesessen, Brust an Brust und Lippe auf Lippe die Seligkeit ihrer jungen Liebe genießend. Erst als die Sonne fast im Zenit stand, hatten sie sich zum Aufbruch entschlossen.

Jetzt ritten sie über die Brücke, er einige Schritte hinter der Herrin, wie sich's geziemte. Aber das Haupt trug er hoch, und seine Augen leuchteten.

Da, als er in den Torbogen einritt, erscholl plötzlich ein rauher Befehlsruf, von links und rechts stürzten sich Knechte auf ihn, er ward im Nu vom Pferde gerissen, zu Boden geworfen, mit Stricken gefesselt.

Schwer atmend, halb betäubt lag er da und gab keinen Laut von sich. Gertrudis aber schrie entsetzt auf und glitt aus dem Sattel zur Erde nieder. Sie wollte rufen, aber es versagte ihr die Stimme. Mit irren Blicken schaute sie auf das Schreckliche, das sie nicht fassen konnte.

Da trat der alte Hogeniste an sie heran. »Der Teufelsbube dort«, sagte er, »kommt wegen Zauberei vor des Bischofs Gericht. Du gehe mit mir zu deinem Vater!«

Mit rauhem Griff faßte er sie am Handgelenk und wollte sie fortziehen, aber mit einem noch schrilleren Schrei sank sie ohnmächtig nieder. Sie sah nicht mehr, wie ihr Geliebter von der Erde emporgezerrt und von den höhnenden und fluchenden Knechten unter Fauststößen und Fußtritten hinübergeschleppt wurde zur Saalecksburg, um dem Vogte des Bischofs ausgeliefert zu werden.


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