Paul Schreckenbach
Die letzten Rudelsburger
Paul Schreckenbach

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V.

Die Sonne des folgenden Tages goß ihr letztes rosiges Licht über die Hügel und Felder des Saaltales, als eine starke Reiterschar aus dem Dörflein Almerich hervorbrach und im scharfen Trabe auf Naumburg zuritt. Aber zur Verwunderung des Wächters, der oben am Mauerturme lehnte, suchten sie nicht das Salztor zu erreichen, sondern sie bogen nach links ab auf den schmalen Weg, der zur Domfreiheit führte. Noch waren sie nicht an das Tor gekommen, durch das man in die bischöfliche Residenz gelangte, als vom Sankt Wenzelsturm ein dumpfer Glockenton herüberwehte.

»Das Abendläuten! Mein Gott, wir kommen zu spät!« stammelte einer, der mit an der Spitze ritt.

»Sie müssen doch erst die Delinquenten zur Exekution abholen und das Urteil verlesen und den Stab über sie brechen,« sagte ein hochgewachsener Ritter neben ihm. »Darüber vergeht noch Zeit. Sieh da, das Tor ist ja weit offen, und da steht der Bischof in vollem Ornat! Sie haben uns kommen sehen!« Er schlug sein Visier herunter und befahl den anderen, ein Gleiches zu tun. »Ich will zunächst unerkannt der Szene beiwohnen. Wangenheim, du bist der Abgesandte deines Herrn, du redest für uns alle.«

»Gelobt sei Gott und alle Heiligen!« rief ihnen Bischof Johann entgegen. »Die höchste Zeit, Herr Ritter von Wangenheim, die allerhöchste Zeit! Hört Ihr's? Die Abendglocke verstummt, jetzt wimmert das Armsünderglöcklein. Kommt schnell, oder es ist zu spät!«

Er bestieg seinen Schimmel, und bald standen sie vor dem Tore, das in die Stadt hinüberführte. Es war verschlossen, und der wachthabende Fähnleinsführer weigerte sich, sie einzulassen. »Es werden zurzeit elf Schelme auf dem Markte vom Leben zum Tode gebracht. Darum müssen alle Tore geschlossen bleiben vom ersten Klange der Abendglocke an. Keiner darf heraus und keiner herein.«

Der Bischof stieß mehrere überaus ungeistliche Worte aus, und der alte Ritter Wangenheim schrie: »Zum Teufel, Etzold, kennst du mich nicht? Haben wir nicht miteinander gegen den Magdeburger gefochten?«

»Ja, ich erkenne Euch, edler Herr, aber ich darf Euch nicht hereinlassen. Höchstens den Herrn Bischof ganz allein, obwohl mir's der Herr Bürgermeister Edelste scharf verboten hat.«

»Ich komme als Abgesandter Seiner fürstlichen Gnaden, des Herrn Landgrafen von Thüringen und Markgrafen von Meißen! Dringende, eilige Botschaft an den Rat!«

»So? Nun, das ist dann freilich etwas anderes. Da dürft Ihr mit zweien einreiten.«

»Gut,« sagte Wangenheim und ritt neben dem Bischof über die schmale Brücke. Hinter ihm drängte der Ritter nach, der vorhin den leisen Befehl gegeben hatte, und der ergriff Kyburg am Arme und zog ihn mit sich. Und nun jagten die vier, so schnell sie konnten, über den Steinweg und durch die menschenleere Herrengasse dem Markte zu.

Hier war, genau in der Mitte des Platzes unter dem hochragenden Standbilde des heiligen Wenzel, ein schwarz ausgeschlagenes Schafott errichtet, das ein dichter Ring von Lanzen- und Hellebardenträgern umgab. Innerhalb dieses Ringes standen hinter dem unheimlichen Gerüst die Ratspersonen, vor dem Schafott die Verurteilten und eine, die nicht zu ihnen gehörte, wie sie im Armsündergewande: Gertrudis, die Tochter des Rudelsburgers. Sie hatte sich von Merkwitz in den Kerker bringen lassen und war nicht zu bewegen gewesen, ihren Vater wieder zu verlassen. Als sie ihn wiedersah in seinem tiefen Unglück, da war etwas von der früheren Kindesliebe zurückgekehrt in ihr Herz, und dieses Gefühl wurde immer stärker, je länger sie in seiner Nähe verweilte. Denn Herr Kurtefrund war im Angesichte des Todes ganz verwandelt. Nachdem ihm der Bischof unter Aufhebung des Bannes einen Pater vom Kloster des Heiligen Georg in seine Zelle geschickt, hatte er seine Sünden gebeichtet, allen seinen Feinden auf Erden vergeben und darauf den Leib des Herrn genossen. Nun erwartete er sein Ende, furchtlos, wie er immer gewesen war, redete aber kaum noch etwas von irdischen Dingen, sondern schien mit seinen Gedanken schon in einer anderen Welt zu sein. Daß seine Tochter ihn zur Richtstätte geleiten wollte, wehrte er mit einer zugleich schmerzlichen und freundlichen Gebärde ab, aber als sie fest auf ihrem Willen bestand, ließ er sich's ohne Widerrede gefallen.

Man hatte über die Gefangenen das Los geworfen, nach welcher Reihenfolge sie sterben sollten. Der erste, der ihm zufolge das Schafott besteigen mußte, war Heinz Kurtefrund. Er winkte seinem Bruder noch ein letztes Lebewohl zu und richtete dann einen haßerfüllten Blick auf die Volksmenge. »Fluch und Tod euch, ihr Krämer von Naumburg!« schrie er mit aller Kraft über den Markt hin. Dann legte er sein Haupt auf den Block und empfing den Todesstreich.

Aus Werner Kurtefrunds Brust drang ein dumpfer Laut. Gertrudis lehnte halb ohnmächtig an seiner Schulter, während ein wildes Schreien und Brausen den Marktplatz erfüllte.

Als zweiter stieg Busso Heseler die Stufen hinan, und sogleich schwieg alles Volk. Er würdigte aber die Menge keines Blickes, sondern wandte sich an seinen Herrn. »Ade, Herr Kurtefrund!« rief er, »gibt's da drüben eine Stätte für wackere Reitersleute, so sehen wir uns wieder, und, Gott weiß es, unter keinem andern dien' ich, als unter Euch!«

Auch sein Haupt rollte in den Sand. Aus Herrn Kurtefrunds Augen stahl sich eine Träne, und das Volk stand in tiefem Schweigen. Da erscholl in das Schweigen hinein von der Ecke der Herrengasse her ein lautes, herrisches »Halt!« Der Geharnischte hatte es ausgerufen, der hinter dem Bischof ritt und nun das Visier in die Höhe schlug. Aufs höchste überrascht blickte Herr Johann zu ihm empor und neigte sich tief. Die Umstehenden wichen erschrocken zurück und rissen die Mützen vom Kopfe, und mancher wäre beinah' in die Knie gesunken. Wenn die eisernen Züge dieses Antlitzes kannte jedermann in der Stadt von Fürstentagen und Turnieren her. »Der Landgraf! Der Landgraf!« so ging's flüsternd von Mund zu Mund.

Friedrich ritt langsam durch das zurückweichende Volk bis an den Ring der Gewappneten heran. Dann rief er mit zornblitzenden Augen: »Was ist das, ihr Herren von Naumburg? Wen habt ihr hier gerichtet?«

Tiefe Stille. Endlich erschollen vereinzelte Rufe: »Heinz Kurtefrund und Busso Heseler.«

»Heinz Kurtefrund, meinen Vasallen? Wessen unterwindet ihr euch? Wo nehmt ihr das Recht dazu her? Redet!«

Alles schwieg wie vorher. Dann trat Dietrich von Merkwitz vor, schob die Knechte beiseite und beugte vor dem Landgrafen ein Knie. »Herr,« sagte er, »es war große und schwere Gewalttat geübt worden von den Kurtefrunden und ihren Gesellen wider unsere Stadt. Ihr wißt es. Nun sind wir gegen sie ausgezogen und haben sie in unsere Hand gebracht. Da ist uns die Besonnenheit geschwunden, der Durst nach Rache war übermächtig. Wir haben gefehlt, Herr, und bitten um Eure Gnade.«

»Du redest gut, Bürgermeister,« erwiderte der Fürst gnädig, »und ich weiß es wohl, daß du es warst, der die Bürger abmahnte von ihrem unsinnigen Vorhaben. Auch ist es weise, daß du für deine Stadt um Gnade bittest, denn sie wird meine Gnade sehr nötig haben. Zuvörderst aber will ich mein Amt ausüben als oberster Richter dieser Stadt.«

Er hob sich hoch in den Bügeln empor und rief: »Ehrbare Ratsmannen von Naumburg! Die edlen Grafen von Kevernburg, die in eure Hand gefallen, führt ihr sogleich in eine ritterliche Haft und gebt sie ihren Anverwandten zurück gegen ein Lösegeld, das ihr mit ihnen festsetzen werdet unter dem Schiedsspruch eures hochwürdigen Bischofs. Du, Werner Kurtefrund, hättest mit deinen Gesellen wohl den Tod verdient, wie ihn dein Bruder erlitten hat, nur kam mir das Gericht zu, nicht diesen. Aber ich meine, du hast genug gebüßt. Willst du schwören, das Land für ewige Zeit zu meiden und bis an dein Ende nimmer heimzukehren nach den Ländern Meißen und Thüringen? Willst du schwören, dich nimmermehr an jemandem zu rächen für das, was du erlitten hast, so darfst du ziehen, wohin du willst auf der weiten Erde.«

Werner Kurtefrund strich sich langsam mit der Hand über die Stirn. Daß es für ihn eine Rückkehr ins Leben gebe, hatte er nimmer geglaubt. Es war ihm, als ob er aus einem schweren Traume erwache.

Er erhob die Sand. »Ich schwöre!« rief er mit heiserer Stimme.

»Und ihr, Ratsmannen von Naumburg, wollt ihr schwören im Namen eurer Stadt, daß alles vergessen sein soll, was geschehen ist zwischen euch und den Kurtefrunden von der Rudelsburg?«

Die Mienen der Herren waren zum Teil recht mißvergnügt, aber sie zogen es doch allesamt vor, die Hände emporzustrecken und den Eid zu murmeln. Sie waren mit einem Male nüchtern geworden, und eine große Furcht war über sie gekommen vor des gereizten Fürsten Zorn und Ungnade.

»Du nächtigst heute im Sankt Georgenkloster,« sprach der Landgraf zu dem Ritter, »und morgen hebst du dich von dannen. Wohin willst du dich wenden?«

»Herr, ich ziehe zu denen vom Deutschen Orden. Dort will ich wider die wilden Heiden fechten. Nehmt Euch meines Sohnes an, Herr. Er ist, wie ich von meiner Tochter im Kerker hörte, in des Herrn Bischofs Hand. Ihr, Hochwürdiger, werdet ihn, so bitt' ich Euch, entlassen ohne Lösegeld, denn ich vermag keines zu geben!«

»Das tät' ich wohl, aber Euer Sohn ist nicht mehr mein. Ich habe die Gewalt über ihn dem da geschenkt,« erwiderte Herr Johann mit einem listigen Lächeln und deutete auf Kyburg. »Er ist frei!« rief der laut.

»Ritter Kyburg,« sagte Werner Kurtefrund, »Ihr habt mir mehr Schaden getan als sonst einer und waret mein Feind. Aber Ihr waret es durch meine eigene Schuld. Nun habt Ihr meinen Sohn freigemacht, meine Tochter aus dem Feuer getragen, und Eurem Ritt zum Herrn Landgrafen verdanke ich mein Leben. Ist Euer Sinn noch auf die Jungfrau gerichtet, die im Unglück ist, so nehmt sie hin. Sie werde Euer Weib, wenn sie unter den Städtern zu leben vermag!«

Da sprang Kyburg vom Pferde herab, und ohne auf den Landgrafen und die anderen zu achten, riß er Gertrudis in seine Arme.

»Mirakel, Mirakel!« sagte der Bischof halblaut und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. »Gibt es so etwas in der Welt? Er holt sich die Braut vom Hochgerichte weg!«

»Nein, nicht unter den Städtern soll sie leben!« rief der Landgraf. »Denn der hier tritt in meine Dienste! Ich gebe ihm ein Lehn, und er übt seine Kunst mir zu Nutz! Das sei eure Buße, Ratsmannen von Naumburg. Wollt ihr oder wollt ihr nicht? Ihr Herren Bürgermeister! In eure Hand hat er den Eid abgelegt, der Stadt zu dienen als Geschützmeister. So entbindet ihn auf der Stelle dieses Eides! Ich rate euch gut!«

»Mir ist es bitter leid, gnädiger Herr,« entgegnete Merkwitz, »aber ich tue nach Eurem Gebot: er ist von mir aus entlassen aus seiner Pflicht gegen die Stadt.«

»Von mir aus auch,« setzte Heinz Edelste mürrisch hinzu.

»So will ich eurer Untat nicht weiter gedenken. Aber hütet euch, ihr Herren von Naumburg, vor ähnlichem Tun. Ich bin der oberste Herr in diesem Lande, und, bei Gott, ich will es bleiben! Gehabt euch wohl!«

Damit wandte der Landgraf sein Roß und ritt der Domfreiheit zu, rechts von ihm der Bischof, links sein Geheimer Rat Friedrich von Wangenheim. Werner Kurtefrund und die Seinen folgten ihm zu Fuße nach, und endlich schwang sich auch Kyburg aufs Pferd. Er hob Gertrudis zu sich hinauf, und wie er sie gestern nach Naumburg getragen hatte, so trug er heute die Geliebte, die nun sein war, auf seinen Armen durch das schweigende Volk zur Stadt hinaus, einem neuen Leben entgegen.


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