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Stummes Leid.

[59] [60]

I.

Sie war groß, breit in den Schultern, mit kräftigen, langgestreckten Gliedern und einem braunen, scharfgeschnittenen Gesicht. In ihrem weder durch die Ziererei einer kleinbürgerlichen Erziehung noch durch die Sklavenarbeit der Fabriken verkümmerten Wesen zeigte sich die Einfachheit des Landvolks. Alle ihre Bewegungen waren zweckentsprechend und sicher. In ihrer ruhigen Großartigkeit erinnerte sie einigermaßen an [60] die Gestalten Millets. Nur besaß ihr Gesicht mehr Ausdruck, als ihn Millet zumeist in die verstumpften Züge seiner Bauern hineinzumalen pflegte. Ein tiefer Schmerz stand darauf zu lesen, undeutlich freilich, von der Zeit und allerhand Erlebnissen verwischt, wie die Grabschrift auf einem alten Leichenstein. Ihre Stimme war tief und heiser. Sie sprach selten und lachte nie. In der Arbeit zeigte sie sich unverdrossen und unermüdlich; vom Morgenroth bis in den Mondschein hinein schaffte sie zur Zeit der Ernte auf den Feldern herum wie ein Mann. Ich sah sie oft, den mächtigen Oberkörper nur von einem derben Leinwandhemd bedeckt, mit bloßen Armen und bloßem Hals, eine Garbe auf dem vorgebeugten Kopf, über die Stoppeln schreiten; [61] ich begegnete ihr manchmal gegen Abend, wenn sie, das rothe Tuch tief in die Stirne gezogen, einen gehäuften Futterkorb auf dem Rücken, eine Sense über der Schulter, durch den Wald nachhause ging. Die Abendsonne glänzte auf ihren braunen Armen, und die spärlichen Falten ihres kurzen, blauen Rocks legten sich eng um ihre edlen Glieder.

Einmal sah ich sie an der Wand eines Kirchhofs stehen. Ihre düstere Figur zeichnete sich ab gegen die Feuersbrunst eines August-Sonnenuntergangs, und sie spähte hinüber zu einem Grab.

Es war ein öder Kirchhof, die Gräber mit Brennnesseln und Armensünderblumen überwuchert, und Niemand mehr darin bestattet worden seit der letzten großen Cholera-Epidemie. [62] Ein kleines, moosüberwuchertes Kirchlein ragte aus seiner Mitte, und die Umfriedung bestand aus losem, von Dornbüschen zusammengehaltenem Geröll. Wie aus Stein gemeißelt stand sie da, so starr und finster; ihre ganze Erscheinung war voll von jener Poesie, die sich bei dem slawischen Bauer mit der alltäglichen Lebensnüchternheit vermischt, und aus ihren Augen sprach die dumpfe Traurigkeit des mährischen Volksliedes. Plötzlich schlug sie mit der Bewegung einer Verzweifelten die gefalteten Hände hinter dem Genick zusammen, sprang über die niedrige Mauer, streckte sich aus auf eines der Gräber und stöhnte in die Erde hinein wie ein verwundetes Thier.

Fast beschämt darüber, sie beobachtet zu [63] haben, trat ich zurück. Da hörte ich neben mir ein unangenehmes Kichern. Ich sah mich um und erblickte in meiner Nähe den sogenannten Narrenhans, einen plattnasigen Unhold mit rettigfarbenem Gesicht und feuerrothen Haarstoppeln – einen häßlichen Zwerg, der überall auftauchte, wo es eine Freude zu vergällen, einen Schmerz zu verhöhnen gab.

»Sie geht zu ihrem Geliebten,« murmelte er spöttisch – »es kömmt alle Jahr um diese Zeit über sie … 's mag wohl sein Sterbetag sein!«


II.

Sie war die Frau des Müllers, dem die sogenannte »schwarze Mühle« im Thal unten [64] gehörte und der immer betrunken war. Man hatte ihn seit Jahren nicht mehr nüchtern gesehen, und sie brachte ihr Leben damit zu, gut zu machen, was seine Nachlässigkeit an der Wirthschaft verschuldete und weiter – ihn entweder aus einem Wirthshaus zu zerren, in welchem er die Zeit vergessen, oder aus einem Straßengraben, in den er sich in seiner Unzurechnungsfähigkeit gebettet. Er war im Vergleich zu ihr, die trotz der tiefen Falten auf ihrer Stirn kaum achtundzwanzig Jahre zählen konnte, beinahe ein Greis dazu widerwärtig und von zerrütteter Gesundheit; – aber sie murrte nie und trug ihr hartes Loos ohne ein Achselzucken.

Wenn es ein Leid giebt, das beständig wie ein kleiner Bach zwischen seinen schmalen [65] Ufern greint und nörgelt, schäumt und tobt, bis er die Last, die in ihn versenkt wurde, von sich stößt: so giebt es auch einen andern Schmerz, der wie ein großer Strom dumpf und ruhig weiter fließt über die Leichen, die in seiner Tiefe ruhen, die er bewahrt ernst und still wie ein Heiligthum bis in die Ewigkeit! –


III.

Eines Nachmittags kam ich an der »schwarzen Mühle« vorbei. Wie ein brauner Kobold hockt sie in einem engen, von einem schmalen Bach durchsprudelten Thal. Ringsum ragen graue Berge, deren harte Umrisse an das Sinaigebirge erinnern. Die Gipfel bedeckt Geröll, zwischen welchem magere Kiefern [66] emporragen, und die unteren Abhänge entlang ziehen sich Hutweiden, auf denen langbeinige Schafe ihr Leben fristen. Knorrige Erlen wachsen am Ufer des Baches. Die Mühle, deren Rad er dreht, ist ein viereckiges Gebäude mit einem moosübergrünten Schindeldach und grauen, schimmelangefressenen Wänden. Die glanzlosen Fenster stehen in geschwärzten Rahmen, unter jedem zeigt sich an der Mauer ein Schmutzfleck. Die dunkle Eichenthür in ihrer zerbröckelnden Wölbung ist mit großen Nägeln beschlagen – und das Bildniß einer schwarzen Mutter Gottes über derselben in die Wand eingelassen. Ringsum zieht sich ein widerlicher Geruch von Moder, Jauche und feuchten Sägespähnen. –

Es war ein Septembertag mit einer [67] stechenden Sonne, die mehr brannte als wärmte, – der alte Weibersommer hing in der Luft. Von Blatt zu Blatt, von Blume zu Blume flatterten die weißen Fäden. Ich bemerkte ein kleines Mädchen von etwa neun Jahren, das, auf einer Erlenwurzel sitzend, aufmerksam in den Bach spähte.

»Gelobt sei Jesus Christus!« murmelte sie in eintönigem Recitativ den Gruß der Schulkinder, da ich vorüberkam.

»In Ewigkeit, Amen!« erwiderte ich und blieb stehen. »Was thust Du denn hier?« fragte ich.

»Hüten.«

»Was?« Vergeblich spähte ich nach irgend einem Gethier, das ihrer Aufsicht anvertraut gewesen wäre.

[68] » Seine Kleider,« mit einem Blick auf die Mühle und einer energischen Kopfbewegung. –

Die Kleine war die Müllerin en miniature, braun, mit stark markirtem, dunkeläugigem Gesicht und festgeschnittenem Munde; nur drückten ihre Züge muthwilligen Spott aus, anstatt wie die ihrer Mutter mit Ekel vermischten Schmerz. »Seine Kleider,« wiederholte sie – »wie der Müller heute früh aus der Schenke heimkam, ist er den ganzen Berg dort heruntergerollt, da war Alles, was er an sich hatte, dann so schmutzig, daß Mutter sagt, sie könne es nicht mehr ausputzen. So hat sie das Zeug in den Bach gelegt und mit einem Strick an eine [69] Erle gebunden und mir aufgetragen, Acht zu haben, damit es Niemand stehlen möge!«

»Du bist die Tochter der Müllerin?« fragte ich, »ist denn der Müller nicht Dein Vater?«

»Bewahre,« stieß sie verächtlich hervor, dann den Hals emporreckend, nicht ohne eine Art Stolz, wie Kinder, wenn sie von Dahingeschiedenen reden – »mein Vater ist todt!« –

Indem öffnete sich die schwarze Thür der Mühle, und die Müllerin trat heraus. Es war, als träte ein Gespenst aus einer Gruft, – solch' dumpfige Grabatmosphäre entströmte dem Hause.

Sie erwiderte meinen Gruß sehr ehrerbietig, kauerte sich dann auf die Thürschwelle und beugte sich über eine Flickerei. Ihr [70] Anblick fesselte mich wie ein Räthsel. »Werde ich sie zum Reden bringen?« dachte ich bei mir und setzte mich unweit von ihr auf einen Holzklotz nieder.

»Was macht Euer Mann?« begann ich.

»Er liegt,« erwiderte sie kurz.

»Ist er krank?«

»Nein – betrunken!«

»Ist er oft in … diesem Zustand?«

»Immer!« »Und war das … hm… schon früher so?«

»Ja, und wird so bleiben – bis in den Tod – es ist ein Fluch – manche Menschen haben das. Sie können nichts dafür …!« Sie nähte ruhig weiter. –

»Um Gottes Willen!« fuhr ich auf.

[71] »Was wünscht der Herr?«

»Warum habt Ihr ihn denn zum Manne genommen?«


Die slawischen Bauern, selbst die verschlossensten und wortkargsten, sind stolz darauf, wenn sich die Herrschaft um ihre Leiden bekümmert – sie zeigen sich oft gegen höher Gestellte offener als gegen ihres Gleichen.

»Will's der Herr wissen?« fragte sie.

Ich nickte.

Die Müllerin holte tief Athem, dann hub sie zu erzählen an, kurz und bündig, immer mit demselben monotonen Stimmfall.

»Ich hatte einmal einen Burschen,« begann sie – »einen Geliebten. Er war ein reicher Bauernsohn, – ich ein armes Mäd [72]chen, das im Taglohn arbeitete. Meine Mutter wusch für die Herrschaft – und Vater hab' ich nie einen gehabt. Die Bauerntöchter machten sich lustig über mich, und wenn sie des Sonntagnachmittags unter dem Kreuze saßen auf der Hutweide vor dem Dorf, so durft' ich nicht mitsitzen. Da kam er – Buza hieß er, und war aus einem anderen Ort – aus St. Margareth, dort drüben über dem Fluß – kam einmal auf den Tanzboden und sah mich … und dann … der Herr weiß, wie das geht. Er kam zu uns alle Sonntage. Seine Mutter wollte nichts von mir wissen, – sie wünschte eine vermögende Braut für ihn und hatte ihm des Vorstehers Tochter ausgesucht – ein schwächliches, blondes Ding – das zwei [73] Jahre lang in der Stadt die Schule besucht und nun Hände hatte wie ein Fräulein – und immer in seidenem Kleid zur Kirche ging. Hm! Sie konnte keine Garbe auf dem Kopf tragen – und wär' nicht im Stande gewesen eine losgerissene Kuh festzubinden. Er mochte sie nicht – ob zwar sie schön war – weiß und roth und mit Haaren wie nasses Kornstroh, auf das die Sonne scheint. Er hat treu zu mir gehalten, und hätte mich zum Altar geführt … wenn nicht … wenn nicht …! Wer kann etwas gegen das Schicksal –, und dem Tod ist Keiner gewachsen! Wen der einmal beim Genick packt, der muß gehn!

Ein heißer, trockner Sommer war's, auf den Teichen grüner Schlamm und wenig Wasser in den Brunnen; – da heißt's, die Cholera [74] ist ausgebrochen. Wir jungen Leute wissen nicht, was das ist, – seit fünfzehn Jahren hat die Heimsuchung nicht bei uns gewüthet, – aber die Alten erzählten uns, – das sei eine Krankheit, die in den Menschen hinein führe wie ein Blitz, so daß er plötzlich schwarz würde, als sei er verfault bei lebendigem Leib, und mit sich herumschlüge wie vom Bösen besessen, bis er unter furchtbaren Qualen stürbe. Und man bekreuzt sich, und die Angst schleicht einem über den Rücken, langsam und eiskalt. Erst ist's wie ein Gespensterspuk, vor dem man sich fürchtet, ohne daran zu glauben, dann rückt's heran, langsam, allmählich, wie Gewitterwolken, in denen der Donner grollt – dann sterben in dem Nachbarsdorf zwei in einer Nacht! ›Gott [75] erbarme sich unser!‹ ruft man und schlägt ein Kreuz – und da schleppen sie schon einen vorüber, röchelnd und mit baumelnden Armen, einen Maurer, den's auf dem Gerüst gefaßt hat. Sein Gesicht ist blau, und die Haare kleben ihm um die Stirn. – – – Dieser Mund und diese Augen – vom Ansehen mußte einer krank werden. Zwei Stunden liegt er in Krämpfen – dann bim – bam! – wie sich die Glocke in dem Schloßthurm hin und her wirft … Es fährt einem in die Glieder, als ob's die Feuerglocke wär'. –

Den Milchmann trifft's unterwegs – eine Braut plättet noch am Abend an ihrem Brautkleid und am Morgen ist sie todt. Ach! wenn einer ein wenig kränkelt und sich ein paar Tage hinschleppt und dann niederlegt – [76] nun meinetwegen! Aber wenn einer so dasitzt ganz ruhig und vergnügt bei Tische oder befindet sich auf dem Weg zur Kirche und hat seine besten Kleider an, und plötzlich überkommt's ihn, daß er mit sich schlagen muß, und verreckt, wie ein vergifteter Hund … brr! … Kaum hat man sich von einem Todesfall erholt, so folgt ein zweiter, und die Glocke droben im Thürmchen kömmt gar nicht zur Ruh. – Man geht zur Arbeit, da hört man's bim – bam – bim – bam, man fragt, wer war das? … da heißt's, der und der … Es ist nicht möglich, man hat ihn vor ein paar Stunden gesprochen … ruft man. Aber es ist doch so, – er ist umgefallen im Wirthshaus, man hat ihn nach Hause tragen müssen, und nun ist er [77] todt! – fünf – acht Personen sterben an einem Tag – man zählt die Häuser, in denen die Cholera nicht war. Es faßt einen an der Gurgel und unter dem Herzen, man möchte fliehen und weiß nicht, wohin, noch vor was. – Unsichtbar schreitet das Gespenst zwischen uns – es steht vielleicht knapp neben mir – es streckt die Hand aus – jetzt! …

Die Herrschaft reist fort. Zwei Doktoren kommen, gehen jedes Haus ab und reichen einem zum Abschied ein gedrucktes Papier. Man denkt erst, das sei zum Anschlagen an die Wand gegen die bösen Geister, nein, zum Lesen ist's. Man liest. – Mein Gott, was steht da – nichts, als man möge fleißig die Fenster öffnen und die Fußböden waschen – und derlei Wichtigkeiten. In der Nacht, [78] nachdem die Aerzte fort waren, starben fünf. Den nächsten Morgen heißt's, die Aerzte hätten die Brunnen vergiftet im Auftrage der Reichen, damit die Armen stürben – denn es sind ihrer zu viele und sie verlangen alle Brot. Ein Unsinn, gnädiger Herr und doch! wenn man sich fürchtet!

Aber wie groß auch die Angst sein mag, der Leichtsinn ist größer. Bei allen Begräbnissen giebt's noch Musik und Schmauserei, und das ganze Dorf drängt sich um die Särge und schwelgt dann später im Wirthshaus; denn vor den Aerzten fürchten sich die Leute und vor dem Wasser – aber vor der Ansteckung fürchten sie sich nicht, und schonen wollen sie sich auch nicht, insbesondere nicht die Alten. Die sagen, wenn [79] einer sterben soll, so stirbt er und man kann nichts dafür thun und nichts dagegen. – Aber ich … ich fürchte mich nicht nur vor den Kranken, ich scheue mich vor ihnen. Ein böser Ekel schüttelt mich, wenn ich an einer Hütte vorbei muß, in der ein Sterbender liegt oder ein Todter – und ich seh' mir meine beste Freundin nicht an im Sarg.

Eines Sonntags war's und Buza kam zu uns zu Besuch, gelb im Gesicht und schwarz unter den Augen, sein Kopf war heiß, und er schleppte die Füße schwer. Besorgt fragte ich ihn, ob ihm etwas fehle, er aber versicherte: ›nein.‹ Dann fragte die Mutter, ob auch in dem Dorf, aus dem er kam die Seuche schon ausgebrochen sei. Wiederum verneinte er … ›Drüben ist Alles still.‹ [80] Da faßt' ich ihn um den Hals und rief: ›geh – geh, eile zurück, dorthin, wo die Luft noch rein ist – bei uns holst Du Dir den Tod!‹

Er aber sieht mich an, so groß und treu und fragt: ›Würdest Du Dich fürchten und nicht zu mir kommen, wenn die Seuche bei uns wüthete, anstatt bei Euch?‹

Was giebt's da zu antworten! – Und der Abend kommt, schwarz und schwül. Ich begleite ihn weit, weit – und da wir uns trennen, ist's mir, als risse man mir ein Stück Herz aus der Brust. Lange blick ich ihm nach; – dann wie ich heimkehre, tanzt mir etwas Schwarzes vor den Augen, und, wenn ich die Hand danach ausstreck', ist doch nichts da … und bei unserer Hütte springt es mir voran durch die Thür.

[81] Ich knie' neben meinem Bett und bete da plötzlich, gerade wie ich an ihn denke, ertönt die Todtenglocke. Ich schlage die Hände vor die Ohren, springe in das Bett und ziehe mir die Decke über den Kopf, – etwas Schweres sitzt mir auf der Brust. Jetzt kommt's an mich, sag' ich mir – oder – an ihn.

Lange blieb' ich wach, endlich aber fallen mir die Augen zu. Mir träumt von meinem Hochzeitstag. Auf den Bräutigam wartend, steh' ich im Brautkleid vor dem Spiegel. Da klopft's draußen, und wie ich öffne – tritt der Todtengräber herein. – Indem fahr' ich auf! Kein Traum ist's mehr. Wirklich klopft jetzt Jemand an dem kleinen Fenster, schreit und poltert. Ich stürze aus [82] dem Bett. – Vor dem Fenster steht ein halbwüchsiger Junge – Honsa – sein Ochsenknecht, und ruft: ›Macht schnell, er hat die Cholera und verlangt nach Euch.‹

Da fahr' ich in die Kleider und laufe hinaus, so schnell mich die Füße tragen, über die Stoppeln und das frisch geackerte Feld. Aber wie ich auch eile – mir ist's, als käm' ich nicht vom Fleck – mir ist's, wie wenn einem träumt, daß einem ein Stier nachstürzt und die Füße sind einem festgewachsen am Boden.

Wir kommen zur Fähre; – schläfrig kriecht der Fährmann aus seiner Hütte. Der braune Fluß grollt unter uns – und das weißliche Morgenlicht schimmert durch die graue Luft. Endlich bin ich dort. Das [83] kleine Thürchen im großen Wirthschaftsthor knarrt, und der Herr Pfarrer mit dem Allerheiligsten tritt heraus. Sie führen mich in die Stube, in der er liegt. Seine Mutter sitzt neben seinem Bett. – Wie ich eintrete, steht sie auf und verläßt das Zimmer ohne mich zu grüßen. Zu schaffen haben will sie nichts mit mir und hinaus weisen kann sie mich nicht – er hat ja die Arme nach mir ausgestreckt. Sein Gesicht ist blau und verzerrt wie das des Maurers, den sie damals herunter schleppten vom Gerüst. Die Augensterne kriechen ihm unter die Stirn, und doch erkennt er mich noch; fragt mich, ob ich's ihm verzeih', daß er mich rufen ließ, er hatte solche Sehnsucht nach mir, – und fragt zärtlich, ob ich mich denn nicht fürchte und nicht [84] scheue? – Ich vor ihm! – Mein Gott, ich weiß es ja kaum mehr, woran er stirbt, nur, daß er stirbt weiß ich noch!

Da sitz' ich neben ihm und hör' ihn ächzen und stöhnen – und das Herz bricht mir im Leib, weil ich ihm nicht helfen kann. Immer unruhiger wird er, fängt an wirres Zeug zu reden und wirft sich herum wie ein Rasender. Man möge ihm nur die Arme und Beine abhauen, schreit er, dann wird ihm besser, so aber hält er's nicht aus, und hält's nicht aus. Mit einemmal streckt er sich aus, lang und starr, blickt nach irgend etwas an der Zimmerdecke – dann hebt's ihn so zweimal, – und es ist zu Ende! – Heilige Maria, ruf' ich aus, und beug' mich über ihn und presse ihn an mich und [85] suche seine Lippen, um das Gift darauf zu finden, das ihn getödtet hat, um denselben Tod zu sterben mit ihm! –

Da tritt seine Mutter herein, den Rosenkranz in der Hand. Ich fahre zurück – einen raschen Blick wirft sie auf das Bett, dann zieht sie der Leiche das Leintuch über den Kopf und weist mir die Thür. – Noch im Hinausschwanken seh' ich, wie sie niederkniet und betet. Mir war's nicht eingefallen zu beten! –

Dann sitz' ich draußen auf einem Feldrain und sag' mir, er ist todt. Aber 's will mir nicht in den Kopf und nicht ins Herz. Und das Herz schmerzt mich nicht – es liegt mir nur in der Brust wie ein kalter, harter Stein. In der Dämmerung schleich' ich mich an seine Wirthschaft hin, blicke in die Fenster [86] und sage mir, wo er wohl liegen mag. Eine Kuhmagd geht vorüber, ich frage sie, die aber giebt mir keine Antwort und lächelt nur höhnisch. Ich komm' an einem Schuppen vorbei; – in der braunen Lehmwand ist ein kleiner, schmaler Fensterspalt, mit eisernen Stäben vergittert. Es zieht mich hin. – Ich schau, und schau – seh' erst nur allerhand Geräth, Rechen, Schaufeln und altes Holz. – Durch eine Ritze im Thor gegenüber jedoch dringt Licht, – es fällt auf etwas Langes, Schmales, das dort liegt unter einem grauen Laken auf einem Brett. Das ist er! Da steck' ich meinen Arm durch das Gitter, so weit es nur geht, als könnt' ich ihn erreichen und ruf' in die große, stumme

Scheune hinein: ›Buza! – Buza!‹ da [87] hör' ich hinter mir lachen. Der Hans ist's, der kleine Ochsenknecht. Er schabt mir ein Rübchen. Mir aber wird heiß und kalt und ich schleich' mich fort! –

Wie dumm doch die Leut' sind! Sie denken alle daran, was ich verliere, – ich aber weiß nur, wen ich verloren hab'.

Unter dem eisernen Kreuz inmitten des großen Dorfplatzes sitzen die Mädchen beisammen und erzählen einander, daß das Leichenbegängniß großartig gefeiert werden soll mit Musik und Tanz, wie sich's bei einem Junggesellen ziemt – und die schöne, blonde Mádla, die Vorsteherstochter, soll die erste Kranzeljungfer sein.

Die Mádla selbst erzählt nichts, sondern sitzt blaß und stumm, ich seh' ihr's an, wie [88] sehr sie sich vor der Annäherung mit der Leiche fürchtet, und doch will sie nicht zurücktreten aus Angst, die Mutter des Verstorbenen zu verletzen. Sie meint wohl, sie könne den Bruder des Armen nehmen, der zum Begräbniß erwartet wird aus der Stadt.

Den nächsten Tag ist die Leiche. Sein Bruder ist richtig gekommen. Er trägt einen schwarzen Hut und Handschuhe wie ein Herr – und thut so süß … so süß mit der Mádla. Mich haben sie nicht geladen zu der traurigen Feier. Ich sitze einsam auf einem Stein vor dem Dorf und warte. Traurig tönen die Glocken durch die Luft, – dann langgezogen, wie das Stöhnen der Sterbenden erklingt die Musik. Der Geruch von Weihrauch und Wachskerzen schwebt mir entgegen, – ich hör' viele [89] verschiedene Schritte durcheinander straucheln, – langsam naht die Prozession, voran der Pfarrer und die Ministranten, der Weihrauchkessel in einer grauen Wolke, – lange Wachskerzen, viel schwarzer Rauch und kleine rothe Flammen – und nun – der Sarg! Sechs Mädchen in weißen Kleidern und mit grünen Kränzen auf dem Kopf tragen ihn, – wie schwer ihnen die Bahre auf den Schultern lastet. Die blonde Mádla ist todtenblaß. – Und sie gehen und gehen – und alle Bäuerinnen weinen … ich allein weine nicht! –

Spät – spät, während die Anderen alle in der Schänke tanzen, schleppe ich mich hinüber zum Kirchhof auf sein Grab. Da hör' ich [90] eine hämische Stimme hinter mir: »Wann wird Hochzeit sein?« –

's ist wiederum der böse Hans. Dort sitzt er auf der Mauer, sich mit mit beiden Händen haltend und grinst wie ein Teufel. Mit einemmal geben die Steine nach – und rücklings fällt er in den Kirchhof hinein, mit seinem Wirbel gegen ein Eisenkreuz. Seitdem ist er nicht mehr gewachsen, nein, nicht um einen Zoll und ist wirr geblieben im Kopf. Und heute heißt er der Narrenhans.

Wie ich endlich heimkomme zur Mutter, fühl' ich die Krankheit in mir und lege mich nieder. Sie reichen mir allerhand Arzneien, ich aber schütte die insgesammt in die große Grube unter meinem Bett – die Grube, da [91]rin wir im Winter die Kartoffeln bewahren. Ich will nicht gesund werden. Aber – ach, gnädiger Herr! die Alten haben Recht – man kann nichts dazu thun und nichts dagegen. Nach drei Tagen bin ich gesund. Da hör' ich, daß die Mádla am Morgen nach dem Begräbniß verschieden ist. Mich trifft's wie ein Messer ins Herz. – Sie ist bei ihm und ich – ich – – da lauf' ich hinunter zum Fluß – aber wie ich hineinspringen möchte, ist mir's als steige etwas Kaltes aus dem Wasser und stoße mich zurück. Da weiß ich's, daß er mich nicht mehr will er braucht mich nicht im Himmel.

Dann – dann sagen sie mir, daß ich leben muß – dann ist das Kind gekommen. [92] – Armer Wurm! … da arbeitet man so weiter, und die Zeit vergeht! Aber das Leben ist theuer, und der Verdienst ist schmal – die Mutter war todt – die Kleine kränkelte Mein Gott! sein Kind darben lassen! … Nun, und wie der Müller mich wollte, so – – sagte ich ja – und dann …« sie schweigt und blickt weit vor sich hin! –

Da schleicht sich das kleine Mädchen an sie heran und legt den braunen Arm um ihren Hals. – »Mutter, Du hast vom Väterchen erzählt, nicht wahr?«

Die Müllerin küßt das Kind auf die Stirn.

»Katschenka!« ruft eine heisere, greinende Stimme aus dem Hause.

[93] Da erhebt sie sich, tritt hinein.

Ich sehe ihre große Gestalt noch, bis sie verschwindet in der Moderluft, in dem Dunkel! – [94] [95]


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