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Die Hochzeit der Todtenlida.

[114] [115]

I.

Sie saß auf der Schwelle ihrer Hütte, wand einen Blumenkranz und/ fang einen Trauermarsch dazu. Ihr Gesicht war fahl und mager mit kurzer Nase und in großen braunen Höhlen eingesunkenen Augen. Es erinnerte an einen Todtenkopf, und wie ein Todtenkopf lächelte es beständig und sah nie fröhlich aus. Ihr Alter nach ihrem Aeußeren zu beurtheilen hielt schwer, wie zumeist bei Menschen, denen die Seele vorge [116]storben ist. Ob sie der Jahre siebenzig oder nur fünfzig zählte, stand nicht auf ihrem starren, ausdruckslosen Gesicht.

Sie mochte einst schön gewesen sein, und war eitel geblieben.

Um ihre mageren Hüften schlotterte ein bunter Rock von großgeblümten Kattun, um ihre Schultern schlang sich ein verfärbtes, grünes Seidentuch mit langen, noch verblicheneren Fransen über ein derbes Bauernhemd, ihr volles rothgraues Haar, das sich ihr in schweren Scheiteln um Hals und Wangen schmiegte, war am Hinterkopf mit einem hohen Kamm von karneolbesetzter Messingarbeit aufgesteckt, und um ihren Hals flimmerten fünf oder sechs Schnüre billiger Glasperlen.

[117] So wie sie heute da saß, konnte man sie alle Tage des Jahres vor ihrer Hütte kauern sehen, wenn nicht etwa die Witterung sie in ihre vier Wände hineintrieb, – immer in demselben phantastischen Aufputz, immer denselben starren Blick im Auge, und anscheinend immer denselben Kranz auf den Knien – einen Kranz, der so groß und wuchtig war wie ein Wagenrad.

Man nannte sie die »Todtenlida« und nicht etwa wegen ihrer unheimlichen Gesichtsbildung, sondern weil sie, wie die Dorfleute sich ausdrückten, »vom Tode lebte.«

Sie war die Leichenbesorgerin des Oertleins. Seitdem sie vor etwa drei Jahren nach langer, langer Abwesenheit in ihr Heimathsdorf zurückgekehrt war, hatte sie es [118] übernommen, die Todten herzurichten für ihren letzten Weg, sie zu waschen, anzukleiden und Kränze zu winden für ihre Särge und Gräber. Vor dieser unheimlichen Beschäftigung fühlte sie nicht die geringste Scheu. Die Leichen flößten ihr kein Grauen ein, – im Gegentheil liebte sie die Todten mehr als die Lebenden, wie sie oft zu versichern pflegte; und wenn man sie frug, warum, da lächelte sie erst blödsinnig und verstand nicht, – dann legte sie die Hand an die Stirn und murmelte tonlos: »die Todten … sind … gut … die … thun … Niemandem …

etwas … zu … leid!«

Bei Begräbnissen schritt sie stets feierlich mitten im Zug einher, und erzählte, wie schön der oder die ausgesehen hätten im Sarge, [119] und wenn dann die Leute nicht mit einstimmten in ihr Lob, fühlte sie sich beleidigt wie ein Künstler, dem man die gebührende Anerkennung versagt hat.

So führte sie im Ganzen eine zufriedene Existenz. Nur wenn eine Hochzeit im Dorf gefeiert ward, gerieth sie außer sich, wimmerte und schluchzte, raufte sich das Haar und lief händeringend dem Bräutigam nach. Auch knüpfte sie sich bei solchen Gelegenheiten jedesmal ein noch bunteres Tuch um die Schultern und hing sich eine Glasperlenschnur mehr um den Hals. Am Abend schlich sie dann rastlos um das Wirthshaus herum, aus dem die Musik erklang, zu der die Hochzeit tanzte. Wie ein verendendes Thier stöhnend, schlug sie sich mit beiden Händen [120] auf ihre magere Brust und verlangte Einlaß in. den Tanzsaal. Zumeist wurde ihr dieser gewährt. Dann belustigten sich die Hochzeitsgäste so lange an ihrer Tollheit, bis sie ihnen lästig geworden war, worauf sie mit Gewalt von dem Feste hinweg und nach Hause geschleppt werden mußte.

Den nächsten Tag kam wieder Alles in's alte Geleis. Ihre Aufregung war verschwunden, zufrieden kauerte sie von Neuem vor ihrer Hütte, einen Kranz – sie versorgte damit die ganze Umgebung – auf den Knieen, und lachte blödsinnig, wenn ihr ein Gassenjunge im Vorübergehen zurief, daß sie einst ein schönes Mädchen gewesen sei. – – [121]


II.

Es war ein heißer Julitag. Die weit vorspringenden Strohdächer warfen schwarze Schattenstreifen über die im grellen Sonnenlicht bläulich weiß leuchtenden Wände der langen niederen Hütten. Zur rechten Hand der Alten blühte in einem Gärtchen, das fast zierlich mit einer Ziegelumzäunung eingefaßt war, allerhand buntes Blumenzeug, zur Linken nickte eine sehr müde Sonnenblume mit einem für ihren schlanken Stengel viel zu großen Kopf melancholisch einem Misthaufen zu, in welchem rothe und gelbe Hühner nach Futter pickten.

Der Alten gegenüber saß auf einem Steinhaufen ein rothhaariger Zwerg und starrte sie, die Kniee unterm Kinn, hämisch an.

[122] »Holla, Frau Todtin, für wen der Kranz?« krähte er mit unheimlich heiserer Falsettstimme zu ihr hinüber.

Die Alte sah auf, beugte sich jedoch sogleich, und ohne ihm zu antworten, von Neuem über ihre Arbeit.

»Ihr windet ihn wohl für Euern Bräutigam?« krächzte der Zwerg – »für Euren Bräutigam, he! he!«

Bei dem Worte Bräutigam zuckte die Alte zusammen, – »Bräutigam!« sagte sie ein paar Mal halblaut vor sich hin – »Bräutigam!« – dann geziert an den Glasperlen um ihren Hals zupfend, schlug sie die Augen nieder und lispelte mit grotesker Verschämtheit: »wer sollt' wohl mein Bräutigam sein?«

»Euer Bräutigam ist der Tod,« rief der [123] Knirps und kreuzte gravitätisch die Arme über die Brust.

Sie horchte nicht.

Da sprang der Unhold von seinem Steinhaufen herab, pflanzte sich frech und boshaft vor sie hin und kreischte: »Jawohl, Euer Bräutigam ist der Tod – der Tod, der wird Euch wohl treu bleiben bis zur Hochzeit, und wird es nicht machen wie Euer – Euer – so steht doch auf und sagt mir mir wie er hieß … Franz, nicht wahr, Franz … Franz … Franz Král!«

Die Blumen glitten der Alten vom Schoße herab. Aengstlich forschend heftete sie ihren starren Blick auf den widerlichen Zwerg. Dieser neigte jetzt seinen Kopf der rechten Schulter zu, und das linke Auge zukneifend, [124] die geschlossene Hand wie ein Teleskop an die rechte haltend, sagte er: »muß mir Euch doch einmal genau besehen, Frau Todtin, die Leute behaupten alle, daß Ihr einmal ein schönes Mädel gewesen wär't – ein sehr schönes Mädel, sakrament!«

Sie tastete noch einmal an ihren Glasperlen, lachte blödsinnig vor sich hin, … plötzlich versteckte sie ihr Gesicht in ihren Händen und brach in kicherndes, winselndes Schluchzen aus.

»Daß Dich…« rief jetzt eine tiefe, rauhe Mannweibstimme dazwischen, und zugleich trat aus dem Innern der Hütte ein stämmiges altes Frauenzimmer an der weinenden Greisin vorbei und auf den Zwerg zu: »Scheer' Dich zu allen Teufeln,« herrschte sie ihn an, in [125]dem sie ihm zugleich eine mächtige Faust drohend vor die Augen hielt – »und wenn Du schon einmal nichts Anderes auf der Welt kannst als Deine Mitmenschen quälen, so suche Dir zum wenigsten Jemand dazu aus, der Deiner Frechheit gewachsen ist. Herzloses Ungeziefer Du!«

Eingeschüchtert durch die physische Ueberlegenheit des kräftigen Weibes, schlug der Knirps einen Purzelbaum und machte sich mit großer Flinkheit auf den Händen weiter laufend, davon.


III.

Er war der »Narr« des Dorfes. Man nannte ihn nicht anders als den Hochzeits [126]hans. Wohl hatte er früher einen andern Namen gehabt, den aber hatte man vergessen. In seinem zwölften Jahr durch einen bösen Fall verkrüppelt, war sein Körper seitdem nicht mehr gewachsen, ohne daß man seinem Verstande lange Zeit hindurch irgend eine andere Absonderlichkeit angemerkt, als einen ungewöhnlichen Hang zur Bosheit. Zu schwach zum Arbeiten, war er ein paar Jahre mit einer kleinen, heiseren Drehorgel in der Umgebung herumgezogen, hatte sich sein Brod erbettelt, wie es eben ging – und das war mühsam! – Dann eines schönen Tages hatte er sich von einem Trödler aus der nächsten Kreisstadt eine alte rothe Bedientenweste und ein goldgesticktes Käppchen gekauft, und war Narr geworden von Profession. Binnen [127] Kurzem vervollkommte er sich in diesem Beruf dermaßen, daß bald kein Fest, sei's Hochzeit oder Leichenschmaus, in der Umgebung für gelungen galt, wenn der Hans dabei fehlte.

Ungestraft sagte er die bösesten Dinge, durch seine officielle Unzurechnungsfähigkeit geschützt. Und während die Bauern sich an seinen täppisch lasciven Scherzen ergötzten, blitzte es aus seinen grünen Augen wie das Licht eines heimtückisch verborgenen Verstandes. Allezeit des Frevels gedächtig, welchen die Natur an ihm verübt, begeiferte er die ganze Schöpfung mit seiner cynischen Spottlust. Er spie der Freude in's Gesicht, und deutete mit Fingern auf den Schmerz. Die arme Todtenbesorgerin quälte er schon [128] seit Längerem mit besonderer Vorliebe. Gewöhnlich ließ sie sich durch seine widerlichen Späße nichts anhaben – heute aber hatte er sie in's Herz getroffen. Vergeblich hatte ihre stämmige Vertheidigerin Blumen und Kranz aus dem Staube aufgelesen und ihr von Neuem auf die Knie gelegt. Die Blumen welkten in ihren heißen Händen und der Kranz wurde nicht fertig.

Furchtsam um sich schauend, und sich von Zeit zu Zeit mit der Hand über die Stirn fahrend, als versuche sie den Staub von ihren Erinnerungen herabzustreifen, murmelte sie vor sich hin: »Franz! Franz!« Mühsam versuchten ihre armen, unbeholfenen Gedanken sich zurückzutasten in die Vergangenheit, zurück durch ein langes, langes Dunkel bis zu [129] der Zeit, da sie wirklich noch ein schönes Mädchen gewesen war. –

Gar Mancher von uns hat eine Stelle in seiner Vergangenheit, der die Erinnerung ängstlich, als fürchte sie dort Gespenstern zu begegnen, ausweicht. Es ist die Stelle, wo unser Glück begraben liegt. Aber für fast Jeden kommt auch ein Tag, da ihn seine Erinnerung mit Gewalt an jene unheimliche Stelle herangeschleppt, und das ist ein Tag großen Herzleids! –

Die arme Todtenbesorgerin empfand das heute. Jahrelang war ihr Geist in düstere Schleier eingesponnen, von der Vergangenheit völlig getrennt gewesen, nun aber hatte plötzlich eine rauhe Hand einen Riß in den Schleier gemacht, und der Lida war's, als [130] sähe sie von ferne – ferne ein weißes Licht schimmern … eine Tanzweise, die sie seit dreißig Jahren nicht mehr gehört, summte ihr durch den Kopf! … Wie war es denn damals gewesen, wie … wie … damals, als sie wirklich noch ein schönes Mädchen gewesen war?


IV.

Ein schönes Mädchen! ja, das war sie einst gewesen – das schönste Mädchen im ganzen Dorf, und einer unverheiratheten Taglöhnerin Kind. Die reichen Bauerntöchter beneideten sie ob ihrer Schönheit, und verachteten sie ob ihrer unehelichen Geburt. Viele Burschen warben um sie, sie verabschiedete sie alle, den einen, weil er von den [131] Blattern gezeichnet war, den andern weil er rothe Haare hatte, den dritten aus irgend einem andern, noch thörichteren Grund. Die scharffsinnigen Matronen des Dorfes aber rümpften die Nasen, und raunten einander zu: »die hat's auf einen Bauernsohn abgesehen.« –

Ein hoher Festtag kam. Lida erschien auf dem Tanzboden. Sie sah sehr hübsch aus, trug ein rothes Kopftuch und eine Seidenschürze, und hielt sich so steif und gerad, daß sie um zwei Zoll gewachsen schien. Wenn einer von den Burschen sie zum Tanz aufforderte, machte sie ein gleichgültiges Gesicht und zierte sich, als ob es gälte ihm eine besondere Gnade zu erweisen; dabei war sie zerstreut [132] und blickte sehnsüchtig nach der Thüre des Tanzsaales.

Alle merkten es, daß sie Jemanden erwarte, Keiner aber wußte wen.

Plötzlich hatte sich ihre Aufregung beruhigt. Sie stand nun ganz still auf ihrem Platz, war gluthroth, lächelte mit züchtig niedergeschlagenen Augen und zupfte an ihrer Schürze.

»Er ist da!« murmelten die beobachtenden Dorfweisen, »aber welcher ist's denn? – welcher?«

Es wurde zur Damenwahl aufgespielt. Mit linkischer Verlegenheit oder plumper Ziererei schoben sich die Mädchen an die, welche sie auszeichnen wollten, heran.

Lida schlug die Augen auf, warf einen Blick quer über den Tanzboden – und bald [133] wirbelte die uneheliche Tochter der Taglöhnerin in den Armen eines schönen, vermögenden jungen Müllers über die schmutzige, holprige Diele.

Von allen Verkleidungen, die der Neid wechselweise trägt, sind ihm Entrüstung und Mitleid die geläufigsten.

»Eine Frechheit … sie ist nicht seinesgleichen … sie wird ihn noch büßen ihren vermessenen Hochmuth!« – grollten einige der Bäuerinnen.

»Ich möcht' ihm keine meiner Töchter geben, denn er ist ein Schuft, aber es ist schrecklich, daß man so etwas mit ansehen muß …«

»Eine Unbesonnenheit,« lispelten die Anderen, »armes Mädchen, sie ist so übel nicht, [134] wie schade! man möchte ihr ihn ja gerne gönnen, wenn er auch nicht ihresgleichen, aber er ist ein gar lockerer Geselle. Armes Ding!« –

Die Lida kümmerte sich weder um Mitleid noch um Entrüstung, die Musik schmetterte Triumpflieder durch die dumpfe Wirthsstube, und ihr Herz klopfte freudig einstimmend in ihrer Brust. Jubelnde Eitelkeit fieberte ihr in allen Adern – er, der Schönste, der Vornehmste im ganzen Dorfe tanzte mit ihr, und nur mit ihr die ganze Nacht, und schenkte ihr ein pfefferkuchenes Herz, auf dem sich eine rosa Zuckertaube mit einer himmelblauen schnäbelte. – –

Als nun die Lida den Sonntag darauf in der Kirche erschien, trug sie an einer fünf [135]fachen Granatenschnur drei große Dukaten am Halse, und um ihre Hüften bauschten so viele frischgeplättete Unterröcke, daß die Bäuerinnen mit kritischem Blick sogleich feststellten, – sie habe deren gewiß ein Dutzend am Leib.

Und das Mitleid seufzte: »So kostbares Geschmeide könne sich das arme Ding nimmermehr von ihren Ersparnissen gekauft haben, oh die Unglückliche, oh die Verblendete! wenn man nur glauben könnte, daß etwas Gutes aus alledem entstände!«

Die Entrüstung ballte die Faust und murrte: »Eine Taglöhnerstochter, die sich erlaubt zwölf Unterröcke umzubinden, wie ein leibhaftig Bauernkind, könne nur eine schlechte, verworfene Person sein!«

[136] Die Lida aber merkte nichts von der Bosheit, die sie ringsum beredete, oder sie beachtete sie nicht. Das Kinn stolz auf den Hals gepreßt, ihr großes Gebetbuch mit beiden Händen an die Brust haltend, trat sie in die Kirche, und wischte, ehe sie sich niedersetzte, mit ihrem großen, weißbaumwollenen Taschentuch zimperlich den Staub von der Kirchenbank.

Beim Heimwege, als die andern Mädchen alle an der Lida vorüber schossen, als ob die Pest an ihr hinge, trat eines an sie heran – eines, häßlich und wohl ein halb Dutzend Jahre älter als die Lida, aber kernbrav und uneigennützig – Marenka mit Namen. »Ich mag Dir nicht viel sagen,« sprach es, »Du dächtest ja doch nur der Neid spricht [137] aus mir – ach, mein Gott! wie sollt' ich Dich denn beneiden um das, was doch nie mein sein könnte! Ebenso gut könnte ich den Tag um die Sonne beneiden, oder die Nacht um den Mond! Uebrigens möcht' ich Deinen Müller gar gar nicht, nein! … Schüttle nur ungläubig den Kopf – ich möchte ihn nicht – eine häßliche alte Jungfer, die ich bin, möchte ich ihn doch nicht. Mir wär's, als nähm' ich den leibhaften Teufel zum Mann, wenn ich den schwarzen Kerl heirathen sollt'. Das aber thut nichts zur Sache, Dir gefällt er nun einmal, und das ist ein Unglück! Ich sage Dir's zur Warnung, trau' ihm nicht, er ist herz- und treulos. Frag' nur die braune Ruzenka im Thal dort unten bei den Mühlen, die grämt sich wegen seiner ins Grab, [138] weil er sie verstoßen und verlassen hat wie ein Elender, sie und so manche Andere, – er wird nicht besser handeln an Dir!«

Die Lida reckte nur vornehm den Hals aus ihren Granatschnüren heraus, maß das häßliche, alternde Mädchen vom Kopf bis zu den Füßen, und würdigte es keiner Antwort.

Kein Mädchen glaubt an die Uneigennützigkeit einer Freundin, sobald ein Mann im Spiele ist! – –

Es war Herbst damals. Die schrägen Sonnenstrahlen spiegelten sich in großen braunen Pfützen, auf denen gelbe und rothe Blätter schwammen. Der Wind raufte bereits das Laub aus den krummstämmigen Apfelbäumen am Straßensaum. Die Krähen flatterten krächzend über die braunen, nach frisch ge [139]ackerter Erde riechenden Felder, und hier und da schimmerten zart und grün die dünnen Hälmchen der neu aufkeimenden Saat!


V.

Anfänglich war sie nur stolz darauf gewesen einen schöneren und reicheren Burschen zu haben, als alle anderen Mädchen im Dorf.

Später liebte sie ihn! –

Der Winter zog vorüber und auch die erste übermüthig hinstürmende und hinblühende Frühlingszeit. Aus den schwachen, blassen Hälmchen waren starke grüne Halme geworden mit langen silb'rig schimmernden Aehren. Fein wie Weizenmehl und beinahe so hell wie Kornmehl, bedeckte der Staub die Straße, [140] und die krummstämmigen Apfelbäume hingen voll steinharter, grasgrüner Früchte.

»Wann wird die Hochzeit sein?« frug eines Tages die Marenka besorgt die Freundin. Die aber wendete trotzig den Kopf ab, und murmelte: »bald!«


Die wilden Rosen waren erblüht und wieder verwelkt, und der Silberglanz auf den Getreidefeldern verwandelte sich in Gold, und über den Kleefeldern schimmerte es bräunlich – davon aber, wann Lida die Hochzeit feiern sollte, davon hörte man nichts! –


Täglich wurden ihre Wangen blässer, ihre Augen röther. Die Mädchen hielten [141] sich fern von ihr bei der Feldarbeit und in der Kirche. Manchmal, wenn die Arbeitsstunde vorüber war, da schlich die Lida hinunter in das Thal dort, wo seine Mühle an einem grünbewaldeten Bergabhang lehnte. Er handtirte bei der Heuernte auf seiner Wiese herum. Sie blieb am Straßenrande stehen und pflückte Feldblumen am Rain. Er aber that, als merke er es nicht, und wie die Schatten länger, und die Straße einsamer geworden, da nahm sie ihr Tüchlein ab, und setzte sich ein Kränzlein von rothen Mohnblumen auf das Haupt, und ließ sich auf einen Stein nieder, und begann ein Volksliedchen zu singen, so recht sehnsüchtig klagend, – er aber wandte den Kopf ab und pfiff ein keckes Tanzstücklein. Sowie dann [142] die Schatten über die ganze Erde reichten, und das Licht todt war, ging er nach Hause, ohne sie zu grüßen. Sie sah ihm nach – und weinte, und wartete, ob er wohl umkehren werde – aber er kehrte nicht um! Und wie die Dämmerung dichter wurde, da schlich sie hinunter zu dem Mühlbach und versteckte sich am Ufer zwischen den Erlenbüschen und zerriß ihr welkes Kränzlein in zwei Stücke und warf's in den Bach und seufzte: »ich hab' mein Herz in das Bächlein geworfen, in das dunkle, glänzende Bächlein, aber mein Herz ist in das Mühlrad hinein gerathen, und das treibt nun damit sein Spiel« – und dabei horchte sie auf das rastlose Sausen des Mühlrades. Und als der Mond aufging, da pflückte sie am Baches [143]rand einen Strauß von Vergißmeinnicht und schlich damit bis an die Schwelle der Mühle.

Die küßte sie und legte die Blümlein auf die Stelle, die ihre Lippen berührt.

Dann schlich sie langsam nach Hause zurück ins Dorf. Ob er wohl kommen wird den nächsten Morgen, dachte sie!

Aber – er kam nicht! –


Im Dorfe verbreitete sich das Gerücht, Franz Král, der Müller, sei sehr verschuldet, und wenn ihm nicht bald geholfen werde, käme seine Wirthschaft unter den Hammer. Kurz darauf verlautete: »um sich aus seinen Geldnöthen zu retten heirathe der schöne Král die lange Veronika, die häßlichste, [144] aber auch die reichste Bauerntochter in der ganzen Gemeinde.«


VI.

's war am Abend von Peter und Paul und alle Welt im Wirthshaus auf dem Tanzboden, nur die Lida saß einsam auf der Schwelle ihrer Hütte, den Kopf in der Hand. Die Dämmerung zitterte auf die Erde nieder wie schwarzer Staub. Eine Grille zirpte schrill und genügsam wie ein kleines Thier, das stolz darauf ist, einen großen Lärm machen zu können. Durch die träge Abendstille tönte die Wirthshausmusik verwegen jauchzend, höhnend bis zu der Einsamen hinüber. Von Zeit zu Zeit schloß sie die [145] Zähne fest aufeinander und stöhnte, dann preßte sie die Hand aufs Herz, wie man sie auf eine offene Wunde preßt. –

Die Nacht brach herein, langsam stieg der Mond den blauen Sommerhimmel hinauf. Da erhob sie sich und schlich bis zu dem Wirthshause hin. Der Tanzboden befand sich zur ebenen Erde. Aus den offenen Fenstern strömte gelbliches Licht und malte helle viereckige Flecke in den schwarzen Schatten, den das Wirthshaus auf die Straße vor sich hinwarf. –

Leise, mit stockendem Athem schlich sich die Lida heran. Ihr war's, als tauche sie den Blick in den Abgrund der Hölle hinein. Das Licht der Kienspähne flackerte röthlich und unsicher über die Tanzenden. Die Motten [146] flatterten um die Flammen und der Nachtodem bewegte sie leise hin und her. Ihren fiebernden Augen schien's, als wälzten sich verzerrte schwarze Ungeheuer durch blutrothe Wolken. Sie sah nicht deutlich, erkannte Niemanden. Plötzlich fuhr sie auf. Ihr war's, als bisse sie eine Schlange in das Herz! Dort in Mitten der Andern, sie um einen halben Kopf überragend, mit frecher Haltung, halb betrunken, den Kopf zurückgeworfen, das Gesicht geröthet, die Augen unnatürlich glänzend, drehte sich Kral, die Veronika im Arm.

Der Lida schwindelte, sie trat zurück, – langsam, mit tief gesenktem Kopf wankte sie hinweg. Bis zu dem Kreuze schleppte sie sich, das dort auf dem Ortsried unter den drei Linden steht, und kauerte auf den steinernen [147] Stufen zu Füßen des Heilands. Sie weinte nicht, starr, aufrecht, todtenblaß und todtenstill saß sie da und wartete.

Die Linden waren im Verblühen. Hinsterbende Blüthen zitterten aus den schweren Aesten auf die Erde nieder, ringsum den Heiland war der Boden mit ihnen bestreut, und aus den blassen Blüthen stieg eine wundersam duftige Schwermuth, – es war, als hauchte sie sterbend eine süße traurige Beichte in die Nacht hinaus.

Der Mond schien hell; zwischen die schwarzen Aeste der Linden schlich sein Licht und ruhte auf dem Gesicht des Gekreuzigten und küßte seine Wunden! Große weiße Hollunderblüthen sahen gespenstisch undeutlich aus dunklem Laub über die Mauer eines [148] Bauerngehöfts, und die Hütten gegenüber warfen kurze, pechschwarze Schatten auf den hellen Staub.

Die Lida saß still und wartete. Manchmal war ihr's, als tobe ein wüthender Wolf in ihrer Brust und zerfleische ihr das Herz; dann wieder beruhigte sich der Schmerz in ihrem Herzen, der süße Geruch der hinwelkenden Lindenblüthen betäubte sie – schläferte sie ein. Sie träumte von glücklichen Stunden, erwachte plötzlich und schüttelte sich wie im Fieberfrost. –

Die Musik war verstummt. Durch die Nachtstille tönten die Schritte der Leute, die sich nach Hause begaben. Lida wandte den Kopf, – dort sah sie ihn, er geleitete die Veronika nach Hause. An der Thüre ihres [149] Gehöftes entließ sie ihn mit huldvollen Worten und gezierten Mienen. Nun war er allein.

Die Hände in den Taschen, und sich in den Hüften wiegend, schritt er dahin. Sein Schatten fiel ihm voraus, lang und schwarz, und als er das Kleid der Lida berührte, sprang sie auf und faßte den Burschen am Arm.

»Franz!« rief sie.

»Was willst Du?«

»Mit Dir reden.«

»Mit mir reden? … und dazu springst Du aus dem Dunkel wie ein böser Geist, lauerst mir auf wie eine Diebin? … Geh, Unverschämte … laß mich!«

Er wollte sie abschütteln, aber ihre Hand hielt seinen Arm fest umklammert, und ihre großen Augen, die im Mondschein blitzten, [150] hefteten sich voll auf sein verwegenes braunes Zigeunergesicht.

»Ist das wahr, was die Leute von Dir sagen, daß Du die Veronika heirathen willst?« fragte sie langsam, schwer athmend.

»Ich werde heirathen, wen ich will,« antwortete er zornig.

»Nein, das wirst Du nicht! Ich habe ein Recht auf Dich und keine Andere!«

»Du?« entgegnete er verächtlich und blickte sie an – und erschrak plötzlich. Sie schmiegte sich an ihn und murmelte weicher: »Die Leute verleumden Dich, aber ich weiß es ja am besten, Du bist gut, Du wirst mich nicht verlassen – Du darfst nicht, hörst Du … jetzt nicht mehr … es ist zu spät! …«

»Verkaufe Deine Dukaten, wenn Du Geld [151] brauchst,« schrie er sie an, und stieß sie so roh, so heftig, daß sie niederfiel in den Staub.

Sogleich aber raffte sie sich auf, und die Arme hoch empor streckend, rief sie laut: »Herzloser Schuft, ich fluche Dir! Sowie Du mich jetzt verstößest, soll unser Herrgott Dich verstoßen, bis Dein Glück zerbricht und Du um Gnade flehst. Du sollst elend sein, elender als ich, tausendfach elender, das Ungeziefer soll Dich verzehren, die Menschen sollen Dich scheuen, Du sollst irren von Thür zu Thür und Niemand soll Dir Einlaß gewähren, bis Du endlich mit dem Unrath auf der Straße verfaulst! …«

Die Leute blieben stehen und horchten, – einige steckten die Köpfe aus den Fenstern ihrer Hütten, und andere traten aus den [152] Thüren, nur die lange Veronika zeigte sich nicht. Kral aber stieß eine leichtsinnige Lache aus, drehte sich auf dem Absatz um und ging seiner Wege.

Da riß sich die Verstoßene die Granatschnüre mit den drei Dukaten vom Halse und schleuderte sie ihm nach. »Ich fluche Dir!« schrie sie, daß es wie die Stimme eines Nachtvogels durch die Nacht gellte, so schrill und heiser und grauenhaft, dann griff sie sich taumelnd an die Stirn – und sank um! –

Die Marenka nahm die Bewußtlose in ihre rüstigen Arme und trug sie nach Hause. –

Wenn unser Herz übervoll ist von Schmerz, da ist's oft, als spränge es plötzlich mitten entzwei und die dunkle Fluth ergösse sich [153] durch unser Inneres und schwemmte unsere Qual sammt. unserer Vernunft mit sich fort.

Als die Lida nach langem Siechthum genas, erinnerte sie sich der Katastrophe nicht mehr, hing sich Perlen um den Hals und lachte, wenn irgend Jemand im Vorbeigehen ihr zurief, daß sie ein hübsches Mädchen sei. Ihre Mutter war inzwischen gestorben, ein entfernter, in einem andern Dorfe angesiedelter Verwandter nahm die Unglückliche bei sich auf. Als er nach dreißig Jahren starb, schickte man sie in ihre Gemeinde zurück. Die alte Marenka gewährte ihr ein Obdach. – – –

Das ist die Geschichte der armen Todtenlida – die Geschichte, die sie vergessen hat! –

Träumerisch sitzt sie vor der elenden Hütte, die welkenden Blumen im Schooß. Durch [154] die unbewegte Juliluft schwebt der Geruch der Lindenblüthen zu ihr hin. Ein altes Tanzstückchen schwirrt ihr durch den Kopf. Das Bild eines schönen braunen Burschen taucht in ihrer Seele auf. Was sie von ihm trennt, das sucht sie umsonst – ihn selber aber sieht sie plötzlich genau. In ihren Adern pocht's. Sie sieht die Mühle vor sich dort an dem Bergabhang und in der Mitte der Wiese die alte Eiche, unter deren Aeste sie sich einst während eines plötzlichen Regenschauers Beide geflüchtet. Eine schreckliche Unruhe kömmt über sie. Sie springt auf, macht ein paar Schritte vorwärts, stiert vor sich hin, als suche sie etwas, fährt sich mit der Hand über die Stirn, schüttelt den Kopf, setzt sich auf ihren alten Platz und seufzt [155] ungeduldig. Wo doch das Alles hinverschwunden sein mag? War's denn ein Traum? …


Alles ist verschwommen in ihrer Erinnerung, nur sein Bild steht deutlich vor ihrer Seele! Wo er wohl weilen mag, was denn aus ihm geworden ist? – Sie weiß nicht, was das ganze Dorf weiß, ahnt's nicht, daß sich seine Schuld an ihm gerächt, ihr Fluch sich bereits erfüllt hat fast Wort für Wort, – weiß nicht, daß er die alternde Bauerntochter wirklich geheirathet, und es Anfangs ein Geschnäbel gegeben hat von früh bis Abend, bis es dann plötzlich vorbei war, er wie ehedem sein Geld mit losen Dirnen und Suff und Kartenspiel im Wirthshaus verpraßte; [156] – wie sein Weib nichts mehr hergeben wollte und er in Schulden erstickend sich dahin und dorthin wandte in seiner Noth, bis seine Mühle unter den Hammer kam, und sein Weib sie kaufte für sich, nicht für ihn – wie sie Dank der österreichischen Gesetze, welche das Eigenthum von Ehegatten streng scheiden – konnte, und wie nun ein Leben für ihn anging, das ihm kein Hund geneidet hätte, wie er, um ein paar Kreuzer für Branntwein zu erbeuten, sich auf kleinlichen Diebstahl verlegte, und sein eigenes Weib bestahl, und – wie zuletzt – in einer schwülen Julinacht war's und der Mond schien, und die Linden blühten – sein Weib und sein ältester Sohn ihn aus Haus und Hof hinausstießen auf die Straße und das Thor polternd [157] ins Schloß fiel hinter ihm, er aber seitdem alt und elend bettelnd von Dorf zu Dorf irrt, in Straßengräben übernachtend, in halbverfallenen Ziegeleien oder Ställen … Ja, Alle wissen's, nur sie weiß es nicht für Alle war er seit Jahren nur noch der Bettler Král – für sie ist er noch immer der schmuckste, stolzeste Bursche der ganzen Umgebung! –


VII.

Ueber einen schlechten Feldweg rasselt mit klirrender Hemmkette ein schwerfälliger Bauernkarren. Der Kutscher schläft, die Pfeife im Munde, den Kopf auf der Brust. Müde schleppt das Pferd die langen, hageren Beine, [158] die graue Nase beinahe auf den Knieen, blickt es stumpf vor sich hin in die tief ausgefahrenen, hartgedörrten Geleise. Auf Strohgarben gebettet liegt auf dem Karren ein Haufen widerlicher Lumpen, unter denen etwas Unsichtbares leise wimmert und stöhnt.

Langsam und verdrießlich holpert das Gefährt – eine sogenannte »Bettelfuhre« – die baumlose Ebene entlang, zwischen bräunlich schimmernden Klee- und nach Regen lechzenden Rübenfeldern. Kein Hauch bewegt die Luft. Um das verzwergte Gestrüpp von Schlehen und wilden Rosen am Wegessaum flattern zahllose weiße und gelbe Falter.

Ein Rad prallt gegen einen Stein; verschlafen blinzelnd hebt der Kutscher den Kopf, der Feldweg mündet in eine Chaussee, die, [159] stark bergab gehend, in ein böhmisches Dorf führt, das in einer seichten Thalmulde wie in einer großen, grünen Muschel liegt.

Er schnalzt mit der Zunge und vorwärts geht's, vorwärts über Stock und Stein dem Dorfe zu – dem Dorf mit seinen moosübergrünten schwarzen Schindeldächern auf tief in der Erde steckenden kleinfenstrigen Hütten, vor denen bernsteinfarbige Schweine sich in metallisch aufglänzenden schwarzen Pfützen wälzen, und halb nackte Kinder im Staube spielen, mit seinen schwerfälligen Bauerngehöften und seinem baufälligen Herrenhaus, dessen Vorderseite durch eine breite Jelänger-jelieber-Hecke verschanzt auf den Ortsried [160] hinaussieht, wo noch heute das Kreuz unter der drei Linden steht. –

Vor dem Herrenhause hält die Fuhre. Sich träge dehnend, springt der Kutscher ab, wirft eine Strohschütte unter die graugrüne Hecke mit ihren mageren lila Blüthen, dann den Schieber aus der Rückseite des Karrens ziehend, ruft er: »kommt, kommt, – wir sind da!«

Zwischen den schmutzigen Lumpen bewegt sich etwas, ein bis zum Skelett abgemagerter, alter gelber Mann richtet sich halb auf, tastet schwindlig mit den Händen um sich, und sinkt machtlos zurück. »Verflucht!« knirscht der Knecht zwischen den Zähnen,« er kann nicht mehr vom Fleck!« und den Alten an den Achseln packend, zieht er ihn [161] von dem Wagen herab und bettet ihn auf das Stroh.

»Wen bringt Ihr denn da,« fragt ein Weib, das, die Hand über den Augen, in der Thüre einer Hütte stehend, auf die Straße hinaus blickt.

»Den Bettler Král,« erwidert der Mann, indem er sich mit einer Geberde des Ekels die Hände an einem Strohwisch abreibt, als wolle er sie von der Berührung des Kranken reinigen, »er ist bei uns erkrankt und hierher zuständig!«

»So! Wir danken Euch recht sehr – hättet ihn Euch behalten können, den Lumpen,« antwortet das Weib – »und gerade vor das Schloß legt Ihr ihn, die Herrschaft wird sich freuen!«

[162] »Was wollt Ihr? Er hat es so verlangt, und 's ist wohl am besten so,« brummt der Kärrner, sich seine Pfeife ansteckend. »Die Herrschaft wird sich am ehesten darum bekümmern, daß die Kreatur ein Unterkommen finde – schon Schanden halber! Mit Gott!« – und sich auf seinen Wagen hinaufschwingend, rasselt er dem nächsten Wirthshause zu.

»Sonderbar!« murmelte das Weib, und da soeben die Marenka kommt, ruft sie ihr zu: »wißt Ihr etwas Neues? – der Bettler Král ist zu uns zurückgekehrt.«

»So, hat ihn seine Frau bei sich aufgenommen?«

»Bewahre. Dort liegt er vor dem Schloß auf dem Stroh, wie ein kranker Hund 's ist zum Erbarmen.«

[163] »Ja, wenn er's nicht wär',« grollt die Marenka, »aber er hat's nicht besser verdient.« – –

Es ist sechs Uhr; – die Schatten der drei Linden strecken und dehnen sich, reichen bereits über den ganzen Dorfried. Die Arbeitsleute kehren vom Felde zurück. Die Kunde von der Rückkehr des Bettlers verbreitet sich unter ihnen. Einer erzählt sie dem Andern – und von allen Seiten kommen sie herbei, um mit Fingern auf ihn zu zeigen, über ihn zu spotten – zu erschrecken. Am lautesten sprechend, am heftigsten gestikulirend von Allen, bewegt sich die alte Marenka unter der Menge, erzählt Allen, die es hören wollen, zum hundertsten Mal die uralte Geschichte von dem Unglück der armen [164] Todtenlida, und von dem Fluch, den sie gegen ihren Verderber ausgestoßen hat. »Hier zur selben Stelle unter dem Kreuz«, berichtet die redselige Alte, – »es war schauerlich, die Linden blühten wie heute, nur war es Nacht und der Mond schien, und sie streckte den Arm gegen ihn aus, so … und ihre Worte waren schrecklich, und ihre Stimme so stark, so durchdringend … daß ich's gleich sagte, die tönt bis in den Himmel hinauf bis zum lieben Gott!«

Und die Leute nicken ernsthaft mit den Köpfen und wiederholen wichtig immer und immer wieder: »ja, ja! – der liebe Gott hat sie gehört.«

Das ganze Dorf eilt herbei, um den Heimgekehrten anzugaffen.

[165] Die blödsinnige Todtenbesorgerin sitzt noch immer vor ihrer Hütte, den unvollendeten Kranz auf den Knieen und denkt: »was für ein hübscher Bursche das war damals … damals« und lächelt vor sich hin. –


In dem Schloß hat sich eine große Panik verbreitet. Man fürchtet dort, der Bettler könne am Ende die Cholera in den Ort einschleppen, die Blattern oder irgend etwas anderes Ansteckendes und Gräßliches.

Der Gutsherr tritt zwischen die gaffende Menge, einen halben Schritt hinter ihm der Verwalter.

»Der Mensch muß doch irgend eine Familie haben … Angehörige …« ruft der [166] Gutsherr ärgerlich – »man kann ihn doch nicht auf der Straße verenden lassen!«

»Und gerade vor dem Schloß … eine Unverschämtheit … eine unglaubliche Unverschämtheit!« entrüstet sich der Verwalter.

Der Gutsbesitzer runzelt die Stirn. – »Sehen Sie zu, daß der arme Mensch wenigstens für diese Nacht ein Unterkommen finde,« befiehlt er dem Verwalter, »wenden Sie sich erst an seine Familie, und wenn das nichts nützt, an den Vorsteher. Morgen müssen wir ihn zusammenpacken und in das Krankenhaus führen lassen.« –

Damit hat er seinen Pflichten genügt, und entfernt sich, verdrießlich über den unangenehmen Auftritt.

Dienstbeflissen sendet der Verwalter nach [167] dem Sohne des Bettlers, der indessen im Wirthshause blauen Montag feiert. Aber unverrichteter Dinge kehrte der Bote zurück. Der Sohn will nichts hören von dem Bettler, behauptet, es sei sein Vater nicht – und wenn es sein Vater wäre, – nicht ein Glied wird er rühren, um dem Elenden beizustehen.

Die Frau des Bettlers kömmt, vom Felde heimkehrend, vorbei.

Der Verwalter tritt höflich auf sie zu. »Euer Mann ist uns zurückgebracht worden, er liegt im Sterben hier auf dem Stroh; nehmt ihn bei Euch auf, nur für diese eine Nacht, nur um diesem Aufsehen ein Ende zu machen, – morgen führen wir ihn selber ins Krankenhaus.«

Aber das Gesicht der Bäuerin ist hart [168] wie Stein. »Ich kenne den Menschen nicht,« sagt sie kurz und geht ihrer Wege, ohne sich nach dem Kranken umzusehen.

Der Bettler liegt regungslos, den Hut über dem Gesicht, leise wimmernd, auf der Strohschütte. »Einen Tropfen Wasser,« murmelt er, »um Gottes Willen!«

Aber Keiner rührt sich, Jeder scheut sich vor ihm. –

Da … ein eigenthümliches Murmeln durchsummt die Menge, »zurück!« heißt's »was giebt's?« – »sie kommt« – »wer das?« – »Seine Geliebte … die Verstoßene … die Todtenlida!«

Die Menge verstummt. Eine große Spannung bemächtigt sich Aller … was wird es geben?

[169] An der Hand des Narren tritt sie herbei, beklommen lächelnd wie ein junges Mädchen, das zum Tanze geht. Sie hat sich eine neue Schürze umgebunden, und eine Blume hinter das Ohr gesteckt. Unruhig irren ihre großen, tief eingesunkenen Augen über die Menge. »Wo ist er?« haucht sie.

»Nun, da, Frau Todtin, da …« kreischt der Narr auf das wimmernde Skelett zu ihren Füßen deutend, erkennt Ihr ihn denn nicht?«

Sie beugt sich über den Kranken, prallt zurück – »Du hast mich zum Besten gehabt, Elender!« ruft sie, die magere Faust ballend, dem Narren zu, »hast mir gesagt, er sei's, er, der schönste Bursch im ganzen Dorf, ja der allerschönste, – was hat der mit diesem ekelhaften Menschen gemein?« sie zittert an [170] allen Gliedern, sie weint vor Wuth und Zorn.

Mit der Fußspitze schiebt der Narr dem Bettler den Hut vom Gesicht, es ist blaß und elend, die Lippen blau, die Augen halb erloschen – furchtbar entstellt, ist es doch dasselbe braune Zigeunergesicht, – dasselbe …

»Und die Menschen sollen Euch scheuen,« krächzt der Narr, »und Ihr sollt irren von Thür zu Thür und Niemand soll Euch Einlaß gewähren, bis daß Ihr endlich zusammenbrecht und mit dem Unrath auf der Straße verfault! – Nun, Frau Todtin, hat's der liebe Gott nach Wunsch bestellt?«

Die Worte fallen ihr ins Herz wie ätzendes Gift, Tropfen um Tropfen! Der satte Duft der welkenden Lindenblüthe schwebt durch die [171] staubige Schwüle, furchtsam gleitet ihr blöder Blick über die Umstehenden. Warum sind sie Alle so ernst, warum lacht Keiner … Keiner? –

Ein zweites Mal beugt sie sich über den Bettler. Da greift sie sich mit beiden Händen an die Schläfen und stößt einen markerschütternden Schrei aus.

»Ich bin schuld!« stöhnt sie. »Gott hat nach meinen Worten gehandelt, aber nicht nach dem Wunsche meines Herzens. Oh nein … nein!«

Schluchzend beugt sie sich über den Kranken, vor dem sich Alles scheut, den keine Hand berühren will, und stützt seinen Kopf an ihr Knie. Er starrt sie aus weit aufgerissenen Augen entsetzt an, murmelt etwas … »den Priester … um Gottes …«

[172] Er hebt die Hand, um das Zeichen des Kreuzes zu machen – aber seine Hand versagt ihm den Dienst, und die Lida zeichnet ihm das Kreuz auf Stirn, Mund und Brust.

Er zuckt mit den Gliedern … was ist das? …

Feierlich weichen die Umstehenden zurück, die alte Marenka faltet die Hände und murmelt ein »Vater unser!«

Um wenige Minuten später hat man die Leiche hinweggeschafft. – Die Menge hat sich verloren. – – –

Das Sterbeglöcklein tönt traurig durch die Luft. In den Linden rauscht es wie ein Schlummerlied und ihre welken Blüthen sinken in den Staub.


[173] Zwei Tage später fährt wieder ein schwerfälliger Karren über die Landstraße und biegt in den holprigen Feldweg ein zum Kirchhof.

Auf dem Karren liegt ein schlechter, schwarzer Sarg mit einem papiernen Christus beklebt, und zu seinen Häupten ein großer, wuchtiger Kranz.

Daneben sitzt die Todtenlida in ihrem allerschönsten Aufputz und mit sehr vielen Glasperlenschnüren um den Hals. – Sie lächelt verträumt und summt etwas vor sich hin, keinen Trauermarsch diesmal, sondern ein altmodisches Tanzstückchen.

Der Narrenhans blickt ihr spöttisch nach und murmelt: »Die Lida fährt auf ihre Hochzeit!« [174] [175]


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