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Im Leben ist ein Mai, und dann ist's schön:
Der Wald ist klangvoll, jede Blum' voll Duft;
Im Sturm selbst ist dann Lust, wenn frohe Mädchen,
Gehüllt in Mäntel, ihre Röck' zu schützen,
Des Regenschauers lachen.
Altes Schauspiel.
Katharine stand in dem glücklichen Alter der Unschuld und Munterkeit. Nach dem ersten Augenblick der Verlegenheit, sich so plötzlich mit einem jungen Manne, den sie nicht einmal dem Namen nach kannte, allein gelassen zu finden, um dessen Bekanntschaft zu machen, kam ihr diese wunderliche Lage spaßhaft vor. Sie richtete ihre schönen Augen auf ihre Arbeit und blieb in dieser Lage während der beiden ersten Gänge der Alten auf dem Austritt. Dann aber ließ sie den Blick nach Roland hinschweifen, und als sie bemerkte, wie er verlegen auf seinem Stuhle hin und her rückte und seine Mütze herumtanzen ließ, augenscheinlich in Verlegenheit, wie er das Gespräch anknüpfen sollte, konnte sie sich nicht länger halten und brach unwillkührlich in ein so herzliches Lachen aus, daß ihr die hellen Thränen in den Augen standen. Diese munteren Augen, beschattet von reichen Haarflechten, waren dabei so reizend, daß die Göttin des Lächelns selber nie lieblicher aussehen konnte, als Katharine in diesem Augenblicke. Ein Edelknabe vom Hofe würde ihr sofort in diese Heiterkeit eingestimmt haben. Allein Roland war auf dem Lande erzogen, und dabei war er nicht nur verschämt, sondern auch etwas argwöhnisch, so daß er sich einbildete, er selber sei der Gegenstand ihres Lachens, das kein Ende nehmen wollte. Seine Bemühungen, es ihr nachzumachen, führten darum nicht weiter als zu einem erzwungenen Kichern, welches mehr Mißfallen als Lustigkeit ausdrückte und lediglich dem Mädchen Anlaß gab, noch ärger zu lachen. Jedermann weiß, daß wenn man zur unrechten Zeit und am unrechten Orte ins Lachen geräth, die Bemühungen, die man macht, es zu unterdrücken, und selbst das Gefühl der Verkehrtheit dieser Aeußerung nur dazu dienen, den unwiderstehlichen Antrieb zu verstärken.
Es war ein Glück für Katharine wie für Roland, daß Letzterer an ihrer Ausgelassenheit nicht Theil nahm. Denn sie, mit dem Rücken gegen die Glasthüre sitzend, konnte leicht der Beobachtung der beiden Spaziergängerinen entgehen, Roland hingegen, mit der einen Seite nach dem Fenster gekehrt, würde sogleich bemerkt worden sein und den beregten Personen Anstoß gegeben haben. Er blieb deswegen ruhig, wenn gleich etwas ungeduldig sitzen, bis Katharine nicht mehr lachen konnte oder wollte und ihre Arbeit wieder vornahm. Dann bemerkte er etwas trocken, es scheine nicht sehr nöthig, ihnen anzuempfehlen, daß sie sich näher mit einander bekannt machen möchten, in Betracht, daß sie schon auf ziemlich vertrautem Fuße mit einander zu stehen scheinen.
Katharine fühlte sich stark versucht, das vorige Lied zu wiederholen, allein sie bezwang sich, heftete die Augen auf ihre Arbeit, bat ihn um Verzeihung und versprach ferneres Mißfallen zu vermeiden.
Roland war verständig genug, um einzusehen, daß es sehr am unrechten Orte wäre, sich das Ansehen verletzter Würde zu geben, und daß er auf ganz andere Weise sich den dunkelblauen Augen gegenüber verhalten müsse, welche an dem Lachen so herzlich Theil genommen hatten. Er suchte daher seinen Mißgriff nach Kräften gut zu machen, indem er in den Ton entsprechender Heiterkeit überging und die Huldgöttin bat, zu bestimmen, in welcher Weise die so lustig angeknüpfte Bekanntschaft fortgesetzt werden sollte.
»Das müßt Ihr selber ausfindig machen,« antwortete sie. »Ich bin vielleicht einen Schritt zu weit gegangen bei Eröffnung der Unterhaltung.«
»Denkt, wir müßten anfangen wie in einem Mährchenbuch, indem wir einander um unsere Namen und Geschichte fragen,« entgegnete Roland.
»Wohl ausgedacht,« sprach Katharine; »das beweiset ein gesundes Urtheil. Fangt Ihr an, und ich will zuhören und nur bei dunkeln Stellen der Geschichte zuweilen eine Frage dazwischen werfen. Kommt, offenbaret Euren Namen und Eure Geschichte, Ihr meine neue Bekanntschaft.«
»Ich heiße Roland Graeme, und diese große alte Frau ist meine Großmutter.«
»Und Eure Vormünderin? Gut. – Wer sind Eure Eltern?«
»Sie sind beide todt,« antwortete Roland.
»Ja, aber wer waren sie? Ihr hattet doch wohl Eltern?«
»Ich denke,« antwortete Roland; »aber ich habe nie viel von ihrer Geschichte erfahren können. Mein Vater war ein schottischer Ritter, welcher flott im Steigbügel starb; meine Mutter war eine Graeme von Heathergill aus dem Streitigen Lande – der größte Theil ihrer Sippschaft ward getödtet, als Herr Maxwell und Herries von Caerlaverock das Streitige Land verbrannten.«
»Ist das lange her?« fragte die Jungfer.
»Ehe ich geboren war,« antwortete der Jüngling.
»Das ist lange,« sprach sie, ernsthaft das Haupt schüttelnd. »Seht, ich kann nicht um sie weinen.«
»Ist nicht nöthig,« erwiderte Roland. »Sie sind mit Ehren gefallen.«
»So viel von Eurem Stamm, schöner Herr,« sprach seine Gesellschafterin, »von welchem mir der lebendige Sprößling« (mit einem Blick nach der Glasthüre), »weit weniger gefällt, als die todten. Eure hochverehrte Großmutter sieht aus, als könnte sie Einen im Ernst weinen machen. Und nun, schöner Herr, geht zu Eurer eignen Person über. Wenn Ihr aber nicht schneller erzählt, wird Euer Bericht in der Mitte abgebrochen werden. Mutter Brigitte bleibt bei jedem Vorübergehen immer länger und länger an der Thür stehen, und mit ihr ist so wenig Spaß, wie in dem Grab Eurer Ahnen.«
»Meine Geschichte ist bald erzählt. Ich wurde auf Schloß Avenel eingeführt, ein Edelknabe der Burgfrau zu sein.«
»Sie ist eine eifrige Hugenottin? nicht?« fragte das Mädchen.
»So eifrig wie Calvin selber. Aber meine Großmutter kann, wenn's gilt, die Puritanerin spielen, und sie hatte ein eignes Plänchen, mich in der Burg unterzubringen, was jedoch mißglückt sein würde, nachdem wir uns etliche Wochen in dem Weiler aufgehalten, hätte sich nicht ein unverhoffter Ceremonienmeister gefunden.«
»Und der war?«
»Ein großer schwarzer Hund, Namens Wolf, der mich eines Tags in einem Maul in die Burg brachte, wie einen angeschossenen Enterich, und mich der Burgfrau präsentierte.«
»Wirklich, eine sehr anständige Einführung,« bemerkte Katharine. »Und was habt Ihr in besagtem Schloß gelernt? Ich mag gar gern wissen, was meine Bekannten im Nothfall thun können.«
»Einen Habicht fliegen lassen, einem Jagdhund zurufen, ein Pferd reiten, Lanze, Bogen und Schwert gebrauchen.«
»Und Euch Alles dessen zu rühmen, nachdem Ihr es gelernt habt,« fügte Katharine hinzu. »Das ist wenigstens in Frankreich die gewisseste Fertigkeit eines Edelknaben. Aber weiter, schöner Herr. Wie kam Euer hugenottischer Herr und Eure nicht minder hugenottische Frau dazu, eine so gefährliche Person, wie einen katholischen Edelknaben, ins Haus zu nehmen und darin zu behalten?«
»Darum, weil sie diesen Theil meiner Geschichte nicht kannten, welchen ich von Kind auf gelehrt war geheim zu halten, und weil der frühere fleißige Kirchenbesuch meiner Großmutter bei ihrem ketzerischen Kaplan jeden Verdacht eingeschläfert hatte, allerschönste Kallipolis,« sprach der Jüngling und rückte seinen Stuhl der Fragerin näher.
»Nein, bewahrt Euren Abstand, galanter Herr,« entgegnete das blauäugige Kind; »denn wenn ich nicht sehr irre, werden diese ehrwürdigen Damen bald unser freundschaftliches Gespräch unterbrechen, wenn es den Anschein gewinnt, als wollte die von ihnen empfohlene Bekanntschaft einen gewissen Punkt überschreiten. Also, schöner Herr, laßt es Euch gefallen, in Eurer Stellung zu verharren und auf meine Fragen zu antworten. – Durch welche Thaten habt Ihr die so glücklich erlangten Fähigkeiten eines Edelknaben bewährt?«
Roland, in den Ton der Jungfer einstimmend, antwortete mit passender Ungezwungenheit:
»In keiner That, schönes Fräulein, ward ich ungeübt befunden, worin Unheil enthalten war. Ich schoß Schwäne, jagte Katzen, erschreckte die Mägde, knappte Rehe und befahl den Garten. Ich sage Nichts davon, daß ich dem Kaplan manchen Schabernack anthat, denn das war Pflicht für mich, als einen guten Katholiken.«
»Nun, so wahr ich ein Edelfräulein bin,« sprach Katharine, »ich glaube, diese Ketzer haben katholische Buße gethan, indem sie einen so vortrefflichen Dienstmann unterhielten! Und was, schöner Herr, war wohl die unglückliche Begebenheit, welche sie eines so schätzbaren Hausgenossen beraubt hat?«
»Schönstes Fräulein,« antwortete der Jüngling, »das Sprichwort sagt, auf jedem Weg findet sich ein Wegweiser, und so hat man mich endlich weggewiesen.«
»Das Wortspiel ist nicht übel,« entgegnete das lustige Mädchen. »Und welche Veranlassung fand sich zu einer so wichtigen Katastrophe? – Nein, erschreckt nicht über meine gelehrten Redensarten; ich kenne die Schüler. Deutlich gesprochen: Warum hat man Euch fortgeschickt?«
Roland zuckte die Achseln und antwortete:
»Eine kurze Geschichte ist bald erzählt, und ein kurzes Pferd bald gestriegelt. Ich ließ des Falkners Jungen meine Gerte schmecken, der Falkner drohte, mich seinen Prügel versuchen zu lassen. – Er ist ein eben so guter als handfester Kerl, und wenn ich die Wahl gehabt hätte, hätt' ich mich lieber von ihm prügeln lassen, als von irgend einem andern Mann in der Christenheit; aber damals kannte ich seine guten Eigenschaften noch nicht. – Also drohte ich, ihn den Dolchstich kosten zu lassen, und meine gnädige Frau ließ mich das: Geh' fort! kosten. Und so hieß es: Leb' wohl, Edelknabendienst, leb' wohl, schön Schloß Avenel. – Ich war nicht lange gewandert, so traf ich meine ehrwürdige Verwandte. – Meine Geschichte ist aus; jetzt erzählt die Eure, schönstes Fräulein.«
»Eine glückliche Großmutter,« bemerkte das Mädchen, »die es so schön traf, den verlaufenen Edelknaben gerade in dem Augenblick zu finden, wo seine Gebieterin den Strick hatte fahren lassen, und ein sehr glücklicher Edelknabe, der so flugs sich in den Ceremonienmeister einer alten Frau verwandelt hat.«
»Das gehört Alles nicht zu Eurer Geschichte,« versetzte Roland, der an der Lebhaftigkeit des witzigen Fräuleins um so mehr Gefallen fand, da sie der seinigen entsprach. »Geschichte um Geschichte, das ist Reisegefährtenrecht.«
»Wartet, bis 'wir erst Reisegefährten sind,« entgegnete Katharine.
»Nein, so kommt Ihr mir nicht los,« sprach Roland. »Wenn Ihr Eure Schuldigkeit nicht thut, will ich die Dame Brigitte, oder wie sie heißt, rufen und Euch für eine falsche Spielerin erklären.«
»Die Mühe sollt Ihr sparen,« versetzte das Mädchen. »Meine Geschichte ist das Gegenstück zu der Eurigen. Man könnte sie fast mit denselben Worten erzählen, nur mit Wechselung der Kleider und Namen. Ich heiße Katharine Seyton und bin ebenfalls eine Waise.«
»Sind Eure Eltern schon lange todt?«
»Das ist die einzige Frage,« antwortete sie, ihre schönen Augen mit einem plötzlichen Ausdruck des Kummers niederschlagend, »das ist die einzige Frage, zu der ich nicht lachen kann.«
»Und Dame Brigitte ist Eure Großmutter?«
Die Wolke auf Katharinens Stirn verzog sich, wie diejenige, welche einen Augenblick über die Sommersonne hingleitet, und sie antwortete mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit:
»Um zwanzig Grad schlimmer, – Dame Brigitte ist meine jungfräuliche Tante.«
»Gott behüt'!« sprach Roland. »Und welcher Gräuel kommt nun?«
»Genau Eure Geschichte. Ich wurde zur Probe in Dienst genommen« – –
»Und fortgeschickt, weil Ihr die Duenna gekneift oder die Kammerjungfer geschimpft?«
»Nein, hier sind unsere Geschichten verschieden,« antwortete die Jungfer. – »Unsere Herrschaft gab die Haushaltung auf, oder, was auf dasselbe hinauskommt, es ward ihr aufgegeben, sie aufzugeben, und ich bin ein freies Weib im Wald.«
»Und das ist mir so lieb, als ob mir Jemand das Wams mit Goldstoff gefüttert hätte,« bemerkte der Jüngling.
»Ich danke Euch für Eure Heiterkeit,« erwiderte sie, »aber die Sache wird Euch wahrscheinlich nicht berühren.«
»Fahrt fort,« sprach Roland, »Ihr werdet bald unterbrochen werden. Die beiden alten Damen sind dort auf dem Austritt herumgeschwebt wie zwei alte gehaubte Krähen, und ihr Krächzen wird immer heiserer, je näher die Nacht herankommt. Also wer war Eure Herrschaft, schönstes Fräulein?«
»O sie hat einen herrlichen Namen in der Welt,« antwortete Katharine. »Wenige Frauen haben ein schöneres Haus gemacht oder mehr Edelfräulein in ihrem Haushalt gehabt. Wir haben zwar nie unserer Gebieterin gesegnetes Antlitz gesehen, aber wir haben genug von ihr gehört, waren früh auf und spät zu Bett und wurden zu langen Gebeten und kurzen Imbissen angehalten.«
»Pfui über die filzige alte Hexe!« rief der Jüngling.
»Um Gottes Willen, lästert nicht!« sprach das Mädchen ängstlich. »Gott verzeihe uns Beiden unsere Sünde! Ich habe es nicht böse gemeint. Ich spreche von unserer heiligen Katharine von Siena. Möge Gott mir verzeihen, daß ich so leichtsinnig gesprochen und Euch veranlaßt habe, Euch eine große Sünde und Lästerung zu Schulden kommen zu lassen. Dies hier war ihr Kloster, und darin befanden sich zwölf Nonnen mit einer Aebtissin. Meine Tante war die Aebtissin, bis die Ketzer Alles zerstört haben.«
»Und wo sind Eure Gesellschafterinen?« fragte Roland.
»Wo der Schnee vom vorigen Jahr ist,« antwortete das Mädchen; »nach Osten, Norden, Süden und Westen; Einige nach Frankreich, Andere nach Flandern, Andere, fürcht' ich, in die Welt und ihre Lüste. Wir haben Erlaubniß erhalten, hier zu bleiben, oder vielmehr zu unserm Hierbleiben hat man die Augen zugedrückt, weil meine Tante mächtige Verwandte unter den Kerrs hat, und diese eine Todfehde gedroht haben, wofern Jemand Hand an uns legte. Bogen und Speer sind die besten Gewährsmänner in dieser Zeit.«
»Also sitzt Ihr in einem sicheren Schirm,« versetzte der Jüngling, »und ich denke, Ihr habt Euch halb blind geweint, als Sankt Katharine ihre Haushaltung aufgab, noch ehe Ihr Handgeld in ihrem Dienst genommen.«
»Still! um's Himmels willen!« rief die Jungfer, sich bekreuzend; »kein Wort mehr davon. – Aber die Augen hab' ich mir nicht ausgeweint,« fügte sie hinzu, indem sie dieselben auf ihn und dann auf ihre Arbeit richtete. Es war einer der Blicke, welche die dreifache Erzplatte um das Herz mehr nöthig machen, als der Seemann sie braucht, dem Horaz sie empfiehlt. Unser Edelknabe hatte gar keine Schutzwehr.
»Was meint Ihr dazu, Katharine,« fing er an, »wenn wir, die wir so sonderbarer Weise zu der nämlichen Zeit aus dem Dienst gekommen sind, unseren beiden hochverehrten Duennas das Licht zu halten gäben und einen lustigen Tanz über den Fußboden dieser elenden Welt anfingen?«
»Ein trefflicher Vorschlag, wahrhaftig,« entgegnete Katharine, »würdig des verrückten Gehirns eines fortgejagten Edelknabens! Und wovon meint Ew. Gestrengen, daß wir leben sollten? Vom Singen von Gassenliedern, von Beutelschneiden oder von Großthaten auf der Landstraße? denn das würden vermuthlich Eure besten Fundgruben sein.«
»Was Euch gefällt, Ihr hochmüthiges Schooskind!« antwortete Roland, sehr verdrießlich über den kalten, unbefangenen Spott, mit welchem ein toller Vorschlag aufgenommen wurde. Und während er so sprach, verfinsterte sich abermals die Glasthüre durch die Gestalten der beiden Weiber, und zugleich ging sie auf, und hereintraten Magdalena Graeme und die Mutter Aebtissin, wie wir sie jetzt nennen müssen.