Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel

Es war ein kalter, rauher, nach schottischer Wetterart »reiner« Morgen. Die Hunde schüttelten sich und kläfften. Die Jäger, trotz Abhärtung und froher Erwartung, knüpften die Mäntel am Halse zusammen und blickten nicht ohne Furcht auf die am Horizont wallenden Nebel, die sicherlich bald auf die Gipfel und Rücken der Vorberge sinken würden, um von dort aus den Weg ins Tal hinunter zu nehmen.

Nichtsdestoweniger bot sich dem Auge, wie ja immer bei Jagdzügen, ein fröhliches Bild. Zwischen den beiden im Kampf liegenden Völkerschaften schien es zu kurzem Waffenstillstande gekommen, und weit mehr hatte es den Anschein, als ob die Schotten bemüht seien, die Jagd in ihren Bergen den vornehmen Rittern und mutigen Bogenschützen Altenglands in freundschaftlicher Weise vorzuführen, statt daß sich der Eindruck hätte gewinnen lassen, die Schotten verrichteten, dem Befehl des gewaltherrlichen Nachbarvolkes gefügig, trotzigen Lehndienst. Den Reitern voraus, deren kühne mannhafte Gestalten weit über die Hälse ihrer kräftigen Rosse ragten, zogen die Jäger bei Fuß, die mit dem Hund an der Leine Dickicht und Schlucht nach Jagdbeute durchstöberten. Der Douglas-Wald barg damals noch Wild in Menge, und zu der Zeit, da diese Erzählung spielt, umsomehr, als schon lange nicht mehr unter den Angehörigen des Geschlechts der Douglas, über die seit mehreren Jahren, gleichwie über ihr Land, Unglück gekommen war, Jagd dort gehalten wurde und die englische Besatzung sich noch immer nicht für stark und sicher genug gehalten hatte, dieses in hohen Ehren gehaltene Feudalrecht selber auszuüben. Das Jagdwild hatte sich also stark vermehren können. Rotwild, Wildschweine und wilde Ochsen drangen nicht selten bis in den unteren Teil des Douglas-Waldes, der keine geringe Ähnlichkeit mit einer Oase aufweist, denn er ist von dichtem Wald, von Moorland mit Teichen, stellenweis auch mit Felsen umzogen, so daß es an großen öden Strecken, worin sich das Wild gern zu verstecken liebt, dort nicht mangelt.

Gleichwie an Rotwild und Ebern fehlte es auch an Wölfen nicht, die sicher mit zu dem gefährlichsten Raubzeug gehörten, insofern aber kein interessantes Jagdwild boten, als sie meilenweit zu fliehen pflegten, bevor sie sich dem Jäger stellten. Was für die englischen Ritter vor allem als Jagdwild in Betracht kam, war der furchtbarste aller Bewohner des alten kaledonischen Waldes, der wilde Ochs Schottlands.

Der Schall der Jagdhörner, das Stampfen der Hufe, das Gebrüll der in Wut geratenden Wildochsen, das Gestöhn der von Hunden zerfleischten Hirsche, das Gekläff der Hunde selber und das wilde Siegesgeschrei der Jagdleute gab einen Chorus ab, der sich weit über das Jagdgebiet erstreckte und bis in die abgelegensten Strecken hinein seine Bewohner zu bedrohen schien.

Dem Schloßhauptmann allein gelang es, eins dieser gewaltigen Tiere zur Strecke zu bringen. Gleich einem Stierkämpfer Spaniens warf er sich nieder und erwartete den Ochsen mit der Lanze. Bis zum Schafte bohrte er dem Ungetüm die Waffe in den Leib. Unter den Pfeilen und Speeren von Armbrustschützen und Treibern fielen außer zahlreichem Klein- und Federwild drei wilde Kühe, etwa ein Dutzend Hirsche und Eber und drei Wölfe. Viel anderes Wild entrann, aller Anstrengungen es abzufangen ungeachtet, nach den finstersten Schlupfwinkeln des Cairntable-Gebirges.

Der Vormittag ging seinem Ende zu, als das Jagdhorn des Oberjägermeisters die Gesellschaft zum Frühmahl auf den grünen Rasen einer Waldwiese rief. Die Jagdbeute zu rösten und zu braten, war eine Arbeit, die dem unteren Volk zufiel. Fässer mit Gaskognerwein und englischem Ale wurden herbeigerollt und aufgeschlagen und alsbald war das fröhlichste Zechgelage im Gange.

Die Ritter, durch ihren Rang vom Verkehr mit dem anderen Volke abgeschlossen, saßen auf abgesondertem Rain, am sogenannten »Thronhimmelstische«, der von einer aus grünen Zweigen geflochtenen Decke beschattet war und wurden von ihren Knappen und Pagen bedient. Zu ihnen hatten sich ehrwürdige Mönche von der Abtei Saint Bride gesellt, die, wenn auch schottische Geistliche, von dem englischen Militär mit Achtung behandelt wurden. Auch ein paar schottische Afterlehnsleute, die wohl aus Klugheit den englischen Rittern Achtung und Gemeinschaft nicht weigerten, saßen unten an der Tafel, woselbst auch die gleiche Zahl von Armbrustschützen Platz gefunden hatte.

Obenan saß Sir John de Walton, dessen Augen ruhelos den Kreis seiner Gäste, denn diese Bezeichnung traf ohne Frage auf sämtliche Anwesenden zu, überflogen.

Eine Person vor allen anderen zog des Schloßhauptmanns Blicke auf sich, denn sie zeigte das Aussehen eines gefürchteten Kriegers, obgleich ihr das Glück in letzter Zeit nicht gelächelt zu haben schien. Es war ein Riese von Gestalt mit Gliedmaßen wie aus Eisen und einem Gesicht von so grobem derben Schnitt, daß es unwillkürlich an den Wildochs erinnerte. Die durch manches Loch in der Kleidung sichtbare Haut zeigte eine Färbung wie Leder. Der Mann sah ganz so aus, als ob er zu denen gehöre, die mit Robert Bruce das Schwert gezogen hatten, die mit dem Rebellen in Moor und Sumpf lebten.

Solche Gedanken kamen auch Sir John de Walton in den Sinn.

Aber unverträglich hiermit war die Kühnheit, mit der sich der Fremde an den Tisch des englischen Schloßhauptmanns gesetzt, also völlig in dessen Hand begeben hatte. Während der Jagd war von Sir de Walton wie den übrigen Rittern die Wahrnehmung gemacht worden, daß der in Lumpen gekleidete Kavalier, von dessen Kleidung der alte Panzerkittel am meisten auffiel, und der, von der verrosteten, aber gewaltigen Partisane von acht Fuß Länge abgesehen, über keine Waffen gebot, in der Ausübung des edlen Weidwerks durch überlegene Gewandtheit alle anderen Teilnehmer übertroffen hatte.

Als der Fremde endlich der von ihm erregten Aufmerksamkeit, nicht zum wenigsten des Schloßhauptmanns, inne wurde, hielt es der letztere für angemessen, ihm als einem der tüchtigsten Jünger des heiligen Hubertus mit einem Humpen besseren Weines, als die übrige Gesellschaft trank, höflich Bescheid zu tun.

»Ihr habt hoffentlich nichts dawider, Herr,« sprach ihn de Walton dabei an, »meiner Aufforderung zu entsprechen und einen Humpen Gaskogner, direkt von den königlichen Weinbergen, mit mir zu leeren. Einen besseren Tropfen, um auf Gesundheit und Glück unseres verstorbenen Königs zu trinken, gibt es nicht.«

»Eine Hälfte der britischen Inseln,« versetzte der fremde Jäger gelassen, »wird sich der Meinung von Euer Gnaden nicht verschließen. Da ich aber zur anderen Hälfte gehöre, auf welcher solche Meinung nicht herrscht, kann mir auch der vornehmste Gaskognerwein solchen Trinkspruch nicht mundrecht machen.«

Mißbilligendes Gemurmel lief durch die Reihen der anwesenden Krieger. Die Priester von der Saint Bride-Abtei wurden leichenblaß und murmelten ihr Paternoster.

»Eure Worte, Fremder,« sprach Sir de Walton in finsterem Tone, »bringen die hier versammelte Gesellschaft, wie Ihr wohl seht, aus der Fassung.«

»Das kann wohl sein«, versetzte der Fremde im gleichen rauhen Tone; »nichtsdestoweniger liegt in meiner Rede nichts, was irgendwelchen Vorwurf verdiente.«

»Bedenkt Ihr auch, daß Ihr solches in meiner Gegenwart sprecht?« rief Sir de Walton.

»Gewiß, Herr Schloßhauptmann! Richtiger wäre zu sagen, daß ich es eben gerade um Eurer Gegenwart willen sage.«

»Bedenkt Ihr die Folgen, frage ich weiter?« rief de Walton.

»Was ich zu fürchten hätte, wenn Euer Geleit und Ehrenwort, durch das Ihr mich zu dieser Jagd ludet, minder verläßlich wäre, als es meines Wissens ist, kann ich ungefähr erraten«, entgegnete der Fremde. »Ich bin Euer Gast; ich habe von Eurem Fleisch gegessen und von Eurem Wein getrunken. Ich würde, stünde ich in solchem Verhältnis zu ihm, den gemeinsten Ungläubigen nicht fürchten, geschweige einen vornehmen Ritter Englands. Zudem sage ich Euch, Herr Ritter, Ihr schätzt den Wein zu gering, den Ihr eben getrunken habt; sein Feuer leiht mir den Mut, Euch Dinge zu sagen, die in solchem Augenblicke jeder ungesagt lassen möchte, der nicht alle Vorsicht außer Acht läßt. Ihr wünschet gewiß zu wissen, wen Ihr in mir vor Euch habt: mein Taufname ist Michael, mein Geschlechtsname Turnbull. Ein gefürchteter Clan, der Clan der Turnbulls! Ich darf mir schmeicheln, seinen Ruf durch Kriegstaten und manches Jägerstückchen nicht gemindert zu haben. Mein Haus liegt unter dem Berge am Rubislaw, an den schönen Gewässern des Teviot.«

Der kühne Grenzer sprach dies alles mit herausfordernder Kälte, dem Hauptzuge seines Wesens. Seine Verwegenheit ermangelte nicht, Sir John de Walton in Erregung zu setzen. Kaum hatte der Grenzer ausgeredet, so rief der Ritter:

»Zu den Waffen! Ergreift den Spion und Verräter! Holla, Pagen und Kriegsvolk! William, Anthony, Greenleaf und Bogenspanner, bindet den Verräter mit Sehnen und Stricken! Zieht straff an, bis ihm das Blut unter die Nägel schießt!«

Die Armbrustschützen umdrängten den Jäger, ohne indes Hand an ihn zu legen, weil keiner der erste sein mochte, den bei solchem Anlaß herrschenden Landfrieden zu brechen.

»Sprich,« nahm Sir Walton wieder das Wort, »was führte dich her, Verräter?«

»Kein anderer Zweck, als dem Douglas das Schloß seiner Ahnen in die Hände zu liefern und dir, Herr Engländer, deine Verdienste um Schottland dadurch wett zu machen, daß ich dir die Kehle durchschneide, von der du solch lärmenden Gebrauch machst.«

Als er sah, daß sich die Kriegsleute, der weiteren Befehle des Schloßhauptmanns gewärtig, hinter ihn drängten, hob er die Partisane und rief:

»Jawohl, John de Walton, vorhin war es mein Wille, dich als denjenigen zu erschlagen, den ich im Besitze eines Gebietes und Schlosses finde, die einem würdigeren Ritter als du bist, nämlich meinem Gebieter und Herrn, gehören. Warum ich die Tat unterließ, was mich dazu bestimmte, weiß ich nicht. Vielleicht weil du mich sättigtest, nachdem ich zweimal zwölf Stunden gehungert hatte. Aber ich sage dir: geh aus diesem Ort und diesem Lande und laß dich warnen von einem Feinde, der es gut meint! Du hast dich zum Todfeinde dieses Volkes gemacht, und es gibt Männer darunter, denen man selten ungestraft Trotz oder Beleidigung bot! Gib dir die Mühe nicht, mich suchen zu lassen, denn es würde vergeblich sein. Wir treffen uns wieder, aber zu einer Zeit, die von meinem, nicht deinem Belieben abhängig ist. Auch suche nicht zu ermitteln, auf welche Weise und welchem Wege ich dich betrog, denn es wird dir nicht möglich sein. Wirf meinen freundlichen Rat nicht beiseite, sondern blicke mich an und nimm deinen Abschied! Wenn auch ein Tag kommen wird, an welchem wir einander begegnen werden, so kann es vielleicht lange währen, bis dieser Tag kommen wird.«

De Walton schwieg. Er meinte, seinen Gefangenen könne vielleicht im Überschwang seiner Empfindungen die Schwäche anwandeln, weitere Dinge zu äußern, aus denen sich Vorteil schaffen lasse. Indessen entging ihm hierüber der Vorteil, in den er durch sein Schweigen den Jäger selber setzte. Kaum hatte dieser die letzten Worte gesprochen, so machte er einen jähen Sprung rückwärts, der ihn aus dem um ihn geschlossenen Kreise brachte, und war, noch ehe die ihn umstehenden Kriegsleute inne wurden, welche Absicht er verfolgte, verschwunden.

»Greift ihn! Greift ihn!« rief de Walton jetzt, von Grimm erfüllt, als er sah, daß ihn der Jäger übervorteilt hatte, »sofern ihn nicht die Erde verschlingt, greift ihn!«

Daß ihn die Erde verschlungen hätte, schien sich in der Tat vermuten zu lassen, denn dort, wohin Turnbull seinen Sprung gerichtet hatte, gähnte ein tiefer Abgrund, und dort verschwand er, an Gebüsch und Krüppelholz entlang kletternd, behend wie eine Eichkatze. Im Nu hatte er den Boden des Schlundes erreicht und einen Pfad gefunden, der ihn zum Waldsaume führte; und während die erfahrensten und klügsten unter seinen Verfolgern noch unschlüssig waren, in welcher Richtung sie ihm nachsetzen sollten, war er verschwunden unter dem Dickicht des Urwaldes, und niemand vermochte seine Spur zu finden.


 << zurück weiter >>