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Der Auftritt, allen Teilnehmern so unvermutet, brachte Mißstimmung und Verwirrung in die Jagdfreude. Das Auftauchen eines bewaffneten Jägers, der sich offen als Anhänger des Hauses Douglas bekannte, auf einem Grund und Boden, wo alles, was Douglas hieß und zu Douglas sich bekannte, als Aufrührer und Räuber galt, machte alle Anwesenden stutzig, selbst die englischen Ritter. Sir John de Walton blickte sehr ernst drein. Er ließ alles Jagdvolk auf der Stelle zusammentreten und untersuchen, um festzustellen, ob sich Helfershelfer oder Mitwisser Turnbulls darunter befänden. Indessen war die Zeit bereits zu vorgerückt, um die Untersuchung mit der von dem Kommandanten befohlenen Strenge zu führen, und als die Schotten unter dem Jagdvolk merkten, daß Hand an sie gelegt werden solle, gaben diejenigen, die es nicht vorzogen oder keine Gelegenheit mehr fanden, sich hinwegzuschleichen, auf die ihnen gestellten Fragen mit äußerster Vorsicht Antwort.
Sir John de Walton merkte die Verminderung in der Zahl der Schotten, und dieser Umstand verstärkte bei ihm den Verdacht, der ihn seit kurzer Zeit fast ganz beherrschte.
»Sir Aymer,« sprach er seinen jungen Leutnant an, »nehmt soviel Kriegsleute, als Ihr in fünf Minuten zusammenbringen könnt, zum mindesten aber hundert berittene Bogenschützen, und reitet schleunigst nach dem Schlosse hinüber zur Verstärkung der Garnison. Ich habe so meine Gedanken über feindliche Versuche, das Schloß zu berennen; wahrlich kein Wunder, daß sie einem kommen, wenn man hier solches Verräternest mit eigenen Augen sieht!«
»Gestattet mir die Bemerkung hierzu, Sir John,« entgegnete Ritter de Valence, »daß Ihr hier Wohl über das Ziel hinausschießt. Nicht in Abrede will ich stellen, daß unter dem schottischen Landvolk Feindseligkeit gegen uns herrscht. Da es aber aller Jagdfreude so lange entbehrt hat, ist es kaum zu verwundern, daß es sich zu solchem Zuge in Scharen einstellt; noch weniger zu verwundern aber ist es, daß es über unsere Gesinnungen ihm gegenüber noch seine Zweifel hegt und durch die geringste Rauheit im Verkehr in Furcht gesetzt wird.«
»Eben deshalb wäre es mir lieber,« erwiderte de Walton, der mit einer Ungeduld zugehört hatte, die sich mit der zwischen Rittern üblichen Höflichkeit kaum vertrug, kurz angebunden, »Sir Aymer de Valence ließe seinen Rossen die Zügel schießen statt seiner Zunge.«
Der scharfe Verweis, den solche Worte für den jungen Ritter bedeuteten, berührte alle Anwesenden unangenehm. Sir Aymer aber war sich wohl bewußt, daß eine Antwort für den Augenblick nicht geeignet sei; er verneigte sich, daß die Feder seines Baretts die Mähne seines Rosses berührte und brachte den Befehl des Schloßhauptmanns zur Ausführung, indem er auf dem kürzesten Wege mit einer beträchtlichen Reiterschar nach dem Schlosse zurückritt.
»Ich wußte ja,« sprach er bei sich, als er auf eine der vielen Anhöhen kam, von denen aus die vielen Türme und Mauern der alten Feste, über der das große Banner Englands wehte, im Widerschein des breiten Sees sichtbar wurden, der sie von drei Seiten einschloß; »ich wußte ja, daß Sir John de Walton durch Furcht und Argwohn zum Weibe geworden ist. Daß schwere Verantwortlichkeit einen Charakter so wandeln kann, der die Ritterlichkeit selber war! Nichtsdestoweniger geziemt mir, selbst wenn Walton seine eingebildete Besorgnis zum Vorwand nehmen sollte, um seine Freunde zu tyrannisieren, Gehorsam, denn er ist unser Hauptmann. Aber das muß ich sagen: lieber würde es mir sein, wenn er sich weniger vor seinem eigenen Schatten erschrecken möchte.«
Mit diesen Gedanken ritt er auf dem Damme über den Wassergraben durch das stark befestigte Tor.
Daß dieser Vorfall nicht danach beschaffen sein konnte, das Verhältnis zwischen den beiden Rittern zu bessern, war nur natürlich; nicht minder, daß Sir de Walton insofern dem jüngeren Sir Aymer gegenüber in Nachteil kam, als sich die von dem letzteren bei dem Meinungszwiespalt vertretene Ansicht bestätigte und von irgendwelcher Beunruhigung des schottischen Landvolkes nicht das mindeste zutage trat. Unter dem Eindruck dieser Stimmung gestaltete sich der Verkehr zwischen ihnen immer kälter und förmlicher und beschränkte sich ausschließlich auf dienstliche Angelegenheiten. Keiner von beiden, so sehr sie von der Unhaltbarkeit solches Verhältnisses zwischen zwei Männern überzeugt waren, auf deren Schultern die Verantwortlichkeit für solchen wichtigen Platz wie Schloß Douglas lag, suchte eine der vielen Auseinandersetzungen, die der Dienst in seinem Gefolge hatte, zum Ausgleich der zwischen ihnen schwebenden Differenz zu benützen.
Bei einer solchen dienstlichen Unterhaltung geschah es, daß Sir Walton seinen Leutnant um Auskunft bat, zu welchem Zweck und wie lange dem unter dem Namen Bertram im Schlosse aufhältlichen Sänger noch Unterstand gegeben werden solle.
»Acht Tage,« setzte der Schloßhauptmann hinzu, »erscheinen mir unter den gegenwärtigen Zeitläufen und an solcher Örtlichkeit ausreichend für die einem Sänger schuldige Gastfreundschaft.«
»Ich meinerseits,« versetzte Sir Aymer, »habe an der ganzen Sache so wenig Interesse, daß ich irgendwelchen Wunsch hierzu nicht zu äußern habe.«
»Dann werde ich den Mann ersuchen, seinen Aufenthalt im Schlosse Douglas abzubrechen«, entschied Sir Walton.
»Der Mann hat hier Aufenthalt nachgesucht,« erklärte Sir Aymer, »unter dem Vorgeben, in die Schriften eines gewissen Thomas, genannt der Reimer, Einsicht nehmen zu wollen. Es soll sich ein Exemplar derselben in dem Arbeitszimmer des alten Barons befinden, nachdem es bei dem letzten Brande des Schlosses Gott weiß wie gerettet wurde. Andere Kunde von seinen Absichten vermag ich nicht zu geben. Sofern Ihr die Anwesenheit eines alten Wanderers und die Nähe eines Knaben für das von Euch bewachte Schloß gefährlich haltet, so handelt Ihr zweifelsohne Eurem Rechte gemäß, wenn Ihr ihn wegschickt. Hierzu ist doch nichts weiter vonnöten als ein Wort aus Eurem Munde.«
»Der Sänger ist auf das Schloß gekommen als Gefolgsmann von Euch; ich durfte ihn also nicht wohl zum Gehen auffordern, ohne Eure, wenn auch nicht Erlaubnis, so doch Kenntnis.«
»Dann tut es mir leid,« erwiderte Sir Aymer, »von Eurem Willen nicht früher Kenntnis bekommen zu haben. Es wurde niemals von mir jemand ins Schloß aufgenommen oder auf dem Schlosse gehalten ohne Euer Vorwissen oder im Widerspruch zu Eurer Meinung.«
»Es tut mir leid, sagen zu müssen, Sir Aymer,« wandte Ritter de Walton ein, »daß wir beide nicht wissen, woher der Sänger mit seinem Knaben gekommen ist und wohin sie beide wollen. Es ging unter Eurer Gefolgschaft die Rede, der Sänger habe unterwegs die Verwegenheit gehabt, Euch gegenüber das Recht des Königs von England auf die Krone von Schottland in Frage zu stellen, und daß er erst mit Euch hierüber gesprochen habe, nachdem Ihr den Wunsch geäußert hättet, die übrigen Begleiter möchten hinter Euch zurückbleiben, so daß sie nicht zuhören konnten.«
»Sir Walton,« rief Sir Aymer, »wollt Ihr hieraus eine Anklage gegen meine Lehnstreue herleiten? Vergeßt nicht, daß solche Worte meine Ehre verletzen, die ich bis zum letzten Atemzuge bereit und willens bin zu verteidigen.«
»Daran zweifle ich nicht, Herr Ritter,« versetzte der Schloßhauptmann, »aber meine Worte richten sich nicht gegen Euch, sondern gegen den fahrenden Sänger. Wohlan! Der Sänger kommt hierher aufs Schloß und spricht den Wunsch aus, sein Sohn möge Unterkunft in dem Kloster von Saint Bride finden, der einigen schottischen Mönchen und Nonnen, aus Achtung ihres Ordens und weniger, weil man sich guten Willens, dem König zu dienen, bei ihnen versieht, der Aufenthalt erlaubt worden ist. Diese Erlaubnis wird, sofern die von mir eingezogene Kundschaft richtig ist, von dem Sänger mit einer Geldsumme erkauft, weit beträchtlicher, als sie in den Börsen herumstreichender Sänger, die doch mit Glücksgütern nicht gesegnet zu sein pflegen, sonst wohl zu finden sein dürfte; ich meine, dies sei ein Umstand, den man nicht unbeachtet lassen sollte; was ist nun Eure Meinung zu all diesen von mir entwickelten Gesichtspunkten, Sir Aymer?«
»Meine Meinung?« versetzte der Gefragte. »Meine Lage als Soldat, der dem Kommando eines Höheren unterstellt ist, enthebt mich jeder Verpflichtung, mir selbständige Meinungen zu bilden. Als Leutnant unter Eurem Befehl auf so exponiertem Schlosse steht mir, meine ich, wenn ich mit Ehre und Seele Abrechnung gehalten habe, viel freier Wille nicht eben mehr zu Gebote –«
»Um des Himmels willen, Sir Aymer,« rief de Walton, »begeht nicht gegen Euch und mich das Unrecht, vorauszusetzen, als wolle ich durch solche Fragen Euch Vorteil abgewinnen. Bedenkt, junger Ritter, daß Ihr Euch eines dienstlichen Vergehens auch dann schuldig macht, wenn Ihr Eurem Kommandanten ausreichende Antwort nicht gebt auf dessen Wunsch, über einen bestimmten Fall Eure Meinung zu hören.«
»Dann laßt mich klar und deutlich hören, über welchen Fall Ihr meine Meinung zu wissen begehrt!« entgegnete de Valence; »ich werde sie dann bestimmt und deutlich äußern und ohne Zaudern vertreten, auch wenn mich das Unglück treffen sollte – ein für einen jungen, untergeordneten Ritter unverzeihliches Vergehen – verschiedener Ansicht mit Sir John de Walton zu sein.«
»Ich frage Euch also, Herr Ritter,« sagte hierauf der Schloßhauptmann, »was Eure Meinung über den Sänger Bertram ist und ob gegen ihn und seinen Sohn nicht Verdacht genug vorliegt, um beide in scharfes Verhör mit gewöhnlicher und außerordentlicher Befragung zu nehmen, wie solches in solchen Fällen gehandhabt wird, und ob nicht Anlaß genug vorliegt, sie unter Strafe der Geißelung aus Schloß und Gebiet von Douglasdale zu vertreiben, sofern sie sich in der Gegend hier wieder betreffen lassen.«
»Herr Ritter de Walton,« antwortete Sir Aymer, »ich will Euch meine Antwort so frei und offen geben, als stünden wir noch auf dem freundschaftlichen Fuße früherer Tage. Daß die meisten der heute die Sangeskunst ausübenden fahrenden Leute den höheren Ansprüchen dieses edlen Standes nicht mehr genügen, ist meine Meinung gleich Euch. Die lockeren Sitten der Zeit haben diese sogenannten Sänger quantitativ verringert und qualitativ verschlechtert. Indessen glaube ich, diesen Bertram als einen Sänger ansehen zu müssen, auf welchen diese Charakterisierung nicht zutrifft. Nach meiner Auffassung ist er ein Mann, der das Knie nicht vor dem Mammon beugt. Es bleibt Euch überlassen, Sir Walton, darüber zu entscheiden, ob solch eine Person von moralisch strengem Sinne dem Schlosse irgendwie gefährlich werden könne. Da ich ihn aber auf Grund der mit ihm gewechselten Reden für unfähig halte, Verräterrollen zu spielen, muß ich entschieden Einspruch dagegen erheben, daß er innerhalb der Mauern einer englischen Garnison als Verräter der Folter unterworfen oder in Strafe genommen wird. Ich würde erröten ob meines Vaterlandes, wenn es uns das Ansinnen stellen sollte, solches Unglück und Elend über Wanderer zu verhängen, deren einziger Fehler in ihrer Armut besteht. Euer ritterlicher Sinn wird Euch das eindringlicher zeigen, als es mir in meiner untergeordneten Stellung erlaubt sein kann, Euch gegenüber zu schildern.«
Sir Waltons finstere Stirn überflog jähe Röte, als er die von ihm ausgesprochene Ansicht als unritterlich verwerfen hörte. Es fiel ihm schwer, den Gleichmut zu wahren, indes er hierauf die Antwort gab: »Sir Aymer, ich danke Euch, daß Ihr mir Eure Meinung rücksichtslos bekannt gabt, trotzdem sie sich in so scharfem Gegensatz zur meinigen bewegt. Indes muß ich dabei beharren, daß die mir vom König erteilten Befehle sich mit den Anschauungen, die Ihr vertretet, nicht decken, sondern mir ein anderes Verhalten vorzeichnen, und zwar dasjenige, welches ich vordem in Worte kleidete.«
Die beiden Ritter verneigten sich mit steifer Förmlichkeit. Dann fragte der Jüngere, ob ihm der Schloßhauptmann noch besondere Befehle für den Dienst zu erteilen habe und verabschiedete sich auf den verneinenden Bescheid des anderen hin.
Der Schloßhauptmann ging eine Weile lang in lebhaftem Verdrusse über den Ausgang dieses Gespräches in dem Gemach auf und nieder und überdachte, welches Verfahren unter solchen Umständen am besten einzuschlagen sei. »Ich mag nicht um anderer Launen willen,« schloß er, »aufs Spiel setzen, wonach ich in zwölfmonatlichem Dienste beschwerlichster und widerwärtigster Art gerungen habe. Direkt auf mein Ziel will ich lieber vorgehen und die gleichen Vorsichtsmaßregeln in Anwendung bringen wie seinerzeit in der Gaskogne und in der Normandie – holla, Pape! bestelle mir Gilbert Greenleaf, den Armbrustschützen!«
Nach wenigen Minuten trat der Gerufene ein.
»Welche Kunde bringst du mir, Gilbert?«
»Ich war in Ayr, Sir Walton. Des Grafen Pembroke Lager ist versessen auf echte spanische Bogenstäbe aus Coruna. Zwei Schiffe sind mit solcher Fracht, wie es heißt, für das königliche Heer in Ayr gelandet. Ich glaube aber nicht, daß auch nur die Hälfte der Fracht an diese Adresse gelangt ist.«
»Wer soll die übrigen bekommen haben?« fragte der Schloßhauptmann.
»Bei den Schotten heißt es,« entgegnete Greenleaf, indem er die Achsel zuckte und beiseite sah, »ihr Robert Bruce mit seinen Vettern beabsichtige einen neuen Maientanz, und der geächtete König wolle zu Sommers Anfang mit einer stattlichen Schar derben Landvolkes aus Irland bei Turnberry landen. Zweifelsohne stehen die Leute seiner Grafschaft Carwick in Bereitschaft, bei solchem hoffnungsreichen Unternehmen mit Bogen und Speer mitzutun. Mehr als ein Bündel Pfeile wird es uns, wie ich rechne, schwerlich kosten, dort Ordnung zu schaffen.«
»Ihr sprecht von Verschwörungen hierzulande, Greenleaf?« fragte de Walton; »ich kenne Euch doch als tüchtig und tapfer, als einen Schützen, der Bogen und Sehne zu spannen weiß und nicht gestatten wird, daß solches Treiben unter seiner Nase vorgeht –«
»Weiß der Himmel, alt genug bin ich,« erwiderte Greenleaf, »und Erfahrung in diesen schottischen Kriegen besitze ich nachgerade mehr denn genug, und niemand braucht mir zu sagen, ob diese Schotten ein Volk sind, dem König und Kriegsleute trauen dürfen oder nicht. Wer von den Schotten sagt, sie seien falsches Gesindel, der redet keine Lüge – bei Gott nicht! Euer Gnaden wissen, wie mit ihnen umgegangen werden muß: Ihr reitet sie mit scharfen Sporen und zieht die Zügel straff an! Wie sich einfältige Neulinge denken können, mit solchem Volk durch Artigkeit und Großmut fertig zu werden, dem solche Dinge unbekannte Begriffe sind, ist mir altem Kerl ein Rätsel.«
»Gilbert, ich befehle dir, klar und aufrichtig gegen mich zu sein und alles, was auf Anspielungen hinausläuft, zu lassen. Du wirst wissen, daß es niemand zum Schaden gereicht, Vertrauen in mich zu setzen.«
»Das will ich gewiß nicht bezweifeln oder gar bestreiten, Herr,« erwiderte der alte Haudegen, »nichtsdestoweniger käme es auf Unvorsichtigkeit hinaus, alles bekannt geben zu wollen, was solch altem Kerl wie mir in einer so wichtigen Garnison wie Schloß Douglas in den Kopf schießt. Den Ruf als Zwischenträger und Unheilstifter hat man unter Kameraden schnell weg, und ich, Herr Hauptmann, reiße mich auf meine alten Tage nach solcher Auszeichnung ganz gewiß nicht!«
»Rede offen mit mir,« versetzte Sir de Walton, »und scheue dich nicht vor übler Deutung, gleichviel welcher Stoff deinen Mitteilungen zugrunde liegen mag!«
»Wenn ich die Wahrheit sagen soll,« antwortete Gilbert, »so fürchte ich mich nicht der Vornehmheit des jungen Ritters, denn ich bin der älteste Soldat der Garnison und habe die Armbrust gespannt schon lange, ehe er der Muttermilch entwöhnt war.«
»Euer Verdacht richtet sich also auf de Valence?« fragte Sir Walton.
»Auf nichts, was des jungen Ritters Ehre angeht, denn er ist so tapfer wie jeder andere und nimmt in Anbetracht seiner Jugend einen hohen Rang in der englischen Ritterschaft ein; allein er ist jung, wie Euer Gnaden weiß, und die Wahl, die er für seine Gesellschaft trifft, macht mir mancherlei Sorge.«
»Ihr meint den Sänger – wie?«
»Ich meine, es ziemt sich wenig für einen englischen Ritter gleich ihm,« erklärte Gilbert Greenleaf, »sich Tag für Tag mit dem fahrenden Sänger einzuschließen, von dem sich kaum sagen läßt, ob er dem Herzen nach Schotte ist oder Engländer, geschweige denn ob er von Engländern stammt oder von Schotten; denn Bertram kann sich schließlich jeder nennen. Auch weiß ja kein Mensch im Grunde genommen, weshalb er sich hier oben im Schlosse aufhält und wie er zu den Mönchen drüben in Saint Bride steht, die doch auch bloß zu denen gehören, die auf der Zunge das Segenswort für König Eduard, im Herzen aber das für Robert Bruce haben! Durch seinen Sohn läßt sich ja der Verkehr mit den Mönchen leicht unterhalten, und bloß aus diesem Grunde hat er ihn doch unter dem Vorwand einer Krankheit im Kloster untergebracht.«
»Was sagt Ihr?« rief der Schloßhauptmann, »die Krankheit sei bloß Vorwand, der Knabe also nicht wirklich krank?«
»Wenn der krank wäre,« meinte Greenleaf, »so wäre es doch Wohl das natürlichere, der Vater wäre bei ihm und pflegte ihn, statt hier im Schlosse in Winkeln umherzuschleichen, wo man alles mögliche andere, bloß keinen fahrenden Sänger zu treffen rechnet.«
»Ihr überzeugt mich mehr und mehr, Gilbert, daß es mit dem Sänger nicht seine Richtigkeit haben kann«, sprach Sir Walton; »es ist jetzt wahrlich nicht an der Zeit, die Sicherheit eines königlichen Schlosses aus höflicher Rücksicht gegen irgend jemand aufs Spiel zu setzen. Weilt der Sänger jetzt in dem Gemache, das als Bibliothekzimmer des alten Barons bezeichnet wird?«
»Dort wird ihn Euer Gnaden sicherlich antreffen«, sagte Greenleaf.
»Dann folget mir mit einigen Kameraden, doch so, daß keinerlei Aufsehen entsteht, aber meiner Befehle gewärtig!« rief Sir de Walton – »vielleicht erweist es sich als notwendig; den Mann in Haft zu nehmen.«
Der Schloßhauptmann hatte das genannte Gemach, ein steinernes Gewölbe mit einer Art feuersicheren Schrankes zur Aufbewahrung von wertvoller Habe und Papieren und Büchern, bald erreicht.
Der Sänger saß vor einem kleinen Tische, mit einem sichtlich sehr alten Manuskript in der Hand, aus dem er sich Stellen auszog.
Das Gemach hatte sehr schmale niedrige Fenster, an denen noch Spuren alter Glasmalerei, Darstellungen ohne Frage aus der Geschichte des Klosters Saint Bride, sichtbar waren, ein weiterer Beweis für die pietätvolle Verehrung, welche das mächtige Geschlecht der Douglas für ihre Schützlinge im Herzen trug.
Der Sänger, scheinbar tief in die Lösung seiner Aufgabe versunken, erhob sich demutsvoll, als er den Ritter hereintreten sah und blieb stehen, der Fragen desselben gewärtig, gleich als ob er ahne, daß der Besuch auf besondere und vorwiegend persönliche Gründe zurückzuführen sei.
»Vermutlich sind Eure Forschungen von Erfolg gewesen, Herr Sänger,« nahm Sir John das Wort, »so daß Ihr in dem alten Manuskript die Verse gefunden habt, die Ihr suchtet?«
»Ich bin glücklicher gewesen, als sich in Rücksicht auf die vielen Schloßbrände erwarten ließ«, antwortete der Sänger. »Dies hier, Herr Ritter, ist das in Rede stehende Buch, nach welchem ich suchte.«
»Da Ihr Eure Wißbegierde befriedigen konntet,« sprach der Schloßhauptmann, »so habt Ihr hoffentlich nichts dawider, Herr Sänger, daß ich nun suche, auch die meinige zu befriedigen.«
»Vermag ich des Herrn Ritters Wunsch auf irgendwelche Weise zufriedenzustellen,« sagte der Sänger nach wie vor voll Demut, »so greife ich gern zu meiner Laute und bleibe seiner Befehle gewärtig.«
»Ihr irrt, Herr Sänger,« sprach in härterem Tone de Walton, »ich gehöre nicht zu jenen Leuten, die für Sagen aus älteren Zeiten Zeit übrig haben. Ich habe in meinem Leben kaum Zeit übrig gehabt, den Pflichten meines Standes zu genügen, geschweige denn Muße für Geklimper und Alfanzerei.«
»In solchem Falle darf ich kaum erwarten, Euer Gnaden durch meine schwachen Kräfte Unterhaltung zu schaffen«, sprach bescheiden der Sänger.
»Nicht Unterhaltung ist es, die ich hier suche,« sprach der Schloßhauptmann in strengem Tone und trat näher an den Sänger heran, »sondern Auskunft, weil ich meine, daß Ihr in der Lage sein dürftet, mir mit solcher zu dienen, sofern Ihr Lust habt! Meine Pflicht ist es, daß mir, falls Ihr Euch sträubt, die Wahrheit zu sagen, Mittel verschiedener Art zu Gebote stehen, ein Bekenntnis zu erzwingen, wenn auch auf unangenehmere Weise, als mir im allgemeinen genehm sein dürfte.«
»Sind die Fragen, die Ihr mir stellen wollt, Herr Ritter,« versetzte Bertram, »solcher Art, daß ich sie beantworten kann, so werdet Ihr keine Ursache finden, sie mir mehr denn einmal vorzulegen; kann oder darf ich aber Antwort nicht darauf geben, dann wird mir, des dürft Ihr Euch versichert halten, weder Drohung noch Gewalt Antwort entwinden.«
»Eure Sprache, Sänger, ist kühn,« erwiderte der Ritter, »aber mein Wort dürft Ihr nehmen, daß Euer Mut die Probe bestehen soll! Ich greife ganz ebenso ungern zu solchen äußersten Mitteln, wie Ihr sie ungern über Euch ergehen lasset; indessen weidet Ihr, wenn der Fall eintritt, ihn nur als Folge Eurer Hartnäckigkeit anzusehen haben. Ich frage Euch also zunächst: ist Bertram Euer wirklicher Name? Ferner: Betreibt Ihr außer Eurem Sängerberuf einen anderen? Endlich: Reichen Eure Verbindungen oder Bekanntschaften über die Mauern dieses Schlosses hinaus, auf dem Ihr jetzt weilt?«
»Auf all diese Fragen erteilte ich bereits dem würdigen Ritter de Valence Bescheid, und da ich ihn vollkommen zufriedenstellte, ist es nach meiner Auffassung wohl nicht nötig, mich einer zweiten solchen Befragung zu unterziehen. Auch dürfte es weder mit Eurer Gnaden Ehre sich vertragen noch mit der Ehre Eures Stellvertreters, daß solche Befragung zum zweiten Male geschieht.«
»Ihr kümmert Euch um anderer Leute Ehre recht viel,« bemerkte Sir John spitzig, »indessen gebe ich Euch mein Wort, daß, was meine und, meines Stellvertreters Ehre angeht, andere Leute, also auch Ihr, nicht zu sorgen brauchen. Ich frage Euch also zum andernmale, Sänger, wollt Ihr Antwort geben auf die Fragen, die ich meiner Pflicht gemäß an Euch stellen muß – oder soll ich mir Gehorsam durch die Folter erzwingen? Meine Pflicht ist es Euch zu sagen, daß ich von den Antworten, die Ihr meinem Leutnant gegeben habt, unterrichtet, aber nicht zufrieden damit bin.«
Er klatschte in die Hände, worauf ein paar Bogenschützen im bloßen Hemd und Beinkleidern eintraten.
»Ich sehe,« sprach der Sänger, »daß Ihr mir, weil sich für meine Schuld kein Beweis erbringen läßt, eine Strafe erteilen wollt, die zu englischem Recht und Gesetz im Widerspruch steht. Ich habe bereits ausgesagt, daß ich von Geburt Engländer, von Gewerbe Sänger bin und mit niemand in Beziehung oder Verbindung stehe, bei welchem sich feindselige Absicht gegen dieses Schloß Douglas oder gegen Sir John de Walton, den Schloßhauptmann, vermuten lassen. Für Antworten, die Ihr mir durch körperlichen Schmerz erpreßt, kann ich, um als rechtlicher Christ zu sprechen, nicht verantwortlich gemacht werden. Ich glaube, daß ich soviel Schmerz ertragen kann wie irgend ein Mensch, bin aber überzeugt, noch niemals in dem Maße Schmerzen gefühlt zu haben, daß ich mich bewogen gefühlt hätte, ein verpfändetes Wort zu brechen oder falsche Anklage gegen einen Unschuldigen zu erheben.«
»Wir sind jetzt beide zu Ende, Sänger,« erwiderte Sir John, »und meine Pflicht würde erheischen, auf der Stelle zum äußersten meiner Drohung zu schreiten. Indessen empfindet Ihr vielleicht geringeren Widerwillen gegen solche peinliche Befragung als ich gegen ihre Verhängung. Deshalb will ich Euch zunächst nur an einem Ort einsperren lassen, der sich für einen Menschen eignet, den man als Spion im Verdacht hat. Eure Wohnung und Verköstigung ist so lange, bis es Euch beliebt, solchen Verdacht zu beseitigen, die eines Gefangenen. Inzwischen reite ich nach der Abtei hinüber, um mich zu überzeugen, ob der junge Mensch, den Ihr für Euren Sohn ausgebt, die gleiche Entschlossenheit, wie sie von Euch an den Tag gelegt wird, besitzt. Vielleicht bringt seine Befragung Licht in die Angelegenheit, vielleicht auch Klarheit über Eure Schuld oder Unschuld, ohne daß wir zur Folter zu schreiten brauchen. Verhält sich die Sache anders, dann zittert, wenn nicht für Euch selber, so doch für Euren Sohn! Ei, ei! Bekommt Ihr schon Angst, Herr Sänger? Fürchtet Ihr vielleicht für Eures Knaben junge Gliedmaßen die Werkzeuge, denen Ihr selber zu trotzen willens seid?«
»Herr Ritter!« entgegnete hierauf der Sänger, der sich von der Erregung, die ihn momentan befallen hatte, zu erholen anfing, »ich überlasse Euch als Mann von Ehre und Gewissen das Urteil darüber, ob sich nach Gesetz und Menschlichkeit über einen Menschen schlimmere Meinung hegen läßt darum, weil er bereit ist, an der eigenen Person Mißhandlung zu leiden, um sie seinem Kinde zu ersparen, einem schwächlichen Jüngling, der erst vor kurzem von gefährlicher Krankheit genesen ist.«
»Meine Pflicht erfordert,« versetzte nach kurzer Pause der Ritter, »daß ich dieser Angelegenheit bis zum Ursprung nachforsche. Wollt Ihr für Euren Sohn Gnade erlangen, so wird Euch das leicht werden dadurch, daß Ihr selber ihm das Beispiel der Ehrlichkeit und Offenheit gebt.«
Der Sänger warf sich in seinen Stuhl zurück mit einer Miene, als sei er entschlossen, lieber das Äußerste zu ertragen, als weitere Antworten zu erteilen. Sir John de Walton war unschlüssig über sein ferneres Verhalten; gegen die Anwendung der Tortur auf Vater und Sohn fühlte er ausgesprochenen Widerwillen, in so lebhaften Konflikt er sich auch mit seiner ihm durch den Dienst und durch die Rücksicht auf Sicherung königlichen Besitzes vorgeschriebenen Pflicht seinem Ermessen nach setzte. Die Erscheinung des Sängers zeigte hohe Würde und seine Rede nicht minder. Auch besann sich der Schloßhauptmann, daß sein jüngerer Kamerad, Sir Aymer de Valence, ihm den Sänger als ein solches Mitglied seiner Zunft geschildert, das redlich bestrebt sei, die Ehre eines gefährdeten Standes durch persönliche Tüchtigkeit wiederherzustellen; er mußte sich sagen, daß es grausam und ungerecht wäre, dem Gefangenen den Glauben an seine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit zu weigern, bis zum Beweis derselben jede Sehne gespannt und jedes Glied im eigenen wie im Leibe des Sohnes gebrochen wäre.
»Aber,« sprach er bei sich, »bleibt mir ein anderes Mittel, Wahrheit von Falschheit zu scheiden? Stehen nicht Bruce und seine Parteigänger bereit? Gehe ich vielleicht fehl in der Annahme, daß dieser Pseudokönig von Schottland die Galeeren ausgerüstet hat, die den Winter über bei Nochrin vor Anker lagen? Stimmt nicht, was Greenleaf von Waffen sprach, die für einen neuen Aufstand herbeigeschafft sein sollen, auffallend überein mit der Erscheinung jenes wilden Jägers im Walde, beim Mahle? Ha! Dies alles scheint mir ein Beweis zu sein dafür, daß etwas auf dem Amboß liegt, dessen Verhütung mir Pflicht und Gewissen vorschreiben. Deshalb will ich keinen Umstand übergehen, der irgendwie Licht über die Person des Sängers und seinen Knaben bringen kann. Gebe mir aber der Himmel aus anderer Quelle Licht, damit es mir nicht geboten und gesetzlich erscheine, diese doch vielleicht ehrlichen Leute zu quälen.«
Greenleaf ein Wort über den Gefangenen zuflüsternd, schritt er aus dem Gemache. Noch aber hatte er die äußere Schwelle desselben nicht erreicht, als die Stimme des alten Mannes, an den die Bogenschützen schon Hand gelegt hatten, an seine Ohren schlug und ihn bat, auf einen Moment zurückzukehren.
»Was habt Ihr zu sagen, Sänger?« fragte er, den Worten desselben willfahrend; »macht es kurz, denn schon habe ich mehr Zeit verloren Euch anzuhören, als sich verantworten läßt. Um Euretwillen also rate ich Euch –«
»Um Euretwillen, Sir John de Walton, laßt Euch durch mich raten, alles, was Euer weiteres Tun in dieser Sache leiten kann, auf das peinlichste zu erwägen; denn Ihr allein unter allen Lebendigen würdet durch einen Irrtum am schwersten zu leiden haben. Solltet Ihr dem Jüngling auch nur ein Haar krümmen oder krümmen lassen, solltet Ihr ihn die geringste Entbehrung leiden lassen, deren Verhinderung in Eurer Macht stünde, so würdet Ihr selber Euch herberen Schmerz bereiten, als Euch durch irgendwas sonst auf Erden bereitet werden könnte. Bei den höchsten Segnungen unserer Religion schwöre ich, das Heilige Grab rufe ich Zum Zeugen an, daß ich nichts rede als die lauterste Wahrheit und daß ein Tag kommen wird, an welchem Ihr mir für mein Tun und Lassen Euren Dank aussprechen werdet! Nicht bloß Euer, sondern auch mein Interesse ist es, Euch im Besitz dieses Schlosses zu sichern. Ich stelle nicht in Abrede, über Schloß und Schloßhauptmann einiges zu wissen, zu dessen Offenbarung ich aber die Einwilligung des in der Abtei aufhältlichen Jünglings haben muß. Bringt mir ein Schreiben seiner Hand, daß ich Euch in das Geheimnis ziehen darf, und seid überzeugt, all diese trüben Wolken werden sich im Nu zerteilen!«
»Ich wünsche um Euretwillen, daß dies der Fall sei,« versetzte der Gouverneur, »wenngleich ich nicht verstehen kann, weshalb sich solch günstiger Ausgang hoffen lassen soll. Ich will Eurem Wunsche Rechnung tragen, Sänger. Schreibt Eurem Sohne! Ich will die Besorgung übernehmen; um Euretwillen will ich die Gefahr leiden, die zu großes Vertrauen in Eure Reden leicht über mich selber bringen kann. In strenger Haft muß ich Euch aber halten, bis sich alles aufgeklärt und entschieden haben wird. Das gebeut mir die Pflicht!«
Mit diesen Worten gab er dem Gefangenen das Schreibzeug zurück, das von den Bogenschützen in Beschlag genommen worden war, und befahl ihm die Arme zu lösen.