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Othus. – – Dieser stolze Sproß
Der Weltbeherrscherin, wie falsch du prahlst,
Gleicht einer Trümmer, über'm Ocean,
Dem Ueberbleibsel eines großen Lands,
Das die Natur in's Wogengrab hinabzog.
Nun streckt ein schwarzer Fels das Haupt empor
Aus wüster See, und blicket ernst umher,
Voll stiller Majestät.
Constantin Paläologus, Sc. 1.
Unsere Scene in der Hauptstadt des oströmischen Reichs eröffnet sich in der Nähe des goldnen Thors, und im Vorbeigehen sei's gesagt, daß diese glänzende Benennung gar nicht so leichtsinnig verliehen worden war, wie man es von dem Geprahle der Griechen erwarten könnte, die mit Uebertreibung von sich, ihren Bauten und Monumenten zu sprechen pflegten.
Die starke und anscheinend uneinnehmbare Mauer, womit Constantin die Stadt umgab, ward von Theodosius dem Großen vergrößert und verstärkt. Ein Triumphbogen, im Geschmack eines besseren wiewohl schon entarteten Zeitalters, diente zugleich als Thor, um den Fremden in die Stadt einzulassen. Auf dem Gipfel stand eine eherne Statue der Siegesgöttin, welche die Wagschale der Schlacht zu Gunsten Theodosius' geneigt hielt, und da der Künstler Reichthum zeigen wollte, wenn's an Geschmack fehlte, so verschafften die goldenen Zierden, womit die Inschriften eingesetzt waren, dem Thore leicht seinen volksthümlichen Namen. Figuren, die aus einer älteren und für die Kunst glücklicheren Zeit herstammten, schauten von den Mauern, ohne mit dem Geschmack, worin diese erbaut waren, übereinzustimmen. Die neueren Verzierungen des goldenen Thors hatten zur Zeit unserer Geschichte einen ganz andern Charakter als jene Inschriften, welche den zur Stadt zurückgebrachten Sieg und den ewigen Frieden als durch das Schwert des Kaisers Theodosius gewonnen, rühmten. Vier oder fünf Kriegsmaschinen zum Schleudern großer Wurfgeschosse standen auf dem Triumphbogen, und der Bau, der ursprünglich nur zur Zierde errichtet worden war, mußte nun zur Vertheidigung dienen.
Es war zur Abendzeit und die kühle, erfrischende Seeluft lud die Wanderer, deren Geschäfte nicht dringend waren, ein, sich auf dem Wege zu verweilen, und einen Blick auf den romantischen Thorweg und die zahlreichen merkwürdigen Gegenstände zu werfen, welche Constantinopel in Kunst und Natur dem Einheimischen und Fremden darbot.
Ein Individuum jedoch betrachtete die Merkwürdigkeiten mit mehr Eifer und Erstaunen, als man es von einem Einheimischen hätte erwarten können, und in seinem lebhaften und unruhigen Auge las man den Eindruck, den der neue und ungewohnte Anblick auf ihn machte. Dem Anschein nach war es ein fremder Kriegsmann, der nach der Gesichtsfarbe zu urtheilen, weit von der griechischen Hauptstadt zu Hause sein mußte, was für ein Zufall auch ihn jetzt zum goldnen Thore führen, oder was für eine Stelle er in des Kaisers Dienst einnehmen mochte.
Dieser junge Mann war etwa zweiundzwanzig Jahr alt, ausgezeichnet schön und kräftig gebaut – Eigenschaften, worauf sich die Bürger von Constantinopel verstanden: denn durch die öffentlichen Spiele waren sie wenigstens mit dem menschlichen Körper bekannt geworden, da sie bei diesen Gelegenheiten außer ihren eigenen Landsleuten die schönsten Leute der Erde sahen.
Diese waren jedoch nicht alle so schlank als der Fremde am goldenen Thor, dessen scharfes, blaues Auge und schönes Haar, das unter dem silberverzierten, oben mit einem rachenaufsperrenden Drachen geschmückten Helme hervorquoll, einen Sohn des Nordens ankündigte, was die große Reinheit seiner Gesichtsfarbe ebenfalls bestätigte. Wiewohl die Schönheit seiner Züge und seiner Gestalt ausgezeichnet war, so konnte man ihm doch den Vorwurf von Weichlichkeit nicht machen. Davor bewahrte den Jüngling seine Stärke, und das zuversichtliche Selbstvertrauen, womit er die Wunder um sich her zu betrachten schien, indem sich dadurch kein träger, eben so unbelehrter als ungelehriger Geist zu erkennen gab, sondern ein lebendiger Verstand, der den größeren Theil der Belehrung, die ihm geworden ist, begreift, und sich anstrengt, auch das zu begreifen, was er entweder nicht erfaßt hat oder falsch verstanden zu haben fürchtet. Dieser lebendige und verständige Ausdruck erweckte Theilnahme für den jungen Barbaren, und während sich die Umstehenden verwunderten, daß ein Wilder aus irgend einer unbekannten, entlegenen Ecke der Welt in seinen edlen Zügen einen ungewöhnlichen Geist ankündigte, schenkten sie ihm ihre Achtung wegen der Ruhe, womit er so viele Dinge, deren Form, Pracht oder Nutzen ihm neu sein mußten, in Augenschein nahm.
Der Anzug des Jünglings war ein sonderbares Gemisch von Pracht und Weichlichkeit, und ließ die erfahrenen Zuschauer die Herkunft und den Stand desselben errathen. Wir haben bereits des phantastischen Helmes gedacht, der eine Auszeichnung des Fremden war; der Leser muß sich hierzu noch einen kleinen Harnisch denken, der so knapp gemacht war, daß er die breite Brust, woran er mehr zur Zierde als zum Schutz hing, nur wenig deckte, und es war nicht zu hoffen, daß er die Brust beschützen würde, wenn ein Geschoß oder Pfeil kräftig wider ihn anstürme.
Ein Ding wie ein Bärenfell hing ihm zwischen den Schultern den Rücken herab; in der Nähe betrachtet, fand es sich, daß es künstlich nachgemacht war: es war ein Oberkleid von starker, zottiger Seide, das so gewoben war, daß es aus der Ferne ziemlich einer Bärenhaut glich. Ein glänzendes, krummes Schwert hing in einer Scheide von Gold und Elfenbein an des Fremden linker Seite; das verzierte Heft schien jedoch für die starke Hand des jungen Herkules, den es also lustig schmückte, viel zu klein. Ein purpurfarbiges Kleidungsstück, das eng an den Hüften saß, deckte den Kriegsmann bis über das Knie; von da waren Kniee und Beine nackt bis zu den Waden, worüber sich die Riemen der Sandalen kreuzweise schlangen, während eine in eine Schnalle verwandelte Goldmünze des regierenden Kaisers diese Bänder auf dem Rücken des Fußes festhielt.
Aber eine Waffe, die besser zu des jungen Barbaren Gestalt paßte, und die ein Schwächerer nicht hätte führen können, war eine Streitaxt, deren starker, eisenbeschlagener Stiel von Rüsterholz mit Messing fest bedeckt war, während manches Blech und mancher Ring das Holz mit dem Stahle verband. Die Axt an sich hatte zwei Schärfen nach vorn und nach hinten, zwischen denen sich eine scharfe Stahlspitze erhob. Dieser stählerne Theil, Schärfen und Spitze, war hell wie ein Spiegel geglättet, und wiewohl das Gewicht der Axt für einen Schwächeren schwer gewesen sein würde, so trug sie doch der junge Krieger so geschickt, als wäre sie federleicht. In der That war die Waffe so wohl nach dem Gesetze des Gleichgewichts zusammengesetzt, daß derjenige, der sie in Händen hielt, sie weit leichter auswerfen und zurückziehen konnte, als es ein bloßer Zuschauer für möglich halten mochte.
Das Tragen von Waffen selbst kündete den Krieger als einen Fremden an. Die eingebornen Griechen zeigten sich darin als ein civilisirtes Volk, daß sie in Friedenszeiten keine Waffen trugen, wenn nicht der Träger derselben zu den Kriegern von Handwerk gehörte, die immer bewaffnet waren. Dergleichen Söldner wurden leicht von den friedlichen Bürgern unterschieden, und es war mit einer sichtbaren Art von Scheu und Abneigung, daß sich die Vorübergehenden einander sagten, der Fremde wäre ein Waräger, worunter man einen Barbaren von der kaiserlichen Leibwache verstand.
Um den Mangel an Kriegermuth unter den eigenen Unterthanen zu ersetzen, und um Soldaten zu haben, die nur von dem Kaiser abhingen, hatten die griechischen Herrscher seit vielen Jahren ihre Person mit einer gewissen Anzahl von Söldnern umgeben, und diese Leibwächter waren vermöge ihrer strengen Disciplin und ihrer Ergebenheit, so wie auch durch ihre persönliche Stärke und ihren unbeugsamen Muth hinlänglich, nicht nur ein verrätherisches Unternehmen gegen des Kaisers Person zu unterdrücken, sondern auch jede offene Empörung, wenn dieselbe von keiner starken Militärmacht unterstützt war, zu dämpfen. Ihr Sold war darum bedeutend; ihr Rang und anerkannter Muth verschafften ihnen eine gewisse Achtung bei dem Volke, dessen Heldensinn seit langer Zeit in keinem großen Rufe stand, und wenn die Waräger als Fremde und als eine privilegirte Schaar oft zu willkürlichen und unpopulären Dingen verwandt wurden, so hatten doch die Eingebornen trotz ihrer Abgeneigtheit so große Furcht vor denselben, daß sich die kühnen Fremdlinge wenig daraus machten, in welchem Lichte sie bei den Einwohnern von Constantinopel ständen. Ihr Anzug und ihre Rüstung, während sie sich in der Stadt befanden, waren dem reichen oder vielmehr überspannten Costüm ähnlich, was wir beschrieben haben, und das dem der Waräger in ihren heimischen Wäldern nur künstlich nachgemacht war. Doch wenn die Glieder dieser Schaar zu Diensten außerhalb der Stadt verwandt wurden, so wurden sie mit Rüstung und Waffen versehen, die denen, welche sie in der Heimath zu tragen pflegten, mehr glichen, die also weniger prächtig aber fürchterlicher waren; auf diese Weise wurden sie in's Feld geschickt.
Die Schaar der Waräger (welcher Name nach einer Erklärung Barbaren im Allgemeinen bedeutet) war in einer früheren Zeit des Kaiserreichs aus den nordischen Seeräubern gebildet worden, die der heißeste Durst nach Abenteuer und die größte Verachtung der Gefahr über den unwegsamen Ocean führte. »Seeräuberei,« sagt der geistreiche Gibbon, »war die Schule, der Handel, der Ruhm und die Tugend der jungen Scandinavier. Unzufrieden mit dem kalten Klima und den engen Gränzen, sprangen sie auf vom Gelage, erfaßten die Waffen, stießen in's Horn, bestiegen die Schiffe und durchsuchten alle Küsten, wo Beute oder Niederlassung zu hoffen war.«
Die durch diese wilden Seekönige, wie sie sich nannten, in Frankreich und Britannien gemachten Eroberungen haben die Thaten anderer nordischen Kämpen verdunkelt, die lange vor Comnenus bis nach Constantinopel gekommen waren, und die Pracht und Schwäche des griechischen Kaiserreichs mit eigenen Augen ermessen hatten. Viele fanden ihren Weg hierher durch die ungebahnten Steppen Rußlands, andere kamen auf ihren Seeschlangen, wie sie ihre Raubschiffe nannten, über das mittelländische Meer geschifft. Die Kaiser, über die Erscheinung dieser Bewohner der kalten Zone erschrocken, handelten nach der gewöhnlichen Politik eines reichen und unkriegerischen Volkes: sie erkauften mit Gold das Schwert der Fremdlinge und errichteten so eine Schaar von Leibwächtern, die an Heldenmuth die berühmten Prätorianer in Rom übertraf und die, vielleicht weil sie weniger zahlreich war, mit unwandelbarer Treue an ihren neuen Fürsten hing.
Aber in einer späteren Zeit des Kaiserreichs ward es den Kaisern schwerer, Rekruten für diese auserwählte Schaar zu bekommen: denn die nordischen Völker hatten fast ganz das Räuberleben aufgegeben, das ihre Väter von der Meerenge von Helsingör nach der von Sestos und Abydos geführt hatte. Die Schaar der Waräger hätte sonach aussterben oder durch schlechtere Subjekte ersetzt werden müssen, hätte nicht die Eroberung der Normannen im entfernten Westen dem Comnenus ein großes Hülfsheer verschafft, das aus den vertriebenen Bewohnern der britischen Inseln, besonders Englands bestand, und das Rekruten für die ausgewählte Leibwache lieferte. Diese Leute waren freilich Angelsachsen; doch bei der am Hofe von Constantinopel herrschenden geographischen Verwirrung wurden sie natürlich genug Angeldänen genannt, da ihre Heimath mit dem alten Thule verwechselt wurde, worunter die shetländischen und arkadischen Inseln verstanden werden müssen, wiewohl die Griechen Dänemark oder Britannien darunter begriffen. Die Ausgewanderten redeten eine Sprache, die der der ursprünglichen Waräger glich; und sie nahmen den Namen derselben desto lieber an, weil er sie an ihr unglückliches Schicksal erinnerte, da dies Wort auch Verbannter erklärt werden kann. Außer den Oberbefehlshabern, die der Kaiser selbst ernannte, hatten die Waräger Offiziere aus ihren eigenen Landsleuten, und unter dem Genusse vieler Privilegien dauerten sie, indem sie von Zeit zu Zeit durch viele ihrer Landsleute, welche die Kreuzzüge, Pilgerfahrten oder häusliches Unglück nach dem Osten führte, verstärkt wurden, in aller Kraft bis in die letzten Tage des griechischen Kaiserthums; bis dahin bewahrten sie ihre heimische Sprache, die untadelhafte Treue und den unerschütterlichen Heldensinn, wodurch sich ihre Väter ausgezeichnet hatten.
Dieser Bericht über die Schaar der Waräger ist streng historisch, und kann durch Anführung der Byzantiner bewiesen werden; die Mehrzahl der letzteren, wie auch Villehardouin's Bericht über die Eroberung von Constantinopel durch die Franken und Venetianer erwähnen mehrfach diese berühmte Schaar von Engländern, die den griechischen Kaisern als Leibwache diente.
Das Gesagte reicht hin, uns die Erscheinung eines Warägers am goldenen Thore zu erklären, und wir können nun in der angefangenen Erzählung fortfahren.
Es darf nicht befremden, daß der Kriegsmann von der Leibwache von den vorübergehenden Bürgern mit einiger Neugier betrachtet wurde. Man muß annehmen, daß sich die Waräger rücksichtlich ihrer Dienstpflichten nicht aufgemuntert fühlten, häufige Verbindungen mit den Einwohnern zu unterhalten: abgesehen davon, daß sie gelegentlich polizeiliche Aufträge zu besorgen hatten, wodurch sie mehr gefürchtet als beliebt wurden, war es ihnen nicht verborgen, daß ihr hoher Sold und ihre unmittelbare Abhängigkeit von dem Kaiser Gegenstände des Neids für die anderen Krieger seien. Darum hielten sie sich in der Nähe ihrer Baracken, und selten entfernten sie sich weit von denselben, wenn nicht ein Auftrag der Regierung es ihnen gebot.
Unter diesen Umständen war es natürlich, daß ein so neugieriges Volk wie die Griechen einen Fremdling betrachtete, der bald stille stand, bald hin und her schritt gleich einem Manne, der den gesuchten Ort nicht finden kann oder der eine Person verfehlt hat, mit der er zusammenkommen wollte, wofür der Scharfsinn der Vorübergehenden tausenderlei verschiedene Gründe fand. »Ein Waräger,« sagte ein Bürger zu einem anderen, »und das im Dienst – hm! Dann muß ich Euch in's Ohr sagen –«
»Was meint Ihr, daß er vorhat?« fragte der andere, an den die Bemerkung gerichtet war.
»All' ihr Götter! kann ich Euch das sagen? vermuthlich soll er hier erlauschen, wie das Volk vom Kaiser spricht,« sagte der Naseweise von Constantinopel.
»Das ist unwahrscheinlich,« versetzte der andere; »diese Waräger reden unsere Sprache nicht, und taugen nicht viel zu Spionen, weil die Wenigsten von ihnen ein griechisches Wort verstehen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß der Kaiser einen als Spion gebraucht, der die Landessprache nicht versteht.«
»Aber wenn, wie Jedermann glaubt,« antwortete der Politikus, »unter diesen barbarischen Söldnern Leute sind, die fast alle Sprachen reden, so müßt Ihr zugeben, daß dieselben wohl geeignet sind, sich klar umzuschauen, weil sie das Talent der Beobachtung und der Hinterbringung besitzen, das ihnen Niemand zutraut.«
»Es mag sein,« versetzte der andere; »doch da wir so deutlich des Fuchses Pfote unter dem Schaffell oder vielmehr unter der Bärenhaut hervorscheinen sehen, thäten wir nicht besser, heimwärts zu schlendern, ehe man uns beschuldigen kann, einen Waräger von der Garde beschimpft zu haben?«
Diese eingebildete Gefahr, die der letzte Redner, ein älterer und erfahrenerer Politikus als sein Freund, besorgte, bestimmte beide zu einem schnellen Rückzug. Sie ordneten ihren Anzug, faßten sich bei den Armen, und indem sie vor Furcht und Argwohn leise zu einander sprachen, eilten sie, dicht an einander gedrängt, ihren Wohnungen zu, die in einem entlegenen Quartier der Stadt lagen.
Indessen neigte sich die Sonne zum Untergang, und die Mauern, Bollwerke und Bogen warfen ostwärts einen größeren und schwärzeren Schatten. Der Waräger schien ermüdet durch den engen Kreis, worin er sich seit mehr als einer Stunde herumgetrieben hatte, und worin er noch wie ein gebannter Geist einherschwebte, der den Ort, wohin ihn ein Zauber beschworen, nicht ohne dessen Lösung verlassen kann. Er warf einen ungeduldigen Blick nach der Sonne, die eben in lichter Gluth hinter einem Cypressenhain unterging, wählte sich dann einen Ruheplatz auf einer steinernen Bank unter dem Triumphbogen, und nachdem er die Axt, seine Hauptwaffe, dicht an sich gezogen und seinen Mantel umgeschlagen hatte, schlief er in wenigen Minuten ein, wiewohl sein Anzug und der Ort, wo er sich befand, dem Schlummer nicht günstig waren. Der unwiderstehliche Trieb, der ihn einen so ungeeigneten Ruheplatz wählen ließ, mochte auf Ermüdung in Folge von der Nachwache beruhen, die am vergangenen Abend einen Theil seines Dienstes ausgemacht hatte. Während er sich jedoch dem Schlummer überließ, blieb der Geist in ihm so munter, daß er mit geschlossenen Augen fast wachte, und daß nie ein Jagdhund einen leichteren Schlaf hatte als unser Angelsachse am goldenen Thor zu Constantinopel.
Und wie vorhin der Herumschlenderer, so gab nun der Schläfer den Vorübergehenden zu Bemerkungen Anlaß. Zwei Männer traten zusammen in die Halle. Der eine war ein etwas kleiner, aber ein lebhaft aussehender Mann, Lysimachus geheißen, seines Gewerbs ein Zeichner. Eine Rolle Papier und ein Säckchen mit Kreide oder Bleistiften, die er in der Hand hielt, waren sein Handwerkszeug, und seine Bekanntschaft mit den Ueberresten alter Kunst ließ ihn von Dingen reden, deren Ausführung sein Talent weit überragte. Sein Gesellschafter, ein wohlgebildeter und insoweit dem jungen Barbaren ähnlicher Mann, nur von gröberem, bäurischerem Gesichtsausdruck, war Stephanos der Ringer, in der Palästra wohlbekannt.
»Halt ein wenig, mein Freund,« sagte der Künstler, seine Bleistifte hervorziehend, »bis ich eine Skizze für meinen jungen Herkules genommen habe.«
»Ich dachte, Herkules sei ein Grieche gewesen,« sagte der Ringer. »Dies schlafende Vieh ist ein Barbar.«
Es lag etwas Bitteres in diesen Worten, und der Zeichner beeilte sich, den Aerger, welchen er absichtslos erregt hatte, zu begütigen. Stephanos, mit dem Beinamen Kastor, hochberühmt in der Gymnastik, war ein Beschützer des kleinen Künstlers, und brachte vermöge seiner Berühmtheit die Talente seines Freundes in Achtung.
»Schönheit und Stärke,« sagte der gewandte Künstler, »gehören keinem Volke ausschließlich an; und es ist meine größte Freude, sie zu vergleichen, ob sie sich nun finden bei dem ungebildeten nordischen Wilden oder bei dem Liebling eines erleuchteten Volkes, der gymnastische Vollkommenheit mit den ausgezeichnetsten Naturgaben vereinigt, wie wir es nur noch an den Werken eines Phidias und Praxiteles sehen – oder an unserem lebendigen Abbild der gymnastischen Kämpfer des Alterthums.«
»Ja, ich muß gestehen, daß der Waräger ein schöner Mann ist,« sagte der athletische Held in besänftigendem Ton; »aber der arme Wilde hat vielleicht sein Leben lang keinen Tropfen Oel auf der Haut gespürt. Herkules stiftete die isthmischen Spiele – –«
»Sieh da! was schläft da mit ihm in der Bärenhaut?« sagte der Künstler. »Ist es ein Prügel?«
»Fort, fort, Freund!« rief Stephanos, als sie den Schläfer näher betrachteten. »Wißt Ihr nicht, daß dies ihre barbarische Waffe ist? Sie kämpfen nicht mit Schwert und Lanze, wie man sie gegen Menschen von Fleisch und Blut anwendet, sondern mit Kolben und Aexten, als müßten sie Glieder von Stein und Sehnen von Eichenholz zerhacken. Ich verwette meine Krone (von verwelkter Petersilie), daß er hier liegt, um einen hohen Befehlshaber, der die Regierung beleidigt hat, zu verhaften! Sonst würde er nicht so furchtbar bewaffnet sein. – Fort, fort, guter Lysimachus; respectiren wir den Schlaf dieses Bären.«
Also sprechend machte sich der Held der Palästra davon mit anscheinend geringerer Zuversicht, als seine Gestalt und Stärke erwarten ließen.
Die Zahl der Vorübergehenden wurde, je mehr der Abend vorrückte und der Cypressenschatten dunkler fiel, immer geringer. Zwei Weiber niedrigen Standes warfen ihre Blicke auf den Schläfer. »Heil'ge Maria!« sagte die eine, »ob er mich nicht an das morgenländische Mährchen erinnert, wo die Genien einen artigen jungen Prinzen aus seiner Hochzeitkammer in Aegypten nehmen, und den schlafenden am Thore von Damaskus lassen. Ich will das arme Lamm wecken, damit ihm der Nachtthau keinen Schaden thue.«
»Schaden?« antwortete das ältere Weib, das mürrischer aussah. »Freilich, es wird ihm schaden wie das kalte Wasser aus dem Cydnus dem wilden Schwan. Ein Lamm? – ja, meiner Treu! Er ist ein Wolf oder Bär, wenigstens ein Waräger, und keine ehrbare Dame wird einen so ungeschliffenen Barbaren anreden wollen. Ich will Euch erzählen, was mir einer von diesen Angeldänen für einen Streich gespielt hat –«
Mit diesen Worten zog sie ihre Begleiterin fort, die ihr ungern folgte und auf ihr Geschnatter zu horchen schien, während sie nach dem Schläfer zurückschaute.
Der gänzliche Untergang der Sonne und das fast gleichzeitige Verschwinden der Dämmerung, die auf jenem Breitengrade nur kurz ist (einer der wenigen Vorzüge eines gemäßigteren Klimas ist die längere Dauer dieses angenehmen Lichtes), gaben den Stadtwächtern das Zeichen, die Flügelthüren des goldnen Thors zu schließen; nur ein leichtverschloßnes Pförtchen blieb für den Einlaß derer, die sich in Geschäften außerhalb der Mauer verspätet hatten, und Aller, die ein kleines Sperrgeld zahlen wollten. Der scheinbar bewußtlose Zustand des Warägers entging denen nicht, die das Thor zu bewachen hatten und deren starke Wache aus gewöhnlichen griechischen Soldaten bestand.
»Bei Kastor und Pollux,« sagte der Centurio, – denn die Griechen schwuren bei den alten Göttern, wiewohl sie dieselben nicht mehr verehrten, und behielten die militärischen Würden bei, womit die alten Römer die Welt erschüttert hatten, wiewohl sie von der Sitte ihrer Altvordern abgefallen waren – »bei Kastor und Pollux, Cameraden, wir können an diesem Thore kein Gold gewinnen, wie es uns sein Name verheißt; aber es wäre unser Fehler, wenn wir keine Nachlese in Silber halten könnten; und obwohl das goldne Zeitalter das älteste und ehrwürdigste ist, so müssen wir uns doch in unseren schlechten Tagen mit dem Blinken des geringeren Metalls begnügen.«
»Wir wären nicht werth, unserem edlen Centurio Harpax zu folgen,« antwortete einer der Wächter, der den geschornen Kopf und das Haarbüschel eines Muselmannes hatte, »wenn uns Silber keine hinreichende Lockspeise wäre, wann Gold nicht zu haben ist, wie wir denn auf Manneswort seit Monaten keins mehr gesehen haben, sei es aus dem kaiserlichen Schatz, sei es aus dem Beutel anderer Leute.«
»Aber dies Silber,« sagte der Centurio, »sollst du mit deinen eignen Augen sehen, und es klingen hören in der Börse, die unsere gemeinsame Baarschaft enthält.«
»Enthielt, wolltest du sagen, sehr tapferer Hauptmann,« versetzte der untergebene Wächter; »denn was die Börse jetzt enthält – einige elende Obole nicht gerechnet, um Kraut und gesalzene Fische, die uns unseren abgestandenen Wein schmackhaft machen, zu kaufen, – das weiß ich nicht, aber gern überlasse ich meinen Antheil daran dem Teufel, wenn ihr Inhalt einem andern Zeitalter als dem kupfernen angehört.«
»Ich will unsern Schatz wieder füllen,« sagte der Centurio, »wäre er auch noch leerer, als er es ist. Stellt euch dicht an das Pförtchen, ihr Leute. Bedenkt, daß wir kaiserliche Wächter sind oder die Wächter der Kaiserstadt, das läuft auf eins hinaus, und macht, daß uns Niemand plötzlich überrasche; – und da wir nun auf unserer Hut sind, so will ich euch erklären – Doch halt,« sagte der tapfere Centurio, »sind wir alle hier getreue Brüder? Verstehen wir alle die alte und löbliche Sitte unserer Wache, Alles geheim zu halten, was den Nutzen und Vortheil unsrer Wache betrifft, und die gemeine Sache zu fördern und zu unterstützen ohne Hinterbringung und Verrath?«
»Ihr seid heute gar argwöhnisch,« versetzte der Wächter. »Wahrhaftig, wir haben Euch beigestanden in wichtigeren Dingen, ohne zu schwatzen. Habt Ihr's vergessen, wie der Juwelier vorbeikam? – das war kein goldnes und kein silbernes Zeitalter; aber wäre jetzt so ein Diamant –«
»Still, Ismail der Ungläubige,« sagte der Centurio, »denn ich danke dem Himmel, daß wir alle Religionen hier haben, weil wir dann gewiß auch die wahre darunter zu besitzen hoffen können. – Still, sag' ich; es ist nicht nöthig, daß du mir beweisest, du könnest neue Geheimnisse bewahren, indem du alte enthüllst. Komm hierher – lug' durch das Pförtchen nach der steinernen Bank, im Schatten der großen Halle – sag' mir, alter Kerl, was du dort siehst?«
»Einen Mann im Schlaf,« sagte Ismail. »Beim Himmel, so viel ich beim Mondlicht sehen kann, so ist's einer von den Barbaren, einer von den Inselhunden, die sich der Kaiser hält!«
»Und kann dein erfinderischer Kopf,« sagte der Centurio, »aus diesem Umstand keinen Vortheil für uns ziehen?«
»Ei nun,« sagte Ismail; »sie haben gute Löhnung, im Vergleich mit uns Muhamedanern und Nazaräern, wiewohl sie nicht nur Barbaren, sondern heidnische Hunde sind. Dieser Schlingel hat sich in geistigem Getränk benebelt, und versäumt, zu rechter Zeit nach Hause zu gehen. Er wird scharf bestraft werden, wenn wir ihn nicht einlassen; sollen wir ihn aber einlassen, so muß er uns seinen Gurt ausleeren.«
»Das zum wenigsten – das zum wenigsten,« antworteten die Soldaten der Stadtwache, indem sie sorgsam ihre Stimmen dämpften, obgleich sie im lebhaften Tone sprachen.
»Und ist das Alles, wozu euch diese Gelegenheit dienen soll?« fragte Harpax spöttisch. »Nein, nein, Cameraden. Wenn uns dies fremde Thier wirklich entgeht; so muß es uns wenigstens sein Fell lassen. Seht ihr, wie sein Helm und Harnisch glänzen? Die müssen wohl von gutem, obwohl nur dünnem Silber sein. Das ist die Silbergrube, von der ich sagte, daß sie den bereichern würde, der sie zu bearbeiten versteht.«
»Aber,« sagte furchtsam ein junger Grieche, der, erst neulich in die Schaar der Wächter aufgenommen, die Sitte derselben nicht kannte, »dieser Barbar, wie Ihr ihn nennt, ist doch immer ein Soldat des Kaisers, und wenn man uns überführt, ihn seiner Waffen beraubt zu haben, so werden wir mit Recht für dies Verbrechen bestraft werden.«
»Hört den neuen Lykurg, der uns unsere Schuldigkeit lehrt!« sagte der Centurio. »Wisse, junger Mann, daß die metropolitanische Cohorte kein Verbrechen begehen, und folglich von keinem überführt werden kann. Gesetzt, wir finden einen herumschweifenden Barbaren, einen Waräger, wie diesen Schläfer da, vielleicht einen Franken oder sonst einen von diesen Fremden, deren Namen wir nicht aussprechen können, während sie uns dadurch beschimpfen, daß sie Wehr und Waffen wahrer römischer Kriegsleute tragen, sollen wir, die wir einen so wichtigen Posten zu vertheidigen haben, einen so verdächtigen Kerl einlassen, der im Stande ist, Thor und Thorwächter zu verrathen, indem er das eine wegnimmt und den andern die Gurgel sauber abschneidet?«
»So laßt ihn draußen,« versetzte der Neuling, »wenn er Euch so gefährlich scheint. Was mich betrifft, ich würde ihn nicht fürchten, hätte er nicht die große Axt mit doppelter Schärfe, die unter seinem Mantel mit weit drohenderem Schimmer hervorblitzt, als der Komet, von dem die Astrologen so seltsame Dinge verkünden.«
»Nun, da sind wir einverstanden,« antwortete Harpax, »und Ihr sprecht wie ein vernünftiger Junge; ich aber verspreche Euch, daß der Staat bei der Beraubung dieses Barbaren nichts einbüßt. Jeder von diesen Wilden hat eine doppelte Rüstung: die eine von Gold, Silber, eingelegter Arbeit und Elfenbein, wie sie zu dem Dienst im Palast des Fürsten paßt – die andere von dreifachem Stahl, stark, schwer und undurchdringlich. Wenn Ihr nun diesem verdächtigen Kerl den silbernen Helm und Harnisch abnehmt; so zwingt Ihr ihn, seine wahren Waffen anzulegen, die zum Dienst geeigneter sind.«
»Wohl,« sagte der Neuling; »aber ich sehe nicht ein, wie wir mit allem dem weiter kommen, als daß wir dem Waräger die Waffen, die wir ihm heute nehmen, morgen wieder zustellen, sobald er sich als einen treuen Mann ausgewiesen haben wird. Doch glaubte ich Euch so zu verstehen, daß die Waffen zu unserem gemeinsamen Vortheil confiscirt werden sollten.«
»Ohne Zweifel,« sagte Harpax; »das ist der Brauch unserer Wache seit den Tagen des vortrefflichen Centurio Sisyphus, zu dessen Zeit zuerst bestimmt worden ist, daß alle Contrebande, verdächtige Waffen und dergleichen, die bei Nacht in die Stadt gebracht würden, zum Nutzen der wachthabenden Mannschaft weggenommen werden sollten; und wo der Kaiser findet, daß Güter oder Waffen mit Unrecht confiscirt worden sind, da ist er reich genug, den Schaden gut zu machen.«
»Aber dennoch,« sagte Sebastes von Mitylene, der schon genannte junge Grieche, »wenn der Kaiser erführe –«
»Esel!« versetzte Harpax, »er kann nichts erfahren, und hätte er so viel Augen als Argus. – Hier sind unserer zwölf, die der Sitte der Wache gemäß alle in ihrer Aussage übereinstimmen. Dort ist ein Barbar, der, wenn er sich ja eines Dings erinnert, was ich sehr bezweifle – denn die Schlafstelle, die er sich gewählt hat, beweist, daß er zu sehr in den Weinkrug vertieft war –, nur eine verwirrte Geschichte über den Verlust seiner Waffen vorbringen wird, die wir« (hierbei sah er seine Cameraden nach der Reihe an) »streng in Abrede stellen. Ich hoffe, wir haben Muth genug dazu – und welcher Partei wird man glauben? Den Wächtern, das ist klar.«
»Gerade umgekehrt,« sagte Sebastes. »Ich bin weit von hier geboren; indeß nach der Insel Mitylene sogar ist der Ruf gedrungen, daß die Stadtwächter von Constantinopel so voll Falschheit seien, daß der Eid eines einzelnen Barbaren den Christeneid dieser ganzen Schaar überwöge, wenn ja alle Glieder derselben Christen sind, wie z. B. der Schwarze da mit dem einzelnen Haarbüschel auf dem Kopf.«
»Und wenn das auch so wäre,« sagte der Centurio mit einem düsteren, drohenden Blick, »so gibt's noch einen anderen Weg, uns den Rücken zu decken.«
Sebastes sah seinen Vorgesetzten fest an, und legte die Hand an seinen Dolch, um die wahre Meinung des Centurios zu erforschen. Dieser nickte ihm Beifall.
»Jung wie ich bin,« sagte Sebastes, »war ich doch schon fünf Jahr Seeräuber und drei Jahr Straßenräuber; aber es ist das erste Mal, daß ich einen Mann Bedenken tragen sah oder hörte, das einzige Mittel zu ergreifen, was in einer solchen Sache der Wahl eines braven Mannes würdig ist.«
Harpax drückte die Hand des Soldaten, als wenn er die kluge Vorsicht desselben billige; doch als er zu reden begann, zitterte seine Stimme.
»Wie sollen wir mit ihm fertig werden?« sagte er zu Sebastes, der sich vom rohsten Rekruten auf einmal zu dem höchsten Platz in seiner Achtung aufgeschwungen hatte.
»Auf irgend eine Weise,« erwiderte der Insulaner; »ich sehe hier Bogen und Pfeile, und wenn sich sonst Niemand darauf versteht –«
»Es sind nicht die gewöhnlichen Waffen unserer Leute,« sagte der Centurio.
»Desto besser steht's um die Bewachung der Thore,« sagte der junge Mann mit schallendem Lachen, das wie Hohn klang. »Nun, meinethalben. Ich schieße wie ein Scythe,« fuhr er fort; »nickt nur mit dem Kopf, und ein Pfeil soll ihm den Schädel zersplittern, ein anderer das Herz durchdringen.«
»Bravo, mein edler Camerad!« sagte Harpax mit erzwungener Wärme, indem er jedoch seine Stimme dämpfte, um den Waräger nicht zu wecken. »So waren die Räuber des Alterthums, Diomedes, Corynetes, Synnes, Scyron, Procrustes, die nur durch Halbgötter zu der sogenannten Gerechtigkeit gezwungen werden konnten, und deren Jünger und Nachfolger das Festland und die Inseln der Griechen beherrschen werden, bis Herkules und Theseus wieder auf Erden erscheinen. Indeß, schieße nicht, tapferer Scythe – spanne nicht den Bogen, unvergleichlicher Mitylenier; du könntest ihn nur verwunden, ohne ihn zu tödten.«
»Das ist nicht meine Gewohnheit,« sagte Sebastes, indem er sein schallendes Lachen wiederholte, das dem Ohr des Centurios wehe that, ohne daß derselbe den Grund wußte, warum es ihm so widrig vorkam.
»Wenn ich mich nicht vorsehe,« dachte er bei sich, »so werden wir zwei Centurionen haben statt einen. Dieser Mitylenier oder wer er sonst ist, ist mir über den Kopf gewachsen. Ich muß ein Auge auf ihn haben.« Hierauf sagte er mit lauter und gebieterischer Stimme: »Komm nur, junger Mann, es ist hart, einen Anfänger zu entmuthigen. Wenn du so ein Land- und Seeräuber gewesen bist, wie du sagst, so kannst du auch den Sicarier spielen: dort liegt dein Ziel – betrunken oder schlafend, wir wissen's nicht; – in jedem Fall wirst du mit ihm fertig werden.«
»Aber wird's nicht ungleich zugehen, wenn ich einen schlafenden oder trunkenen Mann niedersteche?« antwortete der Grieche. »Ihr würdet den Auftrag vielleicht gerne selbst besorgen?« fuhr er mit einiger Ironie fort.
»Thue, was man dich geheißen hat, Freund,« sagte Harpax, indem er nach der Treppe zeigte, die von den Zinnen des Thorbogens hinunter in die Halle führte.
»Er hat den wahren Diebstritt einer Katze,« sagte der Centurio halblaut, als der Wächter hinunterstieg, um das Verbrechen zu begehen, dessen Verhütung seine Dienstpflicht war. »Der Kamm dieses Hähnchens muß gestutzt werden, oder er wird bald König auf der Stange sein. Doch sehen wir, ob seine Hand so geschickt wie seine Zunge ist; dann wollen wir erwägen, was weiter zu thun sei.«
Während Harpax so zwischen den Zähnen murmelte und mehr zu sich selbst als zu seinen Gefährten sprach, erschien der Mitylenier in dem Thorgang, mit außerordentlicher Leichtigkeit und Schnelligkeit auf den Zehen einherschreitend. Der Dolch, den er beim Heruntergehen gezogen hatte, blinkte in seiner Hand, die er nach hinten hielt, um die Waffe zu verbergen. Der Mörder beugte sich einen Augenblick über den Schlafenden, um sich den Zwischenraum zwischen dem dünnen Silberharnisch und dem Leibe, den derselbe beschützen sollte, zu merken, als gerade in dem Augenblicke, wo der Streich fallen sollte, der Waräger aufsprang, die bewaffnete Hand des Mörders mit seiner Streitaxt zurückschlug, und indem er so den drohenden Stoß parirte, dem Griechen einen schwereren Schlag versetzte, als derselbe je einen auf dem Pancratium kennen gelernt hatte, so daß ihm kaum die Kraft blieb, seine Cameraden auf der Zinne um Hülfe anzurufen. Diese hatten jedoch den Vorgang bemerkt, und sie sahen den Barbaren den Fuß auf ihren Cameraden setzen und mit seiner fürchterlichen Waffe, deren Zischen das alte Gewölbe ertönen mochte, weit ausholen, und so ein wenig einhalten, ehe er seinem Gegner den Todesstreich gab. Die Wächter geriethen in Bewegung, als wenn einige von ihnen dem Sebastes zu Hülfe hinuntereilen wollten, doch war es ihnen nicht sehr darum zu thun, als ihnen Harpax plötzlich mit gedämpfter Stimme stille zu stehen gebot.
»Jedermann an seinen Posten,« sagte er, »komme, was mag. Dort kommt ein Hauptmann der Wache – das Geheimniß ist unser, wenn der Wilde den Mitylenier getödtet hat, wie ich wohl glaube, denn er rührt weder Hand noch Fuß. Aber wenn er lebt, Cameraden, dann macht euer Gesicht hart wie Kiesel – er ist nur ein Mann, wir sind zwölf. Wir wissen nichts von seinem Vorhaben, außer daß er sehen wollte, warum der Barbar so nahe am Posten schlief.«
Während der Centurio seinen Cameraden diese Verhaltungsmaßregel mittheilte, erschien unten die stattliche Gestalt eines großen, reich bewaffneten Kriegers, dessen hoher Helmschmuck funkelte, als er aus dem Mondschein in den Schatten des Gewölbes trat. Die Wächter auf dem Thore flüsterten einander zu.
»Riegel vor – Thor zu, geschehe mit dem Mitylenier, was will,« sagte der Centurio; »wir sind verloren, wenn wir ihn anerkennen. – Da kommt der Befehlshaber der Waräger, der Obertrabant selbst.«
»Ei Hereward,« sagte der Offizier, der eben auf dem Schauplatz erschienen war, in einer Art von lingua franca, deren sich die fremden Leibwächter zu bedienen pflegten, »hast du eine Nachteule gefangen?«
»Ja, bei St. Georg!« antwortete der Soldat; »doch bei uns zu Hause würde man ihn einen Habicht nennen.«
»Wer ist er?« sagte der Offizier.
»Das wird er Euch selbst sagen,« versetzte der Waräger, »sobald ich ihn an der Kehle loslasse.«
»So laß ihn doch,« sagte der Offizier.
Der Engländer that, wie ihm befohlen war; aber sobald sich der Mitylenier frei fühlte, verschwand er aus der Halle mit einer Schnelligkeit, die man nicht erwartet hätte, und indem er sich die verschiedenen Verzierungen, mit denen der Thorweg geschmückt war, zu Nutz machte, floh er um die Pfeiler und Vorsprünge herum, hart verfolgt von dem Waräger, der, von seiner Rüstung belästigt, dem leichtfüßigen Griechen nicht gleichkommen konnte. Der Offizier lachte von Herzen, als er die zwei Gestalten, die gleich Schatten kamen und verschwanden, in Flucht und Verfolgung den Triumphbogen des Theodosius umkreisen sah.
»Beim Herkules! das ist Hector, von Achilles um die Mauern von Ilion verfolgt,« sagte der Offizier; »doch mein Pelide wird den Sohn Priams kaum überwinden. – Heda! Sohn der Göttin – Sproß der silberfüßigen Thetis! – Doch diese Anspielung ist an dem armen Wilden verloren. – Holla, Hereward! halt, sag' ich – höre auf deinen eigenen höchst barbarischen Namen!« Die letzten Worte sagte er murmelnd; dann rief er laut: »Schone deine Lungen, guter Hereward. Heute Abend wirst du deinen Athem noch brauchen können.«
»Hätte mein Vorgesetzter es gewollt,« antwortete der Waräger mürrisch und schnaufend zurückkommend, »so würde ich ihn gefaßt haben wie ein Windspiel den Hasen, ehe ich die Jagd geendigt hätte. Wäre nicht diese dünne Rüstung, die belästigt, ohne zu nützen, ich würde keine zwei Sprünge gethan haben, ohne ihn an der Gurgel zu erwischen.«
»Schon gut,« sagte der Offizier, der wirklich der Akoluthos, d. h. Begleiter war, so genannt, weil es die Pflicht dieses vertrauten Offiziers der Waräger war, immer um die Person des Kaisers zu sein. »Doch laß uns nun sehen, wie wir uns den Durchgang durch das Thor sichern: denn wenn, wie ich vermuthe, einer von den Wächtern dir einen Streich spielen wollte, so werden uns seine Cameraden nicht gutwillig einlassen.«
»Und ist es nicht,« sagte der Waräger, »die Pflicht von Ew. Festen, diesen Mangel an Disciplin gründlich zu untersuchen?«
»Stille davon, einfältiger Wilder! Ich habe dir oft gesagt, dummer Hereward, daß die Schädel derer, die aus dem kalten und trüben Böotien des Nordens kommen, eher zwanzig Schläge mit einem Schmiedehammer aushalten, als einen weisen und guten Gedanken erzeugen. Doch folge mir, Hereward, und wiewohl ich weiß, daß ich, wenn ich die feinen Maschen griechischer Politik dem Auge eines ungehobelten Barbaren zeige, Perlen vor die Schweine werfe, was die heilige Schrift verbietet; so will ich doch deiner Treue und Gutherzigkeit wegen, die man selbst unter den Warägern kaum in diesem Grade findet, nichts darnach fragen, und dich, weil du in meinen Diensten bist, in die Politik einzuweihen suchen, nach der ich der Akoluthos, der Führer der Waräger und durch die Streitäxte derselben der gewaltigste Mann mich selbst zu richten beliebe, obgleich ich mich in den Wirbeln des Hofes durch die Gewalt der Ruder und Segel durcharbeiten könnte. Es ist Nachgiebigkeit von mir, durch Politik das zu thun, was Niemand als ich an dem kaiserlichen Hofe, diesem Schauplatz höherer Klugheit, durch offene Gewalt zu erreichen vermöchte. Was denkst du davon, guter Wilder?«
»Ich denke,« antwortete der Waräger, der etwa anderthalb Schritt, wie ein heutiger Ordonanzsoldat hinter seinem Führer ging, »es würde mir leid thun, wenn ich mir wegen einer Sache den Kopf zerbräche, die ich schnell mit der Faust abthun kann.«
»Hab' ich's nicht gesagt?« versetzte der Akoluthos, der sich bereits um einige Minuten von dem goldenen Thore entfernt hatte, und im Mondschein längs der äußeren Mauer hinschlich, als suche er irgendwo einen Eingang. »Sieh, das ist der Stoff, aus dem das Ding, das ihr euren Kopf nennt, gemacht ist! Mit ihm verglichen, sind eure Fäuste und Arme wahre Ahitophel. Höre auf mich, du allerdümmstes Thier, aber eben darum du wackerster Vertrauter und tapferster Kriegsmann, ich will dir das Räthsel dieses nächtlichen Abentheuers lösen, auch wenn ich daran zweifle, daß du mich verstehst.«
»Es ist meine Schuldigkeit, daß ich Ew. Festen zu verstehen versuche,« sagte der Waräger – »ich sollte sagen Ew. Wohlweisen, weil Ihr mir Eure Weisheit erklären wollt. Denn was Eure Festigkeit betrifft,« fügte er hinzu, »so wär' es eine Schande, wenn ich nicht ihre Länge und Breite kennte.«
Der griechische General erröthete ein wenig, fuhr aber in demselben Tone fort: »So ist's, guter Hereward. Wir haben uns einander in der Schlacht gesehen.«
Hereward konnte hier ein kurzes Husten nicht unterdrücken, worin die Grammatiker des Tags, die sich auf den Gebrauch der Accente verstanden, keinen besonderen Lobspruch auf den kriegerischen Muth des Offiziers erkannt haben würden. In der That zeigte während des ganzen Gesprächs die Rede des Generals, trotz des gezwungenen hochfahrenden und gebieterischen Tones, eine sichtliche Achtung gegen seinen Gefährten, der sich wohl in mancher Beziehung, wenn's die Probe galt, als ein besserer Krieger als er selbst ausweisen mochte. Wenn auf der andern Seite der kräftige nordische Krieger erwiederte, so geschah dies zwar unter aller Einhaltung der Subordination; dennoch schien es zuweilen, als wenn sich ein unwissender süßer Offizier (wie es deren vor der Reform der britischen Armee durch den Herzog von York gab) und ein erfahrener Sergeant desselben Regimentes mit einander besprächen. Man bemerkte das Bewußtsein von Ueberlegenheit, das sich hinter äußere Achtung verbarg und das von dem Offizier halb anerkannt wurde.
»Um dich in einem Sprung auf den tiefsten Grundsatz der Politik, welche den Hof von Constantinopel bewegt, zu bringen,« fuhr der Offizier in dem angegebenen Tone fort, »wirst du mir zugestehen, bescheidener Freund, daß die Gunst des Kaisers« – der Offizier lüftete hierbei seinen Helm und der Soldat that, als wenn er es nachmachte – »der (heilig sei die Stelle, wo sein Fuß hintritt!) die Lebensquelle des Kreises ist, in dem wir athmen, gleichwie die Sonne, die der Menschheit – –«
»Ich habe etwas Aehnliches von unsern Tribunen sagen gehört,« sagte der Waräger.
»Es ist ihre Pflicht, euch zu belehren,« antwortete der Führer; »und ich hoffe, auch die Priester an ihrem Platz versäumen es nicht, meinen Warägern ihre Dienstpflicht gegen den Kaiser einzuschärfen.«
»Sie vergessen's nicht,« versetzte der Soldat, »obwohl wir unsere Schuldigkeit selbst wissen.«
»Gott verhüte, daß ich daran zweifle,« sagte der Befehlshaber der Streitäxte. »Ich will dir nur begreiflich machen, bester Hereward, daß, gleichwie es eine Gattung Insekten gibt (wiewohl dergleichen unter eurem düstern Nebelhimmel nicht vorkommen mögen), die bei dem Morgenroth geboren mit dem Abendroth sterben (daher sie auch Ephemeren, d. i. einen Tag dauernd heißen), gleichergestalt das Schicksal eines Lieblings am Hofe sei, während er sich des Lächelns der allerglorreichsten Majestät erfreut. Und glücklich ist derjenige, der zugleich mit der Person des Herrschers von dem ebenen Boden, der den Thron umgibt, aufsteigt, umflossen von den ersten Strahlen kaiserlicher Glorie, und der, seine Stelle behauptend, während des Mittagsglanzes der Krone, kein anderes Schicksal hat, als mit dem letzten Strahl des kaiserlichen Schimmers zu verschwinden und zu sterben.«
»Ew. Festen,« sagte der Insulaner, »spricht mir da eine höhere Sprache, als mein nordischer Verstand begreifen kann. Nur scheint es mir, daß ich, ehe ich mit dem Abendroth sterben möchte, lieber, wenn ich doch einmal ein Insekt sein muß, auf ein paar Abendstunden eine Motte werden möchte.«
»Das ist der Wunsch des gemeinen Haufens, Hereward,« sagte der Akoluthos mit stolzem Ausdruck, »der sich mit einem Leben ohne Glanz begnügt, während wir vornehmere Leute, die wir den nächsten Kreis um den Kaiser Alexius, unseren Mittelpunkt, bilden, mit der Eifersucht des Weibes auf seine Gunstbezeigungen achten, und keine Gelegenheit entschlüpfen lassen, uns dem besonderen Lichte seines Antlitzes zu empfehlen, sei es, daß wir uns mit oder gegen einander verbinden.«
»Ich glaube Euch zu verstehen,« sagte der Leibwächter; »jedoch, was so ein Cabalenleben betrifft – aber was geht's mich an.«
»Wohl geht's dich nichts an, guter Hereward,« sagte der Offizier, »und du bist glücklich, daß du keine Lust an diesem Leben hast. Doch habe ich Barbaren im Kaiserreich hoch steigen sehen, und wenn sie gerade nicht die Biegsamkeit, die Bildsamkeit, die glückliche Lenksamkeit haben, um die Umstände zu benutzen, so haben sie doch, zumal wenn sie am Hofe aufgewachsen sind, genug von der Schmiegsamkeit, die, zu einer gewissen Zähheit des Charakters gesellt, sie fähig macht, Gelegenheiten zu schaffen, wenn nicht, sich ihrer zu bedienen. Doch frei heraus, aus diesem Streben nach Ruhm, d. h. nach kaiserlicher Gunst unter den Dienern des allerheiligsten Hofes folgt, daß ein jeder bemüht ist, dem Kaiser zu zeigen, daß er nicht nur die Pflichten seines Amtes vollkommen verstehe, sondern daß er auch befähigt sei, die eines anderen nöthigenfalls zu verrichten.«
»Ich verstehe,« sagte der Sachse; »und daher kommt es, daß die unteren Diener, Soldaten und Untergeordnete der hohen Kronbeamten, immer damit beschäftigt sind, nicht sich einander beizustehen, sondern gegenseitig auszukundschaften?«
»So ist's,« antwortete der Befehlshaber; »erst vor einigen Tagen hatte ich ein unangenehmes Beispiel davon. Selbst der größte Dummkopf muß wissen, daß der große Protospatharius, welches, wie du weißt, der Titel des Obergenerals der kaiserlichen Truppen ist, mich hasset, weil ich der Führer der gefürchteten Waräger bin, die mit Recht das Privilegium genießen, dem Commando, das er über das ganze Heer führt, nicht unterworfen zu sein – einem Commando, das dem Nicanor, ungeachtet seines siegtönenden Namens, gerade so ansteht, wie dem Stier ein Schlachtsattel.«
»Was!« sagte der Waräger, »will der Protospatharius über die edlen Ausländer das Commando führen? – Bei dem rothen Drachen, unter dem wir leben und sterben wollen, wir gehorchen keinem, es sei denn dem Alexius Comnenus selbst oder unsern Offizieren!«
»Recht und brav gesprochen,« sagte der Führer; »doch, guter Hereward, laß dich von deinem gerechten Zorn nicht so weit hinreißen, den Namen der geheiligten Person des Kaisers auszusprechen, ohne mit der Hand an den Helm zu reichen und ohne die gebührenden Beiwörter hinzuzusetzen«
»Ich will meine Hand oft und hoch genug erheben,« sagte der derbe Nordländer, »wenn es der Dienst des Kaisers verlangt.
»Meiner Treu', das wirst du,« sagte Achilles Tatius, der Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache der Waräger, der den Augenblick für ungünstig hielt, auf der strengen Beobachtung der Etikette, was seine vorzüglichste militärische Eigenschaft war, zu bestehen. »Doch wäre nicht euer Führer beständig auf seiner Hut, mein Sohn, so würden die edlen Waräger unter der großen Masse des Heeres neben den heidnischen Cohorten der Hunnen und Scythen oder den ungläubigen beturbanten Türken verschwinden; und gerade darum schwebt euer Befehlshaber in Gefahr, weil er seine Axtträger über die Pfeile der östlichen Horden und über die Wurfspeere der Mauren setzt, als wenn diese nur Spielzeug für Kinder wären.«
»Ihr steht in keiner Gefahr,« sagte der Soldat, indem er sich dem Achilles vertraulich näherte, »vor der Euch diese Aexte vertheidigen können.«
»Weiß ich es nicht?« sagte Achilles. »Doch es ist deinem Arm allein, daß der Akoluthos seiner allerhöchsten Majestät jetzt seine Sicherheit anvertraut.«
»In allem, was ein Soldat thun kann,« antwortete Hereward; »macht Ihr Euren Ueberschlag, und dann rechnet diesen Arm für zwei gegen jeden Mann, den der Kaiser hat, wenn er nicht aus unserer eigenen Schaar ist.«
»Höre, braver Freund,« fuhr Achilles fort. »Dieser Nicanor hat es gewagt, unsere edle Schaar zu beschimpfen, indem er sie – o ihr Götter und Göttinnen! – beschuldigte, daß sie im Felde geplündert, ja, was noch ärger ist, daß sie den köstlichen Wein getrunken hätten, der zum gesegneten Genuß der höchst geheiligten Majestät bestimmt gewesen sei. Wie du dir denken magst, unternahm ich in Gegenwart der geheiligten Person des Kaisers –«
»Ihm die Lüge in seinen frechen Schlund zurückzuschleudern!« fiel ihm der Waräger in's Wort – »ihm einen Kampfplatz in der Nähe zu bestimmen, und den Beistand Eures Untergebenen, des armen Hereward von Hampton, zu verlangen, der für diese Ehre bis in Ewigkeit Euer gehorsamer Diener ist! Hätte ich doch nur meine Werkeltagswaffen angelegt; doch, schadet nichts, ich habe meine Streitaxt und –« Hier fiel ihm sein Begleiter, der über den lebhaften Ausdruck des jungen Kriegers etwas beschämt war, in's Wort.
»Still, mein Sohn,« sagte Achilles Tatius; »sprich leise, vortrefflicher Hereward. Du mißverstehst das Ding. Mit dir an meiner Seite, würde ich gewiß nicht anstehen, mich mit fünf solcher Nicanor zu messen; aber das ist nicht der Brauch in diesem höchst gesegneten Kaiserreich, auch nicht der Wille des dreimal ruhmreichen Fürsten, der es jetzt beherrscht. Die Prahlereien der Franken, von denen wir täglich immer mehr hören, haben dich verführt, mein Held.«
»Ich möchte von denen, die bei Euch Franken und bei uns Normannen heißen, nicht gern etwas entlehnen,« antwortete der Waräger verdrossen und mürrisch.
»Höre doch den Grund der Sache,« sagte der Offizier, indem sie weiter gingen, »und überlege, ob eine Sitte wie das Duell in irgend einem gesitteten und vernünftigen Lande, geschweige in einem von der Regierung des außerordentlichen Alexius Comnenus beglückten, Beifall finden kann. Zwei große Herren oder solche Offiziere zanken sich am Hofe und vor der verehrungswürdigen Person des Kaisers. Sie streiten um eine Thatsache. Nimm nun an, daß beide, statt ihre Aussprüche durch Beweise geltend zu machen, die Sitte der Franken angenommen hätten, daß der eine spräche: Das lügst du in deinen Hals, und der andere antwortete: Nein du lügst es bis in deine Lungen, und daß sie auf der nächsten Wiese einen Kampfplatz abmäßen. Beide schwören auf die Gerechtigkeit ihrer Sache, wiewohl vermuthlich keiner genau weiß, wie es sich damit verhält. Der eine, vielleicht der kühnere, redlichere und bessere von beiden, der Akoluthos des Kaisers und Vater der Waräger (denn der Tod, mein treuer Gefährte, verschont Niemand) liegt todt am Boden, und der andere kehrt an den Hof zurück, um daselbst der erste zu sein, während er, wenn die Sache mit Sinn und Verstand abgeurtheilt worden wäre, trotz seines siegprahlenden Namens an den Galgen geschickt worden wäre. Sieh, das ist das Recht der Waffen, wie ihr es zu nennen beliebt, Freund Hereward!«
»Ew. Festen erlaube mir,« antwortete der Fremdling, »in dem, was Ihr sagt, ist viel Verstand; aber eher solltet Ihr mich überreden, daß dies Mondlicht schwarz wie ein Wolfsrachen sei, als daß ich mich Lügner nennen hören dürfte, ohne dem Redenden dies Wort mit der Spitze meiner Streitaxt in den Schlund zu stopfen. Die Lüge ist für einen Mann eben so viel als ein Schlag, und ein Schlag setzt ihn zum Sclaven und Lastthier herab, wenn er nicht zurückgegeben wird.«
»Da haben wir's!« sagte Achilles; »könnt' ich nur machen, daß ihr diese angeborne Wildheit ablegtet, die euch zu tödtlichem Zank und Streit verleitet, wiewohl ihr sonst die disciplinirtesten Soldaten des allerhöchsten Kaisers seid.«
»Herr Hauptmann,« sagte der Waräger mürrisch, »höret mich an und nehmt die Waräger, wie sie sind: denn, glaubet mir, wenn Ihr sie lehren könntet, Vorwürfe zu ertragen, die Lüge hinzunehmen und Schläge einzustecken, so würdet Ihr sie trotz dieser vervollkommneten Disciplin des Salzes nicht werth achten, das sie Sr. Heiligkeit, wenn so sein Titel ist, kosten. Ich muß Euch obendrein noch sagen, tapferer Herr, daß es die Waräger ihrem Führer wenig danken werden, wenn er sie Landstreicher, Volleulen u. s. f. schimpfen läßt, ohne diesen Schimpf auf der Stelle zurückzuweisen.«
»Nun, wenn ich die Weise meiner Barbaren nicht kennte,« dachte Tatius stille bei sich, »so würde ich mir selbst einen Streit mit diesen ungezähmten Insulanern aufbürden, die der Kaiser so leicht zügeln zu können glaubt. Aber ich will diese Sache gleich beilegen.« Er wandte sich demnach an den Sachsen in einem begütigenden Ton.
»Mein getreuer Kämpe,« fuhr er laut fort, »wir Römer setzen der Sitte unserer Vorfahren gemäß so viel Ehre darein, die Wahrheit zu sagen, als ihr den Vorwurf der Falschheit übelzunehmen; und ich konnte nicht mit Ehre den Vorwurf der Falschheit dem Nicanor zurückgeben, weil das, was er sagte, in der That seine Richtigkeit hatte.«
»Was! daß wir Waräger Schnapphähne, Volleulen und dergleichen seien?« sagte Hereward ungeduldiger als zuvor.
»Nein, wahrhaftig, nicht in diesem weiten Sinne,« sagte Achilles; »aber seine Rede war nur zu begründet.«
»Wie so das?« fragte der Angelsachse.
»Du erinnerst dich,« versetzte der Führer, »des großen Marsches bei Laodicäa, wo die Waräger einen Schwarm Türken zurückschlugen und einen Zug der kaiserlichen Bagage wiedernahmen? Du weißt, was an diesem Tage vorfiel – wie ihr nämlich euren Durst löschtet?«
»Ich habe einigen Grund, mich daran zu erinnern,« sagte Hereward von Hampton; denn wir waren vor Staub, Müdigkeit und, was das schlimmste war, durch das ewige Gefecht in dem Nachtrab halb zu Boden gedrückt, als wir etliche Fässer Wein in einigen Wagen fanden, die umgeworfen waren – das lief uns durch den Schlund wie das beste Ale von Southampton.«
»Unglücklicher!« sagte der Akoluthos; »sahst du nicht, daß die Fässer mit Sr. Excellenz des Großschenken eigenem heiligen Siegel bezeichnet und zu dem Privatgenuß der geheiligtsten Lippen Sr. kaiserlichen Majestät ausgesondert waren?«
»Bei St. Georg von England, der ein Dutzend St. George von Cappadocien werth ist, das bedachte ich nicht, auch kümmerte es mich nicht,« versetzte Hereward. »Auch weiß ich, daß Ew. Festen selbst einen mächtigen Zug aus meinem Helme that, nicht aus dem silbernen da, sondern aus dem stählernen, der doppelt so viel faßt. Eben so erinnere ich mich, daß, während Ihr zuvor Befehl zum Rückzug geben wolltet, Ihr ein anderer Mann waret, nachdem Ihr Eure Kehle von Staub gereinigt hattet: denn Ihr riefet: Steht dem andern Angriff, ihr braven und festen Söhne Britanniens.«
»Ja,« sagte Achilles, »ich weiß es, daß ich im Handgemenge sehr leicht ein Waghals werde. Doch du irrst dich, guter Hereward; der Wein, den ich höchst ermüdet vom Kampfe kostete, war nicht für den eigenen Mund der geheiligten Majestät bestimmt, sondern es war eine geringere, für den Großschenken selbst bestimmte Sorte, an der ich als einer der großen Offiziere des Hofhalts rechtlicherweise meinen Antheil nehmen konnte – indeß war das doch ein sündhaftes, unglückseliges Ding.«
»Bei meiner Ehre,« versetzte Hereward, »ich sehe nicht ein, daß Trinken Sünde sei, wenn man vor Durst vergeht.«
»Sei nur getrost, mein Freund,« sagte Achilles, nachdem er sich entschuldigt und die leichte Ansicht, die der Waräger über das Verbrechen kund gab, unbeachtet gelassen hatte, »des Kaisers Majestät macht in gnadenreicher Huld diesen vorwitzigen Trunk keinem der Theilnehmer zum Verbrechen. Er schalt den Protospatharius wegen seiner Anklage und sagte, als er sich der Hast und Verwirrung jenes mühseligen Tages erinnerte: »Mitten in jenem siebenfach geheizten Ofen war es mir eine Lust, als ich einen Trunk Gerstenwein erhielt, wie solchen meine Waräger trinken, und ich trank ihre Gesundheit, so gut ich's konnte: denn ohne ihre Dienste hätte ich zum letztenmal getrunken gehabt; es gehe ihnen wohl, wenn sie mir gleich meinen Wein weggetrunken haben!« – Und damit wandte er sich weg, gleich als dächte er: »Ich hab's satt, diese Geschichten gegen Achilles Tatius und seine tapferen Waräger aufrühren zu lassen!«
»Nun, dafür segne Gott sein edles Herz!« sagte Hereward mit mehr derber Treuherzigkeit als höfischer Ehrfurcht. »Ich will seine Gesundheit in dem Tranke trinken, den zunächst meine Lippen berühren, sei es in Ale, Wein oder Brunnenwasser.«
»Wohlgesprochen, doch sprich dich nicht außer Athem! und vergiß nicht, mit der Hand die Stirne zu berühren, wenn du den Kaiser nennst oder nur an ihn denkst! – Schön; du weißt, Hereward, als ich so die Oberhand erhalten hatte, so gedachte ich, daß der Augenblick einer glücklichen Vertheidigung zu einem siegreichen Angriff geeignet sei, und brachte demnach gegen den Protospatharius Nicanor die Räubereien vor, die am goldenen Thor und anderen Stadtthoren verübt worden waren, wo erst kürzlich ein Kaufmann, der Juwelen für den Patriarchen bei sich trug, beraubt und ermordet worden ist.«
»So! wirklich?« sagte der Waräger: »und was sagte Alex – ich wollte sagen der allerverehrteste Kaiser, als er solche Dinge von den Stadtwächtern hörte? – freilich hat er selbst, wie wir bei uns daheim sagen, den Fuchs zum Gänshirten gemacht.«
»Das mag sein,« versetzte Achilles; »aber er ist ein Herr von tiefer Politik, und er wollte nicht ohne entscheidenden Beweis gegen die verrätherischen Wächter oder ihren General, den Protospatharius etwas unternehmen. Drum hat mich S. geheiligte Majestät beauftragt, klare und deutliche Beweise durch dich zu erhalten.«
»Und in wenigen Minuten hätte ich dieselben herbeigeschafft, wenn Ihr mich von der Jagd, die ich auf den Gurgelschneider machte, nicht abgerufen hättet. Aber S. Gnaden kennt das Wort eines Warägers und ich kann ihm die Versicherung geben, daß entweder Gier nach dem silbernen Spielzeug da, das man fälschlich einen Harnisch nennt, oder Haß gegen unsere Schaar bei jedem von diesen Schelmen hinreicht, einem Waräger der zu schlafen scheint, den Hals abzuschneiden. – Demnach, Hauptmann, gehen wir wohl, den Kaiser über diesen nächtlichen Vorfall aufzuklären?«
»Nein, mein eifriger Kämpe; hättest du den schlechten Strolch erwischt, so hätte ich ihn auf der Stelle freigeben müssen, und mein jetziger Befehl an dich ist, dies Abenteuer ganz zu vergessen.«
»Was!« sagte der Waräger; »das ist in der That ein Wechsel in der Politik!«
»Freilich, tapferer Hereward; ehe ich diesen Abend den Pallast verließ, that der Patriarch Schritte, mich mit dem Protospatharius zu versöhnen, die ich, da unsere Eintracht für den Staat wichtig ist, weder als guter Soldat noch als guter Christ verachten durfte. Alle Ehrenkränkungen, die mir zugefügt worden sind, sollen vollständig gut gemacht werden; dafür verbürgt sich der Patriarch. Der Kaiser, der lieber das Auge zudrücken, als Uneinigkeit sehen will, hält es für's beste, die Sache abzuthun.«
»Und die Beschimpfungen der Waräger,« sagte Hereward –
»Sollen abgebeten und gebüßt werden,« antwortete Achilles; »auch soll ein schweres Geschenk an Gold unter die angeldänischen Axtträger vertheilt werden. Du, Hereward, sollst der Vertheiler sein, und wenn du dabei klug handelst, sollst du deine Streitaxt mit Gold überziehen.«
»Meine Axt ist mir lieber, wie sie ist,« sagte der Waräger. »Mein Vater trug sie gegen die räuberischen Normannen bei Hastings. Stahl statt Goldes sei mein Geld.«
»Thue nach deinem Gefallen, Hereward,« antwortete der Offizier; »nur schreibe es dir selbst zu, wenn du arm bist.«
Der Offizier und der Soldat waren bei ihrem Umgang um Constantinopel eben an einem kleinen Pförtchen angekommen, das sich in einem großen und starken Vorwerke befand und zu einem Eingang in die Stadt führte. Der Offizier blieb hier stehen, indem er gleich einem Andächtigen, der im Begriff ist, eine Kapelle von besonderer Heiligkeit zu betreten, seine Ehrfurcht zu erkennen gab.