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Sechstes Kapitel.

»Du eitler Mann, magst deine Liebe rühmen,
So weit es Uebertreibung nur erlaubt.
Nenn' unvergleichlich ihres Leibes Schönheit
Und ihre Seeleneigenschaften göttlich;
Doch hüte dich, sie über ihr Geschlecht
Erhaben mir zu nennen, weil noch lebt
Die, der ich diene.«

Altes Stück.

Achilles Tatius mit seinem getreuen Waräger zog sich von der Versammlung, die sich zerstreute, so still und unbemerkt zurück, wie Alpenschnee vor der wärmeren Sonne verschwindet. Weder das Geräusch der Tritte noch der Waffen machte den Weggang dieser Kriegsleute bemerklich. Man hielt sogar diese Leibwächter nicht einmal für nothwendig, da der Nimbus, der den Kaiser gleich einer Erdengottheit umgab, ihn auch unverletzlich und unantastbar mache. So waren die ältesten und gewandtesten Höflinge, namentlich unser Freund Agelastes, der Meinung, daß, obwohl sich der Kaiser der Waräger und anderer Leibwächter bediene, dies nur der Form wegen geschehe, keineswegs aber um die Ausführung eines Verbrechens zu verhüten, das so gehässig sei, daß man es für unmöglich zu halten pflege. Und diese Lehre von der Seltenheit eines solchen Verbrechens ging von Mund zu Mund in denselben Gemächern, wo es mehr als einmal verübt worden war, und zuweilen unter denselben Personen, die alle Monate Pläne machten, irgend eine geheime Verschwörung gegen den Kaiser auszuführen.

Endlich gelangten der Offizier und der Leibwächter aus dem Blachernäpallast heraus. Es geschah dies durch ein Pförtchen, das ein Waräger hinter ihnen zuthat, indem er es mit Riegel und Stange verschloß. Als Hereward nach der Masse von Thürmen, Mauern und Giebeln zurücksah, aus denen sie sich endlich herausgewunden hatten, konnte es ihm nur leicht um's Herz werden, wieder unter dem tiefblauen, griechischen Himmel zu athmen, dessen Sterne mit ungewöhnlichem Glanze blitzten. Er seufzte und rieb sich vergnügt die Hände, als wäre ihm eben die Freiheit geschenkt worden. Gegen seine Gewohnheit redete er sogar unaufgefordert seinen Führer an: »Es scheint mir, tapferer Hauptmann, daß die Luft in jenen Mauern einen Geruch hat, der, obwohl süß, so erstickend ist, daß er mehr einer Todtengruft als einer Menschenwohnung angemessen wäre. Ich schätze mich glücklich, daß ich ihn nicht mehr einzuathmen brauche.«

»Sei denn glücklich,« sagte Achilles Tatius, »wenn dein schlechter, stumpfer Sinn mehr erstickt als erfrischt wird von den Wohlgerüchen, die, statt den Tod zu verursachen, Todte lebendig machen könnten. Das muß ich dir jedoch sagen, Hereward, daß du als ein in dem beschränkten Kreise eines Wilden geborner Barbar, und ohne eine andere Idee von der Welt zu haben, als die, welche man in einem solchen Kreise erlangen kann, dennoch von der Natur zu etwas Besserem bestimmt bist, und heute eine Probe bestanden hast, in welcher es dir, fürcht' ich, nicht ein Einziger meiner edlen Schaar, die alle ungehobelte Tölpel sind, gleichthun würde. Und sag' es mir offen, bist du nicht belohnt worden?«

»Das will ich nicht verneinen,« sagte der Waräger. »Die Freude, es vielleicht vierundzwanzig Stunden früher als meine Kameraden zu wissen, daß die Normannen hierherkommen, um uns für den blutigen Tag von Hastings volle Entschädigung zu geben, ist eine fürstliche Belohnung für die Mühe, ein paar Stunden lang auf das langweilige Geschwätz einer Dame zu hören, die über Dinge geschrieben hat, von denen sie nichts versteht, und auf die schmeichlerischen Anmerkungen von Zuhörern, die sich anmaßen, Aufschluß über Dinge zu geben, bei denen sie nicht zugegen waren.«

»Guter Hereward,« sagte Achilles Tatius, »du rasest, und es wäre wohlgethan, dich unter die Aufsicht eines geschickten Mannes zu stellen. Zu viel Kühnheit, mein tapferer Streiter, führt zur Tollkühnheit. Es war natürlich, daß du bei der letzten Zusammenkunft einen geziemenden Stolz fühlen mußtest, aber wenn dich das eitel macht, so bist du nicht weit von Verrücktheit entfernt. Du hast einer purpurgebornen Prinzessin keck in's Gesicht geschaut, der meine eigenen Augen, wiewohl sie an einen solchen Anblick gewöhnt sind, nie hinter den Schleier zu sehen wagen.«

»Mag's so sein in Gottes Namen,« versetzte Hereward. »Indeß schöne Gesichter sind da, daß man sie ansehe, und die Augen eines jungen Mannes, Alles anzuschauen.«

»Wenn das so ist,« sagte Achilles, »so fanden deine Augen vermuthlich nie eine gültigere Entschuldigung für die etwas übertriebene Frechheit, womit du die Prinzessin den ganzen Abend angegafft hast.«

»Bester Hauptmann oder Akoluthos, oder wie Ihr es am liebsten hört,« sagte der Angelbritte, »treibt einen offenherzigen Mann, der in allen Ehren der kaiserlichen Familie seine Schuldigkeit erweisen will, nicht auf's Aeußerste. Die Prinzessin, Gemahlin des Cäsars und, wie Ihr sagt, purpurfarbig geboren, hat dennoch die Züge eines lieben Weibchens geerbt. Sie hat eine Geschichte verfaßt, über die ich mir kein Urtheil anmaße, weil ich nichts davon verstehe; sie singt wie ein Engel; und um mit den heutigen Rittern zu reden – obwohl ich deren Sprache gewöhnlich nicht rede – würde ich mich gerne in die Schranken stellen gegen Jeden, der es wagte, die Schönheit oder die geistigen Anlagen der Prinzessin Anna Comnena herabzusetzen. Und hiermit, edler Kapitän, hab' ich Alles gesagt, was Euch zu fragen und mir zu antworten zusteht. Daß es schönere Frauen gibt, als die Prinzessin, ist keine Frage; und ich frage um so weniger darnach, da ich selbst eine gesehen habe, die mir weit schöner als sie zu sein scheint; und somit lassen wir dies Gespräch ruhen.«

»Deine Schöne, du unvergleichlicher Narr,« sagte Achilles, »ist gewiß die Tochter eines breitschulterigen, nordischen Bauern, der neben dem Bauerngut wohnte, wo ein gewisser Esel zur Welt kam, der mit so großem Mangel an Urtheil behaftet ist.«

»Ihr könnt sprechen, was Euch behagt, Kapitän,« versetzte der Waräger; »denn das Beste für uns beide ist, daß Ihr mich in dieser Sache nicht beleidigen könnt, da ich Euer Urtheil für eben so schlecht halte, als Ihr das meinige, und daß Ihr eine Person nicht verkleinern könnet, die Ihr nie gesehen habt; hättet Ihr sie aber gesehen, dann würde ich keine Bemerkung über sie so geduldig hinnehmen, wenn Ihr schon mein Vorgesetzter seid.«

Achilles Tatius hatte für seinen Stand hinlänglichen Scharfsinn. Nie trieb er die hitzigen Gemüther seiner Untergebenen aufs Aeußerste, und nie nahm er sich eine größere Freiheit gegen sie heraus, als, wie er wußte, diese vertragen konnten. Hereward war ein Lieblingssoldat und hatte wenigstens in dieser Hinsicht eine aufrichtige Achtung und Neigung für seinen Vorgesetzten: als darum der Akoluthos, statt über die spitzigen Reden Herewards böse zu werden, sich gutmüthig entschuldigte, daß er die Gefühle desselben verletzt habe, hatte der augenblickliche Groll zwischen beiden ein Ende; der Offizier gedachte wieder seines Vorranges und der Soldat versank mit einem tiefen Seufzer, der einer längst vergangenen Zeit galt, wieder in sein gewohntes, zurückhaltendes Schweigen. In der That hatte der Akoluthos noch etwas Anderes mit Hereward vor; doch wollte er ihm einstweilen nur einen entfernten Wink davon geben.

Nach einer langen Pause, während welcher sie sich den Baracken, einem finsteren, befestigten Gebäude, der Wohnung ihrer Schaar, näherten, forderte der Kapitän den Soldaten auf, dicht an seine Seite zu kommen, und begann dann im vertraulichen Tone: »Freund Hereward, wiewohl es kaum anzunehmen ist, daß du in Gegenwart der kaiserlichen Familie Jemanden bemerken solltest, der nicht Theil hat an ihrem Blut oder vielmehr, wie Homer sagt, an ihrem göttlichen Ichor, der bei geheiligten Personen die Stelle jenes gemeinen Saftes einnimmt; so konntest du vielleicht doch während der langen Audienz an seinem unhöfischen Aeußeren und Anzug den Agelastes bemerken, den wir Hofleute wegen seiner strengen Beobachtung des Verbots, sich in Gegenwart des Kaisers zu setzen oder auszuruhen, den Elephanten nennen.«

»Ich glaube,« erwiederte der Soldat, »den Mann, von dem Ihr sprecht, bemerkt zu haben; er mag siebenzig und einige Jahre alt sein, – eine dicke, fette Gestalt; – die Glatze seines Scheitels wird von einem ungeheuer langen, weißen Barte ausgeglichen, der in wallenden Locken über seine Brust fällt und bis zu dem Handtuch reicht, mit dem seine Lenden gegürtet sind, statt der seidenen Schärpe, deren sich andere Personen von Rang bedienen.«

»Sehr genau bemerkt, Waräger,« sagte der Akoluthos. »Was ist dir sonst noch an ihm aufgefallen?«

»Sein Kleid war von so grobem Zeug, wie das des Geringsten im Volke, aber es war sehr reinlich, als wenn der Träger desselben die Absicht hätte, Armuth oder Kleiderverachtung zu zeigen, und zugleich Nachlässigkeit und Schmutz zu vermeiden.«

»Bei der heiligen Sophia!« sagte der Offizier, »du setzest mich in Erstaunen! Der Prophet Bileam konnte sich nicht mehr wundern, als sein Esel den Kopf herumdrehte und zu ihm redete! – Und was hast du noch weiter an dem Mann bemerkt? Ich sehe, die, welche dir nahe kommen, mögen sich vor deiner Beobachtung wie vor deiner Streitaxt hüten.«

»Nehmt's nicht übel,« antwortete der Soldat; »wir Engländer haben Augen so gut wie Hände; aber nur, wenn es die Pflicht will, erlauben wir unsern Zungen, von dem, was wir bemerkt haben, zu reden. Von der Unterhaltung des Mannes habe ich nur wenig bemerkt, aber nach dem, was ich hörte, scheint es, daß er gern die Rolle spielen möchte, welche wir die des Spaßmachers oder Hanswurstes nennen, eine Rolle, die, wenn man das Alter und Gesicht des Mannes betrachtet, ihm nicht natürlich zu sein scheint, und vielleicht in einer tiefern Absicht angenommen ist.«

»Hereward,« antwortete der Offizier, »du hast gesprochen, wie ein Engel, der herabgekommen ist, die Menschenherzen zu prüfen: dieser Agelastes ist ein Räthsel, wie man selten eins auf Erden fand. Im Besitz aller Weisheit, die in früheren Zeiten die Weisen dieses Landes mit den Göttern verband, hat Agelastes die Verschmitztheit des älteren Brutus, der ebenfalls seine Talente hinter der Maske eines Spaßmachers verbarg. Er scheint kein Amt zu suchen – er begehrt keine Auszeichnung – er besucht den Hof nur auf besondere Einladung; doch was soll ich von dem Einfluß denken, den er ohne merkliche Anstrengung gewinnt, und der sich sogar auf die Gedanken der Leute erstreckt, die nach seinem Wunsch zu handeln scheinen, ohne daß er sie dazu aufgefordert hat? Man erzählt sich sonderbare Dinge über seinen Umgang mit andern Wesen, denen unsere Väter Gebete und Opfer dargebracht haben. Ich bin jedoch entschlossen, den Weg kennen zu lernen, auf dem er so leicht und so hoch zu dem Gipfel emporklettert, nach welchem alle Hofleute streben, und es wäre schlimm, wenn er nicht seine Leiter mit mir theilte, oder wenn ich sie ihm nicht unter den Füßen wegzöge. Dich, Hereward, habe ich ausersehen, mir in dieser Sache beizustehen, gleichwie die Ritter der ungläubigen Franken, wenn sie auf Abenteuer gehen, einen starken Knappen oder untergebenen Diener erwählen, Gefahr und Lohn mit ihnen zu theilen; und dazu hat mich sowohl deine Feinheit bewogen, die du heute Abend gezeigt hast, als auch die Tapferkeit, die du mit deinen Kameraden gemein hast, oder worin du sie übertriffst.«

»Ich bin Ew. Festen verbunden und danke Euch,« versetzte der Waräger mit mehr Kälte, als sein Offizier erwartet hatte; »ich bin bereit, wie es Schuldigkeit ist, Euch in allen Dingen zu dienen, die sich mit dem Dienste Gottes und des Kaisers vertragen. Nur das laßt mich sagen, daß ich als geschworner Soldat nichts thun werde, was den Gesetzen des Kaiserreichs zuwider ist, und daß ich als ein guter, wiewohl unwissender Christ, mit den heidnischen Göttern nichts Anderes zu schaffen haben will, als sie im Namen und durch die Stärke der Heiligen zu bekämpfen.«

»Dummkopf!« sagte Achilles Tatius, »wähnst du, daß ich als einer der höchsten Würdeträger des Kaiserreichs auf Dinge sänne, die dem Interesse des Alexius Comnenus zuwider liefen? oder daß ich mich, was kaum verruchter wäre, als erkorner Freund und Verbündeter des ehrwürdigen Patriarchen Zosimus in Sachen einlassen würde, die nur entfernt auf Häresie oder Idolatrie Bezug hätten?«

»Wahrhaftig,« antwortete der Waräger, »Niemand würde darüber mehr erstaunt und betrübt sein als ich; aber wenn wir in einem Labyrinth wandeln, müssen wir ein festes Ziel annehmen, damit wir wenigstens einen geraden Weg einhalten können. Die Leute hier zu Lande sagen die Dinge auf so verschiedene Art, daß man es schwer begreift, was sie eigentlich meinen. Wir Engländer hingegen können uns nur auf eine einzige Weise ausdrücken, aber es ist eine Weise, die der größte Wortverdreher nicht doppelsinnig finden könnte.«

»Gut,« sagte der Offizier, »morgen reden wir mehr davon; zu diesem Zweck sollst du dich kurz nach Sonnenuntergang in meiner Wohnung einfinden. Noch eins – so lange die Sonne morgen am Himmel steht, hast du volle Freiheit, dich zu belustigen oder auszuruhen. Ich rathe dir, das letztere zu thun: denn morgen Nacht werden wir wohl wie heute wachen müssen.«

Als er dies gesagt hatte, traten sie in die Baracken, wo sie sich trennten – der Befehlshaber der Leibwächter nahm seinen Weg zu der Reihe glänzender Gemächer, die ihm als solchen bestimmt waren, und der Angelsachse suchte die bescheidenere Wohnung eines Unteroffiziers der nämlichen Schaar.



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