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Wie geht's dem Menschen, welchem Ehrenmänner
Wohl Tadel zollen möchten und Verachtung,
Wenn nicht die Liebe uns die Lehre gäbe,
Daß der, so Haß und Schimpf zumeist verdient,
Auch unseres Mitleids werth ist. – –
Altes Schauspiel.
Man sollte denken, der Besuch von Hans Christie hätte Nigels Aufmerksamkeit gänzlich von seinem schlafenden Gesellschafter ablenken müssen. In der That war dies auch für einige Zeit die Folge der neuen Gedankenreihe, welche jener Zwischenvorfall anregte. Allein bald nachdem der arme Mann fortgegangen war, fiel es dem Freiherrn ein, daß es doch sonderbar wäre, wenn der Knabe fest geschlafen haben sollte, während in seiner Nähe so laut gesprochen ward. Geregt hatte er sich während des ganzen Auftrittes nicht. Sollte er unwohl sein? sollte er sich nur stellen, als schlafe er? Nigel trat dicht an ihn heran, um ihn zu beobachten, und bemerkte, daß er geweint hatte und noch weinte, obwohl seine Augen geschlossen waren. Er berührte leise seine Schulter. Der Knabe fuhr zusammen, wachte aber nicht auf. Nigel schüttelte ihn und fragte, ob er schlafe.
»Weckt man in Eurem Lande die Leute auf, um zu erfahren, ob sie schlafen oder nicht?« fragte der Knabe in verdrießlichem Tone.
»Nein, junges Herrchen,« antwortete Nigel; »allein wenn sie so wie du im Schlafe weinen, weckt man sie auf, um zu sehen, was ihnen fehlt.«
»Es kann aller Welt gleichgültig sein, zu wissen, was mir fehlt,« versetzte der Knabe.
»Mag sein,« erwiderte Lord Glenvarloch. »Ehe du eingeschlafen bist, wußtest du, wie wenig ich dir helfen konnte, und dennoch schienest du geneigt, Vertrauen in mich zu setzen.«
»Wenn dies der Fall war, so habe ich meinen Sinn geändert,« versetzte das Kind.
»Und was mag wohl diese Sinnesänderung herbeigeführt haben?« fragte Lord Glenvarloch. »Es gibt Leute, die im Schlafe reden; du hast vielleicht die Gabe, im Schlafe zu hören.«
»Das nicht; aber der Patriarch Joseph hat nie zuverlässiger geträumt, als ich.«
»Das wäre!« erwiderte Lord Glenvarloch. »Ei, sage mir doch, welchen Traum hast du gehabt, der mir deine gute Meinung entzogen hat? denn das ist doch wohl der Sinn deiner Rede.«
»Urtheilt selber,« antwortete der Knabe. »Mir träumte, ich sei in einem wilden Walde, wo Hunde bellten und Hörner schallten, gerade wie ich es im Greenwicher Park gehört habe.«
»Das kommt daher, weil du diesen Morgen im Park gewesen bist, einfältiges Kind,« bemerkte Nigel.
»Hört nur zu, gnädiger Herr,« fuhr der junge Mensch fort. »Ich ging und ging, bis ich an das Ende eines breiten grünen Baumganges kam, und da sah ich einen Edelhirsch, der ins Netz gefallen war, und mich däuchte, es sei der Hirsch, den die Jäger verfolgten, und ich besorgte, wenn sie herankämen, würden die Hunde ihn in Stücke reißen, oder die Jäger ihm die Kehle abschneiden. Und mich dauerte der herrliche Hirsch, und obwohl ich mich vor ihm als einem mir fremdartigen Wesen scheute, gedachte ich doch, Etwas zur Rettung eines so schönen Geschöpfes zu wagen. Also zog ich mein Messer heraus und begann die Maschen des Netzes zu zerschneiden. Da fuhr das Thier in die Höhe in Gestalt eines Tigers, größer und wilder, als irgend einer dort unten im Zwinger, und wollte mich eben zerreißen, – da wecktet Ihr mich auf.«
»Ich denke,« sprach Nigel, »ich verdiene mehr Dank, als ich geerntet habe dafür, daß ich dich aus solcher Gefahr befreit habe, indem ich dich aufweckte. Uebrigens sehe ich nicht ein, was dies Mährchen von einem Hirsch und einem Tiger mit der Veränderung deiner Stimmung gegen mich zu schaffen hat.«
»Ich weiß nicht, ob es damit zu schaffen hat oder nicht,« erwiderte der Kleine. »Aber ich will Euch nicht sagen, wer ich bin.«
»So, du ärgerlicher Junge, du willst dein Geheimniß für dich behalten?« sprach Nigel und wandte sich von ihm ab, um wieder auf und nieder zu gehen. Plötzlich stand er still und sagte: »Ihr sollt mir nicht davonkommen, ohne zu erfahren, daß ich Eure Heimlichkeit durchdringe.«
»Mein Geheimniß?« rief der junge Mensch erschrocken und gereizt. »Was meint Ihr, edler Herr?«
»Ich meine, daß ich Euren Traum deuten kann, ohne Hülfe eines chaldäischen Auslegers, das heißt: daß meine schöne Gesellschafterin nicht die Kleider ihres Geschlechtes trägt.«
»Und wenn,« sprach die Person, hastig aufspringend und ihren Mantel dicht um sich wickelnd, – »so deckt diese Kleidung eine Person, welche ihr keine Schande machen will.«
»Das klingt wie eine Herausforderung,« bemerkte Lord Glenvarloch, sie fest ins Auge fassend. »Weiber verkleiden sich nicht als Männer, um wie Männer zu fechten.«
»Das ist meine Absicht nicht,« erwiderte die Person. »Ich habe andere, kräftige Schutzmittel. Erst aber möchte ich wissen, was Ihr vorhabt.«
»Mein Vorhaben ist ehrenhaft und achtungsvoll,« antwortete Lord Glenvarloch. »Wer Ihr auch sein möget, welcher Grund auch immer Euch in diese zweideutige Lage gebracht haben mag, – so viel sehe ich – jeder Blick, jedes Wort, jede Bewegung von Euch sagt es mir, – daß Ihr kein Gegenstand für Zudringlichkeit und noch weniger für ungebührliche Behandlung seid. Welche Umstände Euch in eine so kitzliche Lage gebracht haben, weiß ich nicht, aber überzeugt bin ich, daß keine böse Absicht dabei mit unterläuft, Euch mit kaltem Blute der Schande auszusetzen. Von mir habt Ihr nichts zu fürchten.«
»Weniger als das habe ich von Eurem Edelsinne nicht erwartet,« entgegnete die Person. »Mein Abenteuer, so verzweifelt und thöricht es auch war, ist doch nicht so thöricht, und eben so ist meine Person hier nicht so nutzlos, wie es auf den ersten Anblick – und bei dieser sonderbaren Kleidung scheinen mag. Ich habe genug und mehr als genug gelitten durch den Schimpf, in unweiblicher Kleidung gesehen worden zu sein, und durch die Gedanken, die Ihr Euch ohne Zweifel über mein Benehmen gemacht habt. Aber Gott sei Dank, ich bin insoweit beschützt, daß Schmach an mir nicht ohne Rache hätte geübt werden können.«
Nachdem diese sonderbare Erklärung so weit gediehen war, erschien der Gefangenwärter, um dem Freiherrn ein Mahl vorzusetzen, welches in seiner jetzigen Lage einladend genannt werden konnte und, wenn es auch nicht den Gerichten des gepriesenen Chevalier Beaujeu gleichkam, doch mundlicher war, als das Geköchsel im Elsaß. Ein Wärter blieb da, um den Dienst bei Tische zu versehen, und gab der verkleideten Person einen Wink, aufzustehen und ihm zur Hand zu gehen. Nigel aber erklärte, er kenne die Eltern des jungen Menschen, und hieß sie mitessen. Sie gehorchte mit einer Schüchternheit, welche ihre hübschen Züge noch interessanter machte. Am Tische benahm sie sich mit einer gewissen natürlichen Anmuth. Nigel, sei es, daß die sonderbaren Umstände, unter welchen er mit ihr zusammengekommen war, sie ihm interessant machten und ihn für sie eingenommen hatten, oder daß er urtheilte nach dem, was er sah, – genug, Nigel meinte, er habe selten ein Mädchen sich anständiger und zugleich natürlicher benehmen sehen. Das Bewußtsein ihrer sonderbaren Lage gab ihrem Benehmen einen eigenthümlichen Anstrich, den man weder einen Anstrich von Förmlichkeit, noch von Leichtigkeit, noch von Verlegenheit nennen konnte, der aber eine Mischung und Schattirung von diesen drei Farben enthielt. Sie ließ sich nicht bewegen, ein Glas von dem aufgetragenen Weine zu sich zu nehmen. Das Gespräch war natürlich durch die Anwesenheit des Gefangenwärters auf die Angelegenheiten des Tisches beschränkt. Nigel wartete mit Ungeduld auf die Abräumung des Tisches, um die junge Person zur Mittheilung ihrer Geschichte zu bewegen, um so mehr, da er fand, daß ihre Stimme und ihre Züge ihm nicht so fremd waren, wie es ihm Anfangs bedünkt hatte. Diese Entdeckung dämmerte nach und nach während des Mahles in ihm auf.
Endlich wurde abgeräumt und Lord Glenvarloch besann sich eben auf einen ungezwungenen Uebergang des Gesprächs auf den angedeuteten Gegenstand, als der Gefangenwärter einen Besuch anzeigte.
»So?« sprach Nigel etwas ärgerlich. »Ich finde, selbst das Gefängniß bewahrt Einen nicht vor zudringlichen Besuchen.«
Er machte sich indeß bereit, seinen Besucher zu empfangen. Seine Gesellschafterin ihrerseits eilte zu dem großen Stuhle am Kamine, auf welchem sie vorher gesessen hatte, wickelte sich in ihren Mantel und setzte sich so, daß sie so wenig wie möglich in die Augen fiel. Kaum hatte sie diese Maßregeln genommen, als die Thür aufging und der ehrsame Bürger Georg Heriot in das Gefängniß trat.
Der Goldschmied warf seinen gewöhnlichen scharfen, lebhaften Blick in dem Gemache umher, und sprach, indem er auf Nigeln zuging: »Edler Herr, ich wünschte, ich könnte sagen, ich schätze mich glücklich, Euch zu sehen.«
»Der Anblick Unglücklicher bringt selten ihren Freunden Glück, Meister Heriot. Ich jedoch freue mich, Euch zu sehen.«
Mit diesen Worten reichte er dem Goldschmiede die Hand. Dieser aber, anstatt die angebotene Hand anzunehmen, welche in jener Zeit des sorgfältig beobachteten Rangunterschiedes eine ausgezeichnete Herablassung bezeichnete, verbeugte sich mit förmlicher Höflichkeit.
»Ihr seid unzufrieden mit mir, Meister Heriot,« sprach Lord Glenvarloch erröthend, denn er ließ sich durch den Schein von Ehrerbietung, den der ehrsame Bürger annahm, nicht täuschen.
»Keineswegs, gnädiger Herr,« erwiderte Heriot, »aber ich bin in Frankreich gewesen und habe neben andern, stoffhaltigeren Artikeln auch ein kleines Muster von der guten Lebensart mitgebracht, wegen welcher die Franzosen so berühmt sind.«
»Es ist nicht artig von Euch,« versetzte Nigel, »die erste Anwendung davon bei einem alten, Euch verpflichteten Freunde zu machen.«
Heriot erwiderte diese Bemerkung erst mit einem kurzen trockenen Husten und fuhr dann fort: »Hm! hm! Ich sage – hm! edler Herr, da meine französische Höflichkeit mich nicht weit führen wird, so möchte ich wohl wissen, ob ich zu Ew. Herrlichkeit als Freund sprechen darf, wie Ihr mich zu bezeichnen die Güte habt, oder ob ich mich, wie es meinem Stande zukommt, auf das nothwendige Geschäft zu beschränken habe, welches zwischen uns verhandelt werden muß.«
»Sprecht als Freund, Meister Heriot,« erwiderte Nigel. »Ich sehe, Ihr habt einige von den zahlreichen Vorurtheilen gegen mich, wenn nicht gar alle, angenommen. Sprecht frei heraus. Was ich nicht der Wahrheit gemäß leugnen kann, werde ich eingestehen.«
»Und hoffentlich auch wieder gut machen, gnädiger Herr,« fügte Heriot hinzu.
»So weit es in meiner Macht steht, gewiß,« versicherte Nigel.
»Ach, edler Herr,« sprach Heriot, »das ist eine traurige, obwohl nothwendige Beschränkung. Denn wie leicht kann ein Mensch hundert Mal mehr Unheil stiften, als er im Stande ist, an dem Verletzten und an der Gesellschaft wieder gutzumachen! – Aber wir sind hier nicht allein,« bemerkte er, mit einem Späherblick auf die vermummte Gestalt am Kamine, welche trotz allen ihren Bemühungen sich der Beobachtung nicht entziehen konnte. Nigel, mehr darum besorgt, ihre Entdeckung zu verhindern, als seine eigenen Angelegenheiten geheim zu halten, erwiderte schnell: »Das ist mein Page. Ihr könnt frei vor ihm reden. Er ist aus Frankreich, und versteht kein Wort englisch.«
»Ich soll also frei heraus reden?« sprach Heriot mit einem zweiten Blicke nach dem Sessel. »Vielleicht werden meine Worte mehr offenherzig, als willkommen sein.«
»Sprecht, Herr,« sprach Nigel. »Ich habe Euch erklärt, daß ich Tadel vertragen kann.«
»Also kurz, edler Herr – warum finde ich Euch hier, beladen mit Anschuldigungen, die einen durch Jahrhunderte von Tugenden verherrlichten Namen schänden?«
»Einfach darum,« antwortete Nigel, »weil ich damit anfing, weiser sein zu wollen, als mein Vater.«
»Das war eine schwere Aufgabe, gnädiger Herr,« bemerkte Heriot. »Euer Herr Vater galt allgemein als einer der Weisesten und Tapfersten in Schottland.«
»Er gebot mir,« fuhr Nigel fort, »alles Spielen zu meiden, und ich veränderte diese Weisung dahin, mein Spiel nach meiner Geschicklichkeit, meinen Mitteln und meinem Glücke zu beschränken.«
»Eigendünkel,« bemerkte Heriot, »getrieben durch Gewinnsucht. Edler Herr, Ihr gedachtet Pech anzugreifen, ohne Euch zu besudeln. Ich brauche Euch nicht zu wiederholen, was ich mit Bedauern gehört habe, wie sehr dies Benehmen Euren guten Ruf beeinträchtigt hat. An Euren nächsten Fehltritt darf ich Euch unbedenklich erinnern. Edler Herr, wie sehr auch Lord Dalgarno sich wider Euch vergangen haben mag, der Sohn seines Vaters hätte vor Gewaltthätigkeit von Eurer Hand gesichert sein sollen.«
»Ihr sprecht mit ruhigem Blute, Meister Heriot, und ich habe gehandelt in dem Schmerze vielfach erlittenen Unrechts, welches mir unter der Maske der Freundschaft zugefügt worden.«
»Das heißt, er hat Ew. Herrlichkeit üblen Rath gegeben, und Ihr –«
»Ich war thöricht genug, ihn zu befolgen,« ergänzte Nigel. »Doch wir wollen darüber hinausgehen, Meister Heriot. Alte Leute und junge Leute, Männer vom Schwerte und Männer von friedlichen Beschäftigungen haben in diesen Stücken immer verschieden gedacht und werden immer verschieden denken.«
»Ich lasse den Unterschied zwischen dem alten Goldschmied und dem jungen Standesherrn gelten,« erwiderte Heriot. »Indessen hättet Ihr doch Langmuth beweisen sollen aus Rücksicht für Lord Huntinglen, und Klugheit aus Rücksicht auf Euch selber. Angenommen, daß Ihr Recht hattet –«
»Ich bitte, geht auf einen andern Vorwurf über,« unterbrach Nigel.
»Ich bin nicht Euer Ankläger, edler Herr,« erwiderte Heriot, »aber ich hoffe, Euer Herz hat Euch schon bitter das schwere Unrecht vorgeworfen, welches Euer ehemaliger Hauswirth von Euch erlitten hat.«
»Wenn ich der Unthat schuldig wäre, die Ihr andeutet,« versetzte Lord Glenvarloch, »so würde ich sie längst bitter bereut haben. Aber mag sich an dem unglücklichen Weibe vergangen haben, wer da will, ich bin es nicht gewesen. Ich habe von ihrer Thorheit erst seit einer Stunde gehört.«
»Nein, gnädiger Herr,« sprach Heriot, »das klingt zu sehr wie Ziererei. Ich weiß, bei unserer Jugend ist ein neuer Glaube im Betreff des Ehebruchs, wie im Betreff des Todtschlags aufgekommen. Ich möchte Euch lieber sprechen hören von einer Revision der Zehn Gebote mit gemilderten Strafen für die bevorrechteten Stände – lieber dies, als Euch eine Sache leugnen hören, deren Ihr Euch bekannter Maßen berühmt habt.«
»Berühmt? – das habe ich nie gethan. Nie würde ich in so Etwas eine Ehre gesetzt haben. Ich konnte müßige Zungen und müßige Köpfe nicht hindern, falsche Vermuthungen aufzustellen.«
»Es würde Euch ein Leichtes gewesen sein, ihnen den Mund zu stopfen,« entgegnete Heriot, »wenn sie Etwas von Euch gesagt hätten, was Euren Ohren mißfiel und was nicht auf Wahrheit beruhte. – Kommt, edler Herr, erinnert Euch Eures Versprechens, Euer Unrecht zu gestehen; es gestehen ist in diesem Falle ein Mittel, es einigermaßen wieder gut zu machen. Ich bringe in Anschlag, daß Ihr jung seid, daß das Weib hübsch ist und, wie ich selbst bemerkt habe, ziemlich leichtsinnig. Laßt mich wissen, wo sie ist. Ihr thörichter Mann hegt immer noch Mitleid für sie; er will sie vor Schande bewahren, sie vielleicht mit der Zeit wieder zu sich nehmen; denn wir Bürgersleute sind eine gutmüthige Art. Gnädiger Herr, eifert nicht Denen nach, welche Unheil stiften blos aus Lust am Unheil – das ist des Teufels schlimmste Eigenschaft.«
»Eure ernsten Vorstellungen werden mich noch wahnsinnig machen,« rief Nigel. »Es liegt Sinn und Verstand in dem, was Ihr sagt, und dennoch ist es nichts Anderes, als das Verlangen, daß ich den Schlupfwinkel einer Entlaufenen angeben soll, von der ich schlechterdings nichts weiß.«
»Gut denn, edler Herr,« erwiderte Heriot kalt. »Ihr habt das Recht, Eure Geheimnisse zu bewahren. Da sonach meine Worte in dieser Beziehung keinen Eindruck auf Euch machen, so ist es am besten, zur Geschäftssache überzugehen. Und doch steigt Eures Vaters Bild vor mir auf und scheint mich aufzufordern, den vorigen Punkt noch nicht fallen zu lassen.«
»Haltet das, wie Ihr wollt,« versetzte Glenvarloch »Wer an meinem Worte zweifelt, erhält keine weitere Versicherung.«
»Gut, edler Herr. In der Freistätte von Whitefriars, einem für einen jungen Mann von Stande so unpassenden Zufluchtsorte, ist ein Mord begangen worden.«
»Und Ihr haltet mich wohl für den Thäter?« unterbrach. Nigel.
»Gott bewahre, edler Herr!« antwortete Heriot. »Die Untersuchung des Leichenbeschauers hat ergeben, daß Ew. Herrlichkeit unter dem angenommenen Namen Grahame sich sehr wacker benommen hat.«
»Keine Complimente,« sprach Nigel. »Ich schätze mich nur glücklich, daß ich den alten Mann nicht ermordet haben soll.«
»Gut, edler Herr,« fuhr Heriot fort. »Aber auch hier bleibt ein Dunkel aufzuhellen. Ew. Herrlichkeit hat diesen Morgen einen Kahn bestiegen mit einer Weibsperson und, wie es heißt, mit einem unermeßlichen Schatze an Geld und Geldeswerth, und von diesem Weibe ist nichts mehr zu hören.«
»Ich habe mich an der Paulslände von ihr getrennt,« erklärte Nigel. »Dort ist sie mit dem, was sie bei sich hatte, ausgestiegen, und ich habe ihr einen Brief an eben den Hans Christie gegeben.«
»Ja, so sagt der Fährmann. Aber Christie will durchaus nichts davon wissen.«
»Ich bedaure sehr, dies zu hören,« erwiderte der Freiherr. »Ich hoffe zu Gott, sie möge nicht mit ihrem Schatze in einen Hinterhalt gefallen sein.«
»Ich hoffe es auch, edler Herr,« sprach Heriot. »Aber es ist großer Lärm darüber. Unsere Nationalehre leidet auf allen Seiten. Man erinnert sich des Lord Sanquhar, der gehenkt wurde, weil er einen Fechtmeister umgebracht, und Alle sprechen: Wir wollen unsere Weiber nicht zu Huren gemacht und unser Eigenthum nicht gestohlen haben von den großen Herren aus Schottland.«
»Und Alles das wird mir beigemessen?« fragte Nigel. »Meine Rechtfertigung ist leicht.«
»Ich hoffe es, edler Herr,« erwiderte Heriot; »nein, in diesem Stücke bezweifle ich es selbst nicht. Aber warum habt Ihr Whitefriars unter solchen Umständen verlassen?«
»Meister Reginald Lowestoffe hatte mir einen Kahn geschickt und die Weisung, auf meine Rettung bedacht zu sein.«
»Ich bedaure, sagen zu müssen, daß er in Abrede stellt, irgend Etwas von Ew. Herrlichkeit Thun und Lassen zu wissen von dem Augenblicke ab, wo er Euch Euer Gepäck zugeschickt hat.«
»Die Schiffer« – erwiderte Nigel – »haben mir gesagt, sie wären von ihm angenommen.«
»Die Schiffer!« wiederholte Heriot. »Der eine von ihnen ist ein Taugenichts von Lehrbursch, den ich kenne; der andere hat sich aus dem Staube gemacht. Aber der erstere, welcher in Haft sitzt, beharrt auf seiner Aussage, daß er von Ew. Herrlichkeit, und von Niemand anders angenommen worden sei.«
»Er lügt,« rief Lord Glenvarloch. »Mir hat er gesagt, Meister Lowestoffe habe ihn geschickt. Ich hoffe, dieser brave junge Mann ist in Freiheit.«
»Das ist er,« antwortete Heriot. »Er ist mit einem Verweise von den Beisitzern, daß er sich in Ew. Herrlichkeit Angelegenheiten gemischt, davon gekommen. Der Hof will es in diesen unruhigen Zeiten mit den Templern nicht verderben, sonst wäre es dem jungen Herrn übler ergangen.«
»Das ist das einzige tröstliche Wort, welches ich von Euch höre,« bemerkte Nigel. »Aber die arme Person! Sie und ihr Kasten sind zwei Lastträgern anvertraut worden.«
»So sagt der vorgebliche Schiffer. Aber keiner von den Kerlen, die sich an der Lände herumtreiben, will Etwas davon wissen. Ich sehe, dieser Gedanke beunruhigt Euch, edler Herr. Aber es wird Alles aufgeboten, um den Ort ausfindig zu machen, wo die arme Person untergekommen ist, vorausgesetzt, daß sie noch lebt. Damit ist mein Auftrag ausgerichtet soweit derselbe lediglich Ew. Herrlichkeit angeht. Das Weitere ist mehr reine Geschäftssache.«
»Laßt uns ohne Verzug an diese gehen,« erwiderte der Freiherr. »Ich möchte lieber von jeder andern Angelegenheit hören, als von meinen eigenen.«
»Ew. Herrlichkeit« – begann Heriot – »kann der Uebereinkunft nicht vergessen haben, welche vor einigen Wochen in Lord Huntinglens Garten abgeschlossen, und kraft deren eine starke Geldsumme zur Einlösung von Ew. Herrlichkeit Gut vorgeschossen worden ist.«
»Ich erinnere mich ihrer genau,« antwortete Nigel, »und Eure jetzige Schroffheit kann mich Eure damalige Güte nicht vergessen lassen.«
Heriot machte eine Verbeugung und fuhr in ernstem Tone fort: »Dies Geld wurde vorgeschossen in der Aussicht, daß es ersetzt würde durch den Inhalt einer Ew. Herrlichkeit gewährten Bewilligung des Königs, Euch die Rückzahlung von Geldern, die Euer Vater der Krone vorgestreckt hatte, anzuweisen. Ich hoffe, Ew. Herrlichkeit hat damals die Uebereinkunft gehörig aufgefaßt, und ich hoffe, Ihr findet die von mir gegebene Bezeichnung derselben richtig.«
»Ganz richtig,« erwiderte Lord Glenvarloch. »Wenn die in der königlichen Anweisung erhaltene Summe nicht erhoben werden kann, so fallen meine Güter Denjenigen zu, welche die ursprünglichen Pfandinhaber bezahlt haben und jetzt an ihre Stelle getreten sind.«
»So ist es, gnädiger Herr,« sprach Heriot. »Da nun Ew. Herrlichkeit schlimme Umstände die neuen Gläubiger beunruhigt haben, so bestehen sie zu meinem Leidwesen auf einem von Beiden: Einsetzung in die Güter, oder Bezahlung des Geldes.«
»Sie haben das Recht dazu,« erwiderte Glenvarloch. »Da ich die Zahlung in meiner gegenwärtigen Lage nicht zu leisten vermag, so denke ich, müssen sie in Besitz treten.«
»Wartet, edler Herr,« erwiderte Heriot. »Wenn Ihr mich nicht mehr einen Freund Eurer Person nennt, so sollt Ihr wenigstens sehen, daß ich geneigt bin, der Freund des Hauses Eures Vaters zu sein, wäre es auch nur um des Andenkens Eures Vaters willen. Wofern Ihr mir die königliche Anweisung anvertrauen wollt, glaube ich bei den jetzigen Verhältnissen am Hofe im Stande zu sein, das in ihr gewährte Geld zu erheben.«
»Herzlich gern wollte ich das thun,« erwiderte Lord Glenvarloch. »Aber das Kästchen, worin die Anweisung liegt, ist nicht in meinen Händen; es ist mit Beschlag belegt worden, als man mich zu Greenwich verhaftete.«
»Es wird Euch nicht ferner vorenthalten werden,« sprach Heriot. »Denn, wie ich höre, hat mein königlicher Herr sich durch seinen angebornen gesunden Verstand und durch Erkundigungen, die er, ich weiß nicht auf welche Art, eingezogen hat, dazu bestimmen lassen, der Beschuldigung eines Angriffs auf seine Person keine Folge zu geben. Diese ist beseitigt. Das Verfahren gegen Euch wird sich lediglich um die an Lord Dalgarno im Umkreise des Palastes verübte Gewaltthätigkeit drehen, und die Verantwortung dafür wird schwer auf Euch lasten.«
»Ich bebe vor dem Gewichte dieser Anklage nicht zurück,« erwiderte Nigel. »Aber davon handelt es sich jetzt nicht. Wenn ich das Kästchen hätte –«
»Euer Gepäck,« sprach der Bürger, »stand in dem kleinen Vorzimmer, als ich durch dasselbe ging. Das Kästchen fiel mir in die Augen. Ihr habt es, denk' ich, von mir erhalten. Es rührt von meinem alten Freunde, Herrn Faithful Frugal her. Er hatte auch einen Sohn – –«
»Einen Sohn, welcher, wie der Sohn des Lord Glenvarloch, seinem Vater keine Ehre machte. Nicht wahr, so wolltet Ihr sagen?« fragte der Freiherr.
»Gnädiger Herr, es war ein unbesonnenes Wort von mir,« antwortete Heriot. »Gott möge Alles zum Besten wenden. Ich will nur das sagen. Ich habe manchmal meine Freunde um ihre blühenden Familien beneidet; aber später habe ich nach dem Tode der Häupter solche Veränderungen erlebt, so manche Söhne reicher Väter an den Bettelstab, so manche Erben von Rittern und Herren um ihre Güter kommen sehen, daß ich denke, mein Gut und mein Name sollen nach meiner Verfügung Namen und Gut größerer Männer überdauern, obwohl Gott mir keinen Erben meines Namens gegeben hat. – Doch das gehört nicht zur Sache. – He! Wärter! Bringt Lord Glenvarlochs Sachen herein!« Der Gefangenwärter gehorchte. Der Koffer und das Kästchen waren versiegelt gewesen, und diese Siegel waren, wie der Wärter sagte, in Folge späterer Befehle vom Hofe wieder abgenommen und das Ganze zur freien Verfügung des Gefangenen gestellt worden.
Begierig, den peinlichen Besuch zu entfernen, öffnete Lord Glenvarloch das Kästchen und durchsah die Papiere, welche es enthielt, erst eilig, dann bedächtiger und genauer. Aber alles Suchen war vergebens. Die königliche Anweisung war verschwunden.
»Ich habe es wohl gedacht,« sprach Heriot in bitterem Tone. »Wenn Unheil einreißt, so ist es wie ausströmendes Wasser. Da haben wir's! Eine schöne Erbschaft ist verloren mit einem Wurfe bei schnödem Karten- oder Würfelspiel! – Gnädiger Herr, Ihr spielt vortrefflich den Bestürzten. Ich wünsche Euch Glück zu Euren herrlichen Gaben. Ich habe manche so junge Prahler und Prasser gesehen, aber nie einen in früher Jugend so vollendeten Heuchler. – Runzelt nicht zornig die Stirne über mich. Ich spreche in bitterem Unmuthe, weil ich an Euren würdigen Vater denke. Wenn sein Sohn von Niemand einen Vorwurf über seine Entartung hört, so soll er ihn von dem alten Goldschmied hören.«
Mit diesem neuen Verdachte wurde Nigels Geduld aufs Aeußerste getrieben. Doch der wohlmeinende Eifer des guten Alten und die Umstände, welche seinen Verdacht zu rechtfertigen schienen, waren dem jungen Freiherrn so einleuchtend, daß er seinen Zorn bezwang, und nach einigen Ausrufungen der Entrüstung in einem stolzen, finsteren Schweigen verharrte.
»Hört, gnädiger Herr,« begann der Goldschmied wieder, »es ist kaum möglich, daß dies wichtige Papier unbedingt weggegeben sei. Laßt mich wissen, in welchem finsteren Winkel und für welche geringe Summe es verpfändet liegt. Vielleicht läßt sich noch Etwas thun.«
»Eure Bemühungen um mich,« antwortete Lord Glenvarloch, »sind um so edelmüthiger, als Ihr sie für einen Menschen macht, an den Ihr, Eurer Ansicht nach, gar nicht denken solltet. Aber sie sind nutzlos. Fortuna ist auf allen Punkten wider mich in's Feld gerückt; laßt sie die Schlacht gewinnen.«
»Schwerenoth!« rief der Goldschmied ungeduldig; – »Ihr könnt einen Heiligen zum Fluchen bringen. Wisset, wenn dies Papier, dessen Verlust Ihr so leicht zu nehmen scheint, sich nicht wiederfindet, – dann lebe wohl, schöne Herrschaft Glenvarloch, dann lebe wohl, Wald und Wasser, See und Strom, Wies und Feld und Alles, was beim Hause Olifaunt gewesen ist seit den Tagen Wilhelms des Löwen!«
»Lebe wohl,« wiederholte Nigel – »und damit hat dies Klaglied ein Ende.«
»Alle Teufel! edler Herr, Ihr werdet das Klaglied noch lange singen, ehe Ihr sterbt,« rief Heriot in demselben Tone zorniger Ungeduld.
»Nein, alter Freund,« erwiderte Nigel. »Wenn ich Etwas beklage, Meister Heriot, so wird es sein, daß ich die gute Meinung eines würdigen Mannes verloren, und zwar unverdienter Weise verloren habe.«
»Ei, ei, junger Mann,« sprach Heriot kopfschüttelnd, »macht, daß ich das glaube, wenn Ihr es vermögt. Also kurz,« fuhr er fort, von dem Stuhle aufstehend und auf das Kamin zugehend, – »kurz, denn unsere Sachen stehen jetzt auf dem äußersten Punkte, eben so leicht könnt Ihr mich glauben machen, diese Maske hier, an welche ich die Hand väterlicher Gewalt lege, sei ein französischer Page, der kein Englisch verstehe.«
Mit diesen Worten faßte er den Mantel des vorgeblichen Pagen, und führte mit sanfter Gewalt die verkleidete Schöne in die Mitte des Zimmers. Sie suchte ihr Gesicht zu verhüllen, erst mit dem Mantel, dann mit den Händen. Beiderlei Schirm entfernte Meister Heriot ohne viele Complimente und stellte zur Schau die Tochter des alten Zeitmessers, seine Pathin Margarethe Ramsay.
»Eine saubere Geschichte!« rief er, und konnte sich dabei nicht enthalten, sie ein wenig zu schütteln, denn er war, wie früher bemerkt, ein strenger Zuchtmeister. – »Wie kommt's, Schätzchen, daß ich dich in einer so schamlosen Kleidung und in einer so unwürdigen Lage finde? – Nein! deine Bescheidenheit ist jetzt übel angebracht. Sie hätte früher kommen sollen. Sprich, oder ich will dich – –«
»Meister Heriot!« unterbrach ihn Lord Glenvarloch, »welches Recht Ihr auch anderwärts über dies Mädchen haben mögt, so lange sie in meinem Zimmer ist, steht sie unter meinem Schutze.«
»Unter Eurem Schutze, gnädiger Herr? – Ein sauberer Beschützer! – Wie lange ist es her, Mamsell, daß du unter dieses gnädigen Herrn Schutze stehst? Heraus mit der Sprache!«
»Etwa zwei Stunden, lieber Pathe,« antwortete das Mädchen mit zu Boden gesenktem Blicke und tief erröthend. »Es geschah wider meinen Willen.«
»Zwei Stunden?« wiederholte Heriot. »Zeit genug, um Unheil anzurichten. – Gnädiger Herr, dies ist, denk' ich, ein zweites Opfer, welches Eurem Rufe eines galanten Herrn dargebracht worden, – ein zweites Abenteuer, dessen man sich in Beaujeu's Speisehause berühmen kann. Ich dächte, das Dach, unter welchem Ihr dies alberne Mädchen zuerst gesehen, hätte sie wenigstens vor einem solchen Schicksale bewahren sollen.«
»Auf Ehre, Meister Heriot,« sprach Lord Glenvarloch, »jetzt erst erinnert Ihr mich, daß ich dies Fräulein in Eurem Hause gesehen habe. Ihre Züge sind nicht leicht zu vergessen, und dennoch habe ich mich vergebens darauf besonnen, wo ich sie zuletzt gesehen hätte. Euer Argwohn ist eben so grundlos, wie verletzend für sie und mich. Daß sie eine verkleidete Person sei, hatte ich erst kurz vor Eurem Eintreten entdeckt. Aus ihrem ganzen Benehmen habe ich die Ueberzeugung geschöpft, daß ihr Erscheinen hier in dieser Tracht unwillkürlich war, und Gott sei davor, daß ich fähig wäre, dasselbe zu ihrem Nachtheil zu benutzen.«
»Das klingt recht schön, gnädiger Herr,« versetzte Meister Heriot. »Aber ein schlauer Pfaffe kann die Apocryphen so laut lesen, wie die Schrift. Offen gesprochen, edler Herr, Ihr seid so weit gekommen, daß Eure Worte ohne Gewähr nicht gelten.«
»Ich sollte vielleicht nicht reden,« fiel Margarethe ein, deren natürliche Lebhaftigkeit sich nicht lange niederhalten ließ, selbst in der ungünstigsten Lage; – »aber ich kann nicht schweigen. Pathe, Ihr thut mir Unrecht, und desgleichen diesem Herrn. Ihr sagt, seine Worte bedürfen einer Gewähr. Ich weiß für einen Theil derselben Gewähr zu finden, und die übrigen glaube ich fest ohne Gewähr.«
»Ich danke Euch, Mädchen, für die gute Meinung, welche Ihr ausgesprochen habt,« sagte Nigel. »Es scheint, ich stehe auf dem Punkte, wo mir jede gute Deutung meiner Handlungen und Gesinnungen verweigert wird, – warum, weiß ich nicht. Um so mehr bin ich derjenigen Person verbunden, welche mir ein von der übrigen Welt mir verweigertes Recht gewährt. Für Euch, Fräulein, hätte ich, wenn ich in Freiheit wäre, ein Schwert und einen Arm, um Euren guten Ruf zu vertheidigen.«
»Wahrhaftig, vollkommen Amadis und Oriana!« rief Georg Heriot. »Hier zwischen dem Ritter und der Prinzessin sollte mir bald die Kehle abgeschnitten sein, wenn nicht glücklicher Weise die Trabanten so nahe wären, daß sie rufen hören. – Komm, komm, Fräulein Leichtsinn! – wenn du bei mir durchkommen willst, mußt du einfache Thatsachen vorbringen, nicht Reden aus Romanen und Schauspielen. Wie um's Himmels willen bist du hieher gekommen?«
»Herr,« antwortete Margarethe, »wenn ich durchaus reden muß, so wisset, ich bin diesen Morgen mit Monna Paula nach Greenwich gegangen, um eine Bittschrift von Frau Hermione zu überreichen.«
»Gott steh' mir bei!« rief Heriot; »steckt sie auch dazwischen? Hätte sie nicht meine Ankunft abwarten können, um ihre Angelegenheit aufzurühren? Die Nachricht, die ich ihr gemeldet habe, hat ihr keine Ruhe gelassen. O Weiber! Weiber! – Wer sich mit Euch einläßt, muß einen doppelten Antheil von Geduld einlegen, denn ihr bringt keine in die Masse. – Nun gut! Aber was in aller Welt hat diese Gesandtschaft von Monna Paula mit deiner unsinnigen Verkleidung zu schaffen? Sprich!«
»Monna Paula« – antwortete Margarethe – »fürchtete sich, und wußte nicht, wie sie ihren Auftrag ausrichten sollte; denn Ihr wißt, sie kommt fast nie vor die Thür. Also – also – verstand ich mich dazu, mit ihr zu gehen, um ihr Muth zu machen. Was diese Kleidung betrifft, so erinnert Ihr Euch gewiß, daß ich sie bei der Weihnachtsmummerei trug, und Ihr meintet damals, sie stehe mir nicht übel.«
»Freilich für eine Weihnachtsstube,« erwiderte Heriot, »aber nicht, um damit im Lande herumzulaufen. Ich erinnere mich ihrer, Schätzchen, und habe sie vorhin wiedererkannt, und dies und dein kleiner Schuh und ein Wink von einem Freunde oder von Einem, der sich so nannte, hat zu deiner Entdeckung geführt.« (Lord Glenvarloch konnte nicht umhin, einen Blick auf das Füßchen zu werfen, welches selbst dem gesetzten Bürger erwähnenswerth schien, – nur einen verstohlenen Blick, denn er sah, daß jeder Schein von Beobachtung die Verlegenheit des Mädchens vermehrte.) – »Aber sage mir nun, Mädchen,« fuhr der Bürger fort, »wußte Frau Hermione um diesen Streich?«
»Nicht um alle Welt hätte ich es ihr sagen mögen,« antwortete Margarethe. »Sie glaubte, einer von unsern Lehrlingen ginge mit Monna Paula.«
Das Wort »unsere Lehrlinge« schien eine elektrische Wirkung auf Lord Glenvarloch zu äußern und den Zauber zu lösen, mit welchem er bisher der unzusammenhängenden und doch so anziehenden Erzählung Margarethens zugehört hatte.
»Und warum ging der Lehrbursche nicht mit?« fragte Meister Heriot. »Er wäre ein passenderer Begleiter für Monna Paula gewesen.«
»Er war anderweit beschäftigt,« antwortete Margarethe mit kaum hörbarer Stimme.
Meister Georg schoß einen flüchtigen Blick auf Nigeln, und da er auf seinem Antlitze keinen Ausdruck von Mitwissenschaft fand, murmelte er für sich: »Es muß besser stehen, als ich gefürchtet habe. – Also diese verfluchte Spanierin mit ihrem Kopfe voll von Verkleidungen, Fallthüren, Strickleitern und Masken war schlecht und thöricht genug, dich zu dieser Narrenbotschaft mitzunehmen. Und wie ging es euch?«
»Eben hatten wir den Eingang des Parks erreicht,« antwortete Margarethe, »als sich der Ruf: »Verrath!« erhob. Ich weiß nicht, was aus Monna geworden ist. Ich lief, bis ich einem anständigen Dienstmanne, Namens Linklater, in die Hände fiel. Ich mußte ihm wohl sagen, daß ich Eure Pathin sei. Daraufhin hielt er die Uebrigen von mir ab und verschaffte mir auf meine Bitte Gehör beim Könige.«
»Dies ist der einzige Umstand, der beweiset, daß der Verstand nicht gänzlich aus deinem Köpfchen entwichen war,« bemerkte der Goldschmied.
»Se. Majestät« – fuhr die Mamsell fort – »war so gnädig, mich allein zu empfangen, obwohl die Hofleute über Gefahr für seine Person schrieen und mich durchsuchen wollten, ob ich keine Waffen hätte. Aber Gott sei Dank, der König verbot es. Ich vermuthe, Linklater hatte ihm einen Wink gegeben, wie es sich mit mir verhielt.«
»Gut, Mädchen,« sagte Heriot, »ich frage nicht, was in der Audienz vorgekommen ist. Es ziemt mir nicht, meines Herrn Geheimnisse zu erforschen. Wärest du mit seinem Großvater, dem Rothbausch von S. Andrews, wie David Lindsay ihn zu nennen pflegte, unter vier Augen zusammen gewesen, dann würde ich mein Theil von der Sache denken. Aber unser Herr (Gott segne ihn!) ist sanft und gut, und ein Salomo in allen Stücken, ausgenommen im Kapitel der Weiber und Kebsweiber.«
»Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt,« sprach Margarethe. »Se. Majestät war sehr gütig und barmherzig, sagte aber, ich müsse hieher geschickt werden, und die Gemahlin des Lieutnants, die gnädige Frau Mansel, werde mich unter ihre Obhut nehmen und sorgen, daß mir kein Leid widerfahre. Der König versprach mir, ich solle in einer bedeckten Barke und unter der Führung einer Euch wohlbekannten Person gefahren werden, und so bin ich in den Tower gekommen.«
»Aber wie und warum in dies Zimmer, Püppchen?« fragte Heriot. »Erkläre mir das, denn dies ist ein Räthsel, welches gelöst sein will.«
»Ich kann es nicht weiter erklären,« antwortete das Mädchen, »als daß Frau Mansel mich hieher geschickt hat trotz meinen dringenden Bitten und Thränen. Ich fürchtete übrigens Nichts, denn ich wußte, daß ich beschützt werden würde. Aber sterben hätte ich mögen – und sterben könnte ich noch jetzt vor Scham und Verlegenheit.«
»Nun gut,« sprach Heriot. »Wenn deine Thränen aufrichtig sind, können sie um so leichter die Erinnerung an deinen Fehltritt auslöschen. – Weiß dein Vater etwas von diesem Katzensprung?«
»Nicht für alle Welt möchte ich, daß er es wüßte,« antwortete Margarethe. »Er glaubt, ich sei bei Frau Hermione.«
»Ja, der ehrliche David versteht es besser, seine Uhren in Ordnung zu halten, als seine Haushaltung. – Komm, Mamsell, ich will dich wieder zu Frau Mansel geleiten und sie bitten, wenn ihr wieder ein Gänschen anvertraut wird, sie nicht dem Fuchs zur Bewahrung zu übergeben. Die Gefangenwärter werden uns hoffentlich in die Wohnung der gnädigen Frau einlassen.«
»Nur einen Augenblick noch!« nahm Lord Glenvarloch das Wort. »Ich vergebe Euch, Meister Heriot, die üble Meinung, die Ihr von mir gefaßt habt. Die Zeit wird an den Tag bringen, daß Ihr mir Unrecht thut, und ich bin überzeugt, Niemand wird Eure Ungerechtigkeit mehr bedauern, als Ihr selbst. Aber erstreckt Euren Verdacht nicht auf die junge Person, für deren Reinheit Engel bürgen möchten. Ich habe jeden Blick, jede Miene von ihr beobachtet, und so lange ein Athemzug in mir ist, werde ich stets an sie denken mit – –«
»Denkt gar nicht an sie, gnädiger Herr,« unterbrach ihn der Goldschmied. »Das ist meines Bedünkens der größte Gefallen, den Ihr ihr erweisen könnt. Oder denkt an sie, als an die Tochter des Uhrmachers David Ramsay, bei welcher wohlgesetzte Reden, romantische Streiche und hochtrabende arkadische Complimente übel angebracht sind. – Guten Abend, gnädiger Herr. Ich denke nicht ganz so hart, wie ich vielleicht gesprochen habe. Wenn ich vermöchte – ich wollte sagen, wenn ich mich in diesem Irrgange zurechtgefunden hätte – doch wozu jetzt davon reden? – Ich wünsche Ew. Herrlichkeit guten Abend. – He, Wärter! erlaubt uns, zu Frau Mansel zu gehen.«
Der Gefangenwärter erwiderte, er müsse erst Befehl vom Herrn Lieutenant einholen. Während er fortging, um dies zu thun, blieben die Drei nahe bei einander stehen, ohne ein Wort zu reden und sich kaum dann und wann einen verstohlenen Blick zuwerfend, – eine Lage, welche für zwei derselben etwas Beengendes hatte. Die Rangverschiedenheit, obwohl damals von so großer Bedeutung, konnte den Freiherrn von Glenvarloch nicht hindern, anzuerkennen, daß Grethchen Ramsay eins der schönsten weiblichen Wesen sei, die er je gesehen, zu vermuthen – den Grund davon konnte er sich nicht sagen – daß er ihr nicht gleichgültig sei, und endlich sich überzeugt zu halten, daß er viel an ihrer gegenwärtigen Verlegenheit schuld sei. Bewunderung, Selbstliebe und Edelmuth sprachen bei ihm zu ihren Gunsten. Als der Wärter zurückkam und die gewünschte Erlaubniß brachte, bemerkte die Tochter des Handwerkers in der Verbeugung des Freiherrn gegen sie einen Ausdruck, welcher sie so sehr erröthen machte, wie kaum irgend ein anderer Umstand an diesem ereignißvollen Tage. Sie erwiderte die Höflichkeit schüchtern und unentschlossen, hing sich an ihren Pathen und verließ das Zimmer, welches dem Freiherrn finsterer denn je vorkam, nachdem die Thür sich hinter ihr geschlossen hatte.