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– Ich will den Lauscher spielen.
Richard III. Act 5, Scene 3.
Als Jakob wieder seinen Sitz am Rathstische eingenommen, begann er auf seinem Stuhle hin und her zu rutschen, sich zu räuspern und sonstige Zeichen von sich zu geben, daß er auf eine lange Rede sann. Die Mitglieder des Rathes sammelten sich zu gebührender Aufmerksamkeit. Karl, der eben so streng in seinen Begriffen von Anstand, wie sein Vater gleichgültig in dieser Beziehung war, nahm eine Haltung ernster, achtungsvoller Erwartung an, wogegen der Günstling im Bewußtsein seines Einflusses auf Vater und Sohn sich gemächlicher auf seinem Stuhle ausstreckte und, indem er die Miene eines Hörers annahm, mehr einer Förmlichkeit sich anzubequemen, als einer Pflicht nachzukommen schien.
»Ich zweifle nicht, edle Herren,« begann der König, »daß Einige unter Euch denken, die Stunde des Mahles sei schon verstrichen, und es sei Zeit, mit dem Sklaven in der Komödie zu fragen: Quid de symbolo? Wie steht's mit dem Imbiß? Nichtsdestoweniger ist Recht und Gerechtigkeit zu üben Unsere Speise und Unser Trank. Also wollen Wir Eure Weisheit bitten, den Fall des unglücklichen jungen Mannes, Lord Glenvarlochs, zu erwägen und zu sehen, ob es sich mit Unserer Ehre verträgt, Etwas zu seinen Gunsten zu thun.«
»Ich wundere mich,« nahm der Herzog das Wort, »daß Ew. Majestät diese Frage stellen mag. Offenbar hat sich Lord Dalgarno als einer der frechsten Bösewichter auf Erden bewiesen, und es liegt sonach am Tage, daß Lord Glenvarloch, wenn er ihn erstochen hätte, nur die Welt von einem Schurken befreit haben würde, der schon zu lange darin gelebt hat. Ich denke, dem Lord Glenvarloch ist viel Unrecht geschehen, und ich bedaure, daß ich mich durch jenen falschen Menschen habe überreden lassen, dabei mitzuwirken.«
»Ihr sprecht wie ein Kind, Steenie – ich wollte sagen, edler Herr von Buckingham,« erwiderte der König; »Ihr redet wie Einer, der die Logik der Schulen nicht versteht. Denn eine Handlung kann gleichgültig und selbst verdienstlich sein quoad hominem, das ist, in Rücksicht auf den, an welchem sie verübt wird, und dennoch höchst strafbar quoad locum, in Beziehung auf den Ort, wo sie verrichtet wird. So kann ein Mann erlaubter Weise einen Hopser oder einen sonstigen Tanz in einer Schenke tanzen, aber nicht inter parietes ecclesiae Innerhalb der Wände einer Kirche.. Demnach könnte es zwar eine gute That gewesen sein, den Lord Dalgarno, einen Menschen, der sich so gezeigt hat, irgendwo anders zu erstechen; aber eine Gewaltthätigkeit gegen ihn fällt unter die klare Verordnung, sobald sie im Umkreise des Hofes verübt worden ist. Denn merkt wohl, edle Herren, die Verordnung wider das Schlagen würde an Unserem Hofe wenig helfen, wenn sie durch den Beweis, daß der Geschlagene ein Schurke ist, umgangen werden könnte. Leider kenne ich keinen Hof in der Christenheit, an welchem sich keine Schurken finden, und wenn man unter dem Vorwande, sie zu schlagen, den Frieden brechen dürfte, wahrlich, dann würde es bis in Unser Vorgemach Prügel regnen.«
»Was Ew. Majestät sagt,« erwiderte der Thronfolger, »trägt das Gepräge Eurer gewohnten Weisheit. Die Umgebungen der Paläste müssen ebensowohl geheiligt sein, wie die Personen der Könige, welche selbst bei den wildesten Völkern als nur eine Stufe unter ihren Gottheiten stehend betrachtet werden. Aber Ew. Majestät Wille kann die Strenge dieses, so wie jedes andern Gesetzes hemmen, und es steht in Eurer Macht, diesem unbesonnenen Jünglinge, in Betracht des vorliegenden Falles, volle Verzeihung zu gewähren.«
» Rem acu tetigisti, Carole, mi puerule,« Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Kindlein Karl. erwiderte der König. »Und wisset, edle Herren, daß Wir durch Unser eignes klügliches Vornehmen bereits die Gesinnung dieses Lord Glenvarloch bis auf den Grund erforscht haben. Ich denke, Einige unter Euch erinnern sich, wie ich in dem merkwürdigen Falle der Frau Lake Frau Lake hatte die Gräfin von Exeter eines Anschlags, sie und ihre Tochter zu vergiften, angeklagt. Das Beweisstück war ein Brief, den die Gräfin zu Wimbledon in Gegenwart der Frau Lake und ihrer Tochter geschrieben haben sollte, um durch Geständniß ihres Vorhabens ihre Verzeihung zu erhalten. Eine hinter der Tapete versteckte Magd sollte die Gräfin diesen Brief haben vorlesen hören. Während des Processes jagte Jakob bei Wimbledon, gerieth auf den Einfall, das bezeichnete Zimmer zu untersuchen, und fand, daß die Tapete unten um zwei Fuß zu kurz war, um einen Horcher zu verbergen. verfuhr, und wie ich die Geschichte von dem Horchen hinter der Tapete in's Reine gebracht habe. Dies nun hat mich auf eigne Gedanken gebracht. Ich erinnerte mich, gelesen zu haben, daß Dionysius, König von Syrakus, den die Geschichtschreiber tyrannus nennen (was im Griechischen nicht, wie bei uns, einen grausamen Usurpator, sondern nur einen etwas strenger als Wir regierenden König bezeichnet), daß, sage ich, dieser Dionysius von geschickten Werkleuten sich einen Löffel bauen ließ. – Wißt Ihr, was das ist, gnädiger Herr Bischof?«
»Eine Stiftskirche, denke ich,« antwortete der Bischof.
»Was zum Teufel! – verzeihe Ew. Herrlichkeit, daß ich fluche. – Nein, es war keine Stiftskirche, sondern nur ein Versteck, genannt des Königs Löffel oder Ohr, in welchem er unbemerkt sitzen und das Gespräch der Gefangenen behorchen konnte. Nun, meine Herren, diesen Dionysius nachahmend, den ich zum Muster genommen habe, um so mehr, da er ein großer Sprachkenner und Grammatiker gewesen, und nach seiner Abdankung mit gutem Beifall eine Schule gehalten hat, (er oder sein gleichnamiger Nachfolger, denn darauf kommt es nicht an) – habe ich einen Löffel anbringen lassen in dem Staatsgefängnisse dort im Tower, welcher Löffel, Herr Bischof, mehr einer Kanzel als einer Kirche gleichsieht, und mit der Tapete hinter des Lieutenants Zimmer in Verbindung steht. Dort nun können Wir sitzen und heimlich die Gespräche der Staatsgefangenen anhören und in die innersten Geheimnisse Unserer Feinde eindringen.«
Der Prinz warf dem Günstling einen Blick zu, der tiefen Verdruß und Widerwillen ausdrückte. Buckingham zuckte die Achseln, jedoch so, daß man es kaum bemerken konnte.
»Nun, edle Herren,« sprach der König weiter, »Ihr kennt den Lärm, den es gestern Morgen auf der Jagd gesetzt hat. Der Schrecken davon wird mir nicht aus den Gliedern fahren, bis ich eine Nacht gehörig geschlafen habe. Gleich nach diesem Lärm brachten sie einen hübschen Pagen herein, den sie im Parke gefunden hatten. Unsere besorgte Umgebung warnte Uns, ihn nicht selber zu verhören. Allein da Wir stets Unser Leben als dem Dienste dieser Königreiche gewidmet betrachten, geboten Wir Allen, das Zimmer zu meiden, um so mehr, da Wir vermutheten, dieser Knabe möchte ein Mädchen sein. Was meint Ihr, meine Herren? Wenige unter Euch werden denken, ob ich je einen Falkenblick für dergleichen gehabt habe. Aber Gott sei Dank, obgleich Wir alt sind, wissen Wir doch so viel von dergleichen Spielwerk, als sich für einen ernsten Mann geziemt. Nun, edle Herren, Wir haben selber dies Mägdlein in Mannskleidern ausgeforscht, und ich gestehe, es war ein hübsches Verhör und ging gut von Statten. Anfangs erklärte sie, sie habe diese Verkleidung nur angenommen, um dem Weibe, welches Uns die Bittschrift der Frau Hermione, ihrer geliebten Freundin, überreichen sollte, zur Seite stehen zu können. Allein Wir, anguis in herba Eine Schlange im Grase. vermuthend, unterwarfen sie der peinlichen Frage und zwangen sie, eine tugendsame Neigung für Glenvarlochides mit solcher anmuthigen Scham und Angst zu gestehen, daß Wir große Noth hatten, Unsere eigenen Augen vom Weinen mit ihr abzuhalten. Zugleich setzte sie Uns die falschen Praktiken dieses Dalgarno wider Glenvarlochidem auseinander, wie er ihn in schlechte Häuser verlockt und ihm bösen Rath unter dem Scheine aufrichtiger Freundschaft gegeben, wodurch der unerfahrne Jüngling verleitet ward, zu thun, was ihm schädlich und Uns mißfällig war. Aber so artig sie auch ihre Geschichte erzählte, so beschlossen Wir dennoch, dieselbe nicht unbedingt zu glauben, sondern vielmehr das Experiment zu machen, welches Wir für solche Gelegenheiten ausgesonnen haben. Nachdem Wir Uns also schnell von Greenwich in den Tower begeben, machten Wir Uns zum Lauscher und beobachteten, was da vorging zwischen Glenvarlochidi und diesem Pagen, welchen Wir in sein Gemach bringen ließen, bedenkend, daß, wofern sie sich verabredet hätten, Uns zu hintergehen, Etwas davon zum Vorschein kommen müsse. Und was meint Ihr, edle Herren, was Wir gesehen haben? Nichts, worüber Ihr zu kichern und zu lachen hättet, Steenie, denn es ist die Frage, ob Ihr das gemäßigte und christliche Spiel dieses armen Jungen Glenvarloch hättet treiben können. Er könnte im Vergleich mit Euch ein Vater der Kirche sein. Und dann, um seine Geduld noch ferner auf die Probe zu stellen, sandten Wir einen Hofmann und einen Bürger über ihn her, nämlich Herrn Mungo Malagrowther und Unsern Diener hier, Georg Heriot, welche beide weidlich mit dem armen Jungen umsprangen und auch Unsere königliche Person nicht eben schonten. – Ihr wißt Gürge, was Ihr von Weibern und Kebsweibern gesagt habt, aber ich vergebe Euch, – Ihr braucht nicht zu knieen, ich vergebe Euch um so lieber, da es einen Punkt betrifft, der eben nicht sonderlich zu Salomo's Ehre gereichte, dessen Ermangelung mithin die Unsrige nicht verletzt. Nun, edle Herren, trotz aller Versuchung und Noth und bösem Beispiele ließ dieser arme Jüngling seiner Zunge nicht freien Lauf, auch nur ein einziges unziemliches Wort über Uns zu reden. Und dies macht Uns, die Wir stets Eurem weisen Rathe folgen, um so mehr geneigt, diese Geschichte im Parke als etwas in der Hitze und in Folge heftiger Reizung Gethanes zu betrachten und Lord Glenvarloch volle Verzeihung angedeihen zu lassen.«
»Ich bin herzlich froh,« sprach der Herzog von Buckingham, »daß Ew. Majestät zu diesem gnädigen Schlusse gelangt ist, obwohl ich nimmer den Weg hätte errathen können, der dazu geführt hat.«
»Ich denke,« bemerkte Karl, »Ew. Majestät wird es nicht mit Ihrer Würde vereinbar finden, diesen Weg oft einzuschlagen.«
»Nie mehr, so lange ich lebe, Kindlein Karl; darauf geb' ich Dir mein Wort. Das Sprichwort sagt: Wer da lauschet an der Wand, hört oft seine eigne Schand'. Meiner Seele! die Ohren klingen mir noch von den Stachelreden des alten Satans Mungo. Er hat uns filzig genannt, Steenie; – ich bin überzeugt, Du kannst dies widerlegen. Aber es ist purer Neid in dem alten verkrüppelten Sünder, weil er weder einen Nobel in die Pfote zu nehmen, noch, falls er ihn bekäme, Finger hat, ihn festzuhalten.« Der König kicherte über seinen eigenen Witz und vergaß darüber die Ungebühr Herrn Mungo's, oder begnügte sich vielmehr, mit Bezug auf dieselbe zu sagen: »Wir müssen dem alten Brummtopf bos in linguam geben, d. h. ihm das Maul stopfen, sonst verlästert er uns von Dan bis Berseba. – Und nun, edle Herren, lasset Unser Begnadigungsschreiben für Lord Glenvarloch augenblicklich ausfertigen und ihn in Freiheit setzen. Und da seine Herrschaft schleifen zu gehen droht, wollen Wir erwägen, welche Gunst Wir ihm erweisen können. – Meine Herren, ich wünsche Euch guten Appetit zu einem frühen Nachtmahl – denn Unsere Arbeiten haben die Zeit desselben beschleunigt. – Kindlein Karl und Steenie, Ihr werdet bleiben bis zu Unserm Coucher. Gnädiger Herr Bischof, Ihr werdet verziehen, um Unsere Speise zu segnen. Gürge Heriot, ein Wort mit Euch allein.«
Er zog den Bürger in eine Ecke, während diejenigen Räthe, welche nicht die Weisung erhalten hatten, zu bleiben, sich verbeugten und weggingen. »Gürge,« begann der König, während seine Finger an den Nesteln und Bändern seiner Hosen herumarbeiteten, »mein guter, treuer Diener, Ihr seht, Wir haben aus freiem Antriebe Unseres Rechtsgefühles bewilligt, was jener langbeinige Bursche, Moniplies glaub' ich heißt er, mit einer mächtigen Summe auf dem Wege der Bestechung erlangen wollte. Wir haben diese Summe zurückgewiesen als ein gekrönter König, der weder Recht noch Gnade für Geld verkaufen will. Nun was meint Ihr, müßte daraus folgen?«
»Des Herrn von Glenvarloch Freiheit und Wiederannahme zu Ew. Majestät Gnaden,« antwortete der Goldschmied.
»Das weiß ich!« sagte der König verdrießlich. »Ihr seid heute wie vernagelt. Ich meine, was der Kerl Moniplies dazu denken wird?«
»Ganz gewiß, daß Ew. Majestät ein überaus guter und gnädiger Herrscher ist,« antwortete Heriot.
»Wir müssen freilich gut und gnädig sein,« fuhr der König noch ärgerlicher fort, »da Wir Tölpel um Uns haben, die nicht verstehen, auf was Wir zielen, wofern Wir es nicht auf platt niederländisch aussprechen. Geht zu dem Jungen Moniplies, – versteht Ihr mich? – und sagt ihm, was Wir für Lord Glenvarloch, an welchem er so viel Antheil nimmt, aus freier Gnade gethan haben, obwohl Wir es auf das Anerbieten von heimlichem Vortheile verweigert hatten. Führt ihm dann weiter – in Eurem eigenen Namen – zu Gemüth, ob es schön oder pflichtmäßig von ihm gehandelt wäre, Uns um augenblickliche Zahlung der lausigen zwei- oder dreihundert Pfund zu quälen, für welche Wir genöthigt gewesen, Unsere Juwelen zu verpfänden. Gewiß, Mancher möchte denken, Ihr würdet als ein guter Bürger handeln, wenn Ihr es auf Euch nähmet, ihm die Zahlung zu verweigern, abgesehen er erlangt hat, was er für vollständige Befriedigung erklärte, und in Betracht, daß er augenscheinlich das Geld nicht dringend nöthig hat, was bei Uns sehr knapp ist.«
Georg Heriot seufzte innerlich: »O lieber Herr! ist es denn wirklich Deine Bestimmung, nie einem königlichen oder edlen Gefühle zu folgen, ohne es durch einen nachträglichen eigennützigen Gedanken zu besudeln?«
Der König bekümmerte sich nicht um Heriots Gedanken, sondern nahm ihn beim Kragen und sagte: »Ihr kennt jetzt meine Willensmeinung, Klingler. Fort mit Euch! Ihr seid ein kluger Mann; behandelt die Sache in Eurer Weise, aber vergesset nicht Unsere gegenwärtige Noth.« Der Goldschmied verbeugte sich und ging weg.
»Nun Kinder?« sprach der König zu den Zurückgebliebenen, »was seht Ihr Euch einander an? und was habt Ihr von Eurem lieben Papa und Gevatter zu verlangen?«
»Nichts weiter,« antwortete der Prinz von Wales, »als daß es Ew. Majestät gefallen wolle, zu befehlen, daß der Horchplatz neben dem Gefängnisse auf der Stelle vermauert wird. Die Seufzer eines Gefangenen sollten nicht als Beweise wider ihn vorgebracht werden.«
»Was? Meinen Löffel vermauern, Kindlein Karl? Je nun, es ist wahr, besser taub sein, als üble Nachreden hören. Laßt ihn denn meinetwegen ohne Verzug fest zumauern. Wirklich, der Rücken thut mir weh davon, daß ich eine ganze Stunde darin gehockt habe. – Und nun laßt Uns sehen, was die Köche für Uns gethan haben, die lieben Kinder.«