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Sechstes Kapitel.

Die Art von Durwards Erziehung hatte weder sein Herz bilden, noch sein sittliches Gefühl stärken können. Er war zur Jagd angehalten und gelehrt worden, den Krieg als einzige ernste Beschäftigung, zugleich aber auch für die größte Lebenspflicht zu halten und erlittenes Unrecht an jedem Feinde aufs grimmigste zu rächen.

Nichtsdestoweniger fühlte sich Quentin durch die Gleichgültigkeit verletzt, womit sein Oheim die Nachricht von der Ausrottung der ganzen Familie seines Schwagers aufgenommen hatte; auch konnte er nicht umhin, sich zu verwundern, daß ein so naher Anverwandter ihm nicht eine Unterstützung aus seinem Beutel anbot, die er doch ohne Meister Peters Freigebigkeit notgedrungen hätte in Anspruch nehmen müssen. Gleichwohl tat er seinem Oheim unrecht, daß dieser Mangel an Aufmerksamkeit auf seine wahrscheinlichen Bedürfnisse von wirklichem Geiz herrührte. Da er selbst in diesem Augenblicke des Geldes nicht benötigt war, war es Balafré auch nicht eingefallen, daß sich sein Neffe in dringender Verlegenheit befinden könne; denn er hielt außerdem einen nahen Verwandten zu sehr für einen Teil seiner selbst, als daß er nicht ebenso für das Wohl seines Neffen hätte Sorge tragen sollen, wie er es für das seiner verstorbenen Schwester ihres Gatten getan hatte. Allein, was auch immer der Beweggrund sein mochte, so war diese Vernachlässigung dem jungen Durward durchaus nicht angenehm, und er hegte mehr als einmal den Wunsch, in die Dienste des Herzogs von Burgund getreten zu sein, ehe es ihm an Gelegenheit gefehlt hatte, über Meister Peter mit Balafré zu sprechen, denn vielleicht hätte er doch nähere Auskunft über diesen Mann von ihm erhalten; allein bei dem Oheim hatte eine Frage die andere gejagt, und die Mahnung der großen Glocke von St. Martins hatte ihr Gespräch schnell abgebrochen. Er sagte sich, der alte Mann sei wohl finster und unfreundlich, scharf und spottend, aber doch edelmütig und freigebig gewesen, und ein altes, schottisches Sprichwort sagt: »Besser ein freundlicher Fremder, als ein fremder Blutsfreund!« – »Ich muß den Mann ausfindig machen,« dachte er bei sich selbst, »und das kann doch kein so schweres Unternehmen sein, wenn er so reich ist, wie mein Wirt ihn geschildert hat. Wenigstens wird er mir hinsichtlich meines fernern Verhaltens einen guten Rat erteilen können, und wenn er sich in fremde Länder begibt, wie's viele tun, so ist das, denk ich, ebenso gut ein Dienst, wobei etwas zu gewinnen ist, als bei König Ludwigs Leibwache.«

Während Quentin diesen Gedanken nachhing, begegneten ihm zwei Männer von würdigem Ansehen, allem Vermuten nach Bürger von Tours, vor denen er respektvoll die Mütze zog. Dann bat er sie, ihm doch Meister Peters Haus zu zeigen.

»Wessen Haus, lieber Sohn?« fragte der eine. – »Meister Peters Haus, des großen Seidenhändlers, der die Maulbeerbäume dort in den Park gepflanzt hat,« entgegnete Durward. – »Junger Mensch,« sagte der von den Fremdlingen, der ihm am nächsten stand, »Ihr habt Euer nichtsnutziges Gewerbe ein wenig zu früh angefangen.« – »Und Euch an die unrechten Leute gewendet, um Späße anzubringen!« versetzte der andere noch mürrischer. »Der Syndikus von Tours ist nicht gewohnt, sich von herumziehenden Spaßmachern aus fremden Ländern Nasen drehen zu lassen.«

Quentin war so erstaunt über das, was er hörte, daß er darüber vergaß, über die Unhöflichkeit der beiden Männer böse zu werden, und ihnen starr nachblickte, wie sie mit schnellen Schritten davon eilten, als wünschten sie, ihn so bald als möglich aus dem Gesichte zu verlieren.

Nicht lange danach begegnete er einem Trupp Winzer, und stellte die nämliche Frage an sie. Als Antwort wünschten sie zu wissen, ob er Meister Peter den Schulmeister, oder Meister Peter den Zimmermann, oder Meister Peter den Büttel, oder auch ein halbes Dutzend anderer »Meister Peter« meine. Als aber keiner von diesen allen der Beschreibung glich, die er von der Person, die er suchte, gab, beschuldigten ihn die Bauern, er wolle sich einen plumpen Spaß mit ihnen machen, und drohten ihn tüchtig durchzuprügeln. Indes sagte ihnen der älteste, der in einigem Ansehen bei den übrigen zu stehen schien, sie sollten sich aller Gewalttätigkeit lieber enthalten.

»Ihr könnt's ja an seinen Reden und an seiner Narrenkappe sehen, daß er einer von den fremden Marktschreiern ist, die jetzt ins Land kommen. Laßt ihn also in Ruhe seines Weges gehen. Ihr aber, Freund, wenn Ihr was Böses im Sinne habt, geht still und ruhig davon und behelligt uns nicht weiter mit Eurem Meister Peter; es ist am Ende doch wohl nur ein anderer Name für den Teufel!« Der Schotte sah ein, daß er hier offenbar die schwächere Partei war, und hielt es fürs klügste, still seinen Weg fortzusetzen.

Auf einer kleinen Anhöhe, die sich über dem reißenden Cher in der Richtung seines Weges erhob, bildeten ein paar Wallnußbäume eine schone Gruppe. Neben ihr standen ein paar Landleute, starr und bewegungslos, die Augen aufwärts gerichtet, dem Anschein nach auf einen unter den Zweigen befindlichen Gegenstand. Neugierig, wie ja die Jugend immer ist, eilte Quentin dorthin und sollte nun das schrecklichste Schauspiel mitansehen, das sich einem menschlichen Auge bieten kann. An einem der Baumäste hing der Körper eines Mannes, dessen Züge die Todesangst verzerrte.

»Warum schneidet Ihr denn den armen Kerl nicht ab?« rief der junge Schotte den Leuten zu; denn ebenso, wie er immer bereit war, seine Ehre zu behaupten, so ließ er sich auch nie nötigen, Menschen, die in Not waren, Beistand und Hilfe zu leisten. Einer von den Bauern sah ihn mit einem völlig entgeisterten Gesicht an, wies mit der Hand, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen, auf ein in der Baumrinde befindliches Zeichen, das mit einer Lilie eine gewisse Aehnlichkeit hatte, aber von verschiedenen unverständlichen Kritzeleien umzogen war. Durward, der weder dies Zeichen kannte, noch es zu entziffern verstand oder zu entziffern Lust hatte, kletterte auf den Baum, langte aus dem Gurte den jedem Hochländer unentbehrlichen »Skene Dhu« oder zweischneidigen Dolch, rief den Bauern zu, den Körper aufzufangen, und schnitt den Strick, an dem der Unglückliche hing, mit einem kräftigen Schnitt mitten entzwei. Aber die Bauern hatten wenig Sinn für menschliche Empfindung, die den jungen Schotten leitete. Statt Durward auch nur den geringsten Beistand zu leisten, ergriffen sie vielmehr, sichtlich entsetzt über diesen Eingriff des jungen Menschen in andre Rechte, das Hasenpanier, ohne sich weder um ihn, noch um den Körper, den er losgeschnitten hatte, und der nun vom Baume herunterfiel, zu kümmern. Aber Quentin, trotzdem er sah, daß infolge des Sturzes aus der nicht unbeträchtlichen Höhe der letzte Lebensfunke aus dem Körper des Gehenkten gewichen war, gab seinen humanen Vorsatz, demselben zu helfen, nicht auf, sondern löste die schreckliche Schlinge von seinem Halse, knöpfte ihm das Wams auf, bespritzte ihm das Gesicht mit Wasser und bot alles mögliche auf, ihn wieder ins Leben zurückzubringen. Da ertönte auf einmal ein wildes Stimmengewirr um ihn her in einer ihm völlig unbekannten Mundart, und kaum hatte er die nötige Zeit gefunden, sich umzudrehen, als er sich ziemlich unsanft am Arme gepackt fühlte und ein Messer blitzen sah, das auf seine Brust gezückt wurde. »Elender Sklave von Eblis!« schrie ihm ein Mann zu, der von andern Männern, Weibern und Kindern umringt wurde, die alle wild durcheinander schrien, aber in einem gräßlichen Kauderwelsch, »willst Du den Menschen, den Du ermordet hast, auch noch berauben? Dafür sollst Du büßen!« Grimmige, verzerrte Gesichter starrten ihm entgegen, und von allen Seiten erhoben sich Messer gegen ihn. Aber den jungen Schotten verließ seine Geistesgegenwart nicht, und er wehrte sich die ihm zunächst Stehenden mit einem kräftigen Rucke vom Leibe! dann rief er: »Was wollt Ihr von mir, Leute? Wenn Ihr in dem Unglücklichen einen Kameraden oder Freund zu beklagen habt, so laßt Euch sagen, daß ich ihn eben vom Baume losgeschnitten habe, und gar nicht daran denke, mich an seinem bißchen Habe zu bereichern. Besser wär's, statt Euch an mir zu reiben, Ihr versuchtet, ihn wieder ins Leben zurückzurufen. Wären die Bauern nicht so erbärmlich weggelaufen, so hätte der arme Kerl wohl noch ein bißchen Leben in sich; aber durch den Sturz scheint ihm das letzte davon abhanden gekommen zu sein,«

Inzwischen hatten sich die Weiber über den Leib des Unglücklichen hergemacht und alles mögliche versucht, wieder Leben in ihn zu bringen; aber mit ebenso geringem Erfolge, wie vor ihnen Durward. Auch sie sahen das Vergebliche ihrer Bemühungen ein, erhoben nach orientalischer Sitte ein klägliches Geschrei und rauften sich die langen Haare, während die Männer ihre Kleider zerrissen und Straßenstaub auf ihr Haupt zu schütten anfingen. Jetzt erst betrachtete Durward sich die Gestalten genauer, denn es befaßte sich keiner von den seltsamen Menschen mehr mit ihm, nachdem sie sich durch die Umstände ohne Zweifel von seiner Unschuld sattsam überzeugt hatten. Es wäre nun freilich für Durward das gescheiteste gewesen, sich nicht weiter um den wilden Haufen zu bekümmern, sondern stumm und still seiner Wege zu gehen; aber er war nun einmal daran gewöhnt, Gefahren ohne Rücksicht auf die Folgen zu trotzen, und auch von einiger Neugierde befallen, was wohl hinter diesen merkwürdigen Menschen stecken möchte, die so krause schwarze Bärte hatten und von so dunkelbrauner Hautfarbe waren, daß sie ganz aussahen wie Afrikaner. Ein paar von ihnen, augenscheinlich die Anführer der Horde, trugen seltsamen Zierat um den Hals: ganze Ketten von Silbermünzen, und ebenso in den Ohren, dazu gelbe, hellgrüne und scharlachrote Schärpen um den Leib. Außer den langen Messern, mit denen sie ihn eben bedroht hatten, bemerkte Quentin keinerlei Waffen bei ihnen, bloß einer von ihnen trug eine Art Krummsäbel oder Maurenschwert an der Seite, an das er des öftern die Hand legte; dabei überbot er die andern an Ausbrüchen von schmerzlichem Geheul, wie von Drohungen, durch die er die andern zur Rache anfeuern zu wollen schien.

Plötzlich ertönte von der andern Seite her Pferdegetrappel, und die Leute, in denen Quentin Sarazenen zu erblicken meinte, sahen sich, eben als sie den Leichnam ihres toten Kameraden auf die Schultern heben wollten, von einer Reiterschar angegriffen. Auf der Stelle ließen sie den Leichnam wieder fallen, ihre Klagen wandelten sich in Ausrufe wilden Schreckens, und die meisten von ihnen wandten sich kurz entschlossen zur Flucht, ohne sich an die gegen sie gerichteten Lanzen zu kehren. Bis auf zwei gelang es ihnen auch, sich durch die Reiter hindurch zu schlagen! und von diesen beiden, die in die Hände der Reiter fielen, war einer derjenige, der vorhin mit dem Krummsäbel so wild hantiert hatte. Der nächste, der von den Reitern ergriffen und ungeachtet allen Einspruchs gebunden wurde, war Quentin Durward. An der Gewandtheit, mit der sich die Soldaten dieser Verrichtung entledigten, ließ sich erkennen, daß sie keineswegs Neulinge in dieser Polizeitätigkeit waren. Quentin, der sich bestürzt nach dem Anführer der Reiterschar umsah, wußte nicht, ob er sich freuen oder sorgen sollte, als er in ihm den Gefährten Meister Peters erkannte, der den Blick immer zur Erde gerichtet hielt. Welches Verbrechens nun aber diese Fremdlinge beschuldigt sein mochten, so mußte dieser Beamte doch aus der Geschichte des Morgens wissen, daß Durward in keinerlei Verbindung mit ihnen stehen konnte; allein schwieriger war die Antwort auf die andere Frage, ob dieser finstre Mann für ihn ein günstiger Richter oder williger Zeuge sein werde, und ob er seine Lage verbessern möchte, wenn er sich geradezu an ihn wendete.

Aber es blieb wenig Zeit zum Nachdenken übrig. »Trois-Echelles und Petit-André!« sagte der Mann mit dem zu Boden gesenkten Blick zu zweien seiner Truppe; »die Bäume hier stehen gerade recht bequem. Ich will dies ungläubige, diebische Gesindel lehren, mit des Königs Gerechtigkeit zu spaßen, wenn sie einen von der verruchten Rasse erwischt hat. – Steigt ab, Kinder, und tut ohne weiteres Eure Schuldigkeit!«

Trois-Echelles und Petit-André standen augenblicklich auf den Füßen, und Quentin bemerkte, daß jeder von ihnen am Schwanzriemen und Sattelknopf seines Pferdes ein Bund Stricke befestigt hatte, die sie schleunigst ablösten und zu der verhängnisvollen Schleife knüpften, die dann für solche, die gehenkt werden sollen, den letzten Halsschmuck bildet. Eiskalt rann das Blut durch Quentins Adern, als er sah, daß man drei Stricke auswählte, offenbar in der Absicht, einen davon um seinen Hals zu schlingen. Er erinnerte den Mann mit lauter Stimme an ihr Zusammentreffen am Morgen, machte sein Recht als freigeborner Schotte in befreundetem Lande geltend, und behauptete, daß er weder die Personen kenne, in deren Gesellschaft er gefangen worden, noch wisse, was sie eigentlich verbrochen hätten.

Der Mann würdigte ihn aber kaum eines Blicks, sondern wandte sich ohne weiteres zu ein paar Bauern, die jetzt zum Vorschein kamen, entweder um gegen die Gefangenen auszusagen oder aus Neugier; und er fragte kurz: »War der junge Mensch da bei den Vagabunden?« – »Allerdings war er dabei, Sir,« antwortete einer der Bauern, »und mit Ew. Edlen des Herrn Generalprofoß Erlaubnis, wie wir schon gesagt haben, er war der erste, der den Schurken abschnitt, den Se. Majestät Gerechtigkeit verdientermaßen hatte aufknüpfen lassen.« – »Ich kann's bei Gott und dem heiligen Martin von Tours beschwören,« sagte ein anderer, »daß ich ihn mit ihnen gehen sah, als sie unsere Meierei plünderten.« – »Ja, aber der Heide war doch schwarz, Vater!« sagte ein Knabe, »und der hier ist weiß; der hatte ganz kurzes, krauses Haar und der hier hat schöne, lange Haare.« – »Das ist wohl wahr, Junge,« versetzte ein Bauer; »jener hatte auch einen grünen Mantel, und dieser hat ein graues Wams. Aber Ew. Edlen der Herr Profoß wissen ja selbst, daß diese Halunken ihr Gesicht wechseln können wie ihre Jacke, so daß ich doch immer noch der Meinung bin, es sei derselbe,« – »Es genügt,« sagte der Mann mit dem zu Boden gesenkten Blick, »daß Ihr gesehen habt, wie er sich bemüht hat, einen gerichteten Verbrecher ins Leben zurückzurufen. Trois-Echelles und Petit-André, macht Euch fertig!« – »Haltet ein, Herr Offizier!« rief der Jüngling in Todesangst; »hört mich an und laßt mich nicht schuldlos sterben! Mein Blut wird von Euch gefordert werden durch meine Landsleute in dieser Welt und durch die Gerechtigkeit des Himmels in der künftigen!« – »Ich werde meine Handlungen hier und dort zu verantworten wissen!« sagte der Profoß kaltblütig, indem er mit der linken Hand den Scharfrichtern ein Zeichen gab. Dann zeigte er mit boshaftem Lächeln auf seinen rechten Arm, den er in einer Binde trug, wahrscheinlich infolge des Schlages, den er am Morgen von Durward erhalten hatte. – »Elender, rachsüchtiger Bube!« rief Quentin, nunmehr überzeugt, daß er von ihm kein Mitleid zu erwarten habe. – »Der arme Junge ist nicht bei Sinnen!« sagte der Profoß: »sprich ihm doch ein tröstliches Wort zu, Trois-Echelles, ehe sein Hintritt erfolgt. Du stellst ja in dergleichen Fällen Deinen Mann, wenn es an einem Beichtvater fehlt. Nur eine Minute erteil ihm geistlichen Rat und Zuspruch und dann fort mit ihm! Ich muß jetzt die Runde machen – Soldaten, folgt mir!«

Der Profoß eilte nun mit seiner Wache fort, ein paar Mann ausgenommen, die zurückgeblieben, um bei der Hinrichtung behilflich zu sein. Der unglückliche Jüngling sah ihm verzweifelt nach und glaubte mit jedem verhallenden Hufschall die Möglichkeit einer Rettung schwinden zu sehen. Er schaute sich voll Todesangst um und sah zu seinem großen Erstaunen, daß seine Mitgefangenen in stoischer Gleichgiltigkeit verharrten. Anfangs hatten sie sämtlich Furcht gezeigt und zu fliehen gesucht; nachdem sie aber allem Anschein nach dem unvermeidlichen Tode entgegengingen, erwarteten sie ihr Schicksal mit unerschütterlichem Gleichmut. Die beiden Scharfrichter hatten Quentin zu dem Baume geschleppt und legten ihm die Schlinge um den Hals. Mit verstörtem Blick sah er sich ringsum. »Gibt es denn keinen guten Christen hier,« sagte er, »der es dem Ludwig Lesley von der schottischen Leibwache, hier zu Lande Balafré genannt, hinterbringen möchte, daß man hier seinen Neffen schändlich umbringt?«

Diese Worte waren zur rechten Zeit gesprochen; denn ein Bogenschütze von der schottischen Garde, den die Zurüstungen zur Hinrichtung herbeigelockt hatten, stand mit ein paar anderen zufälligen Passanten da, um zu sehen, was hier geschähe. – »Nehmt Euch in acht!« sagte er; »ist der junge Mensch hier vielleicht ein Schotte von Geburt, so solltet Ihr nicht solchen schlechten Spaß mit ihm treiben!« – »Gott behüt uns, Herr Reiter!« versetzte Trois-Echelles; »aber wir müssen tun, was man uns befohlen hat!« – »Das kürzeste Spiel ist immer das beste!« sagte Petit-André und wollte Quentin aufheben. Der aber hatte die tröstlichen Worte kaum vernommen, als er seine ganze Kraft aufbot und die beiden Schergen des Gesetzes auf die Seite warf und mit gebundenen Händen dem schottischen Bogenschützen entgegenlief. – »Steh mir bei, Landsmann!« sagte er in seiner Muttersprache, »um Schottlands und des heiligen Andreas willen! Ich bin unschuldig – bin Dein Landsmann! Steh' mir bei, wenn Du es nicht dereinst am jüngsten Tag zu verantworten haben willst!« – »Beim heiligen Andreas!« rief der Bogenschütze; »sie sollen nicht an Dich kommen, so lang ich lebe!« Mit diesen Worten zog er sein Schwert. – »Mach mich von den Stricken frei!« sagte Quentin, »und ich will mir schon allein helfen.«

Das war schnell geschehen, und Quentin sprang auf einen von der Wache des Profoßen los und entriß ihm die Hellebarde ... »Und nun,« rief er, »kommt heran, wenn Ihr es wagt!« – »Reite Du dem Generalprofoß nach!« sagte Trois-Echelles zu seinem Gefährten, »ich will sie einstweilen hier aufhalten. Soldaten von der Wache des Profoßen! Ergreift die Waffen!«

Petit-André bestieg sein Pferd und verließ den Schauplatz. Die übrigen Leute von dem Gefolge des Profoßen zogen sich auf Trois-Echelles Befehl eilig zusammen; bei der daraus entstandenen Verwirrung entschlüpften die beiden Gefangenen.

»Sagt mir doch,« wandte sich der Bogenschütze an den Scharfrichter, »was hat der junge Mensch denn eigentlich verbrochen?« – »Er hat sich unterfangen, den toten Körper eines Verbrechers abzunehmen, trotzdem der Baum, an dem ich ihn aufgehängt hatte, mit der Lilie bezeichnet war.« – »Junger Mann?« sagte der Bogenschütze, »wie kommt Ihr dazu, solche Ungebühr zu verüben?« – »So wahr ich Euren Schutz wünsche,« antwortete Durward, »will ich Euch die Wahrheit sagen, wie meinem Beichtiger. Ich sah einen Mensch an dem Baume zappeln und schnitt ihn ab, aus bloßer Menschenliebe. Ich habt weder an die Lilie noch sonst eine Blume gedacht, oder gar, daß ich dadurch den König von Frankreich, oder unsern heiligen Vater, den Papst beleidigte.«

»Aber zum Henker, was ging Dich denn der tote Körper an? Wohin der Herr hier den aussetzt, dort wirst Du dergleichen immer wie Aepfel an den Bäumen hängen sehen, und Du hättest wahrscheinlich hier zu Lande viel zu tun, wenn Du hinter dem Henker eine Aehrenlese halten wolltest. – Ein Wort, Herr Gerichtsmann! Es ist ein Mißverständnis, wie Ihr seht. Ihr solltet Mitleid haben mit einem so jungen Reisenden. In unsrem Lande, zu Hause, ist er nicht gewohnt gewesen, dergleichen schnelle Prozeduren, wie die Euren und die Eures Meisters sind, zu sehen.« – »Weil sie dort etwa nicht nötig wären? Nein! Herr Bogenschütze!« sagte Petit-André, der in diesem Augenblicke zurückkehrte. »Nicht gewankt, Trois-Echelles! Da kommt der Generalprofoß. Wir werden's gleich sehen, wie er's anfangen wird, daß ihm das Werk aus der Hand genommen worden, eh' es noch vollendet war.« – »Da kommen ja auch noch zu gelegener Zeit ein paar von meinen Kameraden!« versetzte der Bogenschütze. Wirklich nahten, als der Profoß Tristan mit seiner Patrouille auf der einen Seite des Hügels, der der Schauplatz des Streits war, heraustritt, vier oder fünf Bogenschützen auf der andern mit Balafré an ihrer Spitze.

In dieser dringlichen Lage zeigte Lesley keineswegs Gleichgültigkeit gegen seinen Neffen; denn kaum hatte er bemerkt, daß derselbe in peinlicher Not war, als er rief: »Cunningham, ich danke Dir! Kameraden! Steht mir bei! Es ist ein junger schottischer Edelmann, mein Neffe – Lindesay! Guthrie! Tyrie! Zieht und haut ein!« Nun war alle Aussicht zu einem verzweifelten Kampfe zwischen beiden Parteien da, die zwar an Zahl nicht gleich waren; allein die besseren Waffen der Schotten konnten ihnen doch vielleicht zum Siege verhelfen. Aber der Generalprofoß, entweder weil er den Ausgang des Gefechts fürchtete, oder weil er sorgte, es möchte dem König unangenehm sein, daß es zwischen seinem Profoßen und seiner Leibgarde zu Blutvergießen gekommen, gab seinem Gefolge ein Zeichen, keine Gewalt zu gebrauchen, stellte aber Balafré die Frage, was denn er, als ein Ritter von der königlichen Leibwache damit bezwecke, sich der Hinrichtung eines Verbrechers zu widersetzen? – »Ich leugne, daß dem so ist!« versetzte Balafré. »Beim heiligen Martin! es ist doch ein Unterschied zwischen der Hinrichtung eines Verbrechers und der Ermordung meines eigenen Neffen!« – »Euer Neffe kann ebensogut ein Verbrecher sein, wie jeder andere!« sagte der Generalprofoß; »und jeder Fremde ist den Gesetzen Frankreichs unterworfen.« – »Ja, aber wir haben Privilegien, wir schottischen Bogenschützen,« sagte Balafré; »ist dem nicht so, Kameraden?« – »Allerdings, allerdings!« riefen alle zugleich. »Privilegien – Privilegien! Lang lebe der König Ludwig! Und Tod allen, die uns unsere Vorrechte schmälern wollen!« – »Aber seid doch nur vernünftig, Ihr Herren!« sagte der Generalprofoß; »und bedenkt meinen Auftrag!« – »Von Euch nehmen wir keine Vernunft an!« entgegnete Cunningham, »unsere eigenen Offiziere sollen uns Vernunft lehren. Wir wollen gerichtet sein von des Königs Gnaden, oder durch unsern eigenen Kapitän, da jetzt der Großkonnetable nicht zugegen ist.« »Und von niemand gehängt werden,« sagte Lindesay, »als von Sandie Wilson, dem alten Profoß von unserm eigenen Korps.« – »Aber so hört doch nur!« sagte der Generalprofoß: »der junge Mensch tat ja Euch gar nichts an und kann keine Ansprüche machen auf das, was Ihr Eure Privilegien nennt.« – »Er ist mein Neffe,« sagte Balafré mit triumphierender Miene. – »Aber soviel ich weiß, kein Bogenschütze von der Leibwache,« versetzte Tristan l'Hermite.

Die Bogenschützen sahen zweifelhaft einander an ... »Nur standhaft, Vetter,« flüsterte Cunningham Balafré zu, »sprich, er sei bei uns angeworben.« – »Beim heiligen Martin! Du hast recht, Vetter!« entgegnete Lesley, und mit lauter Stimme schwur er nun, daß er diesen Tag seinen Verwandten als Gefolgsmann angenommen habe.

Diese Erklärung war ein entscheidender Beweisgrund, und Profoß Tristan, der des Königs Besorgnis vor einem Zwiste unter seiner Leibwache kannte, brach mit seinen Leuten auf, indes die Bogenschützen zurückblieben und eilig beratschlagten, was nun zunächst zu tun sei. »Vor allen Dingen,« hieß es, »müssen wir die Sache unserm Kapitän Crawford berichten und dann den Namen des jungen Menschen in unsere Liste eintragen lassen.«

»Aber, werte Freunde und Retter,« sagte Quentin, wie wenn er nicht recht mit der Sprache herauswollte, »ich habe mich ja noch gar nicht entschieden, ob ich bei Euch überhaupt in Dienste treten will oder nicht.« – »Dann mußt Du darüber eins werden, ob Du's tun oder hängen willst,« versetzte sein Oheim; »denn sonst, lieber Neffe, bleibt Dir wohl kaum ein Ausweg aus dieser Klemme übrig.«

Das war ein unwiderleglicher Beweisgrund, der Quentin in die Notwendigkeit versetzte, sich in eine Verpflichtung zu fügen, in die er sonst nicht gern gewilligt hätte.

»Jetzt zum Schlosse!« sagte Balafré; »unterwegs soll uns mein Neffe erzählen, wie er sich den Generalprofoß auf den Hals gehetzt hat, damit wir wissen, wie wir unsern Bericht an Crawford einzurichten haben.«


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