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Wie Ludwig, so hatte, nur in noch höherem Grade, auch Karl von Burgund, denn er besaß durchaus nicht die gleiche Herrschaft über seine Leidenschaften, die Nacht in Angst und Unruhe verbracht. Nach der Sitte der Zeit brachten zwei seiner vornehmsten Räte, Hymbercourt und Argenton, die Nacht im Zimmer des Fürsten zu, auf Lagerstätten, die dicht am Bett ihres Gebieters für sie bereitet waren. Ihre Gegenwart war auch nie notwendiger als in dieser Nacht, wo des Herzogs Gemüt, zerrissen von Kummer, Leidenschaft, Begierde nach Rache und Ehrgefühl, einem Vulkan in seinem Ausbruche glich, der die verschiedenen Stoffe, die der Berg in sich verschließt, in eine Masse verschmolzen, auswirft.
Er mochte sich weder auskleiden noch zu Bett legen, sondern brachte die Nacht in leidenschaftlichster Erregtheit zu. In Anfällen von Wut sprach er unaufhörlich und so verworren und schnell, daß die beiden Adelinge befürchteten, er möchte den Verstand verlieren; er sprach von den Verdiensten und der Herzensgüte des ermordeten Bischofs von Lüttich, und rief sich dabei alle die Beweise wechselseitiger Freundschaft, Zuneigung und Vertraulichkeit ins Gedächtnis, bis sich endlich sein Schmerz so gesteigert hatte, daß er sich mit dem Gesicht aufs Bett warf; dann sprang er auf, schritt in dem Zimmer auf und ab, stieß unzusammenhängende Drohungen aus und verschwor sich beim heiligen Andreas und wen er sonst noch für heilig hielt, daß er blutige Rache an dem von der Mark, dem Volke von Lüttich und an demjenigen nehmen werde, der der Urheber des Ganzen sei.
In anderen Augenblicken, wenn seine Wut erschöpft war, saß er unbeweglich mit starrer, düsterer Miene da, als wenn er über einer verzweifelten Tat brüte, zu der er sich aber noch nicht entschließen könne. Unstreitig hätte es nur eines hinterlistigen Winkes von seiten eines seiner Räte bedurft, um ihn zu einem verzweifelten Schritte zu vermögen. Allein die Edeln Burgunds stimmten aus Ehrfurcht gegen die geheiligte Person des Königs, ihres Oberlehnsherrn, und aus Achtung für Treue und Glauben, sowie für die Ehre ihres Herzogs, die auf dem Spiele stand, weil Ludwig im Vertrauen darauf sich in seine Gewalt begeben hatte, einmütig für mildere Maßregeln.
Am dritten Tage langte Graf Campobasso an, und es war sehr gut für Ludwig, daß dieser rachsüchtige Italiener nicht schon da war, als der Herzog noch in seiner ersten Wut war. Unmittelbar nach seiner Ankunft wurden die Räte zu einer Sitzung berufen, um über die zu ergreifenden Maßregeln zu beraten.
Campobasso gab seine Meinung in Form der Fabel vom Wanderer, der Otter und dem Fuchse ab. Er erinnerte den Herzog an den Rat, den Reinecke dem Manne gab, seinen tödlichen Feind, der durch Zufall in seine Gewalt geraten, zu zertreten. Argenton beeilte sich geltend zu machen, daß Ludwig an der zu Schönwald verübten blutigen Tat unbeteiligt sein könnte, daß er sich von der Anschuldigung reinigen könnte, daß er für die Unbilden, die der Herzog auf sein Anstiften in seiner und seiner Verbündeten Besatzung erlitten habe, Genugtuung geben könnte. Er äußerte ferner, daß eine an dem König verübte Gewalttat unfehlbar für Frankreich und Burgund die unglücklichsten Folgen haben müßte, worunter nicht die letzte wäre, daß die Engländer die Erschütterungen und bürgerlichen Zwistigkeiten, die sich notwendig ergeben müßten, wahrnehmen würden, sich wieder in den Besitz der Normandie und Guyennes zu setzen und alle die furchtbaren Kriege zu erneuern, die mit Mühe und einzig nur durch die Vereinigung von Frankreich und Burgund gegen den gemeinschaftlichen Feind beendigt worden seien.
Der Herzog hörte diese Vernunftgründe mit gesenkten Blicken an, seine Augenbrauen zogen sich so fest zusammen, daß sie zu einer buschigen Masse wurden. Als aber Crevecoeur behauptete, er glaube nicht, daß Ludwig Teilnehmer oder auch nur Mitwisser der in Schönwald verübten Greueltat sei, erhob Karl sein Haupt, warf einen stolzen Blick auf seinen Rat und rief: »Habt auch Ihr, Crevecoeur, französisches Geld klimpern hören?« – »Mein gnädigster Herr,« entgegnete Crevecoeur, »meine Hand ist immer mit Stahl, selten mit Gold vertraut gewesen; und daß Ludwig die Unruhen in Flandern veranlaßt hat, steht so fest bei mir, daß ich ihn noch vor kurzem in Gegenwart von seinem ganzen Hofe des Treubruchs beschuldigte und ihn in Eurem Namen in die Schranken forderte. Allein ich glaube keineswegs, daß er die Ermordung des Erzbischofs gutgeheißen, denn ich weiß, daß sogar einer seiner Abgesandten förmlich sich dagegen erklärte, und könnte Euch den Mann zur Stelle schaffen, wenn es Ew. Gnaden gefällig ist.« – »Wir wollen Ludwig von Frankreich selbst sprechen,« erklärte der Herzog, »und selbst die Genugtuung namhaft machen, die wir erwarten und verlangen. Wird er als unschuldig an diesem Morde befunden, so wird die Buße für andere Unbilden leichter werden. Ist er aber schuldig, wer sollte dann nicht behaupten, daß ein Leben, der Buße in einem abgelegenen Kloster gewidmet, eine wohlverdiente und dabei gnädige Strafe sei? Wir wollen uns vormittags auf das Schloß begeben. Einige Artikel sollen aufgesetzt werden, die er annehmen muß, oder wehe seinem Haupte! Die Sitzung ist aufgehoben, und Ihr seid entlassen. Euer Zeuge, Crevecoeur, soll vor uns erscheinen.« Darauf stand er auf und verließ das Gemach.
»Ludwigs Sicherheit, und, was noch schlimmer ist, die Ehre Burgunds hängt an einem Haare,« sagte Hymbercourt zu Crevecoeur und Argenton. »Eile auf das Schloß, Argenton – Du kannst besser reden als Crevecoeur oder ich. Sage Ludwig, welch ein Sturm gegen ihn im Anzuge ist – er wird am besten zu steuern wissen. Hoffentlich sagt sein Leibgardist nichts aus, was ihm zum Schaden gereicht.« – »Der junge Mann,« sagte Crevecoeur, »scheint zwar keck, aber klüger und besonnener, als sich von seinen Jahren erwarten läßt. In allem, was er mir sagte, schonte er den Charakter des Königs, als des Herrn, dem er dient. Ich bin überzeugt, er wird in Gegenwart des Königs ebenso handeln. Ich muß fort, um ihn, wie auch die junge Gräfin von Croye, aufzusuchen.« – »Die Gräfin! Sagtet Ihr uns nicht, Ihr hättet sie in dem St. Brigittenkloster gelassen?« – »Ja, aber ich mußte sie,« sagte der Graf, »auf des Herzogs ausdrücklichen Befehl durch einen Eilboten hierher entbieten lassen; und man hat sie, da sie nicht anders reisen konnte, auf einer Sänfte hergebracht. Sie war äußerst bekümmert, sowohl wegen der Ungewißheit über das Schicksal ihrer Verwandten, der Gräfin Hameline, als auch über das, was ihr bevorsteht, da sie sich dem Schutze ihres Lehnsherrn, des Herzogs Karl, entzogen hat, der unter allen Leuten auf der Welt eine Beeinträchtigung seiner oberherrlichen Rechte am wenigsten nachsieht.«
Die Nachricht, daß sich die junge Gräfin in Karls Händen befinde, gab Ludwigs Betrachtungen einen neuen Dorn. Er besprach sich über die Gegenstände mit großem Ernst mit Herrn von Argenton, dessen Scharfsinn und politische Talente dem Könige weit mehr zusagten, als der offene, militärische Freisinn Crevecoeurs oder der Vasallenhochmut Hymbercourts.
Argenton, ein hellsehender Mann, fühlte sich durch den Beifall des scharfsinnigsten Fürsten in Europa geschmeichelt und konnte sein innerlichstes Wohlgefallen nicht so verbergen, daß nicht Ludwig den auf ihn gemachten Eindruck hätte wahrnehmen sollen ... »Einen solchen Diener wünscht' ich zu haben,« sagte Ludwig, »dann wäre ich nicht in dieser unglücklichen Lage.«
Argenton erwiderte, daß die Fähigkeiten, die er besitze, Sr. allerchristlichsten Majestät zu Diensten ständen, soweit er nicht seine Pflichttreue gegen den Herzog Karl von Burgund, seinen rechtmäßigen Herrn, dadurch verletze.
»Und ich sollte der Mann sein, der Euch von dieser Pflicht verlockt?« sprach Ludwig pathetisch. »Droht mir nicht eben jetzt Gefahr, weil ich zu großes Vertrauen auf meinen Vasallen gesetzt habe? Nein, Philipp von Comines, fahrt fort, Karl von Burgund zu dienen, und am besten tun werdet Ihr es, wenn Ihr ihn zu einem billigen Vergleich mit Ludwig von Frankreich bewegt. Bewirkt Ihr dies, so leistet Ihr uns beiden einen Dienst, und einer wenigstens wird dafür dankbar sein. Ich bin ein schlichter Mann, Herr von Argenton, und ich bitte Euch, mir zu sagen, was erwartet Euer Herzog von mir?« – »Ich bin kein Ueberbringer von Vorschlägen, Sire,« sagte Comines; »der Herzog wird Euch bald seine Willensmeinung selbst eröffnen; indes fallen mir einige Punkte bei, die den Vorschlägen wohl zugrunde gelegt werden dürften. So zum Beispiel, die gänzliche Abtretung der Städte hier an der Somme.« – »Das erwartete ich,« versetzte Ludwig. – »Daß Ihr Euch lossagt von den Lüttichern und Wilhelm von der Mark.« – »Ebenso gern, als von der Hölle und dem Satan,« sagte Ludwig. – »Man wird hinlängliche Sicherheit durch Geißeln, Besetzung von Festungen oder auch andere Weise verlangen, damit Frankreich sich in Zukunft enthalte, unter den Flamändern Aufruhr und Empörung anzustiften.« – »Es ist etwas neues,« antwortete der König, »daß ein Vasall von seinem Lehnsherrn Unterpfänder fordert; doch sei es drum. Ist das Verzeichnis Eurer Winke nun zu Ende?« – »Noch nicht ganz,« antwortete der Ratgeber; »es wird auf jeden Fall gefordert, daß Ew. Majestät dem Herzog von Bretagne, wie dies erst kürzlich geschah, nicht länger beschwerlich falle und ihm nicht länger das Recht streitig mache, das ihm, wie allen großen Lehensträgern, zusteht, Münzen zu schlagen und sich Herzog und Fürst von Gottes Gnaden zu nennen.« – »Mit einem Wort, Könige aus meinem Vasallen zu machen! Wollt Ihr, Herr Philipp, daß ich ein Brudermörder werden soll? – Ihr erinnert Euch wohl noch meines Bruders Karl – kaum war er Herzog von Guyenne, als er starb. Was bleibt den Nachkommen Karls des Großen übrig, wenn sie diese reichen Provinzen weggegeben haben, als sich zu Rheims mit Oel salben zu lassen und unter einem Thronhimmel ihr Mittagsmahl einzunehmen?« – »Wir wollen Ew. Majestät Besorgnis hierüber mindern, indem wir Euch einen Genossen bei dieser einsamen Erhöhung geben,« sprach Philipp von Comines. »Obgleich der Herzog von Burgund jetzt noch nicht auf den Titel eines unabhängigen Königs Anspruch macht, so wünscht er dennoch, für die Zukunft von den herabwürdigenden Zeichen der Unterwürfigkeit gegen die Krone Frankreichs befreit zu sein.« – »Und wie kann der Herzog von Burgund, laut seinem Eide Vasall Frankreichs,« rief der König in ungewöhnlicher Gemütsbewegung aufspringend – »seinem Oberherrn Bedingungen vorzuschlagen wagen, die nach allen Gesetzen in Europa die Verwirkung seines Lehens zur Folge haben müssen?«
»Die Strafe der Verwirkung möchte im vorliegenden Falle schwer vollstreckbar sein,« antwortete Argenton ruhig; »denn Ew. Majestät weiß, daß die buchstäbliche Auslegung des Lehensrechtes, selbst im heiligen römischen Reiche, außer Brauch zu kommen anfängt, und daß Lehnsherr und Vasall ihre Lage gegenseitig zu verbessern suchen, sowie sich Macht und Gelegenheit dazu bieten. Ew. Majestät Verbindungen mit des Herzogs Vasallen in Flandern werden das Verhalten meines Herrn entschuldigen, wenn er darauf bestehen sollte, daß durch Erweiterung seiner Unabhängigkeit Frankreich für die Zukunft eines jeden Vorwands, sich auf gleiche Weise gegen ihn zu verhalten, überhoben werde.« – »Argenton!« rief Ludwig aus, indem er abermals aufstand und gedankenvoll im Zimmer auf und ab schritt, »Ihr haltet mir eine furchtbare Vorlesung über den Text: Wehe den Besiegten! Es kann doch wohl nicht Eure Meinung sein, daß der Herzog auf allen diesen harten Bedingungen bestehen sollte?« – »Wenigstens wünschte ich, Ew. Majestät hielte sich bereit, solche sämtlich zu erörtern.« – »Aber Mäßigung, Argenton, Mäßigung im Glück, ist – niemand weiß es besser, als Ihr – notwendig, um alle Vorteile sich zu sichern.« – »Mit Ew. Majestät Erlaubnis, das Verdienst der Mäßigung wird, wie ich schon oft zu bemerken Gelegenheit hatte, stets am meisten von dem verlierenden Teile hervorgehoben. Der gewinnende Teil achtet die Klugheit höher, die ihn auffordert, keine Gelegenheit unbenützt zu lassen.« – »Nun, wir wollen's überlegen,« erwiderte der König; »aber nun bist Du doch wohl mit Deines Herzogs unvernünftigen Forderungen zu Ende? Es kann nichts mehr übrig sein – oder wenn es der Fall ist, wie ich in Deinen Blicken lese – was ist es – was kann es sein – wenn es nicht meine Krone ist, die, wenn ich alle diese Forderungen bewilligte, all ihren Glanz verlöre?« – »Was ich Euch, Sire, noch sagen wollte,« versetzte Argenton, »steht zum Teil – und zwar zum größten Teil – in des Herzogs eigener Macht, allein er wünscht doch, Ew. Majestät Einwilligung dafür zu haben, denn es geht Euch in Wahrheit sehr nahe an.«
»Was ist es? Sprecht, Herr Philipp,« rief der König voll Ungeduld, »welche Schmach hat er mir noch zugedacht?« – »Keine Schmach, Sire; aber da Ew. Majestät Vetter, der erlauchte Herzog von Orleans ...« – »Ha!« rief der König; aber Argenton fuhr fort, ohne sich unterbrechen zu lassen – – »seine Neigung der jungen Gräfin, Isabelle von Croye, zugewandt hat, so erwartet der Herzog, Ew. Majestät werde von Ihrer Seite sowie er von der seinigen, die Einwilligung zu dieser Verbindung geben und das edle Paar mit einer solchen Apanage ausstatten, die, verbunden mit den Gütern der Gräfin, einem Sohne Frankreichs ein anständiges Auskommen zusichert.« – »Nimmermehr,« rief der König mit einer Heftigkeit, die er nur mit Mühe bisher unterdrückt hatte, und indem er mit großen Schritten und mit einer Hast im Zimmer auf und ab ging, die den grellsten Kontrast zu seiner sonstigen Selbstbeherrschung bildete; »laßt das Kloster oder das Grab vor mir sich auftun – laßt sie glühende Eisen bringen, um mir die Augen auszubrennen – Beil oder Schierling – was man will – aber Orleans soll nie meiner Tochter die geschworene Treue brechen, oder eine andere heiraten, solange sie am Leben ist.« – »Ew. Majestät wird aber,« versetzte Argenton, »bevor Ihr Euch so bestimmt gegen diesen Vorschlag erklärt, bedenken, daß es nicht in Eurer Macht steht, es zu verhindern. Jeder weise Mann wird, wenn er ein Felsstück weichen sieht, von dem fruchtlosen Versuch abstehen, den Sturz desselben verhindern zu wollen.« – »Aber ein tapferer Mann,« entgegnete Ludwig, »wird wenigstens sich unter ihm begraben. – Argenton, betrachte den großen Verlust – den gänzlichen Untergang, dem eine solche Heirat mein Reich entgegenführen muß. Bedenke, daß ich nur einen einzigen schwächlichen Knaben habe, und daß dieser Orleans der nächste Erbe ist. Erwäge, daß die Kirche in seine Verbindung mit Johanna gewilligt hat, wodurch das Interesse beider Zweige meiner Familie so glücklich vereinigt wird – bedenke alles dies, und rechne dazu, wie diese Verbindung der Lieblingsplan meines ganzen Lebens gewesen ist – wie ich darauf gesonnen, dafür gewacht, gefochten, gebetet – ja gesündigt habe! Philipp von Comines, ich will, ich kann ihn nicht aufgeben! Bedenke, Mann, bedenke! Erbarme Dich meiner in dieser Not – Dein erfindungsreicher Kopf wird gewiß bald irgend ein Ersatzmittel für dieses Opfer ersonnen haben. Habt Mitleid mit mir, Philipp! Ihr wenigstens solltet wissen, daß für den, der mit Ueberlegung in die Zukunft blickt, die Vereitlung eines Plans, über dem er lange gebrütet, um den er sich lange abgemüht hat, unaussprechlich bitterer ist als der Kummer gewöhnlicher Menschen, die ihre Befriedigung in irgend einer vorübergehenden Leidenschaft finden.« – »Mein Herr und König!« erwiderte Argenton, »ich nehme Anteil an Eurem Schmerz, insoweit die Pflicht gegen meinen Gebieter –« – »Erwähnt ihn nicht!« sagte Ludwig, wirklich oder scheinbar einem unwiderstehlichen Antriebe weichend, der seine gewöhnliche Vorsicht bemeisterte. »Karl von Burgund ist Eurer Anhänglichkeit nicht wert. – Hat er nicht seine Räte beschimpft und geschlagen – hat er nicht dem weisesten oder treuesten unter ihnen den schimpflichen Beinamen »Stiefelkopf« gegeben?«
Philipp von Comines hatte, trotz seiner großen Klugheit, doch einen hohen Begriff von persönlicher Wichtigkeit und war über die Worte, die dem Könige gleichsam in der Hitze der Leidenschaft entschlüpft waren, so betroffen, daß er nur das Wort »Stiefelkopf!« wiederholen konnte. – »Es ist unmöglich,« sagte er endlich, »daß mein Herr, der Herzog, einen Diener so genannt haben kann, der ihm, seitdem er ein Roß besteigen lernte, immer zur Seite war – und zwar in Gegenwart eines fremden Monarchen? – Nein, das kann nicht sein, kann unmöglich sein!«
Ludwig bemerkte augenblicklich den Eindruck, den er bewirkt hatte, und erwiderte einfach, aber mit Würde: »Mein Unglück läßt mich all meiner Höflichkeit vergessen; denn sonst hätte ich eine Aeußerung nicht getan, die Euch unangenehm zu hören ist. Aber Ihr habt mir in Eurer Antwort Schuld gegeben, ich hätte Dinge gesprochen, die nicht möglich seien; und das greift meine Ehre an. Wenn ich Euch nicht die Umstände erzählen wollte, unter denen dieses beleidigende Wort gefallen ist, so bliebe dieser Vorwurf auf mir sitzen. Die Sache trug sich folgendermaßen zu. Ihr wart auf einer Jagdpartie mit Eurem Herrn, dem Herzog von Burgund, und als er vom Pferde gestiegen, verlangte er, Ihr solltet ihm die Stiefel ausziehen. Da er in Euern Blicken Empfindlichkeit über diese herabwürdigende Zumutung gelesen haben mochte, erwies er Euch denselben Dienst, den er von Euch empfangen hatte. Aber beleidigt darüber, daß Ihr ihn so wörtlich verstanden hattet, hatte er Euch kaum einen Stiefel ausgezogen, als er ihn Euch zornig um den Kopf schlug, bis das Blut herabfloß, und dabei Euch unverschämt schalt, daß Ihr als Untertan die Anmaßung hattet, einen solchen Dienst von der Hand Eures Gebieters anzunehmen; seitdem pflegte er und sein privilegierter Narr, le Glorieux, Euch den abgeschmackten Beinamen Stiefelkopf zu geben, der nun einer der gewöhnlichsten Späße geworden ist.«
Während Ludwig so sprach, hatte er den doppelten Genuß, nicht nur denjenigen, zu dem er sprach, auf das empfindlichste zu verwunden, was ihm immer Vergnügen machte, auch wenn er nicht, wie im vorliegenden Falle, die Entschuldigung hatte, daß er bloß ein Vergeltungsrecht übe – sondern auch den, daß er in Argentons Charakter einen verwundbaren Punkt gefunden hatte, der ihn allmählich dahin bringen konnte, das Interesse Burgunds aufzugeben und sich für das von Frankreich zu entscheiden. Allein obgleich der tiefe Unwille, den der beleidigte Hofmann gegen seinen Gebieter faßte, ihn in der Folge wirklich bewog, Karls Dienste mit denen König Ludwigs zu vertauschen, begnügte er sich doch für jetzt damit, einige Winke über seine freundlichen Gesinnungen gegen Frankreich fallen zu lassen, von denen er wohl wußte, daß der König sie richtig deuten würde, und zwang sich, über die von Ludwig soeben erzählte Anekdote zu lachen. »Ich hätte nie gedacht, daß ein so unbedeutender Scherz dem Herzog solange im Gedächtnis bleiben würde, daß er ihn des Wiedererzählens für wert hielt,« erwiderte er nach einer Weile; »etwas Wahres ist ja an dieser Geschichte; und Ew. Majestät weiß, daß der Herzog einen derben Spaß liebt; allein er hat sie sehr aufgebauscht. Doch, lassen wir das!« – »Ja, lassen wir das!« sagte auch der König; »es wäre eine Schande, wenn wir uns länger dabei aufhalten sollten. Und jetzt, Herr Philipp, hoffe ich, seid Ihr französisch genug gesinnt, um mir in dieser schwierigen Lage nach Eurem besten Wissen zu raten. Ihr habt, wie ich wohl weiß, den Faden zu diesem Labyrinth, wenn Ihr ihn mir nur mitteilen wollt.« – »Ew. Majestät hat über meinen besten Rat und meine Dienste zu befehlen,« erwiderte Argenton; »unbeschadet jedoch der Pflichten, die ich gegen meinen Gebieter habe.«
Dies war so ziemlich dasselbe, was der Hofmann schon vorhin erklärt hatte; allein diesmal sprach er es in einem ganz andern Tone, so daß Ludwig, wenn er aus der ersten Erzählung abnehmen mußte, daß die vorbehaltene Treue gegen Burgund die einzige in Betracht kommende Rücksicht war, jetzt fand, daß er mehr Nachdruck auf den versprochenen Rat, als auf den Vorbehalt legte, der nur der Form und Schicklichkeit wegen beigefügt zu sein schien. Der König nahm seinen Sitz wieder ein und nötigte Argenton, Platz zu nehmen. In der Unterhaltung, die sich nun entspann, lieh Ludwig diesem Staatsmann mit einer Aufmerksamkeit sein Ohr, als ob seine Worte Orakelsprüche wären. Argenton sprach in dem leisen, eindringlichen Ton, der zugleich Aufrichtigkeit und große Vorsicht andeutet, dabei aber so langsam, als ob der König jedes einzelne Wort so abwägen und beachten solle, als habe es einen besondern und bestimmten Sinn.
»Das, was ich Ew. Majestät zur Erwägung vorgelegt habe, hat, so hart es in Euren Ohren tönen mochte, doch nur weit schlimmere Vorschläge verdrängt, die im Staatsrate des Herzogs zur Sprache gebracht wurden. Ich brauche wohl Ew. Majestät nicht in Erinnerung zu bringen, daß gerade die bösesten Ratschläge bei unserm Gebieter das geneigteste Gehör finden, der immer kurze, gefahrvolle Maßregeln mehr liebt als solche, die zwar sicherer, aber umständlicher sind.« – »Ja, ich erinnere mich,« versetzte der König, »daß ich ihn einst über einen Fluß mit Gefahr des Ertrinkens schwimmen sah, ob er gleich zweihundert Schritte davon über eine Brücke hätte reiten können.« – »Jawohl, Sire; und wer sein Leben an die augenblickliche Befriedigung einer ungestümen Leidenschaft setzt, der wird bei derselben Anregung die wesentliche Vermehrung seiner Macht nicht achten, wenn er nur seinen Willen durchsetzen kann.« – »Sehr wahr,« erwiderte der König; »ein Tor wird immer mehr nach dem Scheine als nach der Wirklichkeit des Ansehens haschen; ich weiß, daß alles dies bei Karl von Burgund zutrifft. Aber, Freund Argenton, was folgert Ihr aus diesen Vordersätzen?« – »Weiter nichts, gnädigster Herr,« antwortete Argenton, »als daß es klug sein möchte, wenn Ihr dem Herzog in denjenigen Stücken nachgebt, auf die er nach seinen Begriffen von Ehre und Rachgier erpicht ist.« – »Ich verstehe, Herr Philipp; aber an welchen von seinen trefflichen Stücken hängt Euer Herzog so, daß Widerspruch ihn nur aufbringen und unfügsam machen würde?« – »Ew. Majestät sollte, um meines vorigen Gleichnisses mich zu bedienen, auf der Hut sein und doch immer bereit, dem Herzoge, wenn er in einem Anfalle von Wut fortschießt, hinlänglich Schnur frei zu lassen. Sein Ungestüm ist schon bedeutend geschwächt und wird sich von selbst aufreiben, wenn er keinen Widerstand findet, und Ihr werdet bald sehen, daß er biegsamer und gefälliger wird.« – »Es müssen aber doch,« sagte der König nachsinnend, »unter den Vorschlägen, die mir mein Vetter macht, einige sein, die ihm vor andern am Herzen liegen. Wenn ich nur erst diese wüßte, Herr Philipp –« »Ew. Majestät kann die unbedeutendsten Forderungen in seinen Augen zu den wichtigsten machen, wenn Ihr Euch denselben widersetzt,« sagte Argenton; »doch kann ich, gnädigster Herr, soviel mit Gewißheit sagen, daß von irgend welchem Vertrag nicht im geringsten die Rede sein wird, wenn Ew. Majestät nicht Wilhelm von der Mark und die Lütticher aufgibt.« – »Ich habe bereits gesagt, daß ich mich von ihnen lossagen will,« sagte der König, »und sie haben es auch um mich verdient; die Schufte begannen ihren Aufruhr in einem Augenblicke, in welchem es mir leicht das Leben hätte kosten können.« – »Herzog Karl wird mehr als bloße Lossage verlangen; er wird auf Ew. Majestät Beistand zur Unterdrückung des Aufstandes und auf Eurer Gegenwart als Zeuge der über die Aufrührer verhängten Strafe bestehen.« – »Das wird sich schwerlich mit unserer Ehre vertragen, Argenton,« sagte der König. – »Es zu verweigern, wird sich aber kaum mit Ew. Majestät Sicherheit vertragen,« erwiderte Comines. »Karl ist entschlossen, dem Volke von Flandern zu zeigen, daß ihnen keine Hoffnung auf Beistand und Hilfe von seiten Frankreichs gegen den Zorn und die Rache Burgunds bleibt.« – »Aber, Argenton, um offen zu sprechen,« entgegnete der König, »sollten die Lütticher Schelme, wenn wir nur die Sache etwas aufschieben könnten, sich nicht gegen Herzog Karl halten können? Sie sind zahlreich und mutvoll.« – »Mit Hilfe der tausend französischen Bogenschützen, die Ew. Majestät ihnen versprach, hätten sie schon etwas ausrichten können: aber –« »Die ich ihnen versprochen?« fragte der König; »nein, guter Herr Philipp, Ihr tut mir wahrlich sehr unrecht.« – »Aber was können die Bürger ohne diese Unterstützung,« fuhr Argenton fort, ohne sich an die Worte zu kehren, »von einer Verteidigung ihrer Stadt erhoffen, in deren Mauern die großen Breschen, die Karl nach der Schlacht bei St. Trond gerissen, noch immer nicht ausgebessert sind, so daß die Lanzen von Hennegau, Brabant und Burgund zwanzig Mann hoch zum Angriffe anrücken können?«
»Die unvorsichtigen Dummköpfe!« rief der König – »wenn es ihnen so wenig um ihre eigene Sicherheit zu tun war, so verdienen sie auch meinen Schutz nicht. Fahrt fort – ich will mir ihretwegen keine Ungelegenheit machen.« – »Der nächste Punkt, fürchte ich, wird Ew. Majestät näher zu Herzen gehen,« sagte Comines. – »Ach!« rief der König, »Ihr meint die unselige Heirat! Ich werde nun und nimmermehr der Auflösung des Vertrages zwischen meiner Tochter Johanna und meinem Vetter Orleans meine Einwilligung geben; das hieße mir und meinen Nachkommen das Zepter von Frankreich aus den Händen winden; denn mein schwächlicher Knabe, der Dauphin, ist ein taube Blüte, die abfällt, ohne jemals Früchte zu tragen. Diese Verbindung zwischen Johanna und Orleans ist mein Gedanke bei Tag und mein Traum bei Nacht gewesen. Ich sage Dir, Argenton, ich kann sie nicht aufgeben! Ueberdies ist es unmenschlich, von mir zu verlangen, daß ich mit eigner Hand mein eigenes politisches Gebäude und zugleich das Lebensglück eines von Jugend auf füreinander erzogenen Paares zerstören soll.« – »Haben sie denn wirklich solche Zuneigung zueinander?« fragte Argenton. – »Von der einen Seite ist dies wenigstens der Fall,« versetzte der König, »und gerade von der Seite, die mir die meiste Sorge zur Pflicht macht. Aber Ihr lächelt, Herr Philipp – Ihr glaubt nicht an die Macht der Liebe.« – »Im Gegenteil,« sagte Argenton, »ich bin, mit Eurer Erlaubnis, in dieser Hinsicht so strenggläubig, daß ich Euch eben fragen wollte, ob Euch nicht die Versicherung, daß die Neigung der jungen Gräfin sich einem andern zugewandt habe, so daß es wahrscheinlich nie zu besagter Heirat kommen wird, bestimmen könnte, in die Vermählung des Herzogs von Orleans mit Isabelle von Croye zu willigen?«
König Ludwig seufzte. – »Ach, mein teurer Freund,« sprach er dann, »aus welchem Grabe habt Ihr solchen Trost für Tote geholt? – Ihre Neigung, ja freilich! – Wenn, in Wahrheit zu reden, Orleans auch meine Tochter Johanna verabscheute, so hätte er ohne dieses unselige Gewebe von Mißgeschick sie auf jeden Fall ehelichen müssen. Daraus könnt Ihr nun wahrnehmen, wie wenig Hoffnung vorhanden ist, daß dieses Jungferchen unter gleichem Zwange seine Hand ausschlagen wird, zumal er ein Sohn Frankreichs ist. – Nein, nein, Philipp! – es ist Wohl nicht zu besorgen, daß sie gegen die Bewerbungen eines solchen Freiers lange standhalten werde.«
»Ew. Majestät möchte im vorliegenden Falle den halsstarrigen Mut dieser jungen Gräfin doch zu gering anschlagen. Sie stammt aus einem eigenwilligen Geschlecht; und ich habe von Crevecoeur erfahren, daß sie eine romantische Neigung zu einem jungen Schildknappen hegt, der ihr allerdings auf der Reise manche Dienste geleistet hat.« – »Ha!« rief der König, »ein Bogenschütze meiner Garde, Quentin Durward?« – »Ich denke, ja!« sagte Argenton; »er wurde mit der Gräfin gefangen genommen, als er fast ganz allein mit ihr reiste.« – »Nun, gelobt sei Jesus Christ!« rief der König, »und Lob und Ehre dem gelehrten Galeotti, der in den Sternen las, daß dieses jungen Mannes Geschick mit dem meinigen verbunden sei! Ist das Mädchen ihm so zugetan, daß sie dadurch gegen Burgunds Willen sich widerspenstig zeigt, so ist dieser Quentin mir von großem Nutzen gewesen.« – »Nach dem, was mir Crevecoeur berichtet hat, ist allerdings einige Hoffnung vorhanden, daß sie auf ihrem Sinne beharren werde; überdies wird ohne Zweifel der edle Herzog ungeachtet der von Ew. Majestät geäußerten Vermutung schwerlich die Ansprüche auf die Hand seiner schönen Muhme, mit der er schon so lange verlobt ist, so bereitwillig aufgeben wollen.« – »Hm!« versetzte der König – »Ihr habt meine Tochter Johanna noch nie gesehen. – Eine Vogelscheuche, Mann! eine wahre Nachteule ist sie, deren ich mich schäme! Aber wenn er nur so klug ist, sie zu heiraten, so mag er meinetwegen sich bis über die Ohren in das schönste Kind in Frankreich verlieben. – Und nun, Philipp, habt Ihr Euch mit allen Falten des Gemüts Eures Gebieters vertraut gemacht?«
»Ich habe Ew, Majestät mit allem bekannt gemacht, worauf er zu bestehen jetzt willens ist. Allein Ew. Majestät weiß, daß des Herzogs Stimmung einem brausenden Gießbach gleichkommt, der nur dann in seinem Bette bleibt, wenn er keinen Widerstand findet; was aber noch sich zeigen könnte, ihn aufs neue in Wut zu bringen, läßt sich schwer berechnen. Würden sich noch nähere Beweise für Ew. Majestät Intriguen – verzeiht mir diesen Ausdruck, da jetzt so wenig Zeit für Zeremonien ist – mit den Lüttichern und Wilhelm von der Mark herausstellen, dann könnte es allerdings noch schlimmer werden. Es sind seltsame Nachrichten aus jener Gegend hier eingelaufen, – man erzählt sich, Wilhelm von der Mark habe Hameline, die ältere Gräfin von Croye, geheiratet.« – »Die alte Törin war ja so heiratslustig, daß sie des Satans Hand nicht ausgeschlagen hätte,« versetzte der König, »aber daß der von der Mark, so roh er auch ist, sie geheiratet haben sollte, würde mich noch mehr in Erstaunen setzen.« – »Ferner geht die Sage,« fuhr Comines fort, »daß ein Abgesandter oder Herold von seiten Wilhelms von der Mark unterwegs nach Peronne sei; – ein Umstand, der schon allein hinreichend wäre, den Herzog zur Raserei zu bringen – hoffentlich hat er nicht Briefe oder dergleichen von Ew. Majestät aufzuweisen?« – »Ich sollte an den wilden Eber schreiben?« antwortete der König. »Nein, nein, Herr Philipp, solcher Tor, Perlen vor die Schweine zu werfen, war ich nie; – mein geringer Verkehr mit dem wilden Tiere wurde durch Landstreicher und gemeines Gesindel gefühlt, deren Zeugnis nicht einmal bei einem Hühnerdiebstahl gelten möchte.« – »So kann ich denn Ew. Majestät nur noch empfehlen,« sagte Argenton, sich beurlaubend, »auf der Hut zu sein und vor allen Dingen Worte oder Beweise zu meiden, die mehr Eurer Würde, als Eurer jetzigen Lage angemessen sein dürften.«
»Wenn meine Würde,« versetzte der König, »mir einen Spuk machen will – was selten der Fall ist, wenn ich an höhere Interessen zu denken habe, – so habe ich ein sicheres Mittel, zu verhindern, daß sie mir nicht das Herz aufbläht. – Ich brauche dann nur in das zerstörte Kabinett einen Blick zu werfen, Herr von Comines, und an den Tod Karls des Einfältigen zu denken; dies heilt mich, wie ein kaltes Bad das Fieber, – Und jetzt, mein Freund und Warner, mußt Du gehen? Wohl denn, Herr Philipp, es wird ja eine Zeit kommen, wo Du es müde werden wirst, dem Stier von Burgund Vorlesungen über Staatspolitik zu halten. – Wenn Ludwig von Valois dann noch lebt, so findest Du einen Freund an Frankreichs Hofe. Ich sage Dir, es wäre ein Segen für mein ganzes Reich, wenn ich Dich gewinnen könnte, denn bei aller tiefen Einsicht in die Politik hast Du noch ein Gewissen, Recht und Unrecht zu fühlen und zu unterscheiden. So wahr mir Gott helfe, Oliver und Balue haben Herzen so hart, wie Mühlsteine, und mein Leben ist mir durch Gewissensbisse und Reue über Verbrechen verbittert worden, zu denen sie mir rieten. Du aber, Philipp, vereinigst die Weisheit der Gegenwart und der Vergangenheit, Du kannst mich lehren, wie man groß wird, ohne Tugend zu verabsäumen!«
»Eine schwere Aufgabe, die nur wenige zu lösen wußten,« sagte Comines; »doch ist sie Fürsten, die nach ihr streben wollen, noch immer erfüllbar. Vor der Hand, Sire, haltet Euch bereit, denn der Herzog wird gleich hier erscheinen, um mit Euch zu unterhandeln.«
Ludwig sah Philipp lange nach, als er das Zimmer verließ, und brach endlich in bitteres Lachen aus. »Er dünkt sich tugendhaft, weil er die Börse nicht nahm, sondern sich mit Schmeicheleien, Versprechungen und dem Genuß abspeisen ließ, für gekränkte Eitelkeit Rache nehmen zu können! Nun, er ist um so viel ärmer, da er das Geld ausgeschlagen hat – und nicht um ein Jota ehrlicher. Gleichviel muß er mein sein, denn er ist der schlaueste Kopf unter allen. – Jetzt geht es an ein edleres Wild! Jetzt hab ich's mit dem Leviathan Karl zu tun. Gleich dem furchtsamen Schiffsmann muß ich ihm eine Tonne zum Spiel über Bord weisen, aber ich werde schon noch eines Tages die Gelegenheit erwischen, ihm eine Harpune in die Eingeweide zu bohren.«