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Dreizehntes Kapitel

Die Felsen und Schluchten an jeder Seite des Tales hallten jetzt von den Tönen der Trompeten wider, als die Reiter, in zwei Haufen geteilt, langsam abzogen. Galbraiths Schar wandte sich bald rechts und ging über den Forth, um ein altes Schloß in der Nähe zum Aufenthalt für die Nacht einzunehmen.

Wir hingegen setzten unsern Zug in ziemlich guter Ordnung fort. Der Herzog hatte den Gefangenen hinter einem Reiter seines Gefolges aufsitzen lassen, namens Ewan Brigglands, der der längste und stärkste Mann von der ganzen Schar war. Ein Sattelgurt war beiden um den Leib gelegt und vorn auf des Reiters Brust geschnallt, so daß es Robin unmöglich war, sich in Freiheit zu setzen. Ich erhielt eines der Handpferde und bekam Weisung, mich dicht neben dem Paare zu halten. Wir hatten immer wenigstens einen, wenn nicht zwei Mann mit Pistolen in der Hand an der Seite. Andreas, den man auf einen erbeuteten hochländischen Klepper gesetzt hatte, durfte unter dem Troß reiten, der dem Zuge folgte.

So kamen wir bis an den Forth, der als Ausfluß eines Sees selbst an seinen schmalen Teilen noch immer von beträchtlicher Tiefe ist. Der Weg zur Furt senkte sich durch eine steile, zerrissene Schlucht, in der nur ein Reiter auf einmal passieren konnte. Wählend die vordern Glieder nach und nach hinunter ritten, mußten die andern am Ufer halten. Da hörte ich, wie Robin dem Manne, hinter dem er ritt, die Worte zuflüsterte: »Euer Vater, Ewan, hätte, und wenns alle Herzöge in der Christenheit gewollt hätten, einen alten Freund nicht wie ein Kalb zur Schlachtbank geführt.«

Ewan antwortete nicht, zuckte aber die Achseln, um zu verstehen zu geben, daß ers doch nicht ändern könne.

»'s ist ein gar traurig Ding,« sprach Robin weiter, flüsterte aber seine Worte so leise in Ewans Ohr, daß niemand sie hören konnte, außer mir, der sich gewiß nicht veranlaßt fühlte, ihn in seinen Bemühungen zur Flucht zu stören; – »'s ist ein traurig Ding, daß Ewan Brigglands, dem Robin Mac Gregor mit Hand, Schwert und Beutel geholfen hat, eines vornehmen Herrn Unmut höher achten will, als eines Freundes Leben.«

Ewan schien schmerzlich bewegt, aber schwieg. Da hörten wir den Herzog vom jenseitigen Ufer her rufen: »Schafft den Gefangenen herüber!«

Ewan setzte sein Pferd in Bewegung, und eben, als ich Robin sagen hörte: »Ist nicht das Blut eines Mac Gregor mehr wert als ein zerrissener Ledergurt? es wird wohl einst schärfere Rechenschaft abzulegen sein,« ritten sie schnell an mir vorüber ins Wasser.

Auf der andern Seite sah ich, wahrend die Dämmerung schnell sank, den Herzog beschäftigt, die gelandete Mannschaft wieder ins Glied treten zu lassen. Da verriet mir heftiges Geplätscher im Wasser, daß Mac Gregors Beredsamkeit über Ewan gesiegt hatte. Auch der Herzog hörte den Schall und erriet im Nu, was derselbe zu bedeuten hatte. »Hund! Wo ist Dein Gefangener?« rief er Ewan zu, als derselbe ans Land heraufstieg; und ohne die Entschuldigung abzuwarten, die der erschrockene Vasall zu stottern begann, feuerte er seine Pistole auf ihn ab.

»Teilt Euch und verfolgt den Schurken!« rief er. »Hundert Guineen dem, der Robin den Roten fangt!«

Die Ufer des Stromes wurden nun ein Schauplatz ärgster Verwirrung. Robin, den Ewan ohne Zweifel durch Lösung des Sattelgurts freigemacht hatte, war herabgeglitten, untergetaucht und unter dem Bauch des Pferdes hinweggeschwommen. Als er aber auf einen Augenblick an die Oberfläche kommen mußte, um Atem zu schöpfen, verriet ihn der Schimmer seines bunten Plaids. Einige Reiter stürzten in den Strom, ohne Rücksicht auf die eigne Sicherheit; andre sprengten an den Ufern auf und nieder, um den Flüchtling, wenn er ans Land steigen sollte, zu stellen. Das Geschrei an beiden Ufern und im Strome, das Echo der Schüsse, der Anblick der vielen Reiter, die an den Ufern auf und ab sprengten, dazu die wilde Gegend und das unsichere Zwielicht des Herbstabends: es war ein Bild, das an den tollsten Hexensabbat hätte erinnern können.

Einem so geschickten Schwimmer wie Robin konnte, nachdem er die ersten Hindernisse überwunden hatte, die Flucht nicht schwer fallen. Einmal sah ich ihn hart bedrängt, und mehrere Hiebe fielen rings um ihn her ins Wasser, was mich an die Ottern-Jagden erinnerte, die ich in Osbaldistone-Hall gesehen hatte. Mac Gregor war indes listiger als die Otter; denn als man ihn am ärgsten verfolgte, löste er unbemerkt seinen Plaid auf und ließ ihn von dem Strome forttreiben, wo er schnell die allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Viele Reiter wurden dadurch auf eine falsche Spur geleitet, und mancher Schuß oder Hieb von der Person abgelenkt, der er hatte gelten sollen.

Sobald es ihm erst einmal gelungen war, sich aus dem Sehbereich zu bringen, schwand allmählich die Möglichkeit, seiner habhaft zu werden, denn die steilen Ufer machten den Fluß an vielen Stellen unzugänglich, und Erlen-, Pappeln- und Birkendickichte wehrten den Zutritt zum Wasser. Die anbrechende Nacht nahm dem Unternehmen mit jedem Augenblicke mehr die Aussicht auf Gelingen. Einige der Verfolger gerieten in Stromwirbel und schrien um Beistand; andre, die in der Verwirrung einen Schuß, Hieb oder Stich abbekommen hatten, drohten Rache, und zu wiederholten Malen kam es bei solchen Vorfällen zu blutigen Händeln.

Die Trompeten bliesen zum Sammeln. Der Kommandant hatte, so ungern es auch geschehen mochte, die Hoffnung aufgegeben, der ihm so unerwartet entrissenen Beute wieder habhaft zu werden. Die Reiter standen in düstern Gruppen am südlichen Ufer des Stromes, dessen Gemurmel, lange übertäubt von dem lauten Geschrei rachgieriger Verfolgung, sich nun dumpf vermischte mit mißmutigen, schmähenden Stimmen.

Bis jetzt war ich nur Zuschauer, wenn auch nicht gleichgültig, bei dem seltsamen Schauspiel gewesen. Allein nun hörte ich plötzlich schreien: »Wo ist der Engländer? Er ists gewesen, der Robin das Messer gab, um den Gurt loszuschneiden.«

Und nun riefen mehrere Stimmen nacheinander: »Haut ihn in Stücke!« »Jagt ihm ein paar Kugeln durch den Kopf!« »Stoßt ihm das Schwert in die Kaldaunen!« – Und ich hörte, wie verschiedne Reiter hin und her sprengten, ohne Zweifel in der Absicht, diese Drohungen auszuführen. Ich durchschaute im Nu meine Lage, sprang vom Pferde, das ich laufen ließ, und retirierte in ein Erlengebüsch, hinter dem ich bei der wachsenden Dunkelheit nicht leicht entdeckt werden konnte. Als der Lärm nachzulassen anfing, und der Hufschlag der Pferde sich seltner in der Nähe meines Zufluchtsortes hören ließ, war mein erster Gedanke, den Herzog aufzusuchen, wenn alles ruhig sein würde, und mich ihm zu überliefern als ein treuer Untertan, der nicht die Gerechtigkeit zu fürchten, und als ein Fremder, der allen Anspruch auf Schutz und Gastfreundschaft zu machen hatte. Mit diesem Vorsatze kroch ich aus meinem Aufenthalte hervor und blickte umher.

Die Dämmerung war nun beinahe in Dunkelheit übergegangen, kaum noch einige Reiter waren auf dem linken Ufer des Flusses, und von denen auf der andern Seite hörte ich nur den Hufschlag der Pferde und die gezogenen Töne der Trompeten, die durch die Wälder schallten, um Nachzügler herbeizurufen. Ich befand mich daher in einer ziemlich schwierigen Lage. Ohne Pferd ließ sich nicht daran denken, den Strom zu passieren; blieb ich aber auf dem linken Ufer, so hatte ich keine andre Aussicht, als nach allen erduldeten Mühseligkeiten und Strapazen der Nacht an der Seite eines Berges zuzubringen.

Nach kurzem Bedenken beschloß ich deshalb, nach dem kleinen Wirtshause in Aberfoil zurückzukehren, in welchem ich die vorige Nacht zugebracht hatte. Vor Robin brauchte ich mich nicht zu fürchten, und für ihn auch nichts mehr. Er war nun frei, und falls ich unter seine Leute fiel, so verschaffte mir sicher die Botschaft von seiner Rettung ihren Schutz.

Ein scharfer Frostwind teilte die Nebelwolken und jagte sie in verworrene, wechselnde Massen zusammen, die bald um die Häupter der Berge schwebten, bald mit dichten, gewaltigen Nebelmassen die tiefen Küsten füllten. Der Mond goß sein Licht auf die Windungen des Flusses, die Felsenspitzen und jähen Abhänge. Unter dem belebenden Einfluß der kalten Atmosphäre stählten sich meine Nerven. Unwillkürlich pfiff ich vor mir hin, und stolzer und höher schlugen meine Lebenspulse, je mehr mein Vertrauen auf die Stärke, den Mut und die Hilfsmittel in mir selbst zunahm. Ich war so verloren in meine Gedanken und in die Empfindungen, die sie weckten, daß mich ein Reiterpaar einholte, dessen Annäherung ich erst gewahr wurde, als es mir zur Seite war.

»Heda! Freund, wohin so spät?« sprach mich der eine auf englisch an.

»Zum Nachtlager nach Aberfoil,« versetzte ich.

»Sind die Wege offen?« fragte er mit derselben gebieterischen Stimme.

»Ich weiß es nicht,« war meine Antwort. »Aber wenn Ihr Engländer seid, so rate ich Euch, bis es Tag wird, zurückzukehren. Ich möchte nicht behaupten, daß es für Fremde sonderlich sicher hier sei.«

»Die Soldaten haben eine Schlappe bekommen – nicht wahr?« fragte der Reiter.

»Jawohl! ein Offizier ist mit seinen Leuten teils aufgerieben, teils gefangen genommen worden.«

»Wißt Ihr das gewiß?« war die Antwort.

»So gewiß, als ich Euch sprechen höre. Ich war wider Willen Zeuge des Kampfes.«

»Wider Willen? Ihr waret also nicht dabei?«

»Gewiß nicht,« gab ich zur Antwort. »Ich wurde von dem Offizier gefangen gehalten.«

»So? – Wer seid Ihr? – Wie heißt Ihr? –«

»Fürwahr, Herr,« antwortete ich, »ich sehe nicht ein, warum ich einem Fremden solche Menge Fragen beantworten sollte. Ich hab Euch gesagt, daß Ihr in gefährlicher und unruhiger Gegend reist. Wollt Ihr weiter gehen, so ist es Eure Sache. Aber da ich Euch nicht nach Eurem Namen und Geschäfte frage, werdet Ihr besser tun, mich mit solchen Fragen zu verschonen.«

»Herr Franz Osbaldistone,« sagte der andre Reiter mit einer Stimme, die durch alle meine Nerven bebte, »sollte doch nicht seine Lieblingsmelodien pfeifen, wenn er unerkannt zu bleiben wünscht.«

Und Diana Vernon – denn sie war es, in einen Reitermantel gehüllt, die jetzt sprach – pfiff lustig den andern Teil der Melodie, die ich gepfiffen hatte, als sie herbeikamen.

»Gott im Himmel!« rief ich, wie vom Donner gerührt, »solltet Ihr es sein, Fräulein Vernon, an solchem Orte, – zu solcher Stunde, in solchem wilden Lande – in solcher –«

»In solcher männlichen Tracht, wollt Ihr sagen. Aber was ist zu tun! – Am Ende bleibt die Philosophie des vortrefflichen Korporal Nym doch die beste – es geht, wie's gehen kann – pauca verba

Während sie dies sprach, nützte ich begierig den hellern Mondschein aus, um den Begleiter Dianas zu betrachten. Daß es mich lebhaft wundern, ja in heftige Erregung setzen mußte, das Mädchen an solch einsamem Orte, auf solch gefahrvollem Ritte, unter dem Schutz eines einzigen Mannes so unvermuteterweise zu treffen, werde ich Dir nicht erst zu sagen brauchen. Der Reiter sprach nicht mit Rashleighs tiefer, melodischer Stimme, sondern höher und gebieterischer; überdies war er größer von Figur, als dieser mir in so hohem Maße verhaßte Mensch. Ebensowenig glich der Fremde in seiner Rede einem andern von meinen Vettern; denn an jedem Worte, das der Fremde sprach, erkannte man den Mann von Verstand und Bildung.

Er schien meinen forschenden Blicken ausweichen zu wollen.

»Diana,« sprach er mit einem Tone, der Güte und Befehl ausdrückte, »gib Deinem Vetter sein Eigentum, und laß uns hier keine Zeit verlieren.«

Diana hatte unterdessen ein Päckchen vorgezogen, beugte sich vom Pferde zu mir nieder und sagte mit einer Stimme, die das Bestreben, ihre gewöhnliche feine Leichtigkeit des Ausdrucks anzunehmen, verriet, und mit einem tiefern, ernstern Tone der Empfindung kämpfte:

»Ihr seht, lieber Vetter, ich bin zu Eurem Schutzengel geboren. Rashleigh ist genötigt worden, seine Beute herzugeben, und hätten wir vorige Nacht, wie es unsre Absicht war, das Dorf Aberfoil erreicht, so hätte ich sicher einen hochländischen Sylphen gefunden, der Euch diese Dokumente des Handelsreichtums zugeweht hätte. Aber Riesen und Reiter hatten den Weg versperrt, und irrende Ritter und Fräuleins unserer Tage, so kühn sie auch sein mögen, dürfen nicht, wie vor alters, sich in unnütze Gefahren stürzen. – Tut Ihr das lieber auch nicht, lieber Vetter!«

»Diana,« sprach ihr Begleiter, »ich muß noch einmal erinnern, daß die Nacht vorrückt, und wir sind noch weit vom Hause.«

»Ich komme, ich komme – erwäget,« fügte sie mit einem Seufzer hinzu, »wie spät ich an Beschränkung gewöhnt worden bin; überdies hab ich meinem Vetter das Päckchen noch nicht gegeben und ihm Lebewohl gesagt – für immer! – Ja, Franz,« fuhr sie fort, »für immer! Es liegt ein Abgrund zwischen uns – ein Abgrund gewissen Verderbens. – Ihr dürft uns nicht folgen, wohin wir gehen – an dem, was wir tun, dürft Ihr keinen Anteil nehmen. – Lebt wohl! – Seid glücklich!«

Indem sie sich von ihrem hochländischen Klepper herabbeugte, berührte ihr Gesicht, vielleicht nicht ganz wider Willen, das meinige. – Sie drückte meine Hand, während die Träne, die in ihrem Auge zitterte, auf meine Wange fiel. Es war ein unvergeßlicher Augenblick – unaussprechlich bitter, und dennoch vermischt mit einem so tief ergreifenden, süßen Wonnegefühl, daß auf einmal alle Empfindungen meines Herzens sich ergossen. Es war nur ein Augenblick, gleich darauf rief sie ihrem Gefährten zu, daß sie bereit sei, ihm zu folgen; und ihre Pferde in scharfen Trab setzend, waren sie bald weit von der Stelle entfernt, wo ich stand.

Der Himmel weiß, es war nicht Unempfindlichkeit, was auf mir lag und meine Zunge so sehr fesselte, daß ich Dianas halbe Umarmung nicht erwidern, noch ihr Lebewohl beantworten konnte. Das Wort erstarb auf meinen Lippen – Ueberraschung und Schmerz betäubten mich fast. Mit dem Paket in der Hand, blickte ich unbeweglich ihnen nach, als ob ich die Funken hätte zählen wollen, die unter den Hufen ihrer Pferde sprühten. Ich blickte ihnen noch nach, selbst als die Funken nicht mehr zu sehen waren, und lauschte noch auf die Töne des Hufschlags, als schon der letzte entfernte Laut in meinen Ohren verhallt war. Endlich quollen Tränen aus meinen Augen, die ich mechanisch zu trocknen suchte, fast ohne zu wissen, daß ich sie vergoß, aber sie flossen stärker und stärker; am Wege mich niedersetzend, weinte ich die ersten und bittersten Tränen, die seit der Kindheit mein Auge getrübt hatten.


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