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An dem Morgen, an welchem wir Glasgow verlassen wollten, stürzte Andreas wie ein Wahnsinniger in meine Stube, tanzte herum, hüpfte hin und her und sang und schrie, daß mir die Ohren gellten. Endlich gelang es mir, ihn zum Schweigen zu bringen und zu sagen, was vorgefallen sei. Die Hochländer hätten losgeschlagen, und Robin der Rote würde mit seiner hosenlosen Bande in 24 Stunden in Glasgow sein.
»Schweigt!« rief ich, »Ihr Tropf! Ihr müßt betrunken oder toll sein.«
»Betrunken oder toll?« versetzte Andreas keck. »Wenn man mal was sagt, was vornehme Leute nicht hören mögen, dann heißts gleich, man sei toll oder habe was im Kopfe!«
Ich stand schnell auf und fand meinen Vater und Owen gleichfalls auf den Füßen und in großer Unruhe.
Die Kunde meines Dieners erwies sich nur allzu wahr. Der große Aufstand, der Großbritannien im Jahre 1715 erschütterte, war bereits ausgebrochen. Der unglückliche Graf von Mar hatte in einer schlimmen Stunde die Fahne der Stuarts erhoben, um über viele angesehene Geschlechter in Schottland und England Jammer und Elend zu bringen. Verrat war im Werke gewesen, ihm hatte mein Vetter Rashleigh nicht fern gestanden, und so hatten Georgs des Ersten Räte rechtzeitig Wink von den Dingen bekommen, die im Werke waren, und ihre Gegenmaßregeln treffen können. Dadurch waren die Empörer genötigt worden, früher loszuschlagen, als sie willens waren, früher als alle Vorbereitungen getroffen waren.
Wir berieten uns über die Maßregeln, die uns diese bedenkliche Lage aufnötigte, und stimmten meinem Vater bei, uns sogleich Pässe zu verschaffen und gerades Weges nach London zu reisen. Ich äußerte den Wunsch, in einem der freiwilligen Heerhaufen, die bereits gebildet wurden, dem Staate meine Dienste anzubieten. Mein Vater sagte ohne weiteres Ja hierzu; denn wenn er auch den Krieg als ein Gewerbe mißbilligte, so wäre doch niemand schneller bereit gewesen, sein Leben zur Verteidigung der bürgerlichen und religiösen Freiheit in die Schanze zu schlagen, als er. Wir reisten schnell durch Dumfriesshire und die angrenzenden Grafschaften von England. In der ganzen Gegend waren die Torys bereits in Bewegung, Soldaten und Pferde musternd, wahrend die Whigs sich in den Hauptstädten versammelten, die Einwohner bewaffneten und sich zum Bürgerkriege vorbereiteten. Oft waren wir in Gefahr, angehalten zu werden, und genötigt, Umwege zu machen, um den zusammengezogenen Truppen auszuweichen.
Nach unsrer Ankunft in London schlossen wir sogleich mit Privatbanken und angesehenen Kaufleuten ein Abkommen, die Regierung zu unterstützen und dem Andrang auf die königl. Bank ein Paroli zu bieten, worauf die Verschworenen es hauptsächlich angelegt hatten, in der Hoffnung, einen Staatsbankerott herbeizuführen. Es gelang schnell, Käufer für eine Anzahl von Staatspapieren zu finden, die beim Ausbruche des Aufstandes einen jähen Sturz erlitten hatten. Ich war auch nicht müßig, sondern warb auf meines Vaters Kosten gegen zweihundert Mann, mit denen ich zu General Charpenters Armee stieß.
Unterdessen hatte sich der Aufstand in England verbreitet. Der unglückliche Graf von Darwentwater ergriff die Waffen, mit dem General Foster. Mein armer Oheim, dessen Vermögen durch seine eigne Sorglosigkeit und die Verschwendung seiner Söhne und seines Haushalts fast bis auf nichts herabgekommen war, ließ sich leicht bewegen, der unglücklichen Fahne zu folgen. Ehe er aber diesen Schritt tat, traf er eine Vorsichtsmaßregel, die man ihm nicht zugetraut haben würde – er machte sein Testament!
Nach dessen Wortlaut sollten seine Besitzungen auf seine Söhne, von einem zum andern, und auf ihre männlichen Nachkommen forterben, bis auf Rashleigh, gegen den er zufolge seiner Abtrünnigkeit einen maßlosen Haß hegte: er fertigte ihn mit einem Schilling ab und setzte mich zum nächsten Erben nach seinen Söhnen ein. Gerne hatte mich der alte Herr ja immer gehabt, immerhin ist es nicht unwahrscheinlich, daß er, im Vertrauen auf die Zahl und Körperkraft seiner jugendlichen Söhne, die mit ihm unter die Waffen traten, diese letzte Verfügung für ein totes Wort gehalten hat, vorzüglich darum hinzugefügt, um sowohl öffentlich als privatim seinen Unwillen über Rashleighs Verräterei auszudrücken. Auch vermachte er der Nichte seiner verstorbenen Gemahlin, Diana Vernon, jetzt Lady Diana Vernon Beauchamp, einige Diamanten, die ihrer Tante gehört hatten, und ein großes silbernes Becken, worauf die verschränkten Wappen der Familien Vernon und Osbaldistone eingegraben waren.
Dem Ratschlusse des Himmels gemäß sollte aber sein zahlreicher und rüstiger Stamm schneller untergehen, als er höchstwahrscheinlich vermuten konnte. Bei der ersten Musterung der Verschworenen zu Green Rigg geriet Thorncliff mit einem Edelmann aus Northumberland, der eben so heftig und starrsinnig war als er, über den Vorrang in Streit. Ungeachtet aller Vorstellungen gaben sie ihrem Kommandanten eine Probe, inwieweit er sich auf ihre Manneszucht verlassen konnte; sie fochten ihren Streit mit dem Schwert aus, und mein Vetter blieb auf dem Platze. Sein Tod war ein empfindlicher Verlust für Ritter Hildebrand, da Thorncliff, trotz seiner rohen Gemütsart, ein Paar Gran Verstand mehr hatte, als die übrigen Brüder zusammen, ausgenommen natürlich Rashleigh.
Percival, der Trunkenbold, starb gleichfalls in seinem Beruf. Er ging, als Jakob der Dritte von den Insurgenten zum König ausgerufen wurde, mit einem andern Edelmann eine Wette ein, wer den größten Becher voll starken Branntweins austrinken könnte. Die Aufgabe ging ins Ungeheure. Ich habe das eigentliche Maß, um welches es sich dabei gehandelt hat, vergessen; allein Percival fiel infolge dieser sinnlosen Wette in ein starkes Fieber, und unter dem fortwährenden Rufe: »Wasser! Wasser!« starb er nach drei Tagen.
Richard brach an der Warrington-Brücke den Hals als er mit einem abgerittenen Pferde, das er einem zu den Insurgenten übergetretenen Kaufmann aus Manchester aufschwatzen wollte, über einen Zaun zu setzen versuchte. Das Tier stürzte, und der unglückliche Jockey kam dabei um.
Wilfred, der Narr, hatte, wie es sich zuweilen bei seinesgleichen zuträgt, das meiste Glück in der Familie. Er fiel in der Schlacht bei Preston, in der er mit großer Tapferkeit focht, obwohl er nie recht begriffen haben soll, weshalb gekämpft wurde, und sich nicht immer besinnen konnte, auf welches Königs Seite er die Waffen führte. Auch Johann hielt sich in derselben Schlacht tapfer, war aber nicht so glücklich, auf dem Walplatz zu sterben, sondern wurde nur schwer verwundet.
Der alte Hildebrand, dem diese so schnell aufeinander folgenden Unglücksfälle das Herz gebrochen hatten, geriet, als seine Partei sich nach dem Verluste der Schlacht ergeben mußte, in Gefangenschaft und wurde mit seinem Sohne Johann nach Newgate gebracht. Meines Vaters Einfluß und die allgemeine Teilnahme, die ein Vater erregte, der in so kurzer Zeit so viele Söhne verlor, hätte wohl meinem Oheim und meinem Vetter die Anklage des Hochverrats erspart oder zum wenigsten stark gemildert; aber ihr Urteil wurde von einem höhern Richterstuhle gefällt. Johann starb im Gefängnisse an seinen Wunden. Mein armer Oheim war tief gebeugt durch das Unglück, das ihn betroffen hatte, konnte sich unmöglich darin finden, daß alles um ihn her zusammenstürzte und daß, er, statt auf seinem schönen Herrensitze, in einer elenden Gefängniszelle hausen mußte. Er starb nach einigen Wochen im eigentlichen Sinne des Wortes am gebrochenen Herzen.
Merkwürdig war mir nun, daß mein Vater, nachdem er seinem Bruder die letzten Pflichten erwiesen, plötzlich den lebhaften Wunsch hegte, daß ich dem Testament gemäß handeln und das Erbe meines Oheims antreten solle. Es kam mir so vor, als sei in dem Kaufherrn der alte Stolz auf sein edles Geschlecht nicht völlig ausgerodet gewesen, als hätte er bisher nur, gleich dem Fuchs in der Fabel, verachtet, was er nicht erreichen konnte. Uebrigens sprach hierbei wesentlich wohl seine heftige Abneigung gegen Rashleigh mit, der laut drohte, seines Vaters Verfügung angreifen zu wollen; denn er sei von seinem Vater ungerechterweise enterbt worden, aber das Testament seines Bruders habe die Kränkung, wenn auch nicht das Unrecht vergütet, und den Ueberrest des Stammguts dem rechtmäßigen Erben hinterlassen. Dieses brüderliche Vermächtnis gedenke er auch zu behaupten. Rashleigh war indes als Gegner nicht gering zu schätzen, denn was er der englischen Regierung über den im Werke befindlichen Aufstand verraten hatte, war so rechtzeitig und schnell gekommen und so listig und ausführlich gewesen, daß es ihm bei den Ministern viele Gönner erworben hatte. Deshalb befolgte mein Vater den Rat seines Rechtsbeistandes, eine Anzahl von Hypotheken, die auf dem Schlosse Osbaldistone lasteten, aufzukaufen, und auf mich überschreiben zu lassen. Mit den Urkunden ausgestattet, beauftragte er mich, nach dem Schlosse Osbaldistone zu reisen und es als Erbe und Vertreter der Familie in Besitz zu nehmen. Von dem Richter Inglewood sollte ich die Urschrift des Testaments erhalten, das mein Oheim gemacht hatte, und zur Sicherung meiner Rechte alle die Maßregeln ergreifen, die mir den Vorteil des » beatug possidens« sicherten.
In jeder andern Zeit hätte eine solche Veränderung meiner Lage mir aufrichtige Freude bereitet; jetzt aber konnte Schloß Osbaldistone mir nur schmerzliche Erinnerungen wecken. Indes glaubte ich, nur in dieser Gegend Nachrichten von Dianas Schicksal erhalten zu können. Ich hatte allen Grund zu fürchten, daß es ganz anders sich gestaltet haben möge, als es meinen Wünschen nach hätte sein sollen. Ich konnte nichts über sie erfahren. Vergebens bemühte ich mich, das Vertrauen einiger entfernten Verwandten zu gewinnen, die sich unter den Gefangenen in Newgate befanden. Ein Stolz, den ich nicht verdammen konnte, und ein natürlicher Argwohn gegen den Whig, Franz Osbaldistone, den Vetter des zweifachen Verräters Rashleigh, verschlossen jedes Herz und jeden Mund, und ich erhielt nur kalten, erzwungenen Dank für die Wohltaten, die ich ihnen erweisen konnte. Nach und nach minderte sich auch ihre Zahl; gruppenweis wurden sie nacheinander zum Tode geführt, und die, denen das Gesetz noch Frist gönnte, verloren alles Interesse an der Menschheit und am Leben, weil sie wußten, daß auch sie an die Reihe kämen.
Ich war daher froh, London und Newgate den Rücken wenden und die freie Luft von Northumberland atmen zu können. Andreas war in meinem Dienste geblieben; vorderhand konnte mir seine Ortskenntnis von Schloß und Gegend nützen. Wir legten die Reise ohne Abenteuer zurück und fanden das Land, in welchem vor kurzem wilder Aufruhr getobt hatte, jetzt in Frieden und Ordnung. Je näher wir dem Schlosse Osbaldistone kamen, desto enger schnürte sich mir das Herz zusammen bei dem Gedanken, den Fuß in diese verödete Wohnung setzen zu sollen; und um den gefürchteten Augenblick hinauszuschieben, beschloß ich, zuerst den Richter Inglewood aufzusuchen. Das erste, was mir der wackre Mann mitteilte, war, daß er seinen Schreiber Jobson los sei, der als Gehilfe eines Friedensrichters jetzt seinen Eifer für König Georg und die protestantische Erbfolge betätigte.
Richter Inglewood empfing mich sehr freundlich und händigte mir bereitwillig meines Oheims Testament aus, an dem kein Fehler zu bemerken war. Anfangs in sichtlicher Verlegenheit mir gegenüber, taute er langsam auf, und so hatten wir bereits einige Humpen geleert, als er mich plötzlich aufforderte, einen vollen Becher einzuschenken auf das Wohl der guten, lieben Diana Vernon, der »Rose in der Wildnis«, der »Glockenblume von den Sheviot-Burgen«, die in ein verwünschtes Kloster verpflanzt werde.
»Ist denn Fräulein Vernon nicht verheiratet?« rief ich im höchsten Erstaunen. »Ich glaubte, Seine Exzellenz –«
»Pah! Pah! Seine Exzellenz und Seine Herrlichkeit ist alles Schnickschnack jetzt, wißt Ihr – leere Titel von St. Germain. Graf von Beauchamp! Botschafter von Frankreich! – weiß doch der Herzog-Regent von Orleans kaum, daß solch ein Monsieur lebt. Aber Ihr müßt doch den alten Sir Friedrich Vernon im Schlosse gesehen haben, wo er die Rolle des Pater Vaughan spielte!«
»Gerechter Himmel! Also war Vaughan ihr Vater?«
»Ja freilich,« erwiderte der Richter gleichgültig. »Es ist jetzt ohne Nutzen, das Geheimnis zu bewahren, denn er muß nun aus dem Lande sein, – sonst wärs freilich meine Pflicht, ihn gefangen zu nehmen. – Kommt, leert Euer Glas aufs Wohl meiner lieben, verlorenen Diana!«
»Ich war, wie sich denken läßt, nicht aufgelegt, in des Richters Fröhlichkeit einzustimmen. Der Kopf schwindelte mir. »Ich habe nie gehört, daß ihr Vater noch lebe,« sagte ich.
»An unsrer Regierung hats nicht gelegen, daß er noch lebt,« erwiderte Inglewood; »denn es hätte wohl nicht so leicht ein andrer Kopf so viel eingebracht, wie der seinige. Zu König Wilhelms Zeit wegen seiner Teilnahme an einer Verschwörung zum Tode verurteilt, hatte er sich in Schottland mit einer aus dem Hause Breadalbane verheiratet und besaß daher großen Einfluß bei allen Häuptlingen. Wie es heißt, hat er bei dem Frieden zu Ryswick ausgeliefert werden sollen, allein er rettete sich durch List, und sein jäher Tod wurde in den französischen Blättern öffentlich bekannt gemacht. Als er hierher zurückkam, kannten wir alten Leute ihn recht gut, – das will sagen, ich kannte ihn wohl; da aber keine Anzeige gegen ihn einkam, und mein Gedächtnis durch öftere Gichtanfälle litt, hätte ich doch nicht darauf schwören mögen.« Im Schlosse kannte ihn nur seine Tochter, der alte Ritter und Raghleigh, der hinter das Geheimnis gekommen war, wie er hinter alles kam, und es der armen Diana wie eine Schnur um den Nacken hielt. Ich habe ihr hundertmal angesehen, daß sie ihm ins Gesicht gespieen hätte, wäre es ihr nicht um den Vater gegangen, dessen Leben an einem Faden hing.«
Sir Friedrich Vernon, oder wie er unter den Jakobiten hieß, Seine Exzellenz Viscount Beauchamp, war mit seiner Tochter nicht ohne Schwierigkeit den Folgen von Rashleighs Verrat entgangen. Da man aber nicht vernommen hatte, daß Vernon in der Gewalt der Regierung sei, zweifelte er nicht daran, daß ihm die Flucht ins Ausland geglückt sei, wo seine Tochter, nach der bittern Uebereinkunft mit seinem Schwager, da sie keinen Osbaldistone heiraten wollte, ins Kloster werde gehen müssen.
Ich kann nicht sagen, – so groß ist der Eigensinn des menschlichen Herzens, – ob diese Nachricht mir Freude oder Kummer gewährte. Es schien mir, als ob mein Schmerz über Dianas Verlust stärker als schwächer wäre, seitdem ich wußte, daß sie nicht durch Verheiratung mit einem andern, sondern durch die Mauern eines Klosters auf ewig von mir getrennt war. Ich wurde trübsinnig, niedergeschlagen, zerstreut und unfähig, das Gespräch mit dem Richter fortzusetzen, der auf seiner Seite zu gähnen anfing und vorschlug, bald zur Ruhe zu gehen. Ich nahm von ihm Abschied, mit dem Entschlusse, am folgenden Morgen nach dem Schlosse hinüberzureiten.
Inglewood billigte meinen Vorsatz. Es werde gut sein, meinte er, wenn ich mich dort zeigte, bevor meine Ankunft in der Gegend bekannt geworden sei, umsomehr, da Rashleigh, wie er vernehme, in Jobsons Hause sich aufhalte, ohne Zweifel, um Unheil zu stiften. »Sie passen gut zu einander,« fügte er hinzu, »da Herr Rashleigh alles Recht verloren hat, sich unter ehrenwerte Männer zu mischen; aber unmöglich können zwei solche verdammte Schelme freundlich zusammentun, wenn nicht zum Schaden ehrlicher Leute.«