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Sechzehntes Kapitel

Unser Weg führte durch eine wüste, aber trotz allem romantische Gegend, die ich aber in dem Kummer meiner Seele nicht genauer betrachten konnte. Der hohe Gipfel des Ben Lomond, hier der hervorragende Herrscher der Gebirge, lag uns zur Rechten und diente zum auffallenden Grenzzeichen. Ich ward nicht eher aus meiner Unempfindlichkeit gegen alles Aeußere erweckt, bis wir nach einer langen, beschwerlichen Wanderung aus einer Bergschlucht traten und der Loch Lomond vor uns lag. Ich will nicht zu beschreiben versuchen, was sich kaum vorstellen läßt, ohne es gesehen zu haben. In der Tat bildet dieser herrliche See mit seinen zahllosen lieblichen Eilanden eine der überraschendsten, schönsten und erhabensten Szenerien. Das östliche, besonders rauhe und wilde Uferland war zu jener Zeit Hauptsitz des Clans Mac Gregor, und zwischen Loch Lomond und einem andern See lag eine kleine Garnison, deren Aufgabe es war, den kühnen Häuptling in Schach zu halten. Das Land war aber von Natur so befestigt, hatte so zahlreiche Engpässe, Moräste, Höhlen und andre Unterschlupfe und Bollwerke, daß das kleine Fort, in welchem die Garnison lag, kaum als Ort gelten konnte, der vor Gefahren schützt. Bei mehr als einer Gelegenheit hatte auch die Besatzung den verwegenen Mut Robins des Roten und seiner Anhänger empfunden.

Unter einem hohen Felsen in einer Bucht erwartete uns ein Boot, das mit vier muntern hochländischen Ruderern bemannt war, und unser Wirt nahm mit Herzlichkeit von uns Abschied. Wir stießen vom Ufer ab und steuerten nach der südwestlichen Ecke des Sees, wo der Fluß Leven austritt. Robin blieb noch einige Zeit am Ufer stehen, kenntlich noch in weiter Ferne an seinem langen Gewehr, an dem wehenden bunten Gewand und an der einzelnen Feder auf der Mütze, wodurch in jenen Zeiten der hochländische Krieger sich auszeichnete. Endlich sahen wir ihn langsam den Berg hinanschreiten, begleitet von den Männern, die seine Leibwache bildeten.

Wir setzten unsre Fahrt lange fort unter Schweigen, das nur durch das gälische Lied unterbrochen wurde, das einer von den Ruderern in leisen, unregelmäßigen Rhythmen sang und dann in einen wilden Chor überging, in den die andern einfielen.

So traurig ich gestimmt war, so gewährte mir der Anblick der prächtigen Landschaft, die uns umgab, doch einige Linderung, und in der Schwärmerei des Augenblicks kam mir der Einfall, daß es sich für einen Katholiken auf einem der anmutigen Eilande, zwischen denen unser Boot dahinglitt, als Einsiedler herrlich leben und sterben ließe.

Der Stadtvogt hing auch seinen Betrachtungen nach, die aber von den meinigen recht verschieden waren, denn nach einem langen Stillschweigen, das er benützt hatte, um allerhand Berechnungen anzustellen, versuchte er den Beweis zu liefern, daß es möglich sei, den See auszutrocknen, und für Pflug und Egge viele hundert, ja viele tausend Morgen Landes zu gewinnen.

Endlich näherten wir uns dem Landungsplatze, nicht weit von den Trümmern einer alten Feste, wo der See in den Leven abfließt. Hier trafen wir Dougal mit den Pferden.

Ich drückte dem wackern Bergschotten ein paar Goldfüchse in die Hand, die ihn zu wahren Bockssprüngen der Freude bestimmten; und während er sich hierauf wieder in die Berge schlug, bestiegen wir unsre Pferde und ritten die Straße nach Glasgow. Als wir den See mit seinem prächtigen Amphitheater von Bergen aus dem Gesichte verloren, konnte ich nicht unterlassen, mit Begeisterung von dessen Naturschönheiten zu sprechen, obwohl ich wußte, bei Jarvie keinerlei Verständnis dafür zu finden.

»Ihr seid ein junger Mann und ein Engländer,« erwiderte er; »und damit erklären sich wohl solche Anschauungen; aber ich bin ein schlichter Mann, der bloß für den Nutzwert der Ländereien Verständnis hat, und gebe gern die schönste Aussicht, die wir im Hochlande gesehen haben, für den ersten Blick der Dächer von Glasgow. Bin ich erst einmal wieder dort, dann will ich nicht um jedes Narren willen – nichts für ungut, Herr Franz – der Stadt wieder den Rücken drehen.«

Der wackre Mann sah diesen Wunsch rasch erfüllt, denn ein Dauerritt, den Tag und die Nacht hindurch, brachte uns am andern Morgen vor sein Haus. Nachdem ich meinen wackern Reisegefährten der Obhut seiner bedachtsamen und dienstfertigen Mathilde überliefert hatte, begab ich mich nach meinem Wirtshaus, wo ich zu dieser ungewöhnlichen Stunde noch Licht antraf. Die Tür ging auf, und kein andrer als Andreas, der Gärtner, war es, der beim ersten Klang meiner Stimme vor Freude schrie und, ohne ein Wort zu sagen, die Treppe hinauf nach dem Zimmer im zweiten Stock lief, aus dessen Fenstern das Licht schimmerte. In der Erwartung, daß er meine Ankunft dem bekümmerten Owen melden wollte, folgte ich ihm auf dem Fuße. Owen war nicht allein – es war noch ein andrer im Zimmer – mein Vater.

In der ersten Minute versuchte er, seine gewöhnliche Würde zu behaupten. »Franz, es freut mich, Dich zu sehen.« – In der nächsten Minute aber lag er in meinen Armen und rief: »Mein lieber, lieber Sohn!« Owen umfaßte meine Hände, die er mit Tränen benetzte, während er mir zu meiner Rückkehr Glück wünschte.

Nachdem die erste Aufwallung der Freude vorüber war, erfuhr ich, daß mein Vater kurz nachher, als sich Owen auf den Weg nach Schottland gemacht hatte, aus Holland zurückgekehrt war. Entschlossen und rasch in allen seinen Bewegungen, verweilte er nur, die Mittel zur Erfüllung aller Verbindlichkeiten herbeizuschaffen, die sein Kaufhaus zu erfüllen hatte. Mit seinen reichen Hilfsmitteln und, da es ihm gelungen war, in den Niederlanden alle Geschäfte gut abzuwickeln, gestärkt an Kapital und Kredit, gelang es ihm leicht, Verhältnisse, die vielleicht nur seine Abwesenheit geschaffen oder erschwert hatte, zu ordnen, und sobald ihm dies gelungen war, reiste er auf der Stelle nach Schottland, um Rashleigh zur Rechenschaft zu ziehen und zugleich seine Angelegenheiten auch dort wieder in Ordnung zu bringen. Seine Ankunft unter solchen Umständen war ein Donnerschlag für Mac Vittie und Compagnie, die geglaubt hatten, sein Stern sei für immer untergegangen. Aufs äußerste aufgebracht über die Behandlung, die sein Geschäftsführer Owen erfahren hatte, wies mein Vater alle Entschuldigungen und gütlichen Vergleiche zurück, berichtigte die laufende Rechnung und erklärte dann dem schottischen Handelshause, daß hiermit zwischen ihnen und ihm aller geschäftlicher Verkehr als aufgehoben anzusehen sei. Unterdes war er meinetwegen nicht wenig in Sorgen. Owen hatte es nicht für möglich gehalten, daß eine Reise von fünfzig bis sechzig Meilen, von London aus in jeder Richtung schon damals ein Kinderspiel, mit solchen Gefahren verbunden sein könnte. Aber mein Vater kannte das Land und die gesetzlosen Bewohner besser, und so stiegen die Besorgnisse der beiden wackern Männer zur Angst, als wenige Stunden vor meiner Ankunft Andreas erschien, und eine übertriebene Schilderung der bedenklichen Lage gab, in der er mich zurückgelassen hatte.

Owen wäre, wenn er allein gewesen und von niemand beraten worden wäre, ganz ohne Frage in die hellste Verzweiflung geraten über all das Schlimme, das er über mein Schicksal aus dem Munde des Gärtners vernahm; aber mein Vater, bei seiner Menschenkenntnis, war besser im stande, die Sinnesart des Erzählers zu durchschauen und den wahren Verlauf seiner Nachrichten zu würdigen. Immerhin waren sie beunruhigend genug, auch wenn ein gewisses Maß von Uebertreibung dabei obwaltete. Und so faßte mein Vater ohne weiteres den Entschluß, sich selbst auf den Weg zu machen, um meine Freilassung durch ein Lösegeld oder im Wege der Unterhandlung zu bewirken, und war mit Owen noch in später Nachtstunde mit der Durchsicht von Briefen und Erledigung andrer Geschäfte beschäftigt, die während seiner Abwesenheit vollendet werden sollten. So traf es sich, daß ich sie noch munter fand.

Es war spät, als wir auseinandergingen. Viel zu ungeduldig, mich langer Ruhe hinzugeben, stand ich beizeiten wieder auf. Andreas meldete sich pflichtgemäß zu seinem Dienst, und an Stelle der Vogelscheuche, zu der die Hochländer ihn gemacht hatten, zeigte er sich jetzt in tiefer Trauerkleidung. Nach verschiedenen Fragen, die der Schelm erst gar nicht verstehen wollte, brachte er endlich heraus, daß er gemeint habe, um meinetwillen Trauer anlegen zu sollen, und da der Trödler, in dessen Bude er sich ausgestattet, den Anzug nicht habe wiedernehmen wollen, und er doch in meinen Diensten um seine Kleider gekommen sei, so rechne er darauf, daß sowohl ich als mein Vater, zumal ihm ja Gottes Segen in so reichem Maße zuteil geworden sei, nicht leiden würden, daß ein so armer Bursche wie er, besonders ein alter und treuer Diener des Hauses, solchen Verlust aus eigner Tasche trüge. Da seine Beschwerde insoweit begründet war, als ihn sein Verlust tatsächlich in meinen Diensten getroffen hatte, so gelang ihm seine List, und er kam zu einem guten Anzug.

Sobald mein Vater aufgestanden, besuchte er den Stadtvogt. Mit wenigen, aber männlichen und kräftigen Worten dankte er ihm, tief ergriffen über alle Güte, die er ihm und mir erwiesen hatte, und bot ihm, nachdem er ihn über die Ordnung seiner Angelegenheiten genügend Aufklärung gegeben, unter sehr vorteilhaften Bedingungen den Anteil an seiner Firma an, den bisher Mac Vittie besessen hatte. Jarvie gratulierte meinem Vater und Owen herzlich zu dem Umschwung der Verhältnisse, meinte, wenn er auch nicht leugnen wolle, sein Bestes getan zu haben, doch schließlich über seine Pflicht nicht hinausgegangen zu sein, und erklärte, sich zu der Erweiterung der geschäftlichen Beziehungen gern zu verstehen; hätten Mac Vitties sich als wackre Leute erwiesen, so wäre er ihnen nicht gern ins Gehege gekommen; so aber müßten sie den Schaden hinnehmen, den sie sich selbst gestiftet hätten.

Jarvie zog mich darauf in eine Ecke, und nach nochmaligem herzlichen Glückwunsche fügte er, nicht ohne Verlegenheit, hinzu: »Ich möchte gern, Herr Franz, daß von den seltsamen Dingen, die wir im Hochlande erlebten, so wenig als möglich gesprochen werde. Und wird man nicht gerichtlich zu einer Aussage über den schrecklichen Vorfall mit Morris genötigt, möchte es kaum gut sein, darüber viel verlauten zu lassen; und daß es im Ratskollegium nicht gerade als rühmlich gelten möchte, daß einer aus ihrer Mitte mit Hochländern gefochten und ihnen ein Plaid angesengt hat, brauche ich wohl auch nicht erst zu sagen; noch weniger, daß einer von ihnen ohne Hut und Perücke am Strauche gehangen hat.«

Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Der gutmütige Mann wurde verlegen, lächelte aber gleichfalls, indem er mit Kopfschütteln sagte: »Ich sehe, wie's steht – ich sehe, wie's steht. Aber redet nicht davon, und sagts auch Eurem geschwätzigen und eingebildeten Diener, daß er den Mund zu halten habe. Ich möchte nicht einmal, daß die Mathilde was davon erführe. Das Gerede darüber nähme sicher kein Ende.«

Wir verlebten noch einen Tag im gastfreien Hause des Glasgower Stadtvogts. Dann nahmen wir von ihm Abschied. Da er in dieser Erzählung nicht mehr auftreten wird, sei noch kurz bemerkt, daß er in Wohlstand und Ehre sein Leben weiterführte und noch zu den höchsten Würden in seiner Vaterstadt aufgestiegen ist. Nach ungefähr zwei Jahren wurde er des Junggesellenlebens überdrüssig und erhob die sorgsame Mathilde von ihrem Platz am Küchenfeuer auf den ersten Rang an seiner Tafel, als ehrsame Frau Jarvie.


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