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Gräßlich der Gedanke Dessen, der zuerst
In Gift des Todes Waffe tauchte, doch
Gräßlicher noch Der, der das Gift
In den Becher des Verkehrs der Menschen goß,
Andern Tod zu geben so, statt Leben.
Anonymus.
»Auf mein Wort, Mr. Frank Osbaldistone,« sagte Miß Vernon, mit einem Wesen, als halte sie sich vollkommen berechtigt, das Vorrecht spöttischen Vorwurfes anzunehmen, »der gestrige Tag kann als Eure Prüfung gelten, zu beweisen, daß Ihr das Recht habt, Euch von der Zunft in Osbaldistone-Hall loszusagen. Aber es war ein Meisterstück.«
»Ich fühle vollkommen das Unschickliche meines Betragens, Miß Vernon, und kann nur das für mich anführen, daß ich einige Mittheilungen erhalten hatte, durch welche ich ungewöhnlich aufgeregt war. Ich erkenne, daß ich mich ungebührlich und albern betrug.«
»Ihr thut Euch sehr Unrecht,« entgegnete die unbarmherzige Ermahnerin. »Nach Allem, was ich sah und seitdem gehört habe, gelang es Euch, im Laufe eines Abends alle die meisterhaften Eigenschaften zu entwickeln, durch welche Eure Vettern sich einzeln auszeichnen; das milde und großmüthige Wesen des wohlwollenden Rashleigh – Percivals Mäßigkeit – Thorncliffs kalter Muth – John's Einsichten im Hundeabrichten – Richards Fertigkeit im Wetten – alles dieß zeigte der einzige Herr Frank, und zwar mit einer Wahl der Zeit, des Ortes und der Umstände, die dem Geschmacke und dem Scharfsinne des weisen Wilfred Ehre gemacht haben würde.«
»Habt ein wenig Mitleid, Miß Vernon,« bat ich, denn ich hielt die Züchtigung, besonders in Erwägung, von welcher Seite sie kam, für so streng, als der Fall es verdiente, »und verzeiht mir, wenn ich als eine Entschuldigung für Thorheiten, deren ich mich gewöhnlich nicht schuldig mache, die Sitte dieses Hauses und Landes anführe. Ich bin weit entfernt, sie zu billigen; aber sagt doch selbst Shakespeare: guter Wein ist ein gutes vertrauliches Ding, und jeder Mann kann sich einmal davon bezwingen lassen.«
»Ja, Mr. Frank, aber er legt das Lob und die Entschuldigung dem ärgsten Schurken in den Mund, den sein Pinsel dargestellt hat. Ich will indeß nicht den Vortheil mißbrauchen, den Eure Aufführung mir gibt, und Euch durch die Widerlegung niederschlagen, welche Cassio dem Verführer Jago entgegnet. Ich wünsche nur, Euch zu zeigen, daß wenigstens eine Person mit Betrübniß sieht, wie ein Jüngling von Talenten und Erwartungen in den Sumpf versinkt, in dem die Bewohner dieses Hauses jeden Abend sich wälzen.«
»Ich versichere Euch, Miß Vernon, ich habe mir nur die Schuhe naß gemacht, und die Unsauberkeit der Pfütze ist mir zu sehr zuwider, als daß ich weiter hinein gehen möchte.«
»Ist das Euer Entschluß, so ist er sehr klug,« erwiderte sie. »Doch was ich gehört habe, betrübte mich so sehr, daß Eure Angelegenheiten die meinigen verdrängten. – Ihr betrugt Euch gestern bei Tische gegen mich, als ob man Euch etwas gesagt hätte, wodurch ich in Eurer Meinung gesunken wäre. – Ich bitte, fragen zu dürfen, was es war?«
Ich war betroffen. Die Derbheit dieser Frage glich sehr der Art, mit welcher ein Mann von einem andern auf gutmeinende, doch entschiedene Weise Erklärung über irgend einen Theil seines Betragens verlangt, und enthielt nichts von jenen Umschreibungen, Milderungen und Schattirungen, von denen gewöhnlich Erklärungen zwischen Personen verschiedenen Geschlechts in den höheren Ständen begleitet werden.
Ich befand mich in großer Verlegenheit; denn es fiel mir ein, daß Rashleighs Mittheilungen, wenn sie gegründet waren, Miß Vernon eher zu einem Gegenstande meines Mitleidens als meiner Empfindlichkeit machen mußten, und wenn sie mir auch die beste Entschuldigung meines Betragens gewährt hätten, so mußte es mir doch immer sehr schwer werden, etwas auszusprechen, was für Diana's Gefühle so verletzend sein mußte. Sie bemerkte meine Unentschlossenheit, und sagte in etwas bestimmterem, aber immer noch gemäßigtem und höflichem Tone:
»Ich hoffe, Mr. Osbaldistone, Ihr werdet mir das Recht nicht streitig machen, diese Erklärung zu fordern. Ich habe keinen Verwandten, der mich beschützen kann; es ist daher gerecht, daß es mir erlaubt sei, mich selbst zu beschützen.«
Ich suchte zögernd die Schuld meines unfreundlichen Betragens auf Unpäßlichkeit – auf unangenehme Briefe aus London zu schieben. Sie ließ mich meine Entschuldigungen erschöpfen, bis ich nichts mehr zu sagen wußte, und hörte mir mit dem Lächeln der bestimmtesten Ungläubigkeit zu.
»Und nun, Mr. Frank,« sprach sie, »da Ihr Euren Entschuldigungs-Prolog nach der üblichen Weise beendet habt, mit der Prologe gewöhnlich gehalten werden, seid so gut, den Vorhang aufzuziehen, und zeigt mir, was ich zu sehen wünsche. Mit einem Worte, laßt mich hören, was Rashleigh von mir gesagt hat; er ist der große Ingenieur und Maschinenmeister aller Maschinerien in Osbaldistone-Hall.«
»Aber gesetzt, es wäre Etwas zu sagen, was verdient Der, welcher die Geheimnisse eines Verbündeten dem Andern verräth? Rashleigh blieb, nach Euren eigenen Worten, Euer Verbündeter, obwohl er nicht länger Euer Freund ist.«
»Ich habe weder Geduld, Ausflüchte anzuhören, noch Neigung, über diesen Gegenstand zu scherzen. Rashleigh kann, soll und darf nichts von mir, Diana Vernon sagen, was ich nicht verlangen kann, wieder zu hören. Daß es Geheimnisse unter uns gibt, ist sehr gewiß; allein auf diese können seine Mittheilungen keinen Bezug haben, und meine persönlichen Verhältnisse stehen damit in keiner Verbindung.«
Ich hatte mich nun wieder ganz gefaßt, und beschloß, von Allem, was mir Rashleigh im Vertrauen mitgetheilt hatte, nichts zu entdecken. Es lag etwas Unwürdiges darin, ein geheimes Gespräch mitzutheilen; es konnte, glaubte ich, zu nichts nützen, und mußte Miß Vernon natürlich sehr unangenehm sein. Ich erwiderte daher ernst, daß zwischen Rashleigh und mir nur ein unbedeutendes Gespräch über die Familie stattgefunden hätte, und versicherte, nichts gehört zu haben, was auf mich einen für sie nachtheiligen Eindruck hätte machen können. Als rechtlicher Mann, setzte ich hinzu, könnte ich von dem Inhalte einer vertraulichen Unterredung weiter nichts sagen.
Sie sprang mit der Heftigkeit einer Camilla auf, welche in die Schlacht ziehen will. »Das soll Euch nichts helfen, Sir – ich muß eine andere Antwort von Euch haben!« rief sie. Ihre Stirn glühte, ihr Haar wurde kraus, und ihr Auge funkelte, indem sie fortfuhr: »Ich verlange eine solche Erklärung, als ein böslich verleumdetes Weib von jedem Manne fordern darf, der sich einen Ehrenmann nennt, als ein mutterloses, unbefreundetes Wesen, das allein in der Welt steht, und sich selbst leiten und beschützen muß, mit Recht von Allen, denen ein glücklicheres Loos ward, im Namen des Gottes verlangen kann, der diese zum Genuß, und jenes zum Dulden auf die Welt sandte. Ihr sollt es mir nicht verweigern, oder« – setzte sie mit feierlich emporgehobenem Blick hinzu, »Ihr werdet Eure Weigerung bereuen, wenn es auf Erden oder im Himmel Gerechtigkeit für empfangenes Unrecht gibt.«
Ich war sehr bestürzt über ihre Heftigkeit, fühlte aber, daß es nach einer solchen Aufforderung meine Pflicht sei, jede feile Bedenklichkeit bei Seite zu setzen, und theilte ihr kurz, aber bestimmt, die Hauptpunkte meiner Unterhaltung mit Rashleigh mit.
Sobald ich angefangen hatte, darüber zu sprechen, setzte sie sich, und gewann ihre Fassung wieder, und wenn ich anhielt, um die zarteste Wendung des Ausdruckes zu suchen, unterbrach sie mich oft mit den Worten: »Fahrt fort – ich bitte, weiter! Das erste Wort, das Euch einfällt, ist das einfachste, und muß das beste sein. Denkt nicht an meine Gefühle, sondern sprecht, wie Ihr zu einem gleichgültigen Dritten sprechen würdet.«
Also gedrängt und aufgemuntert, sagte ich Alles, was mir Rashleigh von der ihr früh auferlegten Verpflichtung, einen Osbaldistone zu heirathen, so wie von der Ungewißheit und Schwierigkeit ihrer Wahl mitgetheilt hatte. Hier hätte ich gern geschwiegen, allein ihr Scharfsinn erkannte, daß noch etwas zurück sei, und sie ahnete, was es betraf.
»Es war bösartig von Rashleigh, dieß von mir zu erzählen. Ich gleiche dem armen Mädchen im Feenmährchen, das von der Wiege an mit dem schwarzen Bären aus Norwegen verlobt war, und sich vorzüglich darüber beklagte, daß es von ihren Mitschülerinnen nur die Bärenbraut genannt wurde. Aber abgesehen von alle dem, sagte Rashleigh auch noch etwas von sich selbst in Beziehung auf mich. – Nicht wahr?«
»Er deutete allerdings darauf hin, wenn er sich nicht scheute, seinen Bruder zu verdrängen, so würde er jetzt, in Folge seiner veränderten Bestimmung, gern den leeren Raum in der Erlaubnißschrift mit dem Namen Rashleigh, statt Thorncliff, ausfüllen lassen.«
»So? wirklich?« erwiderte sie; »war er so herablassend? – Zu viel Ehre für seine demüthige Magd, Diana Vernon. Und sie würde vermuthlich vor Freude entzückt sein, wenn eine solche Veränderung stattfinden könnte?«
»Die Wahrheit zu gestehen, deutete er etwas dergleichen an, und gab ferner zu verstehen« –
»Was? – laßt mich hören!« rief sie hastig.
»Er habe den vertraulichen Umgang abgebrochen, um das Wachsen einer Neigung zu verhindern, die er bei seiner Bestimmung zum geistlichen Stande nicht hätte benutzen können.«
»Ich bin ihm für seine Rücksicht sehr verbunden,« erwiderte Miß Vernon, und aus jedem Zuge ihres schönen Gesichts sprachen Hohn und Verachtung. Sie schwieg einen Augenblick, und sagte dann mit ihrer gewöhnlichen Ruhe: »Ich habe von Euch nur wenig gehört, was ich nicht zu hören erwartete; denn einen einzigen Umstand ausgenommen, ist Alles sehr wahr. Wie man aber so scharfe Gifte hat, daß wenige Tropfen davon hinreichen sollen, eine ganze Quelle zu vergiften, so enthielt auch Rashleighs Mittheilung eine Lüge, welche die Wahrheit selbst verunstalten könnte. Das ist die abscheuliche Unwahrheit, daß mich irgend ein Umstand in der Welt zu bewegen vermöge, mein Loos mit Rashleigh zu theilen, da ich ihn nur zu gut kenne. Nein,« fuhr sie mit einer Art von Schauder fort, der ein unwillkürliches Entsetzen ausdrückte; »lieber jedes andere Loos, als das – der Trunkenbold, der Spieler, der Eisenfresser, der Pferdeknecht, der Narr, wären Rashleigh tausendmal vorzuziehen; – das Kloster, der Kerker, das Grab würden mir willkommener sein, als sie Alle!«
Es lag ein trüber, wehmüthiger Ton in ihrer Stimme, wohl passend zu der seltsamen und Theilnahme erweckenden Verwickelung ihrer Lage. So jung, so schön, so unerfahren, so sehr sich selbst überlassen, alles Beistandes beraubt, den ihr Geschlecht durch den Schutz und das Ansehen weiblicher Freunde findet, und selbst der Vertheidigung jener Förmlichkeiten entbehrend, mit denen man sich im gebildeten Leben den Frauen nähert. – Es ist kaum bildlich gesagt, daß mein Herz für sie blutete. Dennoch lag ein Ausdruck von Würde in ihrer Vernachlässigung der Form, eine Aufrichtigkeit des Gefühls in ihrer Verachtung der Falschheit, eine feste Entschlossenheit in ihrer Ansicht der Gefahren, von denen sie umringt, daß sich mit meinem Mitleid die wärmste Bewunderung paarte. Sie glich einer Fürstin, die von ihren Unterthanen verlassen und ihrer Macht beraubt ist, aber noch immer die geselligen Einrichtungen verschmäht, welche für Leute niedern Standes gemacht sind, und in der Mitte ihrer Drangsale sich kühn und vertrauend auf die Gerechtigkeit des Himmels und die unerschütterte Standhaftigkeit ihres Charakters verläßt.
Ich wollte die Gefühle der Theilnahme und der Bewunderung aussprechen, die ihre unglückliche Lage und ihr hoher Muth in mir erregt hatten, aber sie legte mir Stillschweigen auf.
»Ich sagte Euch im Scherz,« rief sie, »daß ich Schmeicheleien nicht leiden kann – und jetzt sage ich Euch im Ernst, daß ich kein Mitleid begehre, und den Trost verschmähe. Was ich erduldet habe, das habe ich erduldet. Was ich erdulden werde, will ich tragen, wie ich kann; kein mitleidiges Wort kann dem Sklaven die Last, die er schleppen muß, um eine Feder leichter machen. Es gibt nur ein menschliches Wesen, das mir hätte beistehen können, das aber statt dessen meinen Kummer vermehrte: Rashleigh Osbaldistone. Ja, es gab eine Zeit, wo ich diesen Mann hätte lieben lernen können. – Aber, großer Gott, die Absicht, warum er sich das Vertrauen dieses Wesens erwarb, das bereits so verlassen war, der unverdrossene Eifer, womit er diese Absicht von Jahr zu Jahr verfolgte, ohne einen Augenblick Gewissensbisse oder Reue zu fühlen, die Absicht, in welcher er die Nahrung, die er meinem Geiste darbot, in Gift würde verwandelt haben – gütige Vorsehung! was würde in dieser und in der andern Welt an Leib und Seele aus mir geworden sein, wenn ich unter den Kunstgriffen dieses vollendeten Bösewichts gefallen wäre!«
Ich war so ergriffen von der treulosen Verrätherei, welche diese Worte enthüllten, daß ich von meinem Stuhle aufsprang, beinahe ohne es zu wissen, die Hand an's Schwert legte, und das Zimmer verlassen wollte, um Den aufzusuchen, den ich meinen gerechten Unwillen fühlen lassen wollte. Fast athemlos, und mit Blicken, in denen Zorn und Verachtung der lebhaftesten Unruhe gewichen waren, vertrat mir Diana den Weg.
»Bleibt,« sagte sie – »bleibt! So gerecht Euer Unwille ist, kennt Ihr doch die Geheimnisse dieses furchtbaren Gefängnisses nicht zur Hälfte.« – Sie blickte hierauf ängstlich umher, und ihre Stimme sank beinahe zu einem leisen Flüstern: »Er hat ein bezaubertes Leben; Ihr könnt ihn nicht angreifen, ohne Anderer Leben in Gefahr zu setzen, und Vernichtung zu verbreiten. Wäre es anders, so würde er in einer Stunde der Gerechtigkeit selbst vor dieser schwachen Hand kaum sicher gewesen sein. Ich sagte Euch,« fuhr sie fort, indem sie mir meinen Platz wieder anwies, »daß ich keines Trösters bedarf – jetzt sage ich Euch, ich bedarf auch keines Rächers.«
Ich nahm trübe wieder Platz, mechanisch ihre Worte erwägend, und dachte auch daran, was mir in der ersten Aufwallung des Unwillens entgangen war, daß ich durchaus kein Recht hatte, als Diana's Kämpfer aufzutreten. Sie schwieg, um unsere beiderseitige Aufregung verschwinden zu lassen, und sagte dann gefaßter:
»Ich habe Euch bereits gesagt, daß Rashleigh mit einem gefährlichen und verhängnißvollen Geheimniß in Verbindung steht. So verworfen er ist, und so sehr er weiß, daß er als Ueberwiesener vor mir steht, kann ich, darf ich doch nicht offen mit ihm brechen, oder ihm Trotz bieten. Auch Ihr, Osbaldistone, müßt ihn mit Geduld ertragen, seinen Kunstgriffen Klugheit, nicht Gewalt, entgegensetzen, und vor Allem solche Auftritte vermeiden, wie gestern Abend, die ihm nur gefährliche Vortheile über Euch geben können. Diese Warnung wollte ich Euch mittheilen, und das war die Absicht, weßhalb ich diese Unterredung wünschte; doch ich habe mein Vertrauen weiter ausgedehnt, als ich wollte.«
Ich versicherte ihr, daß es nicht verschwendet sei.
»Das glaube ich auch nicht,« erwiderte sie. »Ihr habt Etwas in Euren Zügen und in Eurem Betragen, das Vertrauen erweckt. Laßt uns Freunde bleiben. Ihr braucht nicht zu fürchten,« sagte sie lachend, ein wenig erröthend, doch mit freier, unbefangener Stimme, »daß Freundschaft blos ein beschönigender Name für ein anderes Gefühl sein sollte. Nach Denkart und Handlungsweise gehöre ich mehr Eurem Geschlecht, unter dem ich erzogen wurde, als dem meinigen an. Ueberdieß wurde ich schon in der Wiege mit dem verhängnißvollen Schleier umhüllt; denn Ihr könnt leicht glauben, daß ich nie an die verhaßte Bedingung dachte, unter welcher ich ihn ablegen kann. Die Zeit, meinen letzten Entschluß auszusprechen, ist noch nicht gekommen,« setzte sie hinzu, »und ich möchte gern mit den andern Kindern der Natur auf der wilden Haide und in der freien Luft mich bewegen, so lange mir dieser Genuß vergönnt ist. – Und nun, da die Stelle des Dante erklärt ist, bitte ich Euch, geht und seht, was aus den Dachsjägern geworden ist. Mein Kopf thut mir so weh, daß ich nicht bei der Jagd sein kann.«
Ich verließ die Bibliothek, doch nicht, um den Jägern zu folgen. Ich fühlte, daß mir ein einsamer Gang nöthig war, um mich zu sammeln, ehe ich es wagen durfte, Rashleigh, dessen berechnete Schlechtigkeit mir so ergreifend geschildert worden war, wieder zu sehen. In Dubourgs Familie (da er Protestant war) hatte ich manche Geschichte von katholischen Priestern gehört, die, auf Kosten der Freundschaft, der Gastfreiheit und der heiligsten Bande des geselligen Lebens, jene Leidenschaften befriedigten, deren erlaubten Genuß die Gesetze ihres Glaubens ihnen versagten. Aber der berechnete Plan, die Erziehung einer verlassenen Waise von guter Herkunft, und einer so nahen Verwandten, in der treulosen Absicht zu übernehmen, sie endlich zu verführen, wie das erwählte Opfer mir mit aller Wärme eines tugendhaften Unwillens erzählt hatte, das schien mir gottloser, als die schlimmste der Geschichten, die ich in Bordeaux hörte; und ich fühlte, wie schwer es mir sein würde, Rashleigh zu sehen, und dennoch, dennoch den Abscheu zu verbergen, den er mir einflößte. Das war indeß durchaus nothwendig, nicht allein wegen des geheimnißvollen Befehls, den Diana mir gegeben hatte, sondern auch, weil ich in der That scheinbar keinen Grund zum Streit mit ihm hatte.
Ich beschloß daher, so viel wie möglich Rashleighs Verstellung mit gleicher Vorsicht zu begegnen, so lange wir in einer und derselben Familie lebten, und bei seiner Abreise nach London wollte ich wenigstens Owen einen Wink über seinen Charakter ertheilen, und ihm Wachsamkeit für meines Vaters Vortheil empfehlen. Habsucht und Ehrgeiz, glaubte ich, müsse für ein Gemüth, wie Rashleigh besaß, größeren Reiz, als sinnliche Freude haben; die Kraft seiner Eigenthümlichkeit, und seine Gabe, sich den Anschein aller guten Eigenschaften zu geben, konnten ihm leicht einen hohen Grad von Zutrauen erwerben, und es war nicht zu erwarten, daß Redlichkeit oder Dankbarkeit ihn abhalten werde, dasselbe zu mißbrauchen. Die Aufgabe war etwas schwierig, besonders in meinen Verhältnissen, da man die Warnung, die ich gab, einer Eifersucht gegen meinen Nebenbuhler, oder vielmehr meinen Nachfolger in meines Vaters Gunst, beilegen konnte. Dennoch hielt ich es für durchaus nothwendig, einen solchen Brief zu schreiben, es Owen, der selbst behutsam, verständig und bedächtig war, anheimstellend, wie er die Kenntniß von Rashleighs wahren Gesinnungen benutzen wollte. Der Brief wurde also geschrieben, und mit der ersten Gelegenheit auf die Post geschickt.
Als ich mit Rashleigh zusammentraf, schien er eben so wie ich sich entfernt halten und jeden Anlaß zu Reibungen vermeiden zu wollen. Er argwöhnte wahrscheinlich, daß Diana's Mittheilungen ihm nachtheilig gewesen waren, obgleich er nicht wissen konnte, daß sie dieselben bis zu der Entdeckung seines beabsichtigten Vergehens gegen sie ausgedehnt hatte. Unser Verkehr war daher von beiden Seiten zurückhaltend, und betraf nur unbedeutende Gegenstände. Sein Aufenthalt im Schlosse dauerte nur noch wenige Tage, während welcher Zeit ich an ihm zweierlei bemerkte. Erstens die Leichtigkeit und Klarheit, mit denen sein kräftiger und reger Geist die zu seinem neuen Berufe nöthigen Grundkenntnisse auffaßte und verarbeitete, so daß er gelegentlich mit seinen Fortschritten groß that, als wenn er mir hätte zeigen wollen, wie leicht es ihm sei, eine Last zu heben, die ich aus Ermüdung und Unfähigkeit, sie zu tragen, von mir geworfen hatte. Der zweite bemerkenswerthe Umstand war, daß Diana mit Rashleigh, ungeachtet der Beleidigungen, die sie ihm Schuld gab, mehrere ziemlich lange geheime Unterredungen hatte, obgleich sich Beide öffentlich nicht herzlicher wie gewöhnlich gegen einander zeigten.
Als der Tag von Rashleighs Abreise kam, sagte sein Vater ihm gleichgültig Lebewohl; seine Brüder schieden mit der schlecht verhehlten Freude von Schulknaben, die ihren Lehrer auf einige Zeit verreisen sehen, und ihr Vergnügen darüber nicht auszudrücken wagen; ich selbst nahm mit kalter Höflichkeit von ihm Abschied. Als er Miß Vernon nahte und sie umarmen wollte, wich sie mit einem Blicke stolzer Verachtung zurück, und sagte dann, indem sie ihm die Hand reichte: »Lebt wohl, Rashleigh, Gott vergelte Euch das Gute, das Ihr mir erwiesen habt, und vergebe Euch das Böse, das Ihr im Sinne hattet.«
»Amen, schöne Cousine!« erwiderte er mit einem Ausdrucke von Frömmigkeit, der meiner Meinung nach der Schule von St. Omer angehörte: »Selig ist der, dessen gute Absichten die Frucht der Thaten tragen, und dessen böse Gedanken in der Blüthe verdarben.«
Dieß waren seine Abschiedsworte. – »Vollendeter Heuchler!« sagte Diana zu mir, als er die Thüre hinter sich zumachte. »Wie ähnlich kann das Verächtlichste und Verhaßteste im Aeußern dem sein, was wir am meisten verehren!«
Ich hatte durch Rashleigh an meinen Vater und auch einige Zeilen an Owen geschrieben, außer dem bereits erwähnten vertrauten Briefe, den ich auf andere Weise zu bestellen für gut hielt. Sehr natürlich wäre es gewesen, in diesen Briefen meinem Vater und meinem Freunde zu zeigen, daß ich mich in einer Lage befand, in der ich in nichts unterrichtet werden konnte, als in den Geheimnissen der Wild- und Falkenjagd, und in welcher ich leicht in der Gesellschaft roher Stall- und Pferdeknechte alle nützlichen Kenntnisse, alle feinere Bildung, die ich erwarb, vergessen konnte. Es wäre gleichfalls natürlich gewesen, den Widerwillen und Ueberdruß auszudrücken, den ich unter Menschen empfand, deren Sinn nur auf die Jagd und noch herabwürdigendere Vergnügungen gerichtet war, – daß ich über die Unmäßigkeit der Familie, deren Gast ich war, so wie über die Widersprüche und Empfindlichkeit meines Oheims, wenn ich mich von der Flasche entfernen wollte, geklagt hätte. Dieß letztere war in der That ein Umstand, der meinen Vater, welcher selbst ein Mann von strenger Mäßigkeit war, leicht hätte beunruhigen können, und die Berührung dieser Saite würde gewiß die Thüren meines Gefängnisses geöffnet haben, und das Mittel gewesen sein, entweder meine Verbannungszeit zu verkürzen oder den Ort meines ländlichen Aufenthaltes wenigstens zu verlegen.
Ich sage, mein lieber Tresham, daß bei der Unannehmlichkeit, die ein verlängerter Aufenthalt im Schlosse für einen Mann von meinem Alter und meinen Neigungen haben mußte, es sehr natürlich gewesen sein würde, wenn ich meinem Vater alle diese Nachtheile geschildert hätte, um seine Erlaubniß zu erhalten, meines Oheims Haus zu verlassen. Nichts ist aber gewisser, als daß meine Briefe nicht ein einziges Wort in dieser Absicht enthielten. Wäre Osbaldistone-Hall Athen im vormaligen Glanze seiner Bildung, wäre es von Weisen, Helden und Dichtern bewohnt gewesen, ich hätte nicht weniger Neigung aussprechen können, es zu verlassen.
Mein Schweigen über einen so nahe liegenden Gegenstand ist nicht schwer zu erklären. Diana's ausgezeichnete Schönheit, deren sie sich selbst so wenig bewußt schien, ihre romantische und geheimnißvolle Lage; die Leiden, welchen sie ausgesetzt war; der Muth, mit dem sie denselben entgegen zu blicken schien; ihr, mehr als für ihr Geschlecht sich ziemte, freies Betragen, das aber, wie es mir schien, dennoch nur durch das Bewußtsein ihrer Unschuld so frei war – vor Allem aber die sichtbare und schmeichelhafte Auszeichnung, die sie mir vor jedem Andern gewährte, mußten meine edelsten Gefühle ansprechen, meine Neugier erregen, meine Einbildungskraft beschäftigen und meine Eitelkeit befriedigen. Ich wagte es in der That nicht, mir selbst zu gestehen, welche lebhafte Theilnahme mir Diana einflößte, oder wie sehr sie meine Gedanken erfüllte. Wir lasen, gingen, ritten und saßen zusammen. Die Geistesbeschäftigungen, die sie bei ihrem Zwiste mit Rashleigh abgebrochen hatte, erneuerte sie jetzt unter der Leitung eines Lehrers, der redlichere Absichten, wenn auch weit beschränktere Fähigkeiten hatte.
Ich war in der That keineswegs geeignet, ihr bei der Fortsetzung einiger tiefern Studien, die sie mit Rashleigh begonnen hatte, die aber mehr für einen Geistlichen, als für ein schönes Mädchen zu passen schienen, behülflich zu sein. Auch kann ich nicht begreifen, in welcher Absicht Rashleigh Diana bewogen hatte, sich in die düstern Irrgänge der Schulweisheit zu verlieren, oder die gleich schwierigen, wiewohl bestimmteren Wissenschaften der Mathematik und Sternkunde zu erforschen, wenn es nicht geschah, um in ihrem Urtheil die verschiedenen Verhältnisse der Geschlechter aufzulösen und zu verwechseln, und sie an spitzfindige Vernünftelei zu gewöhnen, damit er zu seiner Zeit dem Unrechten die Farbe des Rechten verleihen könne. In demselben Geiste, obgleich mit auffallend böser Absicht, ward Diana von Rashleighs Lehren aufgemuntert, die Formen und beschränkenden Kreise, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse unserer Zeit um die Frauen gezogen haben, zu vernachlässigen und gering zu achten. Sie war freilich von allem weiblichen Umgange entfernt, und konnte weder durch Beispiel, noch durch Vorschrift die gewöhnlichen Regeln des Wohlstandes lernen; dennoch besaß sie so viel angeborene Sittsamkeit und feinen Sinn für Sitte und Tugend, daß sie jenes kühne und ungezwungene Betragen, das mir bei unsrer ersten Bekanntschaft so sehr auffiel, nicht aus eigener Regung angenommen haben würde, wenn man sie nicht auf den Gedanken geleitet hätte, daß Verachtung der Förmlichkeit sowohl Verstandesüberlegenheit, als Vertrauen auf das Bewußtsein der Unschuld andeute. Ihr verschlagener Lehrer hatte unfehlbar seine Absichten, als er die Außenwerke niederriß, welche Zurückhaltung und Vorsicht um die Tugend aufführten.
Außer den Fortschritten, welche Diana, deren kräftiger Geist jedes Bildungsmittel bereitwillig auffaßte, in den abstrakteren Wissenschaften gemacht hatte, besaß sie auch viele Sprachkenntnisse, und war vertraut mit den Schriften des Alterthumes und der neueren Zeit. Wenn nicht große Talente oft am weitesten gingen, wo sie den wenigsten Beistand haben, so würden Miß Vernons schnelle Fortschritte in diesen Kenntnissen fast unglaublich scheinen, und sie waren wirklich um so auffallender, wenn man ihre geistigen Erwerbungen aus Büchern mit ihrer gänzlichen Unkenntniß des wirklichen Lebens verglich. Sie schien Alles zu sehen und zu wissen, nur nicht, was in der Welt um sie her vorging, und ich glaube, diese Unwissenheit und Einfalt der Ansicht gewöhnlicher Gegenstände, die mit ihren Kenntnissen einen so auffallenden Kontrast bildeten, war es, was die Unterhaltung mit ihr so unwiderstehlich bezaubernd machte, und die Aufmerksamkeit auf Alles lenkte, was sie sagte oder that, da es sich durchaus nicht berechnen ließ, ob ihr nächstes Wort, ihre nächste Handlung die scharfsinnigste Wahrnehmung oder die äußerste Einfalt verrathen werde. Wie gefährlich es für einen Jüngling von meinem Alter und meinen lebhaften Gefühlen sein mußte, mit einem so liebenswürdigen und so anziehenden Wesen in so vertraulicher Nähe zu leben, wird leicht Jeder, der sich seiner eigenen Gefühle in meinem Alter erinnert, einsehen.