Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einundzwanzigstes Kapitel.

Auf dem Rialto, Nachts um zwölf,
Geh' ich umher in nächtlicher Betrachtung; –
Dort wollen wir uns Beide treffen.

Das gerettete Venedig.

 

Von trüben Ahnungen erfüllt, für die ich mir indeß selbst keinen befriedigenden Grund angeben konnte, verschloß ich mich in mein Zimmer in dem Wirthshause, und nachdem ich Andrew entlassen hatte, der mich sehr bat, ihn in die St. Enochs-Kirche Ich halte das für einen Anachronismus, da die St. Enochs-Kirche damals noch nicht erbaut war. zu begleiten, fing ich an, ernstlich zu überlegen, was zu thun sei. Ich war nie eigentlich abergläubisch, aber ich glaube, Jeder, der in einer seltsamen, zweifelhaften und schwierigen Lage seinen Verstand umsonst aufgeboten hat, kann in einer Art von Verzweiflung leicht bewogen werden, seiner Einbildungskraft die Zügel schießen zu lassen, um sich entweder ganz dem Zufalle, oder jenen wunderlichen Eindrücken hinzugeben, die unser Gemüth ergreifen, und denen wir uns mit unfreiwilligem Antriebe überlassen. Es lag etwas so seltsam Zurückstoßendes in den Zügen des schottischen Kaufmannes, daß ich mich nicht entschließen konnte, mich seinen Händen zu überliefern, ohne alle Vorsichtsmaßregeln getroffen zu haben, welche die Regeln der Physiognomik vorschreiben konnten. Auf der andern Seite hatte die warnende Stimme, die ich hinter mir hörte, die Gestalt, welche, einem Schatten gleich, durch jene Grabeshallen schwebte, etwas Anziehendes für die Phantasie eines jungen Mannes, der noch überdieß ein junger Dichter war.

Wenn mich Gefahr umringte, wie die geheimnißvolle Nachricht andeutete, wie konnte ich sie kennen lernen, oder Mittel finden, ihr auszuweichen, als wenn ich den unbekannten Rathgeber aufsuchte, dem ich nur freundliche Absichten zutrauen zu dürfen glaubte? Rashleigh und seine Ränke kamen mir mehrmals in den Sinn, allein meine Reise war so schnell gewesen, daß ich nicht vermuthen konnte, er sei schon von meiner Ankunft in Glasgow unterrichtet, und noch viel weniger, er hätte sich darauf vorbereitet, mir einen bösen Streich zu spielen. Ueberdieß fehlte es mir nicht an Muth und Zuversicht; ich war stark und kräftig und einigermaßen an den Gebrauch der Waffen gewöhnt, in dem die jungen Franzosen aller Stände geübt waren. Einen einzelnen Feind fürchtete ich nicht; Meuchelmord war weder das Laster jener Zeit, noch dieses Landes, und der zu unserer Zusammenkunft bestimmte Ort war zu öffentlich, als daß ich überlegte Gewaltthätigkeit hätte befürchten können. Kurz, ich beschloß, meinen geheimnißvollen Rathgeber auf der Brücke zu treffen, wie er verlangt hatte, und mich nachher durch die Umstände leiten zu lassen. Ich will dir, Tresham, nicht verhehlen, was ich mir damals selbst zu verhehlen suchte – die unterdrückte, doch heimlich genährte Hoffnung, daß Diana Vernon auf eine mir unbekannte Weise in Verbindung mit der seltsamen Anzeige stehe, die ich auf so überraschende Art erhalten hatte. Sie allein – flüsterte diese verführerische Hoffnung – sie allein wußte um diese Reise; nach ihrer eigenen Angabe besaß sie Freunde und Einfluß in Schottland; sie hatte mir einen Talisman ertheilt, dessen Macht ich erproben sollte, wenn alle anderen Mittel fehlschlugen. Wer, als Diana Vernon, besaß Mittel, Geschicklichkeit und Neigung, die Gefahren abzuwenden, welche, wie es schien, meine Schritte umringten? Diese schmeichelnde Ansicht meiner mißlichen Lage drängte sich mir immer von Neuem auf; sie nahm, obgleich sehr schüchtern, vor dem Abendessen Theil an meinen Gedanken; sie enthüllte ihre Reize kühner, während ich mein einfaches Mahl genoß, und wurde in der darauf folgenden Stunde – unterstützt vielleicht durch einige Gläser des vortrefflichsten rothen Weines, so verwegen und zudringlich, – daß ich, um der verführerischen Täuschung zu entgehen, Glas und Mahlzeit bei Seite schob, meinen Hut ergriff und in das Freie eilte, als ob ich mir selbst entfliehen wollte. Aber vielleicht folgte ich eben den Gefühlen, welchen ich entrinnen wollte, denn unvermerkt führten mich meine Schritte zu der Brücke über den Clyde, auf der mich mein geheimnißvoller Warner treffen wollte.

Obwohl ich erst nach dem Abendgottesdienste gegessen hatte, da ich den religiösen Bedenklichkeiten meiner Wirthin nachgab, die zwischen den beiden Predigten nicht kochen wollte, und zugleich nach der Warnung meines unbekannten Freundes bis zur Dämmerung zu Hause blieb, so mußten doch vor der bestimmten Zusammenkunft noch mehrere Stunden vergehen. Diese Zwischenzeit war, wie sich leicht denken läßt, langweilig genug, und ich kann kaum sagen, wie sie vergangen ist. Mannigfache Gruppen von Menschen, welche sämmtlich, Jung und Alt, von der Heiligkeit des Tages erfüllt zu sein schienen, wandelten längs der großen Wiese am östlichen Ufer des Flusses, die zu einem Spaziergang der Einwohner dient, oder gingen langsamen Schrittes über die lange Brücke, welche zu dem westlichen Theile der Grafschaft führt. Alles, was ich mir von ihnen erinnere, war der allgemeine, doch nicht unangenehme Ausdruck von Frömmigkeit, der vielleicht von Einigen nur angenommen sein mochte, doch bei der größeren Menge, welche die ausgelassene Fröhlichkeit der Jugend zu einem ruhigern und anziehendern Austausch der Gefühle herabstimmte, und die lebhaften Streitigkeiten der ältern Personen unterdrückte, aufrichtig war. So Viele auch an mir vorübergingen, hörte man doch keinen allgemeinen Ton menschlicher Stimme; Wenige kehrten um, noch einige Minuten zu lustwandeln, wozu die Muße des Tages und die Schönheit der umliegenden Gegend sie einzuladen schien: Alle eilten ihrer Heimath und ihren Ruheplätzen zu. Für Einen, der, wie ich, im Auslande gesehen hatte, wie man den Sonntagabend, selbst unter den französischen Calvinisten, zubringt, lag etwas Jüdisches, aber zugleich Auffallendes und Rührendes in dieser Art der Sabbathfeier. Allmählig fühlte ich, daß mein Auf- und Abschlendern unter der Menge Heimkehrender, denen ich begegnete, mich wenigstens der Aufmerksamkeit, wo nicht dem Tadel, aussetzen mußte. Ich verließ daher den besuchten Weg, um meinen Spaziergang weniger beobachtet fortzusetzen, und die Reihen Bäume, die auf der Wiese, wie im St. James-Parke zu London gepflanzt sind, boten mir dazu die beste Gelegenheit.

Indem ich eine dieser Alleen hinabging, hörte ich mit Ueberraschung Andrew's Stimme, durch Selbstgefühl lauter, als Andere der Feierlichkeit angemessen gehalten haben würden. Mich hinter die Bäume zu verstecken war vielleicht kein sehr würdiges Benehmen, allein die leichteste Art, seiner Aufmerksamkeit und seiner abgeschmackten Zudringlichkeit und noch lästigern Neugier zu entgehen. Mit einem ernst aussehenden Manne, der einen schwarzen Rock, herabhängenden Hut und langen Mantel trug, ging er langsam vorüber, und ich hörte, wie er eine Schilderung ertheilte, die meine Eigenliebe zwar als Zerrbild empörend, aber dennoch ähnlich finden mußte.

»Ja, ja, wie ich Euch sage, Mr. Hammorgaw. Es fehlt ihm keineswegs an Verstand, er sieht recht gut ein, was vernünftig ist, – aber er ist toll und thöricht mit seinem poetischen Unsinn. Er starrt einen alten Eichenbaum mit zerrissener Rinde an, als wenn's eine Prinzmadam mit vollen Früchten wäre, und ein nackter Felsen, über den ein Bach fällt, ist ihm so lieb, wie ein Garten mit blühenden Pflanzen und Küchenkräutern; und hernach schwatzt er lieber mit einer albern' Dirne, man nennt sie Diana Vernon – ich wollte, sie hieße Diana von Ephesus, denn sie ist wenig besser, als eine Heidin – besser? – schlimmer ist sie, eine Papistin, eine reine Römerin. – Er schwatzt lieber mit ihr, oder mit anderm müss'gen Pack, als daß er hörte, was ihm gut thun würde sein Lebelang, von Euch oder mir, oder andern verständigen und achtbaren Leuten. Vernunft, Sir, kann er nicht ertragen – 's ist Alles nur Eitelkeit und Geläufigkeit der Zunge an ihm, und er sagte mir einst (das arme, verblendete Geschöpf!) daß die Psalmen Davids ein vortreffliches Gedicht wären! Als ob der heilige Psalmist daran gedacht hätte, Reime zu schmieden, wie der Klingklang, den er Verse nennt! Zwei Zeilen von Davie Lindsay würden Alles begraben, was er je geschmiert hat.«

Man wird sich nicht wundern, wenn ich bei Anhörung dieser Aeußerungen über meinen Charakter und meine Beschäftigungen daran dachte, bei der ersten geziemenden Gelegenheit den Mr. Fairservice mit einem blutigen Kopf zu überraschen. Sein Freund verrieth seine Meinung blos durch ein: »Ei, ei!« und »Ist's so?« und dergleichen Ausdrücke des Antheils, bis er endlich eine längere Bemerkung machte, die ich nur aus meines getreuen Wegweisers Antwort abnahm. »Meine Meinung soll ich ihm sagen, verlangt Ihr? Da wär' Andrew wohl ein Narr! Er hat den Teufel im Leibe, Sir! – Er ist wie Giles Heathertaps alter Eber; Ihr dürft nur einen Lappen gegen ihn schütteln, so dreht er sich und stößt. Ertragen soll ich ihn, sagt Ihr? Mein' Treu', ich weiß nicht, wofür ich ihn ertragen sollte. Aber der Bursche ist bei all' dem nicht böse, und er braucht Jemand, der auf ihn Acht gibt. Das Gold läuft ihm durch die Hand wie Wasser, und 's ist kein übel Ding, ihm nah' zu sein, wenn er den Beutel in der Hand hat, und er legt ihn selten weg. Und dann ist er guter Herkunft. – Es wird mir warm um's Herz für den armen, gedankenlosen Stutzer, Mr. Hammorgaw – und dann« –

Den letzten Theil seiner lehrreichen Mittheilung sprach er leiser, und entfernte sich mit seinem Begleiter dann bald aus meiner Nähe. Die Aufwallung meines Unwillens war schnell vorüber, indem ich bedachte, wie Andrew selbst gesagt haben würde: »Ein Horcher an der Wand hört seine eigne Schand'.« Der Vorfall hatte indeß den Nutzen, mir einen Theil der Zeit zu verkürzen, die so schwer auf mir lastete.

Der Abend ging jetzt zu Ende, und die zunehmende Dunkelheit gab der breiten, stillen Oberfläche des tiefen und angeschwollenen Stromes zuerst eine gleichförmig dunkle Farbe, dann ein trübes, unruhiges Ansehen, hier und da matt von dem abnehmenden Monde beleuchtet. Die massive und alterthümliche Brücke, die sich über den Clyde streckt, war kaum noch sichtbar, und glich der, welche Mirza in seiner unnachahmlichen Vision von Bagdad so herrlich beschrieben hat. Die niedrigen Bogen, verdunkelt wie der Strom, über den sie sich wölbten, glichen eher Höhlen, welche die düstern Fluthen verschlangen, als Oeffnungen, sie durchzulassen. Mit der zunehmenden Dunkelheit vermehrte sich die Stille der Gegend, doch sah man zuweilen ein Licht längs des Ufers blinken, das kleine Gesellschaften heimgeleitete, die nach der Enthaltsamkeit und den Andachtsübungen des Tages ein geselliges Abendbrod genossen hatten, die einzige Mahlzeit, welche sich strenge Presbyterianer am Sabbath gemeinschaftlich gestatten. Auch hörte man zuweilen den Hufschlag eines Pferdes, das einen Landbewohner, der den Sonntag in Glasgow zugebracht hatte, nach Hause trug. Diese Töne und Erscheinungen wurden nach und nach seltener. Endlich hörten sie ganz auf, und ich wandelte an den Ufern des Clyde einsam in friedlicher Stille, die nur durch den Glockenschlag unterbrochen wurde, der von den Kirchthürmen hallte.

In eben dem Grade, in welchem die Nacht vorrückte, vermehrte sich indeß auch meine Ungeduld über die Ungewißheit, in der ich mich befand, und zuletzt war sie beinahe nicht mehr zu zügeln. Ich gerieth in Zweifel, ob der Streich eines Thoren, der Aberwitz eines Verrückten, oder der überlegte Anschlag eines Schurken mich getäuscht hätte, und mit unglaublicher Unruhe und Verlegenheit ging ich auf dem schmalen Strandwege, der zum Eingange der Brücke führt, auf und nieder. Endlich tönte es Zwölf von der Hauptkirche St. Mungo, und wurde allmählig von den kleinern, aber eben so frommen Gemeinden beantwortet. Kaum war der Wiederhall des letzten Tones verklungen, als eine Menschengestalt, die erste, die ich seit zwei Stunden gesehen, vom westlichen Ufer her über die Brücke kam. Ich ging ihr mit einem Gefühle entgegen, als ob mein Schicksal von dem Erfolge der Zusammenkunft abhinge; so sehr hatte die verlängerte Erwartung meine Besorgnisse aufgeregt. Indem ich mich dem Wanderer näherte, konnte ich nur bemerken, daß er mehr unter, als über Mittelgröße war; ein Reitermantel umhüllte ihn. Ich hemmte meinen Schritt, und blieb fast stehen, als ich ihm nahe kam, denn ich erwartete, daß er mich anreden würde. Allein ich sah mich unangenehm getäuscht, als er schweigend an mir vorüberging, und hatte keinen Vorwand, zuerst einen Menschen anzureden, der, wenn er auch zur bestimmten Stunde der Zusammenkunft erschien, dennoch ein ganz fremder sein konnte. Ich blieb stehen, als er vorüber war, und blickte ihm nach, ungewiß, ob ich ihm folgen sollte. Der Unbekannte ging bis beinahe an das östliche Ende der Brücke, blieb stehen, sah sich um, und kam dann wieder auf mich zu. Ich beschloß, dieß Mal sollte er sein Schweigen nicht wie ein Geist entschuldigen können, der nach dem gemeinen Wahne nicht eher sprechen kann, bis er angeredet wird. »Ihr seid spät unterwegs,« sagte ich, als wir uns zum zweiten Male begegneten.

»Ich halte die Verabredung,« antwortete er, »und ich denke, Ihr haltet sie auch, Mr. Osbaldistone!«

»Ihr seid also Derjenige, welcher mich aufforderte, Euch hier zu dieser ungewöhnlichen Stunde zu treffen?«

»Ich bin's,« erwiderte er. »Folgt mir, und Ihr werdet erfahren, warum.«

»Ehe ich Euch folge, muß ich Euern Namen und Eure Absicht wissen.«

»Ich bin ein Mann,« war die Antwort, »und meine Absicht ist freundlich für Euch.«

»Ein Mann?« wiederholte ich. »Das ist eine sehr kurze Beschreibung.«

»Sie dient für Jemand, der keine andere zu geben hat,« sagte der Fremde. »Wer ohne Namen, ohne Freunde, ohne Geld, ohne Vaterland ist, bleibt wenigstens ein Mann, und wer das Alles hat, ist nicht mehr.«

»Dennoch ist das eine zu allgemeine Nachricht von Euch, um das Wenigste zu sagen, als daß ein Fremder Euch trauen könnte.«

»Es ist indeß die einzige, die ich Euch zu geben gedenke; Ihr möget mir nun folgen wollen, oder ohne die Nachricht, die ich Euch zu geben wünsche, hier bleiben.«

»Könnt Ihr sie mir nicht hier geben?« fragte ich.

»Ihr müßt sie durch Eure Augen erhalten, nicht durch meine Zunge – Ihr müßt mir folgen, oder über die Nachricht, die ich Euch zu geben habe, in Ungewißheit bleiben.«

Es lag etwas Kurzes, Bestimmtes und selbst Rauhes in dem Wesen dieses Mannes, das gewiß nicht geeignet war, unbedingtes Zutrauen zu erwecken.

»Was fürchtet Ihr?« sagte er ungeduldig. »Wem, glaubt Ihr, sei Euer Leben so wichtig, daß man suchen sollte, Euch dessen zu berauben?«

»Ich fürchte nichts,« antwortete ich fest, obwohl etwas hastig. »Vorwärts – ich begleite Euch.«

Wir gingen, gegen meine Erwartung, in die Stadt zurück, und schlichen, stummen Gespenstern gleich, neben einander durch die leeren, geräuschlosen Straßen. Die hohen, finstern Steingebäude mit den mannigfachen Zierrathen und Fenster-Einfassungen schienen im bleichen Mondlichte noch höher und dunkler zu sein. Wir setzten unsern Weg einige Minuten in tiefem Schweigen fort. Endlich fragte mein Führer: »Fürchtet Ihr Euch?«

»Ich gebe Euch Eure eigenen Worte zurück,« erwiderte ich. »Warum sollte ich mich fürchten?«

»Weil Ihr bei einem Fremden seid – vielleicht bei einem Feinde, in einem Orte, an dem Ihr keinen Freund – aber viele Feinde habt.«

»Ich fürchte weder Euch, noch sie; ich bin jung, rüstig und bewaffnet.«

»Ich bin nicht bewaffnet,« erwiderte mein Führer; »doch das gilt gleich; einer willigen Hand fehlt es nie an einer Wehr. Ihr fürchtet nichts, sagt Ihr, aber wenn Euch bekannt wäre, wer an Eurer Seite geht, so würdet Ihr vielleicht doch erschrecken.«

»Und warum sollte ich?« war meine Antwort. »Noch einmal, ich fürchte nichts, was Ihr thun könnt.«

»Nichts, was ich thun kann? – Mag sein! Aber fürchtet Ihr nicht die Folgen, wenn man Euch bei einem Manne fände, dessen Namen man in diesen einsamen Straßen nur zu nennen brauchte, um zu bewirken, daß selbst die Steine aufständen, ihn zu ergreifen – auf dessen Kopf die Hälfte der Einwohner von Glasgow ihr Glück gründen würden, wenn es ihnen gelänge, ihn beim Kragen zu fassen – dessen Verhaftung eine so willkommene Botschaft in Edinburgh wäre, wie je die Nachricht von einer gewonnenen Schlacht in Flandern?«

»Und wer seid Ihr denn, dessen Name ein so gewaltiges Entsetzen erregen sollte?«

»Keiner von Euren Feinden, da ich Euch an einen Ort führe, wo ein Eisen an's Bein und ein Strick um den Hals gar bald mein Schicksal wäre, wenn man mich selbst erkennte.«

Ich blieb stehen, und zog mich so weit zurück, daß ich meinen Begleiter so genau beobachten konnte, als es die Beleuchtung gestattete, was hinreichte, mich gegen einen plötzlichen Angriff zu schützen. »Ihr habt entweder zu viel, oder zu wenig gesagt,« antwortete ich. »Zu viel, als daß ich Euch blos als einem Fremden vertrauen könnte, da Ihr Euch selbst einen Mann nennt, der den Gesetzen dieses Landes verfallen ist – und zu wenig, wenn Ihr mir nicht zeigen könnt, daß die Strenge derselben Euch mit Unrecht verfolgt.«

Als ich schwieg, trat er einen Schritt auf mich zu. Unwillkürlich wich ich zurück, und legte die Hand an den Degen.

»Wie?« sprach er, »gegen einen Wehrlosen und Euren Freund?«

»Ich weiß noch nicht, ob Ihr das Eine oder das Andere seid, und, aufrichtig gesprochen, Eure Reden und Euer Betragen berechtigen mich wohl, an Beidem zu zweifeln.«

»Das ist mannhaft geredet,« erwiderte mein Führer, »und ich achte den Mann, dessen Arm seinem Kopfe beistehen kann. Ich will frei und frank mit Euch sprechen: Ich führe Euch in's Gefängniß.«

»In's Gefängniß?« rief ich. »Und auf wessen Befehl, oder für welches Vergehen? Mein Leben eher, als meine Freiheit! Ich biete Euch Trotz, und werde Euch nicht einen Schritt weiter folgen.«

»Nicht als einen Gefangenen führe ich Euch dahin. Ich bin,« setzte er, stolz sich erhebend, hinzu, »weder ein Gerichtsbote, noch ein Häscher; ich führe Euch zu einem Gefangenen, von dessen Lippen Ihr hören sollt, was Ihr hier zu fürchten habt. Eure Freiheit ist bei diesem Besuche wenig gefährdet; die meinige ist in Gefahr; allein ich gehe ihr mehr um Euretwillen bereitwillig entgegen; denn ich scheue keine Wagniß, und liebe ein offenes, junges Blut, das keinen Beschützer kennt, als seinen Degen.«

Während er dieß sprach, hatten wir die Hauptstraße erreicht, und blieben vor einem großen, steinernen Gebäude stehen, dessen Fenster, wie ich bemerken zu können glaubte, mit Eisen vergittert waren.

»Viel würden die Gerichtsherren von Glasgow darum geben,« sagte der Fremde, dessen Aussprache breiter und nationaler wurde, indem er den Ton vertraulicher Unterredung annahm, »wenn sie den da drinnen mit eisernen Strumpfbändern sitzen hätten, der jetzt so frei, wie ein Hirsch, hier auf seinen Beinen steht. Aber es sollt' ihnen auch wenig helfen; denn wenn sie ihn dort mit einem Stein Eisen an jedem Fußknöchel hätten, so sollten sie doch eine leere Kammer, und den Bewohner entflohen finden, ehe der Morgen käme. – Doch kommt; was zögert Ihr?«

Mit diesen Worten klopfte er an ein niedriges Pförtchen, und ihm antwortete eine scharfe Stimme, wie wenn Jemand aus dem Schlafe oder aus einem Traume erwacht: »Wer ist's? – Wer ist da? – Und was wollt Ihr in dieser Stunde der Nacht? – Ganz gegen alle Regel – alle Regel, wie sie's nennen!«

Der gedehnte Ton, mit welchem die letzten Worte gesprochen wurden, verrieth, daß der Sprecher sich wieder zum Schlafen niedergelegt hatte. Aber mein Führer sprach mit vernehmlichem Flüstern: » Dougal, Mann! Habt Ihr vergessen – Ha nun Gregarach?«

»Wartet, wartet!« war die schnelle und bereitwillige Antwort, und ich hörte, wie der Wächter sich drinnen munter regte. Mein Führer und er wechselten noch einige Worte in einer Sprache, die mir durchaus fremd war. Die Riegel wurden weggeschoben, doch mit einer Vorsicht, welche die Furcht verrieth, daß man das Geräusch hören möchte, und wir standen im Vorplatze des Gefängnisses, einer kleinen, aber fest verwahrten Wachstube. Eine enge Treppe führte in das obere Stockwerk, und einige niedrige Eingänge leiteten zu stark verschlossenen und verriegelten Gemächern in derselben Reihe. Die nackten Wände waren mit Fesseln und Werkzeugen zu noch grausameren Zwecken behangen, zwischen welchen ich Hellebarden, Flinten und Pistolen von alterthümlicher Arbeit, und andere Waffen zu Angriff und Vertheidigung bemerkte.

Als ich mich so unerwartet, gewaltsam und verstohlen in einem schottischen Gefängnisse erblickte, konnte ich nicht unterlassen, meines Abenteuers in Northumberland zu gedenken, und mich über die seltsamen Vorfälle zu betrüben, die mich von Neuem, ohne meine Schuld, in eine gefährliche Reibung mit den Gesetzen des Landes zu bringen drohten, das ich nur als Fremder betrat.

 

Ende des ersten Bandes

 


 << zurück