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Siebzehntes Kapitel.

Ich hör' eine Stimme, du hörst sie nicht,
Die sagt mir, ich soll hier nicht weilen; –
Ich seh' eine Hand auch, du siehst sie nicht,
Die winkt mir, von dannen zu eilen.

Tickell.

 

Ich sagte dir bereits, Tresham, wenn du dich daran erinnern willst, daß meine Abendbesuche in der Bibliothek selten anders stattgefunden hatten, als auf vorhergegangene Verabredung und unter der schützenden Gegenwart der Frau Martha. Das war indeß lediglich ein stillschweigendes Uebereinkommen, welches wir nach meiner eigenen Anordnung trafen.

In der letzten Zeit, während welcher unsere Verhältnisse immer mehr Störungen fanden, waren Miß Vernon und ich in den Abendstunden nie mehr zusammengekommen. Sie konnte daher nicht wohl vermuthen, daß ich eine Erneuerung dieser Zusammenkünfte suchen würde, besonders ohne vorhergegangene Verabredung zwischen uns, damit die alte Martha, wie gewöhnlich, ihr Amt versehe; doch auf der andern Seite war diese behutsame Vorsorge eine Sache des Verstandes, nicht ausdrücklicher Verpflichtung. Die Bibliothek stand mir, wie jedem anderen Mitgliede der Familie, zu jeder Stunde des Tages und der Nacht offen, und man konnte mich der Zudringlichkeit nicht beschuldigen, so plötzlich und unerwartet ich auch erschien. Ich glaubte fest, daß Diana Vaugham oder sonst Jemand, durch dessen Meinung sie ihr Betragen leiten ließ, gelegentlich hier sah, und zwar zu einer Zeit, wo sie am wenigsten eine Störung befürchten konnte. Das Licht, welches die Fenster des Saales in ungewöhnlichen Stunden erhellte, die vorüberwandelnden Schatten, die ich selbst bemerkt hatte, die Fußtritte, die man im Morgenthau von der Thurmthüre bis an die Hinterpforte des Gartens verfolgen konnte, die Töne und Gestalten, welche einige Diener, und namentlich Andrew, beobachtet, und nach ihrer Art ausgelegt hatten, alles Das verrieth mir, daß der Ort von Jemand besucht werde, der nicht zu den gewöhnlichen Hausgenossen gehörte. Da dieser Freund in Diana Vernons Schicksal wahrscheinlich verwickelt sein mußte, so entwarf ich einen Plan, um zu entdecken, wer, oder was er war, und in wiefern sein Einfluß gute oder böse Folgen für sie haben konnte; vor Allem aber wünschte ich, obgleich ich mich selbst überreden wollte, es sei nur eine Nebenrücksicht, zu wissen, durch welche Mittel dieser Unbekannte seinen Einfluß auf Miß Vernons Betragen erworben hatte und behauptete, und ob er sie durch Furcht oder Zuneigung leite. Der Beweis, daß diese Neugier bei mir vorherrschend war, entstand aus der Einbildung, Diana's Betragen werde nur von einem Einzelnen bestimmt, obgleich ihre Rathgeber nach dem, was ich von der Sache wußte, Legion sein konnten. Ich sagte mir dieß wieder und wieder, kam aber stets auf meine erste Ueberzeugung zurück, daß ein einzelnes Wesen von männlichem Geschlecht, und wahrscheinlich jung und schön, Miß Vernons Handlungen bestimmte. Mit dem glühenden Verlangen, einen solchen Nebenbuhler zu entdecken, oder vielmehr zu ertappen, ging ich daher in den Garten, um den Augenblick abzuwarten, wenn die Fenster der Bibliothek erleuchtet sein würden.

Meine Ungeduld war indeß so groß, daß ich ein Zeichen, welches nicht vor Anbruch der Dunkelheit erscheinen konnte, an einem Juliusabend eine Stunde vor dem Eintritt der Dämmerung beobachtete. Es war Sonntag, und alle Gänge waren still und einsam. Ich schritt einige Zeit auf und nieder, genoß die erfrischende Kühle des Sommerabends, und überdachte die wahrscheinlichen Folgen meines Unternehmens. Die frische balsamische Luft, mit Wohlgeruch erfüllt, brachte ihre gewöhnliche beruhigende Wirkung auf mein heiß und fieberhaft wallendes Blut hervor, und als der Aufruhr in meinem Innern sich in Etwas zu legen anfing, kam ich auf den Gedanken, was ich für ein Recht hätte, in die Geheimnisse der Miß Vernon oder meines Oheims einzudringen? Was ging es mich an, wen mein Oheim in seinem Hause verbergen wollte, in dem ich selbst nur als Gast geduldet wurde? Und welches Recht hatte ich, Diana's Angelegenheiten nachzuforschen, welche, wie sie selbst gestand, mit einem Geheimniß umhüllt waren, das sie nicht erforscht wissen wollte?

Leidenschaft und Eigensinn hatten ihre Antworten auf diese Frage bereit. Wenn ich diesen geheimen Geist entdeckte, erzeigte ich aller Wahrscheinlichkeit nach meinem Oheim einen Dienst, da er vermuthlich nichts von den Ränken wußte, die in seiner Familie geschmiedet wurden, und einen noch wichtigeren Dienst konnte ich Diana Vernon leisten, welche sich, bei der arglosen Einfalt ihres Charakters, durch den geheimen Umgang mit einem Manne von vielleicht zweideutiger oder gefährlicher Denkart, so vielen Gefahren aussetzen konnte. Wenn ich mich in ihr Vertrauen einzudrängen schien, so geschah es mit der edelmüthigen und uneigennützigen – ja, ich wagte sogar zu sagen, der uneigennützigen – Absicht, sie zu leiten, zu vertheidigen, zu beschützen gegen List, gegen Bosheit – und vor Allem gegen den geheimen Rathgeber, den sie zu ihrem Vertrauten gewählt hatte. Das waren die Gründe, die mein Wille meinem Gewissen dreist als gültige Münze bot, und die das Gewissen, gleich einem murrenden Krämer, lieber annahm, als es zu einem offenen Bruche mit einem guten Kundmann kommen zu lassen, obgleich es mehr Zweifel hegte, daß die Münzen falsch wären.

Während ich, dieses Für und Wider erwägend, durch die grünen Gänge schritt, stieß ich plötzlich auf Andrew Fairservice, der wie eine Bildsäule vor einer Reihe von Bienenstöcken in Betrachtung versunken stand. Mit einem Auge beobachtete er die Bewegungen des kleinen, regen Völkchens, das sich in seinem Strohhause für den Abend niederließ, und das andere heftete er auf ein Andachtsbuch, das durch langen Gebrauch seine Ecken verloren hatte, und in eine länglich-runde Gestalt abgenutzt war; ein Umstand, der ihm, nebst dem engen Drucke und der dunkeln Farbe, ein Ansehen des ehrwürdigsten Alterthumes gab.

»Ich las da eben ein Sprüchlein in des verdienstvollen John Quackleben: ›Blume von süßem Duft, in den Misthaufen der Welt gesäet‹,« sagte Andrew, als er mich sah, und machte das Buch zu, in das er seine Hornbrille als Zeichen legte.

»Und die Bienen, bemerke ich, Andrew, theilten Eure Aufmerksamkeit mit dem gelehrten Schriftsteller?«

»Sie sind ein widerspenstiges Volk,« erwiderte der Gärtner. »Sechs Tage in der Woche haben sie Zeit zu ihrem Thun, und dennoch, wie man weiß, schwärmen sie immer am Sabbath, und halten die Leute ab, Gottes Wort zu hören. – Doch hier wird des Abends nicht in der Kapelle gepredigt« –

»Wäret Ihr in der Pfarrkirche gewesen, Andrew, wie ich, so hättet Ihr eine vortreffliche Predigt gehört.«

»Ei ja!« erwiderte Andrew mit trotzigem Lachen, »gut genug für Hunde, mit Euer Gnaden Erlaubniß; ich hätte ohne Zweifel gehört, wie der Pfarrer die Predigt in seinem weißen Hemd herableierte, und die Musikanten aufspielten, mehr zu einer Hochzeit, als zu einer Predigt. Da ginge ich lieber hin, und hörte Vater Docharty seine Messe murmeln; – wäre viel besser dran gewesen.«

»Docharty?« wiederholte ich – das war der Name eines alten Priesters, eines Irländers, glaube ich, der in Osbaldistone-Hall zuweilen den Gottesdienst hielt – »ich glaubte, Vater Vaughan wäre in der Halle. Er war gestern hier.«

»Ja,« erwiderte Andrew; »aber er reiste auch gestern nach Greystock, oder wer weiß sonst wohin. Es ist jetzt eine rechte Unruhe unter ihnen; sie sind so geschäftig, wie meine Bienen hier. Gott behüte sie, daß ich die armen Dinger mit den Papisten vergleiche! – Das ist der zweite Schwarm; der erste schwärmte heut Morgen, doch ich denke, sie werden für die Nacht zur Ruhe sein. So wünsch' ich Euer Gnaden eine gute Nacht.«

Mit diesen Worten entfernte sich der Gärtner; doch warf er noch oft einen Abschiedsblick auf die Bienen zurück.

Ich verdankte ihm die wichtige Nachricht, daß Vater Vaughan nicht mehr im Schlosse war. Wenn also an diesem Abende Licht in der Bibliothek erschien, so konnte es entweder nicht das seinige sein, oder er zeigte ein sehr geheimnißvolles und verdächtiges Betragen. Mit Ungeduld erwartete ich den Untergang der Sonne. Kaum war es Dämmerung, als ein schwacher Schein in der Bibliothek sichtbar wurde, bei dem noch fortdauernden Abendroth kaum zu unterscheiden. Ich entdeckte jedoch den ersten Strahl so schnell, wie der von der Nacht überraschte Seemann das ferne Blitzen eines Leuchtthurms, der seine Fahrt bezeichnet. Alle Zweifel und Gefühle für Schicklichkeit, die bisher mit meiner Eifersucht und Neugier im Streite gelebt hatten, verschwanden, als sich eine Gelegenheit fand, diese zu befriedigen. Ich ging in das Haus zurück, und die besuchteren Gemächer vermeidend, wie ein Mensch, der seine Absicht zu verheimlichen wünscht, erreichte ich die Thüre der Bibliothek. Ich zögerte einen Augenblick, als meine Hand die Klinke berührte – hörte leise Fußtritte darin – öffnete die Thüre, und fand – Miß Vernon allein.

Sie schien überrascht – ob über meinen plötzlichen Eintritt, oder über sonst Etwas, konnte ich nicht entdecken; allein sie zeigte einen Grad von Unruhe, den ich noch nie an ihr bemerkt hatte, und der, wie ich wußte, nur durch eine ungewöhnliche Gemüthsbewegung erregt sein konnte. Nach einem Augenblicke war sie jedoch ruhiger geworden; und so mächtig ist das Gewissen, daß ich, der sie überraschen wollte, selbst überrascht schien, und gewiß der Verlegenste war.

»Ist Etwas vorgefallen?« fragte Miß Vernon. »Ist Jemand im Schlosse angekommen?«

»Niemand, daß ich wüßte,« antwortete ich mit einiger Verwirrung; »ich suchte nur den Orlando.«

»Da liegt er,« sagte Diana, und zeigte auf den Tisch.

Indem ich einige Bücher weglegte, um das zu finden, welches ich vergeblich suchte, überlegte ich in der That, wie ich mich auf gute Art von einer Nachforschung zurückziehen könnte, der ich meinen Muth nicht gewachsen fand, da sah ich einen Mannshandschuh auf dem Tische liegen. Meine Blicke begegneten denen der Miß Vernon, und sie erröthete tief.

»Es ist eine meiner Reliquien,« sprach sie, mit unsicherer Stimme, nicht meine Worte, sondern meine Blicke beantwortend; »es ist einer von den Handschuhen meines Großvaters, das Urbild des vortrefflichen Van Dyk, den Ihr bewundert.«

Als ob sie glaubte, daß mehr als bloße Worte nöthig wären, um ihre Behauptung zur Wahrheit zu machen, öffnete sie einen Kasten des großen eichenen Tisches, nahm einen andern Handschuh heraus, und warf ihn mir zu. Wenn ein von Natur aufrichtiges Gemüth sich zu Zweideutigkeit und Verstellung herabläßt, erregt oft die ängstliche Unruhe, womit die ungewohnte Sache verrichtet wird, bei dem Zuhörer einen Zweifel an der Wahrheit. Ich warf einen schnellen Blick auf beide Handschuhe, und erwiderte dann ernsthaft: »Die Handschuhe sind sich allerdings in Gestalt und Stickerei ähnlich; allein sie machen kein Paar, da sie beide an die rechte Hand gehören.«

Sie biß sich ärgerlich in die Lippen, und erröthete von Neuem.

»Ihr habt recht, mich nicht zu schonen,« sagte sie mit Bitterkeit. »Andere Freunde würden aus dem, was ich sagte, blos geschlossen haben, daß ich keine besondere Erklärung über einen Umstand geben wollte, der keine bedarf – wenigstens nicht für einen Fremden. Ihr habt besser geurtheilt, und mich nicht allein fühlen lassen, wie gemein Doppelzüngigkeit ist, sondern auch, wie unfähig ich bin, mich zu verstellen. Ich sage Euch nun deutlich, daß dieser Handschuh nicht zu jenem gehört, wie Ihr scharfsinnig bemerkt habt. Er gehört einem Freunde, der mir noch theurer ist, als das Urbild von Van Dyks Gemälde, – einem Freunde, dessen Rath mich geleitet hat und leiten wird, den ich verehre, den ich« –

Sie schwieg. Ich war gereizt durch ihr Benehmen, und ergänzte die abgebrochene Rede auf meine Weise: »Den sie liebt, wollte Miß Vernon sagen.«

»Und wenn ich so sagte,« erwiderte sie stolz, »wer will mich wegen meiner Zuneigung zur Rede stellen?«

»Ich nicht, Miß Vernon, gewiß nicht. Ich bitte Euch, mich von einer solchen Anmaßung freizusprechen. Aber,« fuhr ich etwas nachdrücklich fort, da ich auch empfindlich war, »Miß Vernon wird hoffentlich einem Freunde verzeihen, dem sie diesen Namen zu entziehen geneigt scheint, wenn er bemerkt« –

»Bemerkt nichts, mein Herr,« fiel sie mit einer Heftigkeit ein, »außer, daß ich weder verdächtigt, noch befragt sein will. Es lebt Niemand, von dem ich mich verhören oder beurtheilen lassen will, und wenn Ihr diese ungewöhnliche Zeit, Euch sehen zu lassen, gewählt habt, um meine Geheimnisse zu erspähen, so ist die Freundschaft oder Theilnahme, die Ihr für mich empfinden wollt, nur eine armselige Entschuldigung Eurer unhöflichen Neugier.«

»Ich befreie Euch von meiner Gegenwart,« erwiderte ich eben so stolz, wie sie, denn meinem Charakter war es von jeher fremd, nachzugeben, selbst wo meine Gefühle am tiefsten ergriffen waren. »Ich erwache aus einem lieblichen, aber täuschenden Traume, und – doch wir verstehen uns nun.«

Ich hatte die Thüre des Zimmers erreicht, als Diana, wie es oft geschah, von einer plötzlichen Regung durchdrungen, mich einholte, meinen Arm ergriff, und mich mit jenem Ausdruck von Hoheit, den sie so wunderbar annehmen konnte, und der, bei der Unbefangenheit und Einfachheit ihres Betragens, so unendlich anziehend war, zurückhielt.

»Halt, Sir Frank!« sagte sie. »So sollt Ihr mich nicht verlassen. Ich bin nicht so reich an Freunden, daß ich selbst die undankbaren und selbstsüchtigen von mir stoßen könnte. Merkt, was ich sage: Ihr sollt nichts von diesem geheimnißvollen Handschuh erfahren« – und sie hielt ihn bei diesen Worten empor – »Nichts, nein, nicht ein Jota mehr, als Ihr bereits wißt, und dennoch soll er nicht zu einem Fehdehandschuh zwischen uns werden. Mein hiesiger Aufenthalt,« fuhr sie fort, indem sie in einen sanfteren Ton verfiel, »muß nothwendig sehr kurz sein, der Eurige noch kürzer. Wir werden uns bald trennen, und uns nie wiedersehen. Laßt uns nicht streiten, oder eine geheimnißvolle Läpperei zum Vorwand nehmen, die wenigen Stunden zu verbittern, die wir diesseits der Ewigkeit noch beisammen sein werden.«

Ich weiß nicht, durch welche Zauberkraft dieß einnehmende Wesen eine solche Herrschaft über mein Gemüth erhielt, das ich selbst nicht immer beherrschen kann. Bei dem Eintritt in die Bibliothek war ich entschlossen, eine vollständige Erklärung von Miß Vernon zu suchen. Sie hatte mir dieselbe mit unwilligem Trotz verweigert, und mir in's Gesicht gestanden, daß sie einem Nebenbuhler den Vorzug gebe; denn wie konnte ich den eingestandenen Vorzug des geheimnißvollen Vertrauten anders auslegen? Und dennoch, als ich das Zimmer verlassen, und für immer mit ihr brechen wollte, durfte sie nur Blick und Ton ändern, und von ihrer wahren und stolzen Empfindlichkeit zu freundlicher, scherzender Despotie übergehen, mit der sich Wehmuth und Ernst verband, um mich, ihr gehorsam, auf ihre eigenen harten Bedingungen zu meinem Sitze zurückzuführen.

»Was hilft das?« sagte ich, als ich mich setzte. »Was kann es helfen, Miß Vernon? Warum soll ich Zeuge von Verlegenheiten sein, die ich nicht erleichtern kann, und der Mitwisser von Geheimnissen, die ich nicht einmal zu enthüllen versuchen darf? So unerfahren Ihr in der Welt seid, kann es Euch doch nicht entgehen, daß eine junge, schöne Frau nur einen männlichen Freund haben kann. Selbst bei meinem Freunde würde ich eifersüchtig sein auf einen Dritten, einen unbekannten und verheimlichten Vertrauten; aber bei Euch, Miß Vernon« –

»Ihr fühlt also Eifersucht in allen Graden und Launen dieser liebenswürdigen Leidenschaft? Aber, mein lieber Freund, Ihr habt die ganze Zeit über nichts gesprochen, als armseliges Geschwätz, welches Dummköpfe so lange aus Theaterstücken und Romanen nachsprechen, bis sie solchem Zeuge einen wirklichen und mächtigen Einfluß auf ihr Gemüth einräumen. Knaben und Mädchen schwatzen sich in die Liebe hinein, und wenn diese schläfrig wird, schwatzen und necken sie sich in die Eifersucht. Aber Ihr und ich, Frank, wir sind vernünftige Wesen, und weder einfältig noch müssig genug, um uns in irgend ein anderes Verhältniß, als offene, redliche und uneigennützige Freundschaft, hineinzusprechen. Jede andere Verbindung zwischen uns ist unmöglich. – Die Wahrheit zu sagen,« fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu, »wenn ich auch so nachgiebig gegen den weiblichen Anstand bin, über meine Aufrichtigkeit ein wenig zu erröthen, wir können uns nicht heirathen, wenn wir auch wollten, und wir dürften es nicht, wenn wir es könnten.«

Und gewiß, sie erröthete auf das Lieblichste, als sie diese grausame Erklärung aussprach. Ich wollte eben ihre beiden Behauptungen angreifen, uneingedenk des Verdachtes, der sich mir an diesem Abende bestätigt hatte, aber sie fuhr mit einer kalten Festigkeit, die an Strenge gränzte, fort:

»Was ich sage, ist die einfache, unbestreitbare Wahrheit, über welche ich weder Fragen, noch Erklärungen hören will. Wir sind also Freunde, Mr. Osbaldistone? – Nicht wahr?« Sie reichte mir ihre Hand, faßte die meinige, und setzte hinzu: »Und wir sind einander, jetzt und künftig, nichts als Freunde!«

Sie ließ meine Hand los. Ich senkte zugleich mit derselben das Haupt, überwältigt von der Güte und Festigkeit ihres Wesens. Sie gab schnell dem Gespräche eine andere Wendung.

»Hier ist ein Brief,« sagte sie, »richtig und deutlich an Euch überschrieben, der aber, bei aller Vorsicht der Person, die ihn schrieb und beförderte, vielleicht nie in Eure Hände gekommen wäre, hätte ihn nicht ein gewisser Pacolet erhalten, ein bezauberter Zwerg, den ich, gleich allen bedrängten Romanfräulein, in meinem geheimen Dienste habe.«

Ich öffnete den Brief, überlief den Inhalt – und das Blatt fiel aus meiner Hand: »Gütiger Himmel!« rief ich unwillkürlich aus, »meine Thorheit und mein Ungehorsam haben meinen Vater zu Grunde gerichtet!«

Diana erhob sich mit Blicken wahrer und zärtlicher Unruhe. »Ihr erblaßt – Ihr seid krank – soll ich Euch ein Glas Wasser bringen? Ermannt Euch, Mr. Osbaldistone, seid stark! – Ist Euer Vater – ist er nicht mehr?«

»Er lebt, Gott sei Dank!« sagte ich, »aber in welcher Noth und Beschwerde« –

»Wenn das Alles ist, so verzweifelt nicht. Darf ich den Brief lesen?« fragte sie, und hob ihn auf.

Ich bejahte es, obgleich ich kaum wußte, was ich that. Sie las ihn mit großer Aufmerksamkeit.

»Wer ist dieser Tresham, der den Brief unterschrieben hat?«

»Meines Vaters Handelscompagnon,« (dein eigner guter Vater, Wilhelm!) »aber er nimmt nur wenig thätigen Antheil an den Geschäften des Hauses.«

»Er spricht hier von mehreren Briefen, die früher an Euch abgegangen sind,« sagte Diana.

»Ich habe keinen davon erhalten,« erwiderte ich.

»Und es zeigt sich,« fuhr sie fort, »daß Rashleigh, der seit Eures Vaters Reise nach Holland die ganze Führung der Geschäfte übernommen hat, sich vor einiger Zeit von London nach Schottland begab, mit Waaren und Geldsummen zur Bezahlung ansehnlicher Wechsel, die Euer Vater einigen Personen in diesem Lande ausgestellt hatte, und man hat seitdem nichts von ihm gehört.«

»Es ist nur zu wahr.«

»Und dann hat man,« fuhr sie, in den Brief blickend, fort, »einen Buchhalter, oder dergleichen – Owenson – Owen – nach Glasgow geschickt, um Rashleigh, wo möglich, aufzufinden, und man ersucht Euch, gleichfalls dahin zu reisen, um ihm in seinen Nachforschungen beizustehen.«

»So ist es, und ich muß sogleich abreisen.«

»Bleibt noch einen Augenblick,« sagte Miß Vernon. »Das Schlimmste, was aus dieser Sache erfolgen kann, scheint mir der Verlust einer Geldsumme zu sein; kann Euch das zu Thränen bringen? Schämt Euch, Mr. Osbaldistone!«

»Ihr thut mir unrecht, Miß Vernon,« antwortete ich. »Nicht der Verlust ist es, der mich bekümmert, sondern die Wirkung, die es, wie ich gewiß weiß, auf meines Vaters Geist und Gesundheit haben wird, dessen Ehre der Handelskredit ist; würde er insolvent erklärt, so sänke er in's Grab, niedergedrückt durch ein Gefühl des Kummers, der Reue und Verzweiflung, gleich einem Krieger, den man der Feigheit beschuldigt, oder wie ein Mann von Ehre, der Rang und Ansehen in der Welt verloren hat. Alles Dieses hätte ich durch das geringe Opfer eines thörichten Stolzes und einer Arbeitsscheu, die mich zurückhielten, die Arbeiten seines ehrenwerthen und nützlichen Berufes zu theilen, verhindern können. Gerechter Himmel, wie soll ich die Folgen meiner Verirrung wieder gut machen!«

»Indem Ihr sogleich nach Glasgow reiset, wie Ihr hier in dem Briefe Eures Freundes beschworen werdet.«

»Aber wenn Rashleigh wirklich den schändlichen und gewissenlosen Plan gemacht hat, seinen Wohlthäter zu plündern, wie kann ich da hoffen, die Mittel zu der Vereitelung eines so tief angelegten Entwurfes zu finden?«

»Die Aussicht,« entgegnete sie, »mag freilich ungewiß sein, allein auf der andern Seite ist es unmöglich, Eurem Vater zu nützen, wenn Ihr hier bleibt. Bedenkt, wäret Ihr auf dem für Euch bestimmten Platze gewesen, so hätte dieses Unglück nicht geschehen können; eilet jetzt zu der Stelle, die man Euch bezeichnet, und es läßt sich vielleicht wieder gut machen. – Aber wartet, bleibt hier, bis ich zurückkomme.«

Sie ließ mich in Verwirrung und Bestürzung allein zurück; in einem lichtern Augenblicke mußte ich aber die Festigkeit, Fassung und Geistesgegenwart bewundern, welche Miß Vernon selbst bei den plötzlichsten Unfällen zu behaupten wußte.

Nach wenig Minuten kam sie zurück, und hielt ein Papier in der Hand, das wie ein Brief gefaltet und versiegelt war, aber keine Ueberschrift hatte. »Ich will Euch,« sagte sie, »diesen Beweis meiner Freundschaft geben, weil ich das vollste Vertrauen in Eure Ehre setze. Wenn ich Euern Unfall recht verstehe, so müssen die Summen, welche in Rashleighs Händen sind, an einem gewissen Tage – ich glaube, der zwölfte September ist genannt – wiedererlangt werden, damit sie zur Zahlung jener Wechsel gebraucht werden können. Lassen sich daher hinreichende Summen vor jener Zeit finden, so ist Eures Vaters Kredit gesichert.«

»Gewiß, so verstehe ich Treshams Brief« – ich blickte noch einmal hinein, und setzte hinzu: »Es läßt sich nicht daran zweifeln.«

»Gut; in diesem Falle,« sagte Miß Vernon, »wird Euch mein kleiner Pacolet nützlich sein. – Dieser Brief enthält einen Zauber. Nehmt ihn hin, und öffnet ihn nicht eher, bis andere und gewöhnliche Mittel fehlgeschlagen sind. Wenn Ihr durch eigene Anstrengungen das Ziel erreicht, so habe ich das Vertrauen auf Eure Ehre, daß Ihr diesen Brief vernichtet, ohne ihn zu öffnen, oder öffnen zu lassen. Aber wo nicht, so könnt Ihr das Siegel brechen, zehn Tage vor der verhängnißvollen Zeit, und Ihr werdet Nachweisungen finden, die Euch wahrscheinlich von Nutzen sind. – Lebt wohl, Frank, wir sehen uns nie wieder – aber denkt zuweilen an Eure Freundin, Diana Vernon.«

Sie reichte mir die Hand, aber ich zog sie an meine Brust. Sie seufzte, als sie sich aus der Umarmung losmachte, die sie gleichwohl duldete, eilte durch die Thüre, welche zu ihrem Wohnzimmer führte, und ich sah sie nicht wieder.


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