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Karl Stuart ahnte Schlimmes, und seine Ahnung sollte sich erfüllen. Am 5. Dezember hielten die Hochschotten zu Derby Kriegsrat und beschlossen, zum unsäglichen Verdruß ihres jungen Führers, keinen Schritt weiter in England vorzudringen, sondern zurück in ihre Berge zu marschieren. Ohne allen Verzug, ohne auf Gegenreden zu achten, setzten sie ihren Entschluß ins Werk und so schnell, daß es ihnen gelang, sich allen Verfolgungen des Herzogs von Cumberland, der mit einem starken Heere gegen sie anrückte, zu entziehen. Fergus hatte mit Erbitterung gegen diesen Rückmarsch gesprochen und gestimmt, war aber überstimmt worden und hatte sich fügen müssen. Der Rückzug hatte mehrere Tage gedauert, da wurde Waverley zu seiner nicht geringen Verwunderung am 12. Dezember früh in seinem Quartier in einem Weiler halbwegs zwischen Shap und Penrith, vom Häuptling Glennaquoich aufgesucht.
Seit seinem Bruch mit ihm hatte Waverley allen Verkehr abgebrochen. Er wartete mit einiger Ungeduld auf eine Erklärung dieses unvermuteten Schrittes. Das Aeußere des Häuptlings nahm ihn sehr wunder. Das wilde Feuer seines Auges war verblaßt, seine Stimme hatte an Schärfe verloren, selbst sein Gang war nicht so elastisch wie ehedem, und seine Kleider schlotterten ihm am Leibe.
Er lud Edward zu einem Spaziergange am nahen Fluß ein und verzog den Mund zu einem schwermütigen Lächeln, als er sah, daß Edward sich das Schwert umgürtete. Als sie auf einem einsamen, wilden Uferpfade angelangt waren, brach Fergus in die Worte aus:
»Unser schönes Unternehmen ist aus, Waverley! ist gänzlich gescheitert, und ich möchte nun hören, was Ihr zu tun gedenkt. Gafft mich nicht so an! Gestern hab ich verschiedne Briefe von meiner Schwester bekommen. Wären sie früher in meine Hände gelangt, dann wäre uns die Szene, an die ich immer mit Schmerz zurückdenken werde, erspart geblieben. Gleich nachdem uns der Chevalier verlassen hatte, schrieb ich an Flora und ersuchte sie um Aufklärung über den Sachverhalt, und sie hat mir geschrieben, daß es niemals in ihrer Absicht gelegen habe oder habe liegen können, Euch auch nur die geringste Hoffnung zu machen. So muß ich nun vor Euch stehen wie ein blöder Tor.... Arme Flora! sie schreibt noch mit solcher Zuversicht auf unsern Erfolg! wie wird sie die Veränderung der Verhältnisse aufnehmen? welche Erschütterung wird die Nachricht von unserm Rückzug in ihrem Gemüt bewirken!«
Waverley, tief gerührt durch den schwermütigen Zug im Wesen des Häuptlings, drang nun in ihn, alles aus seinem Gedächtnis zu verscheuchen, was zwischen ihnen vorgefallen war; sie reichten einander die Hände, diesmal aber mit aufrichtiger Herzlichkeit. Dann fragte Fergus Waverley zum andern Male, was er nun zu beginnen gedächte?
»Wäre es nicht am klügsten, Ihr verließet dieses unglückliche Heer und eiltet nach Schottland, so lange Euch noch die Möglichkeit winkt, einen Hafen an der Ostküste offen zu finden? Seid Ihr erst einmal weg von diesem unglücklichen Lande, dann werden Eure Freunde schon für Euch Pardon erwirken. Und wenn ich Euch weiter sagen soll, was mir ein Herzenswunsch wäre, so der: nehmt Rosa und Flora mit und bringt sie in Sicherheit!«
Edward sah ihn mit Verwunderung an. »Wie?« rief er, »Ihr könnt mir raten, ein Unternehmen im Stich zu lassen, dem wir beide so lange gedient haben?«
»Ich sage Euch ja, bei uns gilt jetzt das Wort: Rette sich, wer kann!«
»Warum stimmten aber die Hochschotten für solchen Rückzug, wenn er von solch verderblichen Folgen für Euch alle war?«
»O, die pfiffigen Herren meinen, das Köpfen und Hängen und Konfiszieren werde, wie in so häufigen frühern Fällen, vorzugsweise wieder den Adel im Unterlande treffen, sie dagegen würden wieder mit blauem Auge davonkommen, würden ruhig in ihren Festen und in ihrer Dürftigkeit weiter leben dürfen wie bisher; aber diesmal werden sie sich täuschen, denn sie sind schon viel zu oft in Aufstand getreten, als daß man es ihnen auch jetzt wieder hingehen lassen könnte. Diesmal ist John Bull der Schreck zu tief in den Leib gefahren, als daß er noch einmal milde Saiten aufziehen sollte ... Sie würden, weiß der Teufel! selber den Galgen verdienen, wenn sie solche Narren wären, auch nur einen einzigen Clan in den Hochlanden noch mit den alten patriarchalischen Rechten weiter bestehen zu lassen! Mit Stumpf und Stiel werden sie alles ausrotten, was von unsern alten Institutionen noch auf uns gekommen ist!«
»Und mir ratet Ihr zur Flucht? während ich doch eher den Tod fände, als mich zu solch schmählichem Rückzug zu entschließen!« sagte Waverley ... »was aber gedenkt Ihr zutun?«
»O, mein Schicksal ist besiegelt. Tod oder Gefangenschaft winkt mir, noch ehe es Morgen sein wird.«
»Was soll solche Rede, Fergus?« verwies ihn Waverley. »Der Feind ist noch einen vollen Tagmarsch hinter uns, und wenn er herankommt, sind wir noch immer stark genug, ihn aufzuhalten. Denkt doch an den Tag von Gladsmuir!«
»Und doch ist, was ich Euch sage, wahr! zum wenigsten was meine Person anbetrifft!« erwiderte Fergus düster.
»Aber was berechtigt Euch zu solch trüben Prophezeiungen?«
»Ich hab den Bodach Glas gesehen!« sagte Fergus, noch düsterer als bisher.«
»Den Bodach Glas? was ist das?«
»Ihr waret so lange in Glennaquoich und habt die ganze Zeit nichts gehört vom grauen Geiste? Freilich, gern wird seiner von uns nicht erwähnt!«
»Nein, ich habe nie ein Wort von ihm gehört!« erwiderte Waverley.
»O, das müßte Euch Flora erzählen. War jener Hügel dort der Benmore und jener lange blaue See, der sich an den Hügeln dort entlang zieht, mein Loch an Ri, dann wär der Rahmen geschickter für die Erzählung vom Bodach Glas! Aber setzen wir uns hier auf diesen Abhang, ich will Euch erzählen, wie es sich verhält um den Bodach Glas.... Als mein Ahnherr Jannan Chaistelt die Grafschaft Northumberland verwüstete, da hatte sich ihm ein gewisser Halbert Hall, ein Häuptling aus dem Süden, angeschlossen. Auf dem Rückmarsch durch das Cheviotgebirge gerieten sie miteinander über die Teilung der Beute in Streit, und die Unterländer wurden bis auf den letzten Mann niedergehauen. Zuletzt fiel auch ihr Hauptmann, mit Wunden bedeckt, durch das Schwert meines Ahnherrn. Seit dieser Zeit ist sein Geist jedem Vich-Ian-Vohr erschienen, so oft ihm ein ernstliches Unheil drohte, immer jedoch, wenn ihm der Tod drohte. Mein Vater hat ihn zweimal gesehen, einmal vor seiner Gefangenschaft auf dem Sheriffmuir, das andre Mal an dem Tage, da er starb.« »Aber Fergus, wie könnt Ihr als vernünftiger Mann an solchen Spuk glauben?«
»Ich verlange von Euch nicht, daß Ihr daran glaubt, Waverley, sondern erzähle Euch bloß von einem Umstande, der seit fast dreihundert Jahren sich in unserm Hause zuträgt und der mir in letzter Nacht durch den Augenschein bestätigt worden ist.«
»Nun denn, ums Himmels willen weiter!«
»Nun, auf die Bedingung hin, daß Ihr die Sache nicht als lächerlich auffaßt, fahre ich fort. Mich hat seit diesem unglückseligen Rückmarsch die Sorge um meinen Clan Tag und Nacht gequält, und nicht minder die Sorge um den unglücklichen Prinzen, den sie nun von Ort zu Ort, wie einen Hund an der Leine, mit zurückschleppen, ob mit, ob ohne seinen Willen, endlich auch die Sorge um mein Haus und meine Schwester. In der letzten Nacht hats mich nicht in meinem Quartier gelitten, und in der Hoffnung, die scharfe Nachtluft werde meine Nerven wieder schärfen, ging ich über den schmalen Steig, der über den Gießbach nahe meinem Quartier führt, und wandelte am Bergeshange auf und nieder ... da sah ich im hellen Mondschein dicht vor mir eine graue Gestalt wandeln, gehüllt in ein graues Plaid, wie sich die Schäfer im südlichen Schottland kleiden, und die Gestalt blieb, gleichviel wohin ich den Fuß setzte, dicht vor mir.«
»Wahrscheinlich wars ein Cumberlander in seiner Nationaltracht, der sich in der Nacht irgendwo verspätet hatte?«
»Nein. Auch ich dachte es zuerst. Ich war empört über die Frechheit des Kerls. Ich lief ihm nach, ich rief ihn an, aber ich schreckte ihn weder, noch bekam ich Antwort von ihm. Ich fühlte, wie mir das Herz schlug, ich wollte mich überzeugen, was es sei, das mich so verfolgte ... und ich blieb stehn ... und, bei Gott! das graue Gespenst blieb auch dorten stehen, wo ich stand, und immer hielt es den gleichen Abstand, gleichviel, nach welcher Himmelsrichtung ich mich wandte! Da wußte ich, was ich sah, der Bodach Glas wars, was ich sah! Ich schlug ein Kreuz, ich zog mein Schwert, ich hieb nach ihm! Mit dem Rufe: Weiche hinweg! drang ich auf ihn ein ... und da hörte ich es zurückhalten als Antwort: »Vich-Ian-Vohr, hüte Dich vor morgen!« Das Blut erstarrte mir in den Adern. Aber kaum waren die Worte verhallt, da war der graue Geist verschwunden, und ich fand kein Hindernis mehr auf meinem Wege. Nach ein paar Stunden schweren und unruhigen Halbschlummers bestieg ich mein Roß und jagte zu Euch her, um mit Euch ins reine zu kommen. Ich wollte nicht den Boden küssen, ohne von Euch, meinem so lieben und teuren Freunde, noch mit einem Versöhnungskusse geschieden zu sein, ohne ihn um Verzeihung gebeten zu haben wegen des Unrechts, das ich ihm angetan!«
Edward fühlte die ganze alte Liebe zu dem urwüchsigen Naturkinde wieder aufleben, und um die trüben Bilder von seinem Gemüte zu scheuchen, erbot er sich, von dem Baron die Erlaubnis zu erwirken, daß er so lange bei ihm im Quartier bleiben dürfe, bis sein Korps heran sei. Hierüber schien der Häuptling eine große Freude zu fühlen, lehnte aber das Anerbieten ab.
»Ihr wißt, Waverley, daß wir Mac-Ivors den Nachtrab bilden, daß wir der Gefahr am meisten ausgesetzt sind ...«
»Und daß Euch auch die höchste Ehre winkt ...«
»Nun, Waverley, so laßt wenigstens Euer Pferd von Eurem Burschen in Bereitschaft halten, falls wir überfallen werden sollten. Ich bin gewiß nicht böse, wenn Ihr mir Gesellschaft leisten wollt.«
Der Marsch ging über eine Moorwiese. Die Glieder mußten sich auflösen. Der enge Pfad, der über das Moor führte, gestattete nur den Gänsemarsch. Mann für Mann rückte der Nachtrab in das kleine Dorf des Namens Clifton.
Die Wintersonne war untergegangen, und schon begann Edward den Freund mit seiner abergläubischen Furcht zu necken. Dieser aber verwies es ihm ernst.
»Noch sind die Iden des März nicht vorbei,« rief er.
Und kaum waren diese wenigen Worte über seine Lippen, als ein zahlreicher Reitertrupp sichtbar wurde, der über die, düstre Moorwiese auf einem andern, augenscheinlich breitern Pfade wogte.
Fergus wies mit der Hand auf ihn. Dann war er von Waverleys Seite hinweg und an die Spitze seines Zuges gesprengt. Das Dorf war von Mauern eingeschlossen, wie zur damaligen Zeit noch viele, zum Schutz vor Ueberfällen durch räuberische Horden. Fergus ließ die Mauern besetzen und auch die Straße, auf der die feindlichen Leute nur den Zugang gewinnen konnten, sichern. Aber die feindlichen Dragoner schienen zu rücksichtslosem Draufgehen entschlossen, und die Hochländer blieben trotz der inzwischen hereinbrechenden Nacht nicht lange mehr in Ruhe. Ein Kommando schickte sich zum Sturm auf die Mauern an, ein andres versuchte auf der Straße vorzudringen. Aber beide wurden von einem so kräftigen Feuer empfangen, daß ihre Reihen in Unordnung gerieten. Fergus, in seinem Feuerdrange nicht zufrieden mit diesem ersten Erfolge, schwang sein Schwert, und stieß den Schlachtruf seines Clan hervor, und »Claymore! Claymore!« dröhnte es über das Moor. ... Entflammt durch dieses Beispiel seines Häuptlings, warf sich der Clan mitten hinein in den Feind. Und außer stande, dem wilden Ansturm zu widerstehen, flohen die Dragoner zurück über das Moor. Da aber brach der Mond durch die Wolken und zeigte den Feinden die geringe Schar der Clanleute, und neue Schwadronen rückten zur Unterstützung heran, die Fliehenden aufhaltend und gegen die Hochländer von neuem anstürmend. Diese suchten wieder Schutz hinter den Einfriedigungsmauern zu gewinnen, aber ein Teil von ihnen, die sich zu weit in die Feinde hineingewagt hatten, wurde abgeschnitten, mit ihnen der Häuptling. Und noch ehe es den andern gelang, sich wieder bis zu ihnen vorzuarbeiten, waren die meisten in die Pfanne gehauen, und der Häuptling, durch einen Hieb in Schulter und Arm getroffen, gestürzt und überwältigt. Waverley sah noch, wie Evan Dhu und Callum-Beg ihn gegen ein Dutzend Feinde zu verteidigen suchten, dann traf auch Evan Dhu das gleiche Los wie den Häuptling, während Callum-Beg von einem Säbelhieb der Schädel gespalten wurde, der dem Schlag des Häuptlings mit der Pistole noch getrotzt hatte.
Waverley seinerseits war außer stande, den Freunden zu Hilfe zu eilen, denn der Mond hatte sich jetzt wieder hinter Gewölk verkrochen, und es war weder Weg noch Steg mehr zu sehen. Mit schwerer Mühe gelang es ihm, sich vor den Dragonern, die nach der Flucht der übrigen Hochländer jetzt das ganze Terrain absuchten, zu verbergen; aber sich bis zu dem eigentlichen Heere derselben weiter zu arbeiten, gelang ihm nicht, und langsam verhallten die Klänge seiner Sackpfeifen in der Ferne.
Was aus Fergus geworden war? war er in Gefangenschaft geraten oder gefallen? Waverley wußte es nicht, und während er sann über das Schicksal des Freundes, da fiel ihm der Spuk ein mit dem Bodach Glas, und mit Grausen fragte er sich: Kann denn in diesem seltsamen Falle der Teufel tatsächlich wahrsagen?