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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Nach einer schlaflosen Nacht, kaum als der Morgen dämmerte, stand Waverley auf dem freien Platze vor dem alten gotischen Tore von Carlisle. Der Gerichtsschreiber, an den er sich gestern nach Schluß der Verhandlung um einen Erlaubnisschein zum Besuch des Delinquenten gewandt hatte, hatte sich erfolgreich dafür verwandt. Waverley hatte den Schein bei seiner Heimkunft abends gefunden. Ziemlich lange schritt er auf und ab, ehe die Tore geöffnet wurden und die Zugbrücke niederrasselte. Als er den Schein vorwies, wurde er sogleich eingelassen.

Es war ein dunkler Raum im Mittelpunkte des Schlosses, in einem uralten Turme, der dem Häuptling als Kerker angewiesen worden war. Mit unheimlichem Knarren wurden die alten Querbalken und Riegel weggeschoben, die Edward den Zugang vermittelten. Drinnen klirrten Ketten. Der Häuptling schritt wankend, fest und schwer geschlossen, auf dem steinernen Boden auf und ab. Es war sein letzter Morgen.

Wie versteinert blickte er den Freund an, als die Kerkerpforte sich auftat. Er wollte ihm entgegenfliegen, aber die Ketten hinderten ihn daran. Doch sprach er, als Edward zu ihm getreten war und ihm die Hand reichte, mit fester, klarer Stimme:

»Das ist wahrhaft freundschaftlich gehandelt, mein liebster Edward! Mit aufrichtiger Freude habe ich aus Floras Munde von dem Glücke gehört, das Eurer naht. Was macht denn unser wunderlicher Kamerad und Freund? Nun, in Euren Blicken lese ich, daß es beiden gut geht. Gott sei gedankt! Aber wer wird denn in dem neuen Wappen den Vorrang genießen, die drei schreitenden Hermeline der Waverleys oder Bär und Stiefelknecht der Bradwardine?"

»Fergus, wie könnt Ihr in solchem Augenblicke von solchen Dingen reden?»

»Freilich, Waverley, eingezogen sind wir ja in Carlisle unter andern, glücklichern Bedingungen. Ich meine jenen Tag, um Mitte November, an dem wir neben einander einmarschierten und die weiße Fahne auf den Zinnen aufpflanzten. Aber ich bin kein Knabe, um hier zu flennen, ich hab den Einsatz gekannt, den ich wagte. Das Spiel war kühn, der Gewinn konnte ungeheuer sein, und der Verlust soll männlich getragen werden. Aber meine Zeit ist kurz Drum schnell noch die wichtigsten Fragen: Ist der Chevalier den Bluthunden entgangen?«

»Er ist in Sicherheit.«

»Gott sei Dank!« ...

Und Waverley erzählte ihm, was über die Flucht des Prinzen bekanntgeworden war. Er hatte sich über Glasgow nach Frankreich auf einem Fischerboote gerettet. Die nächste Frage betraf das Schicksal seiner Clangenossen. Sie hatten weniger schwere Buße gelitten als andre Stamme, weil sie nach dem Verlust ihres Häuptlings nach damaliger Sitte im Hochland auseinander gelaufen und mithin bei Ausgang nicht mehr unter Waffen getroffen worden waren. Darüber freute sich Fergus von ganzem Herzen.

»Waverley,« sprach er nun, »Ihr seid reich, Ihr seid auch edel. Sollte Euch zu Ohren kommen, daß es den Mac-Ivors unter harten Aufsehern schlecht ergehen sollte, oder daß sie von Agenten der Regierung bedrückt werden sollten, so seid des Umstandes eingedenk, daß Ihr einmal ihren Tartan getragen habt und als Adoptivsohn ihres Clans galtet. Helft ihnen in schwerer Not! Der Baron, der unsre Sitten kennt, wird Euch Zeit und Mittel sagen, wann und wie Ihrs könnt. Versprecht Ihrs mir?«

Edward gelobte es und hielt sein Gelübde so, daß sein Name noch heute in den Gauen des alten Stammes als heilig gilt,

»Und nun, Waverley, liebster Edward, lebt wohl! lebt herzlich wohl! Es naht die Stunde, wo Fergus von Glennaquoich, der letzte des Geschlechts der Mac-Ivor, zu leben aufhören wird!«

In einem Winkel des Kellers rasselten Ketten. Evan Mac Dhu, der bis jetzt, um die beiden Männer nicht zu stören, mucksstill gelegen hatte, war aufgestanden. Edward hatte ihn nicht bemerkt, so ruhig und so still hatte er sich verhalten.

»Häuptling Mac-Ivor,« sprach er mit fester Stimme, »wir fochten manchen Strauß zusammen. Jetzt naht der letzte. Für mich ist solch Ende an meines Häuptlings Seite das Schönste.«

Edward reichte auch diesem Getreuen die Hand, und ob dieser letzten Auszeichnung traten dem Fähnrich ein paar Wassertropfen in die Augen, die er aber schnell mit der Faust weggewischt hatte. Dann sprach er mit wuchtigem Stolze:

»Mr. Waverley, Ihr seht, welchen Dampf die Rotröcke noch jetzt vor uns gehabt haben. Mit solch schwerem Eisenzeug haben sie uns gekettet, wie wilde Bestien, weil sie uns doch nicht trauten, wir könnten ihren alten Turm am Ende auch jetzt noch stürmen! Und als uns die Glieder brandig zu werden drohten und sie das Eisenzeug von uns nehmen mußten, da haben sie uns sechs Mann mit geladnen Gewehren hier hineingesteckt, um auf uns aufzupassen. Hahaha! das sind wackre Kerle!«

Der Posten trat ein und Edward mußte gehen. Nicht lange hatte er draußen im Hofe gestanden, so rasselten Wagen über den Hof, und Soldaten traten ins Glied. In ihrer Mitte hielt die Schleife, auf der die Delinquenten zum Richtplatz geführt werden sollten. Sie war schwarz gestrichen und wurde von einem Schimmel gezogen. Auf dem hintersten Brett saß in seiner schrecklichen Tracht der Profoß mit dem Richtbeil als Zeichen seines Gewerbes in der Hand. Dann kamen die Gerichtspersonen und dann der Scharfrichter mit dem Strick in der Hand. Hinter ihm die Delinquenten, die von seinen Gehilfen auf die Schleife gebunden wurden. Dann wieder Soldaten, die in Doppelgliedern den Zug beschlossen.

»Ein großer Apparat für zwei solch arme Wichte wie wir,« meinte Fergus mit Lächeln.

Evan Dhu aber blickte mit Hohn auf die Dragoner und rief laut vernehmlich auf englisch: »Das sind die nämlichen Wichte, Fergus, die wir bei Gladsmuir so verteufelt in die Pfanne gehauen haben. Hier können sie freilich die stolzen Krieger spielen!

Der Priester ermahnte ihn, sich ruhig zu verhalten. Die Schleife setzte sich in Bewegung. Fergus winkte Waverley mit der Hand einen letzten Gruß. Dann war er den Blicken des Freundes entschwunden. ... Am Abend besuchte ihn der Priester, um ihm zu sagen, daß Fergus Mac-Ivor gestorben sei, mutig und stark, wie er gelebt habe, und daß sein letzter Gedanke dem Freunde gegolten habe. ... Er fügte hinzu, daß er Flora gesehen habe, wie sie mit Schwester Teresa dem Hafen zugeschritten sei, um sich nach Frankreich einzuschiffen. Auch sie habe ihm noch einen letzten Gruß an den Freund des Bruders aufgetragen. Waverley bat den würdigen Mann, einen Geldbetrag von ihm anzunehmen, für den ein paar Seelenmessen für den Gerichteten gelesen werden könnten.

Am andern Morgen in aller Frühe schied Waverley von Carlisle mit dem festen Vorsatze, diese Stadt nie wieder zu betreten. Er wagte es nicht, den Blick auf die Zinnen zu richten.

»Hier am gotischen Tore stecken sie nicht,« sagte Alick, der Bursche, den Waverley im Dienste behalten hatte, »sondern am Schottentore, da stecken sie nebeneinander, aber der vom Häuptlinge um etwa eine Elle höher als der von Evan Mac Dhu. Der Festungskommandant verstößt in keiner Sache gegen die Regeln.«


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