Willy Seidel
Der Buschhahn
Willy Seidel

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Ein Stück vom Anfang

Wann ich noch Schullehrer in Falealili war, Herr Ollendiek? – Kürzlich, meinen Sie? – Mein Gott, nein, täuschen Sie sich da beileibe nicht! – Es ist an die zwanzig Jahre her . . . Nicht mehr aktuell, sagen Sie? – Kommt mir wie gestern vor; das Leben ist hier wie ein Tag, wie ein Sommertag, sozusagen . . .

Die Samoaner glauben, ein Jahr Bildung genügt, und holen ihre Bambusen nach dieser Frist wieder ab. Ein Jahr lang hat man sich nun heiser geschrien und doziert, und übermorgen steht der Naturmensch in nackter Schlichtheit wieder da. Ihre Köpfe haben drei Löcher wie Kokusschalen; da bläst man hinein. Es dröhnt gewaltig für den Augenblick; dann aber herrscht wieder die alte sommerliche Dummheit. Es ist kein dankbares Geschäft, unter diesen Umständen Schullehrer zu sein.

Außerdem sah ich bald genug ein, daß es auch ein vollkommen überflüssiges Geschäft sei. Ich hatte meine individuelle Auffassung: Anpassungstheorie an das Inselhirn oder wie Sie's nennen wollen; da hieß es denn bei den frisch importierten deutschen Bierbankpaukern: ›Der Grothusen fällt aus dem Rahmen des Lehrplans, folgt den Vorschriften nicht, usw. . . .‹ – – Und je mehr die Bengel an mir hingen, desto mehr Berichte liefen gegen mich ein. Auf Samoa hat man Zeit, Berichte zu verfassen . . .

Kurzum: der Kram wurde mir verekelt. Fremde Sprachen sind überhaupt ein Irrsinn. Es macht die Leute nur aufsässig, wenn sie europäische Zeitungen in die Hand kriegen und daraufhin halbverdaute Artikel in Form von phantastischen Sagen durch die Dörfer wandern . . .

134 Ich tat mich in der Folgezeit mit einem kräftigen Menschen zusammen; hieß Schütte; war Zeitgenosse der drei Regierungen und 'n ehemaliger Bankangestellter; hatte sich Geldbeutelschwindsucht geholt an Mitinhaberschaft des Zentralhotels, der alten Teufelsbude . . . Nach der Sturmflut verkrachte er sich mit seinem Kompagnon und fristete sein Leben als Hilfsarbeiter am Zollamt und an wilden Schweinen, die er im Busch bei Tanumalēto schoß . . . Durch ihn lernte ich meine Haushälterin kennen, die jetzt alle Rechte einer richtiggehenden Frau hat –: straf mich Gott!

Er war nämlich befreundet mit einem gewissen Capt'n Baldamus; und der hatte 'n Verhältnis mit der Witwe des Yankee-Konsuls Poe – Tonga-Samoa-Mischung und entzündbar wie Schießpulver. – Capt'n Baldamus baute damals die Regierungsjacht O-le Aeto; steckte aber die Gelder dafür in die Ausstattung der Konsulin-Witwe, wurde erwischt und brachte sich um . . . Trauriger Fall . . .

Auf die Freundin nun dieser Dame warf Schütte ein Auge. Hieß ›Ebbe am Nachmittag‹; grundanständiges Weib mit sagenhaftem Stammbaum; – fünfmal so alt wie die Tonganerwälle. War dreißig Jahre alt und gefiel mir durch ihr ruhiges Wesen. Alles Gute an Schütte zugestanden: er war doch 'n ordinärer Geselle, zeigte keine Spur von Bildung und wollte immer gleich aufs Ganze. Trank stark. – Wer ihn aber durchschaute, war Tai‘afi‘afi. Sie gab mir den Vorzug; keine Feindschaft drum mit Schütte; der half sich anderswo.

Tai hatte Blick für Familie. Ich konnte ja auch nicht mit ihr konkurrieren; aber ich hatte Bildung genossen; 'ne Prachterziehung in Hamburg; und so was verliert sich nicht; das hält wie doppelt genäht . . . Meinerseits reizte mich ihre Häßlichkeit. Häßlich war eigentlich nicht das richtige Wort für sie; sie hatte ausgesprochene Rasse in ihrem Gesicht. Mich stieß das nicht ab; hatte meine Gründe; 135 schwerwiegende Gründe. Davon später vielleicht einmal, wenn überhaupt . . .

Heiratet man fa‘asamoa das heißt, zieht man zusammen nach ein paar Runden von Begrüßungstoasten, ausgiebiger Fütterung eines halben Dorfes und dicken Schwurleistungen, unterstützt von zwei Salzfleischfässern, Stapeln von Lavalavas und sonstigem Ladenkram – so tut man gut, die Mitglieder der A‘iga zu zählen; denn die heiratet man auch. Insofern nämlich, als sie einem später ständig auf dem Halse liegen. Bei Tai lag die Sache günstig. Ihr einziger Bruder Toomalaitai war bei der Verteidigung des Lootanuu von der Mataafa-Partei geköpft worden. Es gab noch zwei Kinder dieses Bruders und Tais alte Mutter, für die ich aufzukommen hatte; – der eine Bursche hat sich seitdem in der Fika‘fika-Truppe 'nen Sonnenstich geholt, und der andere ist heilig geworden und fällt von selbst weg. Das war also alles. Sobald ich die Sache überschlagen hatte, machte ich mich an die ›Werbung‹. – – Glauben Sie aber nicht, Herr Ollendiek, daß das ein Kinderspiel gewesen wäre.

Als die alte Ta‘ele hörte, daß Tai sich mit einem Weißen einlassen wollte, warf sie mit schweren Töpfen um sich, und die Kinder weinten. Ich kam in die Hütte; das Stimmenkonzert vergesse ich heute noch nicht. Tai, trotzig und tapfer, saß hinter dem Moskitonetz. Sie schwieg und blickte zu mir heraus durchs Gewebe; das machte mir Mut, so daß ich das Schlachtfeld behauptete, bis die Alte mit den Kindern vor Wut die Hütte verließ. Wir sprachen wenig und sahen uns nur an; ich hockte draußen und sie drinnen.

Nach zwei Stunden kam die Alte zurück, begrüßte mich freundlichst, als ob sie mich nie gesehn habe, gebrauchte Ausdrücke, wie: ›Worte machen kein Loch in den Leib‹, und: ›Möge dein Sinn wie kühles Wasser sein‹Die Redensarten: »Worte machen kein Loch in den Leib« und: »Möge dein Sinn wie kühles Wasser sein« erlaubte ich mir dem köstlichen Werkchen von Dr. Schulz, »Sprichwörtliche Redensarten der Samoaner« zu entnehmen.; und dann befahl sie der Tochter, die Kawa zu machen. – Ich hatte gesiegt.

136 Weil ich sah, daß das Weib es ehrlich meinte, zog ich in die große Hütte um und blieb da zwei Wochen, während welcher Zeit wir uns miteinander ›befaßten‹ und gut bekannt wurden. Ich hatte inzwischen auch bei Gravenhagen eine Stellung gekriegt und konnte den Ansprüchen, die man an mich als ›Ehemann‹ stellte, gut genügen. Dann wurde ich nach Sawaii versetzt, nach Fagamalu zunächst; und Sie irren schwer, wenn Sie glauben, daß ich etwa die ›Ebbe am Nachmittag‹ mitgenommen hätte! – Nein, mein Lieber; das hätte gegen Grundgesetze der Inselpolitik verstoßen! Man muß von Zeit zu Zeit einmal so tun, als ob man sie entbehren könnte; dann sieht man, ob die Weiber gute Rasse sind . . . Außerdem mußte ich erst mal sehn, was für eine Position ich ihr bieten könne.

Als die älteste hübsche Halfcaste-Tochter des alten Nelson sich an mich ›ranmachte‹ – und kein Wunder das, insofern ich ein strammer Kerl war – merkte ich, daß ich die gute Tai nicht vergessen konnte und fest entschlossen war, sie nachkommen zu lassen. Mittlerweile wanderten Briefchen mit der Adresse: I lana Afioga Tai‘afi‘afi i Matautu wöchentlich zweimal mit dem Postmotorboot von Fagamalu nach Apia. Waren in musterhaftem Samoanisch abgefaßt; Talent für Sprachen hab ich ja immer gehabt . . .

 

Unter den Leuten, die ich da in Fagamalu traf, gab es liebe Menschen. Zwei davon waren noch von der alten Garde; noch aus jenen Zeiten, wo sie von der Tokelaugruppe auf einem Floß herübergeschwommen kamen und ein unvergeßliches Schnaps- und Pascharegiment gründeten . . . Sie waren graubärtig, Brunnen an Weisheit und das, was man ›akklimatisiert‹ nennt . . . Sind aber keine Patriarchen geworden . . . Hatten so eine Art Unruhe im Blut, die sie mit Rum oder Gin glätten mußten; irgendwo haperte es bei ihnen; war etwas faul . . . Was meinen Sie da . . .? – ›Das ewige Lächeln??‹ – Lassen Sie 137 sehen . . . Drücken das gut aus; by Jove!! – Das war's! – Krause Ausdrucksweise zwar, Herr Ollendiek . . .«

Gerhart erinnerte sich später noch, daß Grothusens Augen bei diesem knarrenden Ausruf gläsern wurden und daß er etwas wie Entdecker-Enthusiasmus zeigte.

»Da hatten sie sich nun gerade in Fagamalu versammelt, um den Geburtstag vom alten Nelson zu begießen. Zunächst war da der Capt'n Lundt, Yardinspektor bei der Hamburger Firma; hatte die schwarzen JungensDer Ausdruck wird nur von melanesischen Kontraktarbeitern gebraucht. von Buka unter sich. Der Lundt . . . wie soll ich Ihnen den schildern? – Seit ich ihn kannte, trank er täglich seine halbe Flasche Gin . . . zuweilen auch eine ganze; da passierte ihm denn manches Denkwürdige . . .

Er kippte einmal mit seinem Walboot um und setzte sich auf den Kiel; er hatte gründlich vorgesorgt; so war er der einzige, der nicht an Land schwamm. Als er an Solosolo vorübertrieb, saß da der Häuptling Laiafi in seinem Hochsee-Fischkanu. – Fia ola! schrie Lundt. Efia le totogi? schrie Laiafi zurück . . . Ist 'ne böse Verletzung der einfachsten Etikette, müssen Sie wissen; aber Laiafi war damals noch ein dummer junger Bulle, und sein Kanu-Kommando mochte ihm zu Kopf gestiegen sein. Lundt fluchte und nannte den anderen ein ›Schwein von einem Nigger‹ und sagte, er wolle lieber versaufen, als sich von ihm helfen lassen. Er trieb bei Tiavea ans Land, dreiundzwanzig Meilen entfernt. Hat aber seine Genugtuung gekriegt . . .

Noch kürzlich bin ich dem Häuptling begegnet und hab mich erinnern müssen . . . Laiafi kriegte eine Blinddarmentzündung und kam ins Hospital zum Doktor Säuerlich. Lundt war gerade – faute de mieux – dort Helfer und stülpte ihm die Maske übers Gesicht. Laiafi erkannte ihn und wurde grün.

Fia ola!!‹ stöhnte er. – ›Efia le totogi?‹ meinte jetzt Lundt . . . Kein Mensch hat herausbekommen, wie das 138 zuging; aber Lundt bekam später eine große Bananenparzelle in Papa‘uta für einen Pappenstiel . . .

Einmal kam der Leutnant vom ›Bussard‹ mit der Pinasse an die Werft und schnauzte ihn an: ›Sind Sie der Kerl, der die Kohlen ausliefert?‹ – Lundt, der gerade schläfrig am Strand stand, sah sich die schimmernde preußische Autorität an und fragte: ›Und sind Sie der Kerl, der die Kohlen holen soll?‹ – –

Er schluckte, wie gesagt, nichts 'runter. – Nur Gin. Für den Fall seines Todes machte er aus, wir sollten ihm sein Grab mit leeren Flaschen umrahmen; wir brachten drei Reihen zustande; der Vorrat war groß . . .

Übrigens starb er an seinem Posten. Er bekam das Patent für Ewer, für kleine Fahrten, und betrieb Gewehrschmuggel nach Sawaii . . . Meine Station ist dadurch traurig berühmt geworden! – Als ihm nun der ›Sperber‹ einmal hart auf den Fersen saß und er wieder nicht schwimmen konnte, kriegte er das D. T. im Schiff; die Samoaner schmissen die ganze Ladung Munition über Bord und rissen aus . . . So fing man ihn ab . . . Schade . . .

Dann war noch einer da, Rasmussen, Pflanzungsverwalter für dieselbe Firma in Leutu Saovā, Mulifanūa; Inselkapazität ersten Ranges . . . Der steckte gewöhnlich mit einem Chinesen-Kommissar zusammen, einem Schweizer von der Station Pa‘epa‘ealā . . . Ähnliche Charaktere . . . Die beiden machten einmal aus, es solle ihre Sache sein, wie sie das Geld für die Firma verrechneten. Ich selbst war immer 'n strammer Kerl und kein Spielverderber; nun gab es aber damals – genau wie heute; God damn – streberhafte junge Dachse, ›Buchhalter‹ grün von Hamburg; und die schnüffelten anderen Leuten von grauer Südseeerfahrung gern in die Bücher. Da kam nun so einer an, fand nur den Schweizer vor und sprach von ›saumäßiger Kladde‹, und wo das ›Soll‹ wäre, und wo das ›Haben‹ wäre; und auf einmal kam Rasmussen von der Wildschweinjagd zurück.

Nun müssen Sie wissen, daß er 'ne imponierende 139 Erscheinung war und einen Großvaterbart bis an den Gürtel trug. Als er den grünen Buchhalter sah, fragte er, was los sei; und der Schweizer berichtete: ›Der Herr verlangt doppelte Buchführung‹. Rasmussen ließ sich das wiederholen. Dann wurde er violett im Gesicht. ›Was?‹ schrie er. ›Der junge Mensch verlangt, daß ich alles zweimal aufschreiben soll?‹ – Der Buchhalter sah die Winchesterbüchse zum Vorschein kommen, erkannte, daß er aus dem Rahmen fiel, und bestand nicht weiter darauf . . .

Mit dieser fünfschüssigen Büchse pflegte er noch andere Scherze zu machen. Wenn er eine Gesellschaft in seiner Samoahütte gab, hockte er sich mit der Büchse in die Mitte, und die Gäste saßen an die Pfosten verteilt. Jeder kriegte sechs Flaschen Bier vorgesetzt, und Rasmussen kommandierte, Finger am Hahn: ›Wer aufsteht, ehe die sechs Flaschen Bier bis auf den Nagel geleert sind, hat im Leben keine Sorgen mehr . . .‹ – Von der Kingsmillgruppe, von Tapituea, wo er zuerst geheiratet hatte, besaß er eine Tätowierung, und das war vielleicht der Grund, daß er keine Kleider an sich vertrug, wenn er besoffen war. Dann schoß er auch grüne Nüsse von den Palmen. Er konnte gefährlich werden . . .

 

Doch ich merke, Herr Ollendiek, ich schweife ab; ich will ja in der Hauptsache von mir reden, was?

Sie sehen also, die drei waren scharfe Köpfe und verdienten bis zu 'nem gewissen Grade Respekt; verlangten auch von mir als von 'nem Neuling, daß ich ihren Ratschlägen lauschte. Ich kam mir aber bereits mächtig gerissen vor und ließ fallen, ich hätte da und da eine ›Haushälterin‹ die wollte ich mir nachkommen lassen. ›Soo . . .‹ hieß es dann; und die drei sahen sich an. – Wer das sei? – Als ich ihnen den Namen nannte, fiel ihnen zwar nichts Nachteiliges ein; aber dann ging es los. Man suchte mir im allgemeinen davon abzuraten.

Lundt schwur darauf, ich sei schon im vornherein ruiniert, 140 wenn ich sie kommen lasse. Ich würde die ganze A‘iga auf dem Hals haben; und ob mir klar sei, was das heiße? Geschenke hier und Geschenke da; schon manch eine Karriere, vergnügt und unbefangen begonnen, sei in der Knospe auf diese Weise sozusagen erstickt worden. Geschäftsinteressen heischten, daß man ewig grinse; das reibe auf; das mache früh alt und mürrisch; sie ihrerseits hätten das Grinsen nie mitgemacht.

Famoser Ausdruck, das da vorhin von Ihnen, Herr Ollendiek, vom ›Ewigen Lächeln‹; erstaunlich, wo Sie das her haben . . . Stimmt; stimmt ganz genau . . .«

Pause. In Grübeln verloren reinigte sich Grothusen seine Brille und sah dabei wie ein blindes Pferd in die Tiefe der Pflanzung hinein. – Dann fuhr er fort:

»Rasmussen meinte, er wäre zwar immer auf seine Kosten gekommen, wenn er gewollt hätte; auch hätte er immer ein Weib in der Bude gehabt; aber unverbindlich, Schwerenot, unverbindlich! . . . und es hätte ihm nie einen Pfennig an sie oder andere Kanaker gekostet. Er schrieb, das beste wäre, eine so zum Hausgebrauch zu nehmen; aber nichts Dauerndes! – Nur nichts Dauerndes!! – Und keine Kinder! – Und dann wieder 'raus damit! – Das sei sein Prinzip. Behandle man eine mal anständig, dann sei sie wie eine Klette; dann sitze man in der Patsche; dann kämen Ansprüche, Verpflichtungen und alle verdammten Konsequenzen . . . Er wurde geradezu wild über meinen Plan, Tai nachkommen zu lassen. Gäbe ich solchen Weibern den kleinen Finger, so nähmen sie schwaps den ganzen Arm; – ja die ganze Person. – Er war ein guter Kerl, der Rasmussen; aber doch ein wenig roh in seinen Ansichten.

Dann kam der alte Nelson zu Wort. ›Sehen Sie, Grothusen‹, so etwa sagte er, ›Ihr Plan, sich da mit einer hohen Taupou zusammenzutun, ist ja schön und gut; kann Ihnen nützlich sein im Geschäft; und Gravenhagen wird nichts dagegen haben. Nun aber habe ich hier einen Freund, 141 heißt Paape, hat es genau so gemacht; und Paapes wegen würde ich Ihnen nicht gerade dazu raten! Hatte keine Psychologie im Leib! Verstand nicht so viel – und Nelson schnippte mit den Fingern – von dem Volke hier! – Sonst wär's ihm nicht im Traum eingefallen, die Tochter des Tuli‘ma‘le‘Alii‘Fanu von Falelatai zum Weib zu nehmen . . . Er krähte absolut falsch! – genau so, Herr Ollendiek, drückte Nelson sich aus; t-k, t-k – und er wußte nicht, daß sie als höchste Taupou das Vorrecht genoß, sich jeden heranzuholen, den sie wollte. – Paape wollte, genau wie Sie, seine grinsende Verwandtschaft auf Herz und Nieren prüfen und danach behandeln. Aber in seiner Biederkeit – war 'n junger Mensch – zog er überall seine europäischen Meßinstrumente heraus und machte sich falsche Notizen in seinem gutgläubigen Schädel. –Die Le‘uta ist keine, die sich dreinreden läßt.

›Die sollten Sie kennen!‹ – drückte Nelson sich weiter aus: ›Da hatten sie vor ein paar Wochen‹ – sagte er – ›eine Versammlung in Mulinuu; es sollte entschieden werden, ob der ältere Malietoa oder Mataafa Majestät bleiben solle . . . Nachher gruppierte man sich, um 'ne Aufnahme zu machen; war unumgänglich; hehe! – Und den letzten Stuhl, der frei war, den kriegte Frau Doktor Säuerlich; straf mich Gott; sie gehörte zur weißen Gesellschaft! –

Auf einmal – wer erscheint? – Die Le‘uta. Was tut sie? – Geht stracks auf sie los und fordert sie leise auf, ihr den Stuhl zu geben . . . Ganz natürlich das; denn die andere war nur 'ne Sprechertochter von Matafagatēle . . . Als sie nicht pariert, packt Le‘uta sie samt ihren hohen Hacken und ihrem Seidenkleid, schubst sie vor den drei Konsuln auf den Boden und setzt sich selber auf den Stuhl . . . Kam alles auf die Aufnahme; hehe . . .

Um nun auf Paape zurückzukommen, so ist es bei ihm längst Gewohnheit, daß er nichts sieht. Ist 'n Schlappschwanz; vielmehr ist einer geworden; und verdient's. 142 Die Kinder . . . Lieber Himmel!! – Beachcomber! – Das bißchen Geld, was die Le‘uta und seine Kinder ihm noch übrigließen, das hat er auf die ›Erziehung‹ seiner Enkel verwandt . . . Sind ganz niedliche Quartercastes . . . Aber die Tochter! – Die erstattete ihm sein Schwiegersohn, Spechtschnabel, mit Dank wieder zurück . . . Den hat später die Taupou von Manono erledigt . . . Der ältere Sohn von Paape mußte weg von hier wegen einer Messeraffäre im Tivoli; ist jetzt Buchmacher auf dem Turf in Sydney oder hat 'n ähnlichen Gaunerberuf . . . Der Jüngere ist noch hier; ich trau ihm nicht übern Weg . . . Paape vegetiert so weiter und läßt sich von seinen Verwandten in Falelatai füttern, trotzdem er weiß, daß die Le‘uta hier irgendwo in Sawaii steckt und die Bullen ihr auf Befehl zur Verfügung stehn . . . Ja, glauben Sie etwa, Grothusen, die Prospekte sind für Sie um ein Haar besser als für Paape? – Lassen Sie sich warnen, junger Mann! – Gewöhnen Sie sich an kein Weib hier! – Gewöhnen Sie sich nicht! . . .‹

Soweit Nelson.

 

Die Rede ging hin und wieder; – andere Beispiele kamen aufs Tapet: eins abschreckender als das andere. Man kam auf einen gewissen John Stubbs in Falefā zu sprechen; und hier wußte Rasmussen Bescheid. Er war schon ganz heiser.

Stubbs – meinte er – sei'n Vater, mit dem es seine Richtigkeit habe. Korrekter alter Kerl; habe sich im Maorikrieg 'ne Medaille verdient . . . Aber dann sei er ausgerechnet darauf verfallen, sich eine Wald- und Wiesensamoanerin, nicht mal 'ne Sprechertochter, als Weib zuzulegen. Ordinär dick sei sie und heiße U‘ufanua, ›Ich umfasse alle Länder‹; Stubbs behauptete nachher, der Name hab's ihm angetan . . . Zum Teufel; man verkauft doch sein Seelenheil nicht wegen eines Kanakernamens . . . Er habe schwer Geld in Fiji gemacht, in Bananen, und sei dann mit dreihundert Dollar per Monat nach Samoa übergesiedelt.

143 Doch die ›Länderumfassende‹ habe sich so unmöglich benommen, daß er sein Familien-Idyll satt bekommen habe und der Betäubung halber von Faleapuga nach Falefā gegangen sei, auf eine Station von MacGrew; und da säße er noch . . . Sei selber dran schuld . . . Habe sein eigenes gutes Blut mit ordinärem Inselblut versetzt – schloß Rasmussen – und habe seitdem den Fuselgeruch der eigenen Familie in der Nase . . .«

Grothusen dachte ein Weilchen nach.

»Gibt hier 'nen amerikanischen Trader; man hat mich erst kürzlich sozusagen mit der Nase darauf gestoßen; der Kerl mischt seinen guten Scotch mit Unicorn . . . Das Zeug ist nicht einmal destilliert; der Mann hat 'ne gewisse Ähnlichkeit mit Stubbs; so muß es der auch gemacht haben . . . Rasmussen erzählte noch weiter, Stubbs habe 'ne Tochter; die habe er der Mission von London ans Herz gelegt; doch trotz des Scharfblicks dieser Pfaffen habe sie Hals über Kopf 'n Kind gekriegt; und von wem? – – – Vom Manaia von Falefā! – Er habe sie 'rausschmeißen müssen . . . Mit dem Beispiel von Stubbs warnte Rasmussen mich schwer. – ›Wechseln Sie!‹ schrie er. ›Wechseln Sie! Verdammt noch mal; binden Sie sich an keine! – Gute Absichten, was? – Europäisches Benehmen? – Familie? – Zartgefühl? – Weg damit! – Kratzen Sie nur die oberste Schicht ab bei Ihrer ›Ebbe am Nachmittag‹; Sie werden ja sehn! – Die Kanaker sind alle gleich! – Stecken alle unter einer Decke!‹

So ähnlich redeten alle auf mich ein. Später kam noch ein katholischer Pfaff dazu, Laienbruder noch damals, mit dem Namen Kummer – trug den Namen mit Recht, denn er hatte so was Kummervolles, vielmehr Kümmerliches in seinem Wesen. – Den hatte ich schon auf dem Hopfenmarkt bei der Nikolaikirche in Hamburg als Kuratenschüler getroffen. Trank 'n Schnäpschen mit; keinen Gin; hatte 'ne sanfte Art von Likör bei sich; den zog er – so sagte er – aus Blumen.

144 Der ließ sich vernehmen –: Es sei nicht Gottes Plan, daß Europäisch und Samoanisch sich vermische; geschehe es aber dennoch, so sei es nur statthaft auf kirchlicher Grundlage. Ehen fa‘asamoa geschlossen seien verwerflich, und er erkenne sie nicht als bindend an. Ihm gefiele mein Vorsatz; es stecke Charakter drin; wenn ich aber meine Haushälterin herüberkommen lasse, so erwarte er zuversichtlich, daß wir ohne Verzug in die Arme des Père Chouvier steuerten und uns trauen ließen. – Wenn nicht, dann ›Anathema‹.

 

So! – Da hatte ich also eine hinreichende Blütenlese von Meinungen beisammen. Mucker oder grüne Köpfe hätten sie abgeschreckt; nicht so mich. Im Gegenteil. – Ich hatte die Sache einmal arrangiert; und der Grothusen fällt nicht aus dem Rahmen . . . War zwar noch jung; kam mir aber den Herrschaften gewissermaßen überlegen vor . . . Das Paschamäßige, was sie so an sich hatten, gefiel mir nicht. Von Nelson abgesehn, hatte es nämlich keiner fertig gebracht, 'n Weib zu erziehen; das heißt sich 'n wenig nach ihrem Geschmack umzumodeln; benahm das Weib sich natürlich und zeigte kleine Eigenheiten, du lieber Gott, samoanische Charakterzüge, dann schrien sie: ›Aha, der Pferdefuß‹ – und warfen sie 'raus. – Jeder von ihnen machte zwar ein paar Versuche, sie in seine Sphäre zu heben; mit der ›Sphäre‹ war es aber nicht weit her; mit dem ›Heben‹ noch weniger; 's war eher der Niedergang so 'nes urwüchsigen Inselweibes, wenn sie in ihren Dunstkreis geriet.

Die Mädels amüsieren sich, wo sie's unbeschadet können, mit einer fröhlichen Tierhaftigkeit sozusagen; absolut unschuldig; gewisse Elemente brachten ihnen aber Verzwicktheiten bei, die nicht von Samoa stammten; und so ist das nachher oft keine reine Freude mehr mit ihnen. Denken Sie an die Le‘uta und die U‘ufanua und Fama‘ile von Lotofaga, die den Spechtschnabel bis auf die Haut auszog . . . Der Grothusen, Herr Ollendiek, durchschaute das und sagte 145 sich im vornherein: Nicht heben wollen! – Heruntersteigen! – Und wenn du heruntersteigst, Sprache lernst, fa‘asamoa lebst – nimm Gift darauf, sie erkennt das an! Dann kommt sie dir auf halbem Weg entgegen! – Schmeiß Europa über Bord, wenn du mit ihr zusammen bist! – Das ist die richtige Weise, die Sache anzupacken! – Dann wirst du glücklich hier, und andrerseits: dann hast du die Inseln in der Tasche!

Die Idee schien neu für Samoa; keiner von den Alten hatte nach diesem Prinzip gelebt. – Nach drei Monaten schwatzte ich samoanisch genug für den Hausgebrauch. Nach einem Jahr hatte ich die HäuptlingswörterDas Samoanische enthält viele Wörter, die nur in bezug auf höhergestellte Personen angewendet werden dürfen. am Schnürchen und wandte sie bei meiner Frau an, was ihr mächtig gefiel . . . ›Frau‹ sage ich aus Gewohnheit . . . sind nicht getraut; ich weiß Bescheid, warum . . . Ist aber trotz alledem mein treues Weib; treu und gut und anhänglich wie Gold ist das Weib . . .  ›Ebbe am Nachmittag‹ . . .

 

Kinder? – Ob ich Kinder habe? – Ha, freilich habe ich Kinder! – Pr–a–chtkinder! – Zwei Stück! – Keine Beachcomber wie die von Paape oder Stubbs – aufgeweckt, verstehn Sie; solid, begabt . . . 'nen Jungen von vierzehn und 'n Mädel von siebzehn . . . Helfen ihrem alten Vater . . . sind zur Hand, wenn man sie braucht . . . Bin auch immer nett zu ihnen; erkennen das an . . . ›Liebe und Furcht‹; meinen Sie? – Nichts zu machen! – Menschliches Regiment! Absolut menschlich! – – –«

 

Hier übermannte Rührung den Erzähler. Sein Mund gewann die Form eines Dreiecks. Ein Schlucken geschah, und der Kehlkopf stieg auf und ab. – Es hörte sich an, als zerlege und koste er eine sehr reife und sehr buttrige Baummelone . . . 146


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