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Sholto Douglas kehrte mit demselben Schiff nach England zurück, das Elinor Marians Brief brachte. Nach seiner Ankunft in London verbrachte er die erste Nacht in einem Hotel in der Nähe von Euston Station und schickte am nächsten Morgen seinen Diener aus, im Westend eine Wohnung zu mieten. Nach Mittag kam dieser zurück, er hatte in Charles Street bei St. James Zimmer gefunden. Da es ein schöner kalter Tag war, beschloß Douglas zu Fuß zu gehen, obgleich er dabei das Gefühl hatte, sich in einen Kampf zu begeben.
Auf dem Portland Place traf er Miß McQuench, die soeben ihren Brief erhalten hatte und Douglas mit unwilligem Blick schnitt. Bei dem Langham Hotel begegnete er einem Klubmitglied, das ihn erstaunt ansah und kühl nickte. In der Regent Street endlich sah er vor einem Geschäft den Wagen der Lady Sunbury stehen. Er eilte an der Türe vorbei, denn durch die Begegnung mit Miß McQuench hatte er allen Mut verloren. Doch es gab da zwei Türen, und an der zweiten stieß er auf die Gräfin, Lady Constance und Marmaduke, die gerade herauskamen.
»Wo zum Teufel ist der Wagen?« sagte Marmaduke laut.
»Still! Es kann dich ja jeder hören«, sagte Lady Constance.
»Was gehen mich die Leute – Hallo! Douglas! wie geht es Ihnen?«
Marmaduke streckte ihm die Hand hin. Lady Sunbury zupfte ihre Tochter am Ärmel und eilte zum Wagen, nachdem sie Douglas' finsteren Blick mit einer kaum sichtbaren Verneigung erwidert hatte. Constance tat wie ihre Mutter. Douglas zog stolz seinen Hut.
»Wie widerspenstig Marmaduke ist!« sagte die Gräfin, als sie den Kutscher gebeten hatte, sofort weiterzufahren. »Er geht wahrhaftig mit diesem Menschen die Regent Street hinunter.«
»Aber Mama, warum hast du ihn denn nicht geschnitten?«
»Ich dachte im Traum nicht daran, daß er so bald zurück sei, und ich weiß natürlich nicht, ob man ihn schneiden soll oder nicht. Wir müssen abwarten, was die andern tun. In Zukunft wollen wir ihn lieber nicht bemerken.«
»Wissen Sie, alter Junge,« sagte Marmaduke, als sie zusammen weitergingen, »Sie sind zu früh zurückgekommen. Ich würde das nicht tun. Folgen Sie meinem Rate und verreisen Sie, bis Gras über die Geschichte gewachsen ist. Es wird noch verdammt viel darüber geredet. Sie waren ja kaum zwei Monate fort.«
»Ich glaube, Sie heiraten demnächst«, sagte Douglas. »Sie gestatten doch, daß ich Ihnen Glück wünsche!«
»Danke sehr. Ein feiner Tag heute.«
»Sehr feines Wetter.«
Marmaduke ging schweigend weiter. Douglas begann nach einer Pause das Gespräch wieder.
»Ich bin erst gestern abend hier angelangt. Ich komme von Neuyork.«
»Wirklich. Angenehme Reise gehabt?«
»Eine sehr angenehme.«
Wieder eine Pause.
»Ist etwas Besonderes geschehen, seit ich fort war?«
»Nichts Besonderes.«
»Ist viel geredet worden über mein Fortgehen?«
»Nun, ich denke, eine ganze Menge. Entschuldigen Sie, daß ich auf den Gegenstand zurückkomme. Ich hätte es ohne Ihre Frage nicht getan.«
»Aber lieber Freund, Sie brauchen doch mir gegenüber nicht so förmlich zu sein.«
»Das ist alles ganz wohl, Douglas, aber Sie gaben mir doch vorhin, als ich darauf anspielte, zu verstehen, ich sollte mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern.«
»Ich tat das?«
»Vielleicht nicht so wörtlich. Aber die Angelegenheit ist bald klargelegt. Sie sind mit Marian durchgebrannt, wie wir beide wissen. Wenn Sie darüber nichts hören wollen, sagen Sie es, und wir können das leicht vermeiden. Wenn Sie sich aber darüber unterhalten wollen, dann wechseln Sie nicht den Gesprächsgegenstand.«
»Ich wollte Sie nicht beleidigen, es geschah ganz unachtsam.«
»Na schön! Ist sie mit Ihnen gekommen?«
»Heißt das, Sie haben ihr den Abschied gegeben?«
»Das habe ich nicht gesagt. In Wirklichkeit hat sie mir den Abschied gegeben.«
»Das ist sehr merkwürdig. Dann wollen Sie sie wohl gar nicht heiraten?«
»Wie kann ich das? Ich sagte Ihnen doch, sie hat mich verlassen. Ich darf Sie wohl darauf aufmerksam machen, Lind, daß ich überhaupt nicht verpflichtet bin, sie zu heiraten, und daß ich es jetzt keinesfalls tue. Wenn ich mich rechtfertigen wollte, könnte ich das leicht mit ihrem Betragen tun.«
»Ich glaube nicht, daß man eine Rechtfertigung von Ihnen verlangt. Die Leute scheinen sich darüber einig zu sein, daß Sie von vornherein unrecht taten, und Sie sollten sich besser fernhalten, bis man es vergessen hat. – O verflucht, da ist Conolly. Nun aber um Gottes willen keinen Streit.«
Douglas erbleichte und wich einen Schritt auf den Fahrdamm zurück, bevor er seine Fassung wiedergewann. Conolly kam nämlich plötzlich auf sie zu, als sie Charles Street überschritten. Eine Gruppe Gentlemen stand auf den Stufen des Klubhauses, das sich an der Ecke befand. Conolly blickte auf und blieb lächelnd stehen.
»Mein Gott!« sagte er in vollkommen guter Laune. »Douglas wieder hier? Warum in aller Welt sind Sie mit meiner Frau davongelaufen, und was haben Sie mit ihr angefangen?«
Die Herren auf den Stufen hörten auf zu plaudern und begannen hinüberzustarren.
»Es ist hier nicht der Ort, mein Herr, um Ihnen einen Bericht zu geben«, sagte Douglas, noch immer ängstlich und unruhig. »Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, was nicht durch einen Freund mitgeteilt werden kann, dann sagen Sie es mir besser, wenn wir allein sind.«
»Ich brauche nur eine kurze Unterredung«, sagte Conolly. »Wie geht es Ihnen, Lind? Wo können wir hingehen? Ich gehöre zu keinem Klub.«
»Meine Wohnung ist hier in der Nähe«, sagte Douglas.
»Ich verlasse Sie wohl am besten«, sagte Marmaduke.
»Ihre Anwesenheit stört mich nicht im geringsten«, sagte Conolly.
»Ich habe diese Unterredung nicht gesucht«, sagte Douglas. »Ich ziehe es deshalb vor, wenn Mister Lind als Zeuge dabei ist.«
Conolly nickte zustimmend, und sie gingen zu einem Hause, auf dessen Stufen Douglas' Diener wartete. Sie betraten den Salon im ersten Stock.
»Nun, mein Herr«, sagte Douglas, ohne seine Gäste zum Sitzen einzuladen. Nur Conolly nahm seinen Hut ab. Marmaduke ging an die Seite und blickte zum Fenster hinaus.
»Ich kenne die Umstände, die Sie zu Ihrer Rückkehr veranlaßt haben«, sagte Conolly. »Wir brauchen also nicht darauf einzugehen. Ich möchte aber über einen Punkt Auskunft haben. Wissen Sie, wie im Augenblick Marians finanzielle Lage ist?«
»Ich bestreite es, daß mich das irgendwie etwas angeht.«
»Natürlich geht Sie das nichts an, um so mehr aber mich. Ich kann nicht wünschen, daß sie sich ohne Geld in einer fremden Stadt befindet. Sie hat telegraphisch Miß McQuench gefragt, wie es mit ihrer Vermögenslage stehe. Das beweist natürlich an und für sich nichts. Aber ihre neue Adresse, die ich heute morgen auf einem Briefe sah, zeigt mir, daß sie in einem ganz armseligen Lodginghaus wohnt.«
»Ich weiß darüber gar nichts.«
»Ich schließe aber daraus, daß sie arm ist. Ich kann abschätzen, was sie mit nach Amerika genommen hat. Wenn Sie daher so freundlich sein wollen, mir zu sagen, ob Sie ihr jemals Geld gegeben haben; wenn ja, wieviel es war, und was sie selbst ausgegeben hat, dann kann ich danach ausrechnen, in welcher Lage sie jetzt ist.«
»Ich weiß nicht, ob Sie das Recht haben, solche Fragen zu stellen.«
»Ich beanspruche kein Recht zu solchen Fragen. Im Gegenteil, ich habe den Grund angegeben, warum ich sie stellte. Ich werde Sie durchaus nicht drängen, wenn Sie glauben, daß eine Antwort Sie kompromittiert.«
»Ich habe keine Furcht, mich zu kompromittieren. Durchaus nicht.«
»Wollen Sie mir dann in dem Falle nicht mit einer Antwort helfen?«
»Ich darf wohl sagen, daß diese Reise mich eine beträchtliche Summe gekostet hat. Ich bezahlte alle Ausgaben, und Miß – Mistreß Conolly hat nach meinem Wissen keinen Pfennig bezahlt. Sie hat mich nicht um Geld gebeten, ich würde es ihr sonst sofort gegeben haben.«
»Danke sehr. Adieu.«
»Erlauben Sie, mein Herr, bevor Sie fortgehen, Ihnen noch zu sagen, daß Mistreß Conolly durch ihr eigenes Benehmen in ihre gegenwärtige Lage gebracht worden ist. Ich weise die Andeutung, daß ich sie in einer fremden Stadt verlassen hätte, zurück, und ich verlange, daß dieser Punkt klargestellt wird.«
»Seien Sie unbesorgt, ich mache keine solche Andeutung. Alle unsere Bekannten werden es verstehen, daß Marian, trotz der Opfer, die Sie für ihre Sache gebracht haben, Sie aus freien Stücken und in offen ausgesprochener Abneigung verlassen hat. Ich weiß, daß ihr Schritt vorher geplant war, und daß sie ohne ihr Gefühl, in Ihrer Schuld zu sein, ihn schon früher ausgeführt hätte. Wenn Sie die öffentliche Meinung zu besänftigen wünschen, indem Sie bekanntmachen, daß die Affäre Ihnen nur schwere Geldverluste gebracht hat, und daß Sie bei Ihrer Trennung von Marian der zurückgestoßene Teil sind, so können Sie sich auf mich als Zeuge verlassen, denn ich kann ganz gewichtige Gründe hierfür angeben.«
»Sie machen sich meinetwegen unnötige Mühe, mein Herr«, sagte Douglas und wurde blaß. »Die öffentliche Meinung schert mich nichts. Ich wünsche Ihr Mitleid nicht, und auch nicht das der Welt. Solche Gefühle darf man nur gegen den hegen, der darum bittet.«
»Mitleid ist eine unwillkürliche Regung, die man in Gegenwart eines Unglücklichen empfindet«, sagte Conolly mit ruhiger Stimme, indem er kaltblütig den Eindruck seines versteckten Spottes beobachtete.
»Sie stellen meine Langmut etwas zu sehr auf die Probe, Mister Conolly.«
»Wenn Sie mir erlaubt hätten zu gehen, als ich es zuerst vorschlug, Mister Douglas, würde Sie nichts zu der Unhöflichkeit verführt haben, mir zu drohen. Sie sind ein wohl bübischer Gast, aber kein gefährlicher Feind.«
»Halt,« sagte Marmaduke, indem er zwischen sie trat, »wir wollen keinen Unsinn machen. Welchen Zweck hat es, wenn Sie miteinander zanken? Es ist nicht der Mühe wert.«
»Sie haben recht«, sagte Conolly, dessen Gesicht für einen Augenblick einen grausamen Ausdruck angenommen hatte. »Guten Morgen.« Er verneigte sich gegen Douglas und ging.
»Warum, zum Teufel, ließen Sie ihn nicht gehen, als er gehen wollte?« sagte Marmaduke. »Man soll dem fliehenden Feind immer eine goldene Brücke bauen. Das haben Sie davon, daß Sie ihm einen zweiten Hieb gegen Sie erlaubten.«
»Was habe ich bekommen? – Wie meinen Sie das?«
»Nun, er hat Ihnen besser die Wahrheit gesagt, als es Ihnen lieb war. Was wollen Sie von mir? Wenn Sie auf jemand losschlagen wollen, warum schlagen Sie nicht auf ihn los?«
»Wenn Sie nicht dazwischengetreten wären, hätte ich ihn die Treppe hinuntergeworfen.«
»Sie hätten es vielleicht versucht. Und gerade für eine Sekunde, zum Teufel, sah er so aus, als ob er nichts dagegen gehabt hätte, wenn Sie es versuchten. Ein paar schöne Narren wären Sie beide gewesen. Folgen Sie meinem Rat und gehen Sie ihm in Zukunft aus dem Wege. Übrigens ist er im Recht und Sie nicht.«
»Ich werde ja sehen, ob ich ihn nicht ins Unrecht setzen kann. Glauben Sie, ich ließe ihn aller Welt erzählen, ich sei betört und dann verabschiedet worden?«
»So haben Sie doch selbst erzählt, oder nicht? Wenigstens verstand ich es so, als wir zusammen gingen.«
»Er soll es nicht erzählen. Ich werde ihn zwingen, Genugtuung zu verlangen.«
»Unsinn und Blödsinn! Sie stehen sowieso in schlechtem Rufe, ohne sich noch erst vollends zu ruinieren, indem Sie ihn zum Duell herausfordern. Er würde Sie einfach auslachen.«
»Das werden wir sehen. – Wenn er es wagt, mich auszulachen, werde ich ihn auf der Straße verprügeln.«
»Ja, und Sie werden von der Polizei festgenommen oder vielleicht selbst verprügelt. Vergessen Sie nicht, daß Sie nicht mehr derselbe sind wie in Oxford. Sie sind fetter geworden und haben an Spannkraft verloren. Er weiß sich ebensogut zu schützen wie Sie, und die öffentliche Meinung ist auf seiner Seite.«
»An so etwas denkt ein Feigling, Lind.«
»Nun gut, tun Sie, was Sie wollen. Sie können sich gegenseitig die Hälse umdrehen, mir ist das egal. Jedenfalls hat er die Genugtuung gehabt, Sie in Wut zu versetzen.«
»Ich bin nicht in Wut.«
»Schön. Sie sollen Ihren Willen haben.«
»Wollen Sie ihm eine Botschaft von mir übermitteln?«
»In feindlicher Absicht?«
»Ja.«
»Fällt mir gar nicht ein.«
»Das ist sehr offen gesprochen.«
Marmaduke steckte die Hände in die Tasche und pfiff. »Ich denke, ich entferne mich jetzt«, sagte er einen Augenblick darauf.
»Wie Sie wollen«, antwortete Douglas kühl.
»Ich spreche vielleicht nächste Woche noch einmal vor, wenn Sie sich etwas abgekühlt haben. Adieu.«
Douglas sagte nichts. Marmaduke nickte und ging hinaus. Einige Minuten später trat der Diener herein und meldete, Mister Lind sei unten.
»Was! Schon wieder!« sagte Douglas.
»Nein, Herr. Es ist der alte Mister Lind – Mister Reginald.«
»Sagten Sie ihm, ich wäre hier?«
»Das Hausmädchen sagte es, Herr.«
»Verfluchte Zudringlichkeit! Ich muß ihn wohl hereinlassen.«
Reginald Lind trat herein und verneigte sich. Douglas stellte ihm einen Stuhl zurecht und wartete stumm und etwas aus der Fassung gebracht. Mr. Linds Blick und seine Stimme zeigten, daß er sich ebenfalls unsicher fühlte. Sein Benehmen war aber höflich, und sein Gesicht zeigte jenen ernsten Zug, den Douglas schon als Knabe an ihm gesehen hatte.
»Es tut mir leid, Sholto,« sagte Mr. Lind, »daß ich Ihnen bei unserm heutigen Zusammentreffen nicht mit derselben Herzlichkeit begegnen kann, die früher zwischen uns bestand. Wie schwer auch Ihre Enttäuschung über Marians Heirat gewesen ist, Sie durften sich nicht auf eine so sträfliche und verzweifelte Art darüber hinwegsetzen. Ich spreche jetzt als alter Freund zu Ihnen – als einer, der Sie gekannt hat, als der Unterschied zwischen Ihrem und meinem Alter ausgeprägter war als heute.«
Douglas verbeugte sich.
»Ich hörte gerade von Mister Conolly – den ich zufällig in Pall Mall traf –, daß Sie aus Amerika zurückgekommen sind. Er erzählte mir sonst nichts über Sie, außer daß er Sie getroffen und mit Ihnen gesprochen hat. Ich hoffe, es ist nichts Unangenehmes vorgekommen.«
»Das Zusammentreffen war kein angenehmes. Ich werde die nötigen Schritte tun, um Mister Conolly das verstehen zu geben.«
»Es kam doch nicht zu Heftigkeiten?«
»Nein, Mister Conollys Besonnenheit verhinderte das. Ich kann aber nicht versprechen, daß ein zweites Zusammentreffen zwischen uns so ruhig ausgeht.«
»Die Unterredung hätte überhaupt nicht stattfinden sollen, Sholto. Ich brauche Ihnen wohl nicht anzudeuten, daß Klugheit und Geschmack eine Wiederholung durchaus verbieten.«
»Ich habe sie nicht gesucht, Mister Lind. Er zwang sie mir auf. Jedenfalls, wenn es zu einem zweiten Zusammentreffen kommt, dann werde ich es ihm aufzwingen, und dann findet es in einem andern Lande statt.«
»Das sind Ideen eines jungen Menschen, Sholto. Die Zeit für solche Verbrechen ist Gott sei Dank vorbei. Wir wollen nicht mehr darüber reden. Ich sprach Sonntag mit Ihrer Mutter, haben Sie sie schon gesehen?«
»Nein.«
»Sholto, Sie haben uns allen schweres Leid zugefügt an jenem Montag vor Weihnachten. Ich weiß, was ich wegen meiner Tochter empfand. Aber was Ihre Mutter wegen ihres Sohnes empfunden haben muß, das kann nur ich mir vorstellen.«
»Ich bin nicht gefühllos dagegen. Es ist mehr mein Unglück als mein Fehler gewesen, daß ich Ihnen diesen Schmerz verursacht habe. Es wird Sie vielleicht trösten, daß ich ebenfalls tief gelitten habe, und daß ich jetzt wirklich ein gebrochener Mann bin. Ich kann Ihnen versichern, daß es so ist.«
»Zum Glück für uns alle ist die Sache nicht absolut unheilbar. Ich möchte Ihnen das vertraulich sagen, daß ich niemals so recht über Marians Heirat mit Conolly zufrieden war. Obgleich er zweifellos ein bedeutender Mann ist, es war doch etwas Unpassendes an der Verbindung – Sie verstehen mich wohl –, was Marian ihrer Familie entfremdete, solange sie bei ihm war. Ich habe nie das Haus meiner Tochter betreten ohne das Gefühl, ich sei dort mehr oder weniger ein Fremder. Hätte Marian Sie sofort geheiratet, der Fall läge ganz anders – ich wollte, es wäre so gekommen. Aber es ist zu spät, das zu bedauern. Was ich sagen wollte, ist nur, daß Sie mir noch immer als Marians Gatte willkommen sind – obgleich sie durch ihr ferneres Leben einen schlimmen Fehltritt gutmachen muß, und ich werde gegen sie nicht weniger freigebig sein, als hätte die jetzige Ehe gar nicht stattgefunden.«
Douglas räusperte sich, aber er sprach nichts.
»Nun?« fragte Mr. Lind nach einer Pause und errötete.
»Das ist eine sehr peinliche Sache«, bemerkte Douglas schließlich. »Als Mann der Welt werden Sie wissen, Mister Lind, daß ich durchaus nicht verpflichtet bin, Ihre Tochter zu heiraten.«
»Ich spreche nicht zu Ihnen als Mann der Welt. Ich spreche als Vater und Gentleman.«
»Zweifellos sind Sie als Vater in einer unglücklichen Lage. Ich verstehe Ihre Gefühle. Aber als Gentleman –«
»Überlegen Sie wohl, was Sie sagen wollen, Sholto. Wenn Sie als Gentleman sprechen, können Sie nur eine Antwort haben. Wenn Sie eine andere haben, sprechen Sie als ein Schurke.« Der letzte Ausdruck kam von selbst über Mr. Linds Lippen, aber im Augenblick, da er ihn ausgesprochen, fühlte er schon, daß er zu vorschnell gewesen war.
»Mein Herr!«
»Ich wiederhole, als ein Schurke – wenn Sie sich in dieser Angelegenheit Ihrer Pflicht entziehen.«
»Ich lehne es ab, diese Unterhaltung mit Ihnen fortzusetzen, Mister Lind. Sie wissen so gut wie ich, daß die Gesellschaft es von keinem Gentleman erwartet, ja ihm nicht einmal gestattet, ein Weib zu heiraten, das mit ihm als Mätresse gelebt hat.«
»Ein Mann, der eine Dame verführt hat und sich weigert, so gut er es kann ihre Ehre wiederherzustellen, hat kein Recht auf den Namen eines Gentlemans.«
»Sie träumen, Mister Lind. Ihre Tochter war der Wächter ihrer eigenen Ehre. Ich habe ihr nichts versprochen. Es ist lächerlich, bei einer Frau von ihrem Alter und ihrer Erfahrung von Verführung zu sprechen, gerade als ob sie noch ein Kind sei.«
»Ich habe Sie immer verstanden, Sie ständen auf einem höheren Standpunkt der Ehre als die übrigen Menschen. Wenn das Ihre gerühmte –«
»Mister Lind,« unterbrach ihn Douglas mit Entschiedenheit, »nichts mehr davon, wenn ich bitten darf. Kurz gesagt, ich will in Zukunft nichts weiter mit Mistreß Conolly zu tun haben. Wenn ihr Ruf so unbefleckt wäre wie Ihr eigener, ich würde mich doch weigern, sie zu kennen. Sie hat mich in ausgesucht launischer und treuloser Weise behandelt und mich mit den rohesten Ausdrücken des Hasses überschüttet. Sie verließ mich aus freien Stücken, trotz meiner Bitten zu bleiben, und meine Bitten waren dabei noch die Antwort auf einen Ausbruch von Heftigkeit, der mir das Recht gab, sie ohne weiteres zu verlassen. Es ist richtig, daß ich mein Leben nach höheren Gesetzen der Ehre leite, als es gewöhnliche Menschen tun, und es ist ebenso richtig, daß ich diese Gesetze niemals bindender, niemals genauer nehme, als wenn es sich um eine Frau handelt. Ich brauche nur noch hinzuzufügen, daß ich vollkommen zufrieden mit meinem Benehmen in Marians Sache bin, und daß ich mich unbedingt weigere, von Ihnen noch einen weiteren Vorwurf der Unwürdigkeit anzuhören, so sehr ich auch Sie und Ihren Schmerz achte.«
Mr. Lind sah ein, daß er einen andern Ton anschlagen müßte, aber es wurde ihm schwer, seine Erregung zu mäßigen. Denn obgleich er sonst kein heftiger Mann war, Widerspruch konnte er nicht ertragen. »Sholto,« sagte er, »Sie meinen das doch nicht so. Sie zürnen über irgendeinen Liebeszank.«
»Ich habe mich vollständig von Ihrer Tochter getrennt und bin entschlossen, sie zu vergessen. Wie ein Narr habe ich ihretwegen meine Jugend zerstört. Damit und mit dem andern, was ich für ihre Sache geopfert habe, soll sie zufrieden sein.«
»Aber das ist ja schrecklich! Denken Sie an das Leben, was sie führen muß, wenn Sie sie nicht heiraten. Sie wird eine Ausgestoßene sein, sie wird nicht einmal einen Namen haben.«
»Sie wollte keinen Rat annehmen. Sie hat ihre Wahl getroffen trotz einer ausdrücklichen Warnung vor den unvermeidlichen Folgen, und jetzt muß sie es tragen. Sie können mein Benehmen aufs allerschärfste untersuchen, Mister Lind. Wenn die Wahrheit erzählt wird, werden Sie finden, daß ich an keinem Luxus sparte, bevor sie mich verließ, und daß ich, weit entfernt, der angreifende Teil gewesen zu sein, mich über Beschimpfung und böswilliges Verlassen beklagen kann.«
»Doch selbst zugegeben, daß ihre unglückliche Lage sie manchmal etwas reizbar und ungeduldig gemacht hat, sind Sie ihr nicht etwas Nachsicht schuldig, da sie Ihretwegen ihr Heim und ihre Freunde aufgegeben hat?«
»Opfer gegen Opfer, ich habe am meisten geopfert. Wie sie habe ich hier meine Freunde und meine Stellung verloren – wenigstens in einem gewissen Maße. Noch schlimmer, ich rieb meine Jugend in dem fruchtlosen Jagen nach ihr auf. Für das Heim, was ihr verhaßt war, bot ich ihr ein zehnmal kostbareres. Ich gab ihr die Verehrung eines Gentlemans anstatt der Gleichgültigkeit eines Schmiedeknechts. Was habe ich nicht für sie getan? Ich befreite sie von ihren Fesseln, ich trug sie über den Erdball. Ich beschützte sie, ich gab ihr ein Heim und Nahrung, ich kleidete sie wie eine Prinzessin. Ich liebte sie so sehr, daß sie jetzt erst die Bedeutung des Wortes Liebe kennenlernte. Und als ich meine Schuldigkeit getan hatte – als ich sie von ihrem Gatten befreit und sie außerhalb seiner Verfolgung gebracht hatte – als sie gesättigt war von dem Überfluß einer ritterlichen Liebe, die sie nicht begreifen konnte, und als ihr eine neue Welt auch einen neuen Schauplatz für Intrigen öffnete, da wurde ich mit schändlichen Lügen überfallen und im Stich gelassen. Glauben Sie, Mister Lind, daß ich mir obendrein noch Vorwürfe von irgend jemand gefallen lasse – und wenn es mein eigener Vater wäre?«
»Aber sie leidet mehr, weil sie ein Weib ist. Die Welt wird Ihnen gegenüber verhältnismäßig milde urteilen. Wenn Sie mit ihr verheiratet sind und zusammen wohnen, wenn Sie nicht mehr das Gefühl haben, in einer falschen Stellung zu sein oder eine Entdeckung zu fürchten, dann werden Sie ganz anders miteinander auskommen.«
»Es mag sein, aber ich werde es nie dazu kommen lassen.«
»Hören Sie einen Augenblick, Sholto. Betrachten Sie doch die Sache ruhig und vernünftig. Ich bin ein reicher Mann – wenigstens kann ich Marian besser ausstatten, als Sie vielleicht denken. Ich sehe, daß Sie gekränkt worden sind. Sie wollen sich auch nicht in eine Ehe zwingen lassen, die – ich gebe das wirklich vollständig zu – Sie abzulehnen durchaus berechtigt sind. Aber ich dränge Sie nur deshalb dazu, Marian zu Ihrer rechtmäßigen Gattin zu machen, weil das für Sie beide der beste Weg ist. Ich versichere Ihnen, daß die Gesellschaft genau ebenso fühlt. Jeder spricht zu mir von Ihnen als von meinem zukünftigen Schwiegersohn. Der Graf sagt, es gäbe gar keinen andern Weg. Ich werde Ihnen am Hochzeitstage zehntausend Pfund bar auszahlen. Sie werden nichts verlieren, Conolly will keinen Schadenersatz beanspruchen. Er hat dem gegenteiligen Bericht widersprochen. Ich will auch die Kosten der Scheidung tragen. Bedenken Sie, ich meine nicht, daß ich ihr das Geld aussetze. Ich gebe es ihr bedingungslos hin. Mit andern Worten, es wird Ihr Eigentum, sobald Sie Ehemann sind.«
»Ich verstehe«, sagte Douglas verächtlich. »Da es sich aber nur um die Frage handelt, Ihre Tochter zur ehrlichen Frau zu machen, so können Sie bei einer solchen Summe zweifellos eine Menge ärmerer Männer finden, die es gerne für das halbe Geld tun werden. Ich glaube, Sie sind jetzt viel in der City. Ich denke, dort finden Sie viel leichter jemand als im St.-James-Stadtteil.«
Mr. Lind errötete wieder. »Ich glaube nicht, daß Sie die Angelegenheit im richtigen Licht sehen«, sagte er. »Man bittet Sie, die Schande wieder gutzumachen, die Sie über eine Dame und ihre Familie gebracht haben. Ich biete Ihnen eine Sicherheit an. daß Sie dabei keine finanziellen Verluste haben. Was Sie sonst verlieren, das müssen Sie als Strafe für Ihr eigenes Handeln tragen. Ich bitte Sie, wie ein Gentleman einen andern bittet, die Unehre auszulöschen, die Sie auf meinen Namen gebracht haben.«
»Um meinen eigenen damit zu bedecken, das meinen Sie. Danke sehr, Mister Lind. Die öffentliche Meinung ist mehr daran gewöhnt, eheliche Leichtfertigkeit mit dem Namen Lind als mit dem Namen Douglas zu verbinden.«
»Wenn Sie Ihre Schuldigkeit gegenüber meiner Tochter verweigern, so brauchen Sie diese Zurückweisung nicht mit einer Beschimpfung zu verbinden.«
»Ich habe Ihnen schon erklärt, daß ich Ihrer Tochter nichts schuldig bin. Sie kommen hierher und bieten mir zehntausend Pfund an, damit ich sie heirate. Ich lehne den Handel ab. Dann bestehen Sie darauf, Ihr Name sei geschändet. Ich erinnere Sie einfach daran, daß Ihr Name schon etwas befleckt war, bevor Mistreß Conolly ihn mit einem sehr wenig vornehmen wechselte, den sie dann wirklich schändete.«
»Douglas,« sagte Mr. Lind zitternd, »das sollen Sie bereuen. Ich will meine Genugtuung haben.«
»Ich habe Ihnen schon vorher erklärt, daß ich immer bereit bin, Genugtuung zu geben. Aber Sie sagten ja, so etwas sei nicht mehr Sitte. Ich glaube, das ist auch Ihr Glück.«
»Sie sind ein Feigling, mein Herr.« Douglas klingelte. »Ich will Sie in jedem Londoner Klub unmöglich machen.«
»Begleiten Sie diesen Herrn hinaus«, sagte Douglas zu seinem Diener.
»Sie erhielten diesen Auftrag, weil ich Ihrem Herrn sagte, er sei ein Schuft«, sagte Mr. Lind zu dem Mann. »Ich werde dasselbe jedem Menschen sagen, den ich zwischen diesem Hause und dem Sitzungszimmer jenes Klubs treffe.«
Der Diener machte ein ernstes Gesicht, als Mr. Lind das Zimmer verließ. Bald darauf fand Douglas das Alleinsein und das Nichtstun unerträglich. Er ging auf die Straße, obgleich er kein Verlangen mehr hatte, seine Bekannten zu treffen, und kreuzte zweimal Haymarket, um sie zu vermeiden. Als er umherschlenderte und über alles das, was man ihm diesen Nachmittag gesagt hatte, nachdachte, wurde er niedergeschlagen. Zweimal überrechnete er die Ausgaben der Amerikareise und den Unterschied, den ein Zuwachs von zehntausend Pfund in seinem Vermögen ausmachte. Plötzlich, als er aus der Air Street in den Piccadilly hineinkam, fand er sich vor Lord Jasper stehend.
»Wie geht es Ihnen?« fragte dieser freundlich, aber ohne die kameradschaftliche Ungezwungenheit, die früher zwischen ihnen bestanden hatte. »Sehr erfreut, Sie zu sehen.«
»Danke sehr,« sagte Douglas, »es geht mir ganz gut.«
Es folgte eine Pause, da Jasper nicht genau wußte, was er zunächst sagen sollte.
»Ich überlege gerade, wo ich speisen soll«, sagte Douglas. »Haben Sie schon gegessen?«
»Nein, ich habe versprochen, zum Diner zu Hause zu sein. Meine Mutter hat ein paar Gäste und wünscht, daß ich auch da bin.«
Douglas begriff, daß vor seiner Entweichung Lord Jasper ihn gebeten hätte, sich anzuschließen. »Ich glaube, die Leute haben in der letzten Zeit viel über mich geredet«, sagte er.
»Ja, leider. Doch ich hoffe, das wird sich legen.«
»Dann sieht es wohl augenblicklich noch nicht danach aus, als ob es sich bald legen wird?«
»Als Gesprächsgegenstand ist es ja natürlich etwas abgedroschen, aber vergessen hat man es zweifellos noch nicht. Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen das sage, aber ich glaube, Sie halten sich am besten noch etwas von London fern.«
»Wobei Sie natürlich annehmen, daß die öffentliche Meinung etwas ist, worum ich mich viel bekümmere.«
»Die Frage müssen Sie selbst entscheiden, verzeihen Sie meinen Wink.«
»Die Frage besteht darin, ob es nicht besser ist, an Ort und Stelle zu bleiben, um die Verleumdung an der Quelle zu ersticken, statt sich im Auslande aufzuhalten, während sich hier ein Heer von bösen Zungen mit mir beschäftigt.«
»Was das angeht, Douglas – ich versichere Ihnen, Sie sind sehr anständig behandelt worden. Der Haupttadel ist wie gewöhnlich auf das schwächere Geschlecht gefallen. Nichts konnte vornehmer sein als die Zurückhaltung derjenigen, von denen man die lautesten Vorwürfe erwartet hätte. Reginald Lind hat kaum jemals das Thema erwähnt. Selbst mir sagte er nur mit einem Kopfschütteln, es sei eine alte Neigung gewesen. Und Conolly mußten wir sogar neulich widersprechen, weil er Sie verteidigte.«
»Jawohl. Eine sehr feine Art, mich verächtlich zu machen. Sie gestatten wohl, Jasper, daß ich Sie etwas aufkläre. Lind, dessen Tochter ich jetzt als eines der verworfensten Frauenzimmer kennengelernt habe, hat mir vorhin zehntausend Pfund angeboten, damit ich sie heirate. Das spricht für sich selbst. Conolly, der sie in meine Arme trieb, indem er den Tyrannen spielte, während ich der Liebende war, ist nur zu froh, sie los zu sein. Zu gleicher Zeit fürchtet er sich vor einem Duell mit mir und schämt sich, es einzugestehen. Deshalb tut er schamloserweise so, als bemitleide er mich, weil ich der Blamierte in der Sache sei. Aber ich werde dem ein Ende machen.«
»Ich glaube, Sie sind etwas vorschnell in Ihren Schlüssen, Douglas. Conolly ist ein guter Freund von mir, und ich sehe nichts Unwahrscheinliches in der Darstellung, die er von der Sache gegeben hat. Ich weiß zwar, er ist ein merkwürdiger Mensch, und ich mache Ihnen keinen Vorwurf, weil Sie ihn nicht verstehen.«
»Wenn er Ihr Freund ist, dann habe ich natürlich nichts mehr zu sagen. Ich möchte hier einkehren und speisen. Adieu.«
Sie schieden voneinander, und Douglas ging in das Restaurant und aß allein. Nach einer Stunde betrat er in besserer Laune die Straße wieder und überlegte, ob er ins Theater gehen oder sich in seinen Klub wagen sollte. Dicht bei einer Laterne an einer Ecke von Leicester Square blieb er stehen, um zu einem Entschluß zu kommen. In seinem Nachdenken hatte er nicht auf eine Droschke geachtet, die langsam hinter ihm herkam. Eine Dame saß darin in einem alten, weißen Theatermantel. Es war Mrs. Leith Fairfax, die ihn erkannt hatte und den Kutscher bat, langsam bis zur Laterne zu fahren und dort zu halten.
»Mein Gott!« sagte sie in halb geflüsterter Stimme, »Sie hier! Welche Tollheit veranlaßt Sie, zurückzukommen?«
»Ich hatte keine Veranlassung mehr, wegzubleiben.«
»Wie kühl Sie das sagen! Ihr Douglas' habt doch alle eiserne Nerven. Ich habe alles erfahren und weiß, was Sie gelitten haben. Darf ich Sie warnen? Sie haben hier einen Feind.«
»Ohne Zweifel hab' ich deren eine Menge, Mistreß Leith Fairfax.«
»Der Feind, den ich meine, ist eine Frau, und er ist einem so starken Menschen, wie Sie sind, gefährlicher als ein Mann. Sie kennen doch Elinor McQuench?«
»Ich weiß, daß sie nicht meine Freundin ist. Ich habe nie nach ihrer Freundschaft gestrebt.«
»Um so schlimmer für Sie, wenn Sie jemals in ihre Gewalt fallen. Sie war einst eine von den vielen, die Sholto Douglas bewunderten, und da er sich aus ihr – wie ich wenigstens annehme – nichts machte, so hat er jetzt mit der vollgemessenen Wut eines boshaften Weibes zu rechnen. Hüten Sie sich vor den Freunden, die sie hat. Sie hat ihnen nichts Gutes über Sie gesagt.«
»Möglich. Ich verkehre nicht häufig in Miß McQuenchs Kreisen und werde wohl kaum durch ihre Mißachtung etwas zu leiden haben.«
»Wann wollen Sie London wieder verlassen?«
»Ich denke gar nicht daran, es jetzt zu verlassen.«
»Aber Sie können doch nicht hierbleiben.«
»Bitte, warum nicht? Ist London nicht groß genug für jemand, der sich um die Welt nicht kümmert?«
»Aber es geht nicht, Mister Douglas. Es geht absolut nicht. Sie müssen fortgehen, zum mindesten auf ein Jahr. Sie müssen sich etwas der öffentlichen Meinung unterwerfen.«
»Ich unterwerfe mich niemand. Ich kann jeden Gesellschaftskreis, der nichts von mir wissen will, entbehren.«
»Aber Sie müssen Ihre herrische Natur bezähmen, wenn auch nicht Ihretwegen, so doch Ihrer Mutter wegen. Übrigens sind Sie auch sehr böse und rücksichtslos und dreist gewesen, gerade wie ein richtiger Douglas. Sie sollten mit gutem Anstand Buße tun. Ich darf wohl annehmen, da Sie hier sind, daß Elinor McQuenchs Erzählung, soweit es sich um die Tatsachen handelt, richtig ist.«
»Ich kenne ihre Erzählung nicht.«
»Sie sagt nur, Sie hätten sich getrennt von – Sie wissen ja.«
»Das ist wahr. Kann ich Ihre Neugierde sonst noch mit einer Einzelheit befriedigen?«
»Werden Sie doch nicht so bitter, Mister Douglas. Mich schaudert, wenn ich daran denke, was Sie in den Händen eines Weibes ausgestanden haben. Nein, ich will nicht weiter darauf anspielen.«
»Das ist sehr vernünftig von Ihnen, Mistreß Leith Fairfax. Was ich gelitten habe, habe ich gelitten. Ich wünsche kein Mitleid und lasse mir keins gefallen.«
»Das ist so richtig Ihre Art. Ich muß weiterfahren zum Theater, sonst komme ich zu spät. Bevor Sie abreisen, müssen Sie mir noch einen stillen Besuch machen. Dienstags bin ich für niemand zu Hause. Aber wenn Sie gegen fünf Uhr kommen, wird Caroline Sie hereinlassen. Es ist dann dunkel, niemand sieht Sie. Wir können dann miteinander plaudern.«
»Danke sehr«, sagte Douglas kühl und hob zurücktretend seinen Hut. »Ich werde Sie nicht stören. Guten Abend.«
Sie winkte ihm mit der Hand, und der Wagen fuhr weiter. Douglas ging schnell zurück nach Charles Street und rief seinen Diener.
»Es war wohl niemand hier?«
»Doch, Herr. Mistreß Douglas kam kurz nach Ihrem Fortgehen. Sie möchte gerne, wenn Sie diesen Abend zum Square kämen.«
»Heute abend? Es tut mir leid – Buckstone!«
»Ja, Herr.«
»Sah sie gut aus?«
»Etwas ermüdet. Aber sonst ganz gut.«
»Was haben Sie ausgepackt?«
»Nur den Handkoffer, Herr. Ich dachte –«
»Um so besser, packen Sie ihn wieder ein. Ich fahre heute noch nach Brüssel. Sehen Sie nach, wann der Zug fährt. Nehmen Sie sich jetzt einen Wagen und bringen Sie einen Brief nach Chester Square. Aber kommen Sie sofort zurück, ohne sich sprechen zu lassen.«
»Sehr wohl, Herr.«
Douglas setzte sich dann hin und schrieb den Brief.
»Meine liebe Mutter!
Ich war leider nicht zu Hause, als Du vorsprachst. Ich habe Dich nicht erwartet, da ich mich auf der Durchreise nach Brüssel befinde. Ich bin übrigens froh, wenn ich dieses häßliche London hinter mir habe, und fahre deshalb schon heute abend. Wie Buckstone mir sagt, siehst Du gut aus, und so muß ich mich mit dieser Versicherung für jetzt begnügen, da es mir unmöglich ist, Dich zu besuchen. Oh, wie recht hattest Du, als Du mich vor dem, was nun geschehen ist, warntest! Aber jetzt ist alles vorbei und beendet, und ich bin wie immer
Dein Dich liebender Sohn
Sholto Douglas.«