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6. Kapitel. In Untersberg.

An hellen und trüben Tagen sahen die Untersberger, wenn sie in die Höhe blickten, die Rabenburg liegen. Selbst wenn die Berge Nebelkappen trugen, war doch die Rabenburg wie ein feines Schattenbild zu sehen. Und so sehr war das Bild der Burg den Untersbergern, den Alten und Jungen, ans Herz gewachsen, daß sie nur immer von »unserer Burg« redeten. Sie gehörte ihnen allen ein wenig und kam mal ein Untersberger in die Fremde und sah dort reichere, prunkvollere Burgen und Schlösser, so sagte er doch: »Ja schön, aber so schön wie unsere sind sie nicht.« Hörten die Buben und Mädels in der Schule von Kaiserpfalzen, von alten herrlichen Bauten reden, dann sagten auch sie sicher: »Aber unsere ist feiner.«

Was auf der Burg vorging, was ein Bewohner erlebte an Leid und Freud', wurde von den Untersbergern miterlebt, und wenn gar ein Gast auf der Burg einkehrte, so sagten sie sicher im Dorf: »Es kimmt Besuch, no dem wird's schon bei uns gefalle.« Wie die Alten, so die Jungen. Weil nun die neuen Mitbewohner der Rabenburg Kinder waren, redeten die Untersberger Kinder schon von ihnen, als Dieter und Gundula sich erst zur Reise rüsteten. Und an dem Tage, da die Geschwister durch den Wald der neuen Heimat zustrebten, sagten die Untersberger Buben und Mädles: »Die kommen sicher nachher gleich ins Dorf.«

Doch der Tag ging vorbei und der nächste auch und zur grenzenlosen Verwunderung der Untersberger waren die neuen Burgkinder noch nicht gekommen. Das Warten war unbehaglich, zumal die Mütter in diesen Tagen so viel mahnten: »Starrt sie niche gleich so an, wenn se kommen und schreit niche zu arg, so was sin se in der Stadt niche gewöhnt.«

Natürlich wollten sich die Buben und Mädels von Untersberg gern benehmen wie Stadtkinder, wenn sie es nur gewußt hätten, wie die es machen. Aber leider wußte ihnen das niemand recht zu sagen, den Herrn Pfarrer oder Fräulein Pfarrer oder den Herrn Lehrer zu fragen wagten sie nicht, und die Mütter sagten nur immer: »ungeheuer brav sind se in der Stadt,« aber das war eigentlich eine langweilige Auskunft, mit der nicht viel anzufangen war.

Zu den allerneugierigsten aller Neugierigen gehörte in diesen Tagen Purzel. Das war ein kleiner, stämmiger Bursche mit rostbraunen Kraushaaren, einer lustigen Himmelfahrtsnase und hellen Blinkeraugen. Eigentlich hieß der Bube Arminius-Wolfgang Schulze, aber die Untersberger meinten, diese großen, feierlichen Namen wären nur gut für das Taufregister und für feierliche Gelegenheiten, aber nicht für den Alltag. Und wie es so kommt, aus dem Arminius-Wolfgang wurde ein »Purzel«. Schulzens Purzel, anders wurde er nie und nirgends genannt.

Aber seit Purzel in die Schule ging, wußte er erst, was für schöne Namen er trug und stolz verlangte er, man solle ihn Arminius nennen, das wär' ihm noch lieber als Wolfgang. Aber niemand tat ihm den Gefallen, es half ihm nichts, daß er seine stolzen Namen in alle seine Bücher krakelte und hin und wieder über den »Purzel« in Wut geriet, er war und blieb halt doch »Schulzens Purzel«.

»So'ne Namen sin nich fore alle Tage, nur for Sonntags,« sagte die Großmutter einmal und dann vergaß sie es und nannte den Enkel auch am Sonntag wieder Purzel.

»Stadtnamen sind's,« sagte wieder eine Base, »im Dorfe läuft mer niche damit rum!«

Seitdem dachte Purzel: wenn ich nur in die Stadt käme, oder die Stadt aufs Dorf. Und weil er von den Städtern Anerkennung seiner Namen erwartete, freute er sich so sehr auf Dieter und Gundula. Denen wollte er gleich sagen: »ich heiße Arminius,« und wenn die ihn so nannten, würden es vielleicht auch die anderen tun und so würde endlich aus dem Purzel ein Arminius werden.

»Wenn das Wenn und das Aber nicht wär', dann wär' mancher Bauer schon ein Herr,« sagte die Großmutter, als ihr Purzel von seiner Hoffnung sprach. Da lief der Bursche weg und dachte trotzig: ich werde mich schon so nennen. Und damit er auch der allererste war, der die Burgkinder sah, hielt er am zweiten Tage Wache am Weg, der vom Schloß herabkam und dicht vor dem Dorfe auf der Landstraße endete. Auf der Landstraße und in Bauer Mehlhans Grasgarten tobte der Kampf, dort spielten Purzels Gefährten »Indianers«, und es gab dabei viel Geschrei. Eigentlich hatte Purzel mitspielen sollen, die anderen hatten gemeint, wir sehen ja, wer vom Schloß kommt, aber der Bube war doch auf seinem Wachposten geblieben. Immerhin lugte er doch eifrig hinüber und wenn das Indianergeschrei drüben wild aufgellte, schrie er heftig mit. Darüber überhörte er fast die festen Schritte hinter sich, er wurde erst aufmerksam, als Kastor, des Burgherrn Hund, an ihm vorüberraste.

Blitzschnell drehte sich Purzel um und starrte die Geschwister an, aber da fiel ihm der Mutter Mahnung ein: »sei nur niche dreist, mit Städtern muß mer fremd tun« – und geschwind versuchte er eine gleichgültige Miene aufzustecken, er zeigte seine Rückseite, reckte seine Nase in die Luft und begann zu pfeifen. Alles das gehörte seiner Meinung nach zur Feinheit, vor allem sollten die Stadtkinder nicht merken, daß er sie gleich gesehen hatte.

Leider wußte Herr von Tracht Purzels Feinheit gar nicht zu schätzen. »He du,« rief er und schlug ihm mit flacher Hand die Mütze vom Kopf, »kannst du nicht grüßen? Hast du Spatzen unter der Mütze? Wer bist du eigentlich?«

Der Bube wurde feuerrot, wie sollte er sich nur jetzt benehmen, aber ehe er noch ein Wörtlein sagen konnte, erkannte ihn der Burgherr. »Das ist ja der Purzel!« Er lachte, »komm nur her, Purzel, gib Dieter und Gundula die Hand. Seht ihr beiden, das ist Schulzens Purzel, der Zahmste aus dem Dorf ist er gerade nicht.«

»Purzel,« rief Gundula mit klingendem Stimmlein, »nein, so ein putziger Name. Aber niedlich ist er, Purzel, das gefällt mir!« Sie streckte dem Buben die Hand hin: »Guten Tag, Purzel!« Und lachend wiederholte sie ein paarmal: »Purzel, Purzel!«

Das war zu viel! Ganz schief sah Purzel die Stadtkinder an und plötzlich drehte er sich um und rannte davon, wie einer, der noch den gestrigen Tag einholen möchte.

»Purzel, Purzel bleib doch hier,« rief Gundula ihm nach, aber kein Purzel blieb, kein Purzel hörte. Wutsch! war der um eine Ecke herum den Blicken der Geschwister entschwunden. Denen tat es leid, aber viel an Purzel denken konnten sie nicht, da es im Dorf allerlei zu sehen gab. Hinter einer Mauer, von Obstbäumen halb versteckt, stand das Pfarrhaus, und gegenüber, jenseits eines kleinen Baches, lag das Schulhaus. Der Erbauer hatte sicherlich nicht bedacht, daß ein Bächlein am Wege ein gefährliches Ding sei, besonders für Schulkinder. Da war wohl keines, das nicht schon einmal halb oder ganz in den Bach gefallen war oder das geheult hatte, weil alle Schulbücher in den Bach geplumst waren; denn Schulbücher, die in der Ofennähe auf einer Leine hingen, und so getrocknet wurden, gab es in Untersberg immer zu sehen.

Der Weg, der zum Pfarrhaus führte, war minder beschwerlich. Da gab es erst ein Mauerpförtlein, durch das man hindurch mußte, dann kam ein Grasgarten mit vielen Obstbäumen, dann kam das weiße, schlichte Pfarrhaus. Seine Tür war geöffnet und Dieter und Gundula schauten durch einen dämmerigen Flur hindurch in einen zweiten Garten hinein, in dem ging ein weißhaariger alter Mann zwischen den Beeten auf und ab. Herr von Tracht schlug gleich den Weg nach diesem Garten ein und der Pfarrer stand einen Augenblick wie lauschend, dann kam er rasch den Gästen entgegen, er tat es mit herzlicher Miene und doch lag ein leichtes Zögern in seinem Handausstrecken.

Wie der alte Pfarrer schlank und aufrecht noch wie ein Baum, trotz des silberweißen Haares, vor den Kindern stand, sahen die voller Bewunderung zu ihm auf. Er gefiel ihnen gar zu gut und sie schauten ihn treuherzig an, aber seine Augen gingen über sie hinweg. Große klare blaue Augen waren es, aber sie schienen in unermeßliche Fernen zu blicken. Das bedrückte besonders Gundula und sie fand nur scheue Antworten, während Dieter freimütig Rede stand. Der Pfarrer fragte nach allerlei, nach der Reise und nach dem Leben vorher und auf einmal sagte er: »Komm nur näher, Johannes, hier sind deine künftigen Schüler.«

Die Kinder sahen erstaunt drein, hinter dem Pfarrer an einer Hecke stand ein junger Mann. Er stand ganz still, die Kinder hatten seine Schritte nicht gehört, aber der Pfarrer, der ihm doch den Rücken zudrehte, mußte ihn gehört haben. Der junge Mann kam näher, er war nicht hübsch und nicht häßlich, aber er hatte so ein frohes klares Gesicht, daß die Kinder gleich rechtes Vertrauen zu ihm faßten. Dies also war der Kandidat, der sie unterrichten sollte. Frau Susanne hatte ihnen schon davon erzählt. Das Gespräch kam auch gleich darauf und Herr Johannes sagte: »Vielleicht können sie manche Stunde zusammen haben.«

»Alle,« bat Dieter, »die Gundel lernt mit, auch lateinisch. Nicht wahr, Gundel?«

»Ja,« rief Gundula, »wenn wir zusammen lernen, ist's nicht so schwer.

»Hör' du einmal, du wirst dich aber sehr plagen müssen, wenn du mit deinem Bruder Schritt halten willst,« sagte Herr Johannes, »und ich bin streng.«

»Wenn der Dieter dabei ist, fürchte ich mich nicht,« erklärte Gundula tapfer, »wenn wir zusammen lernen, geht's immer viel fixer.«

»So sollen sie auch zusammen lernen,« entschied der alte Pfarrer. »Aber jetzt sind Ferien. Zwei Wochen sollt ihr euch noch ausruhen und überall umschauen!«

»Ja umschauen, ob ihr auch bleiben –« Herr von Tracht konnte den Satz nicht zu Ende bringen, so stürmisch drängten sich die Geschwister an ihn heran. Da lachte der Burgherr, »mir scheint's, das mit dem Bleiben habt ihr euch schon überlegt. Also bleibt nur, das Umschauen wollen wir gründlich besorgen.«

»Wir wollen jetzt mit dem Pfarrhaus anfangen!« Der Kandidat gab den Kindern die Hände und führte sie aus dem Garten in das Haus hinein. Drinnen rief er laut: »Tante Guste, Tante Guste.« Und den Geschwistern erklärte er: »Tante Guste ist Onkel Gerhards Schwester und eigentlich bin ich mit dem Onkel nicht verwandt, mein Vater ist sein Jugendfreund.«

Eine Tür tat sich auf und breit floß ein Lichtstrom in den dämmerigen Flur und in diesem hellen Scheine stand eine sehr große, hagere, überaus häßliche Frau. Man hätte sie für einen verkleideten Mann halten können und sie glich in nichts ihrem schönen, so mild dreinschauenden Bruder. Ihre Stimme klang rauh, wenn auch die Worte, mit denen sie die Kinder begrüßte, freundlich waren. Das Haus gefiel den Kindern auch viel besser, als Fräulein Pfarrer, wie des Geistlichen Schwester im Dorf genannt wurde. In den hellen, behaglichen Stuben standen überall viele Blumen in schönen Tongefäßen, fast glich jedes Zimmer einem Garten. »Gelt, bei Tante Guste gefällt's euch?« fragte der Kandidat Johannes.

»Die Stuben gefallen ihnen schon, nur die Tante Guste noch nicht,« sagte Fräulein Pfarrer heiter und ein so guter schelmischer Ausdruck verklärte ihr häßliches Gesicht, daß die Kinder beide dachten: sie ist ja gar nicht häßlich. – Weil aber das Fräulein über ihre eigenen Worte lachte, lachten sie mit und in diesem Lachen löste sich bald ihre Befangenheit. Es war mit Fräulein Guste so wie mit einer Gegend, die man erst häßlich und unfreundlich findet, bis man sie dann einmal im Sonnenglanz, im Morgenlicht oder Abendglühen sieht und erstaunt, wie reizvoll das geschmähte Stücklein Land ist. Als die Kinder die hellen, heiteren Stuben des Pfarrhauses verließen und der Blumenduft ihnen wie ein Gruß nachzog, da hatten sie es beinahe vergessen, daß Fräulein Pfarrer häßlich war.

Ein langer Besuch wurde es an diesem Tag nicht im Pfarrhaus, aber als die Kinder schieden, freuten sie sich schon auf das Wiederkommen. Herr Johannes begleitete sie durch das Dorf, über den Bach hinüber ins Schulhaus. Dort war der Lehrer über Land gegangen und so konnten sie nur der Frau Lehrerin guten Tag sagen. Drei Bübchen, drei rechte Käsehochs, spielten vor der Türe, die stellten sich gleich stramm vor den Burgherrn hin und schrien so laut »guten Tag,« als wären alle ringsum stocktaub. Und als die Besucher den Rückweg antraten und Dieter und Gundula über das Bachbrücklein schritten, scholl es ihnen schmetternd nach: »Fallt niche nein!« Die Stadtkinder fielen auch nicht in den Dorfbach, aber der Oheim prophezeite ihnen: »Einmal fallt ihr schon in den Bach, es gibt kein Kind in Untersberg, das nicht schon einmal dringelegen hätte.«

»Ja so ist's,« sagte der Kandidat Johannes, »der Bach ist ein tückischer Geselle. Wir hatten Besuch im Pfarrhaus, zwei Stadtmädels, rechte Zimpersusen. Die hatten immer Angst, nur ein Spritzlein könne an ihre Kleider kommen. Und am letzten Tage, alle Sachen waren schon fort, zur Bahn gefahren, gingen sie in ihren Reisekleidern durch das Dorf, da fiel erst eine in den Bach, dann die andere dazu und dann kamen beide pudelnaß heim, mußten erst getrocknet und aufgebügelt werden, zuletzt versäumten sie den Zug, versäumten den Schulanfang, es war eine schlimme Geschichte.«

Dieter wollte gerade versichern, er würde sich schon in acht nehmen, als ein alter Bauer hinzutrat und den Burgherrn begrüßte. Kinder liefen herbei, reichten treuherzig ihre braunen Hände hin und die Geschwister dachten, daß sie nie, wenn sie mit ihren früheren Pflegeeltern gingen, die doch reiche, vornehme Leute waren, so oft und herzlich begrüßt wurden, wie hier in dem kleinen Dorf an des Oheims Seite. Da merkten sie, wie Burg und Dorf zusammengehörten und wie sich da in langen Zeiten unzerreißbare Bande geknüpft hatten. Zwei Häuser zeigte der Oheim, die standen noch seit dem dreißigjährigen Krieg, die meisten Gebäude stammten aber aus dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, damals, nach langer Kriegsnot, nach Hungerszeiten und Brand war das Dorf allmählich neu aufgebaut worden. Nur ein paar Häuser am Südende waren ganz neu, wie Stadthäuser sahen sie aus, man konnte meinen, sie hätten sich hierher verlaufen. Auf sie schalt der Burgherr, »sie verschandeln das ganze Dorf,« sagte er, »es ist gut Johannes, daß ihr Onkel sie nicht mehr sehen kann, er meint immer, darüber wäre er froh.«

»Nicht mehr sehen kann,« wiederholte Gundula erstaunt.

»Habt ihr es denn nicht gemerkt, daß unser lieber Herr Pfarrer blind ist?« Nein, davon wußten die Kinder nichts. Nun erst, im Nachdenken, fiel ihnen der ferne Blick der klaren Augen ein. »Aber hatte der alte Herr nicht von der bunten Pracht seines Gartens gesprochen.« Gundula sagte es: »Er sieht doch seine Blumen.«

»Er sieht sie nicht, aber er fühlt und riecht sie, er trägt das Bild seines Gartens im Herzen wie so viel Schönes dieser Welt. Viele Menschen mit gesunden Augen haben doch nicht so viele Freude an Frühling und Sonne, als er, der lichtlos durch seinen Garten schreitet. Er trägt auch das Bild seines Dörfleins im Herzen, er atmet die Schönheit des Waldes, wenn er darin ist, und weil es so ist, ist er immer heiter und zufrieden.«

Von jener heiteren Zufriedenheit des alten Pfarrers war gerade, als Herr von Tracht davon erzählte, jemand im Dorf himmelweit entfernt, das war Purzel. Der saß im staubigen Landstraßengraben und war mit sich und aller Welt unzufrieden, am unzufriedensten aber wieder einmal mit seinem Namen. Warum mußte er auch nur Purzel heißen, Schulzens Purzel? Und warum mußte der Schloßherr ihn so nennen und warum dieses feine hübsche Stadtmädel immerfort »Purzel« rufen. Darüber war er am allerwütendsten. Er fühlte dumpf, grob durfte er gegen Gundula nicht werden, aber er dachte doch: wenn sie nochmal immerfort Purzel sagt, werde ich's. In seinem Zorn hatte er sich die Landstraße als Versteck gewählt, alle seine Kameraden waren ins Dorf gelaufen, hier war's einsam und der Herr von Tracht würde als Rückweg auch wieder den schattigen, schmalen Burgweg wählen, nicht die heiße Landstraße. So dachte Purzel, der sich wirklich an diesem Morgen mit Nachdenken arg abplagte. Er saß unter einem Birnbaum, der seine Äste ein Stück schattend über die Straße breitete. Von den Früchten dieses Baumes sagten die Untersberger Frauen, sie wären nur gut an Stopftagen zu essen, weil sich dann alle Löcher zusammenzögen.

Nun hatte Purzel zwar einen Riß in seinen Hosen, einen Riß, den er gern zugenäht hätte, ehe die Mutter ihn gesehen, aber die kleinen Birnen biß er darum doch nicht an. Und dabei waren sie süß gegen das saure Gesicht, das er zog.

Aber Wut und Nachdenken machen oft recht müde, die Sommerwärme kam dazu und so duselte Purzel ein wenig ein. In dieses schläfrige Hindämmern hinein klangen ihm auf einmal Stimmen, er riß erschrocken die Augen auf und sah zu seinem Entsetzen den Burgherrn mit den beiden Kindern auf der Landstraße vom Dorfe her kommen. Um recht zu überlegen, was er tun konnte, dazu war Purzel zu verdöst, er saß an einem Baum, also erschien es ihm am einfachsten, auf den Baum zu klettern. Eins, zwei, drei! Es ging leicht am rissigen Stamme und dann erwischte er einen Ast.

Mit Herrn von Trachts scharfen Augen hatte Purzel nicht gerechnet. Der Burgherr konnte den Vogel hoch in den Lüften am Fluge erkennen, er sah die Nester auf den höchsten Spitzen der Bäume, er sah in der Ferne das Häslein über Feld laufen und er sah an diesem Tage auch den Buben, der sich so eilig im Geäst verbergen wollte. »He du!« rief er ihm zu, »fall da oben nicht herunter, die Birnen taugen nichts und die Äste sind morsch!«

Pardauz! da tat Purzel schon seinem Namen Ehre an und purzelte mit einem Ast zugleich in den Staub der Landstraße.

Gundula schrie laut und lief gleich hin. »Es ist der Purzel,« schrie sie jammernd zu des Buben unsäglichem Ärger.

»Na Purzel du, was machst du denn heute für Geschichten?« rief der Burgherr lachend.

»Oh, Purzel, Purzel, deine Hosen sind ganz zerrissen.« klagte Gundula, »oh, Purzel, nein Purzel, du armer Purzel!«

Der kleine Riß in des Buben Höslein hatte das Wachsen bekommen, wie die Spargel im Frühling, er war auf einmal zu einem handlangen Riß geworden, der ordentlich klaffte. Der Sturz, der Riß, Gundulas mitleidiges »Purzel!«, das war zu viel für den Buben, er brach in ein wildes Geheul aus.

»Wirst doch nicht heulen, Schulzens Purzel,« tröstete der Burgherr, Dieter klopfte ihm den Staub von den Sachen, »heul doch nicht, Purzel,« und Gundula tröstete lieblich, indem sie »Purzel, Purzel« in allen Tonarten rief. Tröstend, bittend, schelmisch, aber der Bube hörte doch immer nur den unlieben Namen und er brüllte immer lauter.

»Donnerwetter, was soll das Geschrei!« Herr von Tracht wurde es zu viel. »Hast du dir weh getan, dann sag's, aber brülle nicht, daß alle Spatzen davonfliegen, dummer Purzel, du.«

»Hum, hum, hum« schluchzte Purzel ein paarmal aus, dann besann er sich, drehte sich um und trabte geschwind dem Dorfe zu. Ihm nach, vom Mittagswind getragen, aber tönte Gundulas helles Stimmlein: »Armer Purzel, Purzel du, ach Purzel, höre doch!«

»Weiß der Himmel, was in den Bengel gefahren ist,« brummte Herr von Tracht, »laß ihn, er kommt schon zur Vernunft und ein Plumps von einem Obstbaum herunter schadet einem rechten Untersberger Buben nicht viel. Denn sonst hätten in der Obstzeit alle Buben im Dorf zerschlagene Glieder.«

»Er hat so einen niedlichen Namen, Purzel, Purzel!« Das war das Letzte, was Purzel hörte. Und mit einem heißen Groll gegen das kleine Stadtmädel kehrte er heim. Die Burgbewohner gingen auf der Landstraße weiter, sie lenkten nach ein paar hundert Schritten ab und nun erkannten Dieter und Gundula den Weg wieder, den sie vorgestern gegangen waren. Vorgestern, war es wirklich erst so kurze Zeit her, seit sie zagend draußen vor dem Tore gestanden hatten? Konnte einem so rasch ein Stücklein Erde zur Heimat werden?

»Seit vorgestern sind wir erst hier,« sagte Dieter unter dem Torbogen und der Oheim verstand, was die Kinder bewegte, er erwiderte: »Ihr seid an diese Burg gebunden durch eure Vorfahren und eigentlich war's für euch nur eine rechte Heimkehr.«


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