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Die Tage auf der Rabenburg hatten alle einen leisen Schritt. Sie rasten nicht in Hast und Unruhe vorbei, wie sie es wohl in großen Städten tun, sie waren voll Ruhe trotz aller Arbeit. Ob sie nun hell heraufdämmerten oder ob der Himmel trübe und wolkenverhangen war, aus freundlichen Augen sah eigentlich jeder neue Tag die Kinder an. Die wachten fröhlich am Morgen auf und schliefen fröhlich am Abend ein. Fröhlich liefen sie nach den ersten Ferienwochen dann alltäglich nach Untersberg hinab zum Unterricht im Pfarrhaus und in der Schule, und fröhlich kehrten sie danach wieder heim.
Oben freuten sich alle auf der Kinder Kommen, voll Ungeduld aber erwartete immer Justus die Stunde. Der grollte wohl auch: »Arg lang bleiben sie schon, möchte wissen warum!« Er hatte auch meist um diese Zeit etwas sehr Dringendes in der Nähe des Tores zu tun und meist war dann die Sache durchaus nicht mehr eilig, wenn er die Kinder kommen hörte. Wenn dann vor dem Tore das jubelnde »hoheida, hoheida« ertönte, mit dem Dieter und Gundula ihre Ankunft anzeigten, dann war der Justus flink wie ein Gedanke da und ein Begrüßen hub an, als wären die beiden geradeswegs von einer Mondreise heimgekommen. Die ganze Burg wachte auf, und wenn der alte graue Turm in ein herzhaftes Lachen ausgebrochen wäre, den Justus hätte das nicht gewundert. Auch Frau Susanna legte die Arbeit, die sie gerade tat, nieder und sagte lächelnd: »Die Kinder.« Da ging dann Justus über den Burghof und die Geschwister hingen ihm rechts und links an den Armen und alle drei redeten miteinander, als hätten sie sich hundert Jahre nicht gesehen.
Wenn die beiden Kinder manchmal von den ersten Tagen auf der Burg sprachen, dann wunderten sie sich noch immer, daß sie zuerst vor dem Justus etwas Scheu empfunden hatten. Vor dem, wie war das nur möglich gewesen? Einen besseren Kameraden als den kleinen wunderlichen Mann gab es gar nicht. Der gehörte bald zu ihrem Leben wie Licht, Luft und Wasser dazu gehörten, und wie es auf der Burg sein würde ohne den Justus, konnten sich die Kinder gar nicht vorstellen. Wenn der Alte durch die Gänge schlurfte, wenn er immer gerade dort war, wo man ihn brauchte, glich er einem jener grauen unscheinbaren Hausgeistlein, von denen die Märchen erzählen: »Sie schafften stille am Glück des Hauses.«
Und gut war es, daß Dieter und Gundula auf der Burg einen Kameraden hatten, denn unten im Dorfe fanden sie zuerst keinen. Sie hätten gern einmal mit den Untersberger Kindern gespielt, sie grüßten die auch immer freundlich, wenn sie ins Dorf kamen, aber die Buben und Mädels benahmen sich höchst sonderbar. Sie starrten die Kinder vom Schloß neugierig an und wollten die eins von ihnen anreden, dann gab es ein verlegenes Kichern, wohl auch ein verdrossenes Schweigen, zu einem Gespräch kam es nicht.
Warum nur? Die Geschwister sagten es zueinander, redeten mit Justus darüber, aber der wußte sich das auch nicht zu deuten. Er sprach davon im Dorfe, das machte die Sache nur noch schlimmer, denn nun wurden die Kinder wieder ermahnt; »Seid höflich zu den Burgundern, tut niche so dumm!« Die Ermahnung kränkte die Gescholtenen und sie wurden erst recht widerborstig und liefen gleich davon, wenn sie Dieter und Gundula nur von weitem sahen. Die ahnten nicht, daß Purzel ganz allein an allem schuld war. Purzel hatte in seiner Wut die neuen Burgbewohner arg verleumdet. Sie wären spottlustig, hatte er gesagt, und lachten über Dorfkinder, ihn hätten sie beim ersten Sehen schlimm verhöhnt und hochmütig wären sie dazu, sie sprächen schon so hochmütig. Das sagte er, weil Dieter und Gundula nicht den Dialekt der Gegend redeten.
Nun nannten die Dorfkinder Purzel zwar nicht mit seinem großen feierlichen Namen, aber trotzdem galt des Buben Wort viel unter seinen Gefährten. Purzel war ein Fleißiger und er war doch kein Lernprotz. Er machte auch dumme Streiche mit, ja er wußte sie sogar recht oft anzugeben, und die er angab, waren dann meist sehr lustig. Purzel wußte auch seinen Mund und seine Fäuste gut zu gebrauchen und dazu stammte er noch aus einem der alten wohlhäbigen Bauernhäuser. Kurz, Schulzens Purzel war einer, den man nicht übersah, und wenn der nichts von den neuen Burgundern wissen wollte, dann war es sicher besser, denen aus dem Wege zu gehen. Also rannten die Kinder, wenn sie die Geschwister kommen sahen und nur die Lehrerbüblein und die kleinen Hosen- und Hemdenmätzchen kamen zutraulich näher; die verstanden noch nicht Purzels schlimme Reden. Auch die Erwachsenen grüßten die beiden Geschwister freundlich und die gewöhnten sich schließlich an das sonderbare Benehmen ihrer Altersgenossen; Gundula rief nicht mehr wie anfangs mit klingendem Stimmlein Purzels Namen, wenn sie den Buben erblickte. Das ärgerte den nun wieder und er sagte nun erst recht! »Sie sind hochmütig!«
Über alledem verging der Sommer und der Herbst kam und warf goldene Schleier über Büsche und Bäume. Schauten jetzt die Kinder früh von der Burg hinab ins Tal, dann sahen sie oft nur ein Nebelmeer und erst nach und nach lösten sich Dorf und Wald, lösten sich goldene Spitzen aus dem Grau. Die Sonne hatte schwere Kämpfe mit dem Nebel zu bestehen und es gelang ihr nicht immer, ihn zu besiegen. Der Nebel verwandelte sich in Regen und just um die Zeit herum, da in Untersberg alle großen und kleinen Leute von der Kirmes sprachen, gab es eine Reihe von Regentagen. Unablässig rann und tropfte es vom Himmel herab und der Dorfbach schluckte so viel Wasser, daß er dick und übermütig davon wurde. Trotzdem sich die Kinder nun schon daran gewöhnt hatten, nicht über den Regen zu schelten, freuten sie sich doch, als sie nach fünf nassen Tagen, am sechsten, der ein Sonnabend war, bei leidlich Hellem Wetter nach Untersberg hinabsteigen konnten. Als sie die Burg verließen, schrien die Raben laut über ihnen und Justus blieb stehen und lauschte hinauf. »Sie klagen, es ist ihnen etwas geschehen,« sagte er.
»Es sitzen nur zwei auf der Tanne, der dritte fehlt.«
Dieter suchte mit seinem Blick die hohe Tanne ab, dort oben saßen immer die drei Schwestern einträchtig zusammen, heute fehlt die eine. Daß es das Rikralein war, wußten die Kinder nicht, denn sie unterschieden die Vögel nicht, aber das Klagen der Schwestern tönte ihnen nach, als sie bergab gingen. Sie vergaßen jedoch bald, darauf zu hören, denn ihre Gedanken liefen ihnen voraus, in die Pfarrhausstube.
Die erste Stunde gab ihnen heute der Pfarrer selbst und von dieser Stunde redeten sie. Mit Freuden sprachen sie davon und auch mit ein wenig Scheu. Die Stunden bei Herrn Johannes waren Schulstunden, die sie gern hatten, in denen sie mal mehr, mal weniger wußten, es waren gute friedliche Alltagsstunden. Ganz anders war es, wenn der alte blinde Pfarrer ihnen am Schultisch gegenübersaß und Fräulein Pfarrer still am Fenster nähte. Dann war es den Kindern, als wären sie durch ein hohes goldenes Tor in einen Garten getreten, sie wagten kaum zu atmen und ihre Stimmen klangen gedämpft, wenn sie antworteten. Der Pfarrer sprach zu ihnen von Gott und seinem Walten und in anderen Stunden wieder redete er von den Geschicken der Völker und Länder. Weite Wege führte er Dieter und Gundula und die beiden mußten sich oft sehr mühen, ihm zu folgen, aber nie sehnten sie das Ende einer Stunde herbei. Ja, sie sahen wohl ordentlich drohend zu der großen alten Kastenuhr auf, die an der einen Schmalwand stand, warum lies die nur immer gerade in dieser Stunde so geschwind, warum wartete sie nicht mal ein Weilchen!
An diesem Tage kamen die beiden nicht so schnell an ihr Ziel wie sonst, der Weg war aufgeweicht, er war glatt und schlüpfrig geworden und sie mußten bald langsamer gehen. Als sie das Dorf erreichten, brauste ihnen der Bach wild entgegen. der hatte zu viel Regenwasser getrunken und tat nun, als wäre er in den wenigen Tagen ein vornehmer Herr Strom geworden. Die Kinder gingen an ihm entlang bis dahin, wo jenseits Schule und Pfarrhaus lagen. Da sahen sie, daß der schmale Steg von dem Wasser überflutet war und ein paar Minuten standen sie und überlegten, wie sie hinüberkommen sollten. Ein lautes Geschrei ließ sie aufsehen. Drüben kam ein Trupp Buben daher, einer hielt etwas Schwarzes in den Händen und Gundula rief: »Ein Rabe, sie haben einen Raben gefangen.«
Am andern Ufer sah der Bube, der den Vogel hielt, auf, es war Purzel. Sein Gesicht wurde finster, als er die Burgkinder erblickte und in seinem Zorn preßte er den armen Vogel so fest, daß er laut schrie.
»Er quält ihn so, es ist der Purzel!« rief drüben Gundula, die den Buben erkannt hatte und bittend tönte ihr Stimmlein über den Bach! »Quäle ihn doch nicht so!«
»Halt den Schnabel!« Purzel schrie es grob und patzig. Er tat, als meinte er den Vogel, aber seine Gefährten verstanden rasch den Doppelsinn seiner Worte und sie brüllten im Chore nach: »Halt den Schnabel!«
Das war zu toll. In Dieters Gesicht stieg helle Glut; er warf seine Mappe rasch zu Boden und sprang mit einem Satz über das rauschende Wässerlein, unbekümmert darum, daß das Wasser hoch an ihm aufspritzte. Drüben packte er Purzel mit festem Griff und schüttelte ihn derb und der ließ im ersten Schreck den schwarzen Vogel entweichen, der schreiend über den Bach flatterte. Das arme Tier mochte aber von der ausgestandenen Angst völlig ermattet sein; im Flug streiften seine Flügel das Wasser und es geriet in die rinnende Flut. Drüben der kämpfende Bruder, da der versinkende Vogel, beides verwirrte Gundula so, daß sie auch in das Wasser patschte. Sie hatte freilich nicht geahnt, welche Kraft der sonst so harmlose Bach besaß, der riß geschwind das zierliche kleine Mädel um: er gedachte es mit hinwegzuschwemmen wie die vielen Holzstücke, die er übermütig weiter und weiter trieb.
Gundulas Weheruf tönte in die beginnende Prügelei der Buben hinein, denn Purzel und seine Gefährten gaben kräftig Dieters Püffe zurück. Puff auf Puff, Schlag auf Schlag; da hörten sie den Schrei und sahen die Kleine treiben und alle zugleich sannen auf Hilfe.
Wie es kam, wie schnell es gegangen, sie wußten es dann nicht mehr, aber auf einmal lagen sämtliche Buben im Bach und die Luft erfüllte ein so gelles Geschrei, daß von überallher, von links und rechts Leute herbeieilten und so urplötzlich ein wildes Getümmel die stille Dorfstraße erfüllte.
Die Erwachsenen wollten helfen, retten, jeder griff zu, der packte einen Buben am Kragen, der erfaßte ein Bein, der einen Arm, aber da mitunter zwei eines Buben Beine erfaßten und daran nach verschiedenen Richtungen zogen, so schrien die Buben jämmerlich, dazu heulten die Hunde, der Bach toste und immer mehr Leute kamen herbei. Zuletzt aber standen doch alle Hineingefallenen am Ufer, alle unversehrt, nur Gundula hing wie ein blasses Blümlein in des Bruders Armen.
Neben ihr stand Purzel und hielt noch immer krampfhaft ihr Kleid am Zipfel; mit Dieter zusammen hatte er die Kleine aus dem Wasser gezogen. Er hielt Gundula auch noch immer fest, als eine Bäuerin schnell das blasse Mädel auf den Arm nahm und sagte: »Die gehört ins Bett.«
Die Frau wollte davongehen, da zerrte Purzel krampfhaft an Gundulas Kleid, bis ihn die Frau, seine eigene Muhme war es, anschrie: »Purzel, dummer Junge, laß doch los!« Von diesen lauten Worten erwachte Gundula aus ihrer halben Ohnmacht; sie sah nach dem Buben hin, vergaß in diesem Augenblick dessen trotziges Wesen und sagte mit einem lieben Lächeln: »Ach, Purzel, Purzel!«
Und dann fiel ihr auf einmal der Vogel ein, um den die ganze laute Streiterei und Patscherei entstanden war, und sie klagte ängstlich:
»Der arme Rabe ist ertrunken.«
Damit war aber die Unterhaltung zu Ende, denn Fräulein Pfarrer war herbeigekommen, und diese ordnete rasch an, daß Gundula ins Pfarrhaus getragen wurde. Dieter folgte blaß vor Angst um die Schwester, und zu den anderen Buben sagte Fräulein Pfarrer: »Geht nach Hause und trocknet geschwind eure Kleider, denn mir scheint, eure Schulzeit ist noch nicht um.«
Das stimmte nun freilich, betroffen sahen sich die Buben an, es war ja nur Freistunde gewesen, sollte die so rasch vergangen sein? Da bimmelte auch schon im Schulhof ein Glöcklein, das rief und mahnte streng; die Buben stoben davon wie eine Taubenschar, wenn der Habicht in der Luft kreist.
Hierhin und dahin rannten sie, um trockene Kleider zu holen, auch die Erwachsenen kehrten an ihre Arbeit zurück und am Bach blieb Purzel allein stehen. Der tat, als gäbe es keine Schulstunde auf der Welt und keine nassen Hosen, er dachte nur an Gundulas Klage um den ertrunkenen Raben und platsch, platsch ging er in den Bach hinein, was schadet es, dachte er, naß war er doch einmal. Nach ein paar Schritten sah er am Ufer ein schwarzes Ding hocken, ein jämmerliches, schwarzes Häuflein Unglück, Rikralein war es, die schönste der schönen Schwestern. Purzel hob den Vogel auf, fand im Weitergehen auch Dieters Büchermappe, die der in der Angst um die Schwester vergessen hatte, und so beladen stapfte Purzel, triefend wie ein Wassermann, zum Pfarrhaus hin. Der Magd wollte er Vogel und Mappe geben, die wollte aber nur die Mappe nehmen und sie erhob ein lautes Geschrei, ob des schwarzen nassen Untiers. Auf dies Geschrei hin kam Fräulein Pfarrer herbei, die nahm Purzel den Raben ab, versprach, ihn zu pflegen und fragte dann freundlich: »Ich soll wohl unsere Schloßkinder grüßen?«
»Nä,« knurrte Purzel patzig, drehte sich um und riß aus, als jage ein Rudel Wölfe hinter ihm her.
An diesem Morgen geschah etwas, was noch nie vorgekommen war. Purzel schwänzte die Schule und tat, als hätte er nicht das Geringste mehr mit der Schule zu tun. So wie er war, naß wie ein Fisch, kroch er auf seines Vaters Heuboden, zog sich dort aus, hing seine Kleider an eine offene Luke, wo sie vom Winde hin- und hergeweht wurden, und dann verkroch er sich im Heu. In diesem warmen, duftenden Bett schlief er ein, spazierte höchst vergnügt in ein buntes, lustiges Traumland und hörte nicht, daß unten die Mittagsglocke erklang; er hörte nicht, wie ängstlich und ärgerlich sein Name gerufen wurde, er merkte nichts davon, daß eine Magd ins Schulhaus rannte und daß sich auf einmal im Dorfe die Kunde verbreitete: Purzel ist verschwunden, Purzel ist fort!
»Purzel, Puu-rzel, Purpurpurzel,« so rief und lockte man, aber der Bube hörte nichts. Dieter und Gundula, deren Sachen im Pfarrhaus getrocknet und geplättet worden waren und die eine schöne feierliche Stunde im Zimmer des blinden Pfarrers verlebt hatten, hörten das Geschrei, als sie gerade heimgehen wollten. Gundula trug in einem Körbchen warm und weich gebettet den noch immer matten Raben. Oben auf der Burg sollte der Vogel verpflegt werden. Als die Kinder hörten, daß Purzel verschwunden sei, rief Gundel ängstlich: »Er ist ertrunken!«
»Ih wo,« sagte ein alter Bauer lachend, »ich wette, der schläft irgendwo wie ein Ratz, man soll nur suchen.«
»Purzel, Purzel, Purzel!« rief Gundula mit ihrem hellen Stimmchen. Und da sie gerade an der Scheune stand, in der Purzel sanft ruhte, hörte der plötzlich den Ruf und noch halb verschlafen, verwirrt, steckte er plötzlich den Kopf zur Dachluke hinaus.
»Da ist er,« schrie unten jemand und alle starrten verwundert zur Dachluke hinauf, »dort, dort, der liegt im Heu!«
»Purzel, heilloser Bengel du, willste wohl runnerkommen,« schrie sein Vater.
»Purzel, Purzel, ach Purzel!« Es war noch nie so oft »gepurzelt« worden wie in diesem Augenblick und der verhaßte Name umschwirrte den Buben wie ein Wespenschwarm. Er wollte wütend hinunterlaufen, als er glücklicherweise merkte, daß er nichts, aber auch gar nicht anhatte und beschämt verkroch er sich im Heu, es fiel ihm gar nicht ein, daß er doch eigentlich seine Sachen anziehen konnte, so verdattert und verschlafen war er noch, und daß Gundula unten stand, machte ihn noch verlegener.
Im Heu fand ihn sein Vater, als der ihn holen kam. Der sah die flatternden Höslein und seinen verwirrten, nackten Buben im Heu und sein Zorn löste sich in Lachen. »Zieh dich geschwind an,« mahnte er. Und so, im Schutze des Vaters tappte Purzel endlich die Bodentreppe herab. Gräßlich war's, unten würde das kleine Burgmädel stehen, was sollte er nur sagen? Er stöhnte ordentlich, aber als er unten anlangte, stand nur die Mutter und das Hausgesinde da und nun sah er sich bitter enttäuscht um. »Die Kleine von der Burg läßt grüßen und für dei Rabe danken,« sagte die Mutter, »die is emol proper, arg gefallen kann sie einem.«
»Hm,« machte Purzel. Innerlich ärgerte er sich aber wütend, weil die beiden Burgkinder nicht mehr da waren und er nahm sich vor, ihnen noch mehr als sonst aus dem Wege zu gehen. Trotz dieses Vorsatzes stapfte er aber am Nachmittag den Burgberg hinauf und als ihn etliche Gefährten fragten, was er da wolle, sagte er patzig: »In den Wald gehen.«
Die anderen schlossen sich ihm an. Sie fanden es sehr richtig, einen solchen Umweg zu machen und als sie alle drei am Burgtor anlangten, da schauten sie sehr neugierig hinein und taten voreinander, als wäre es ihnen höchst gleichgültig, was drinnen im Schlosse geschah.
Drinnen standen Justus, Dieter und Gundula und sahen zu, wie der gefangene Rabe matt auf und abging, er versuchte es wieder und wieder, sich in die Lust zu schwingen, aber noch war er zu matt. Oben auf der hohen Tanne saßen die schönen Geschwister und klagten, bis sie auf einmal unten die Stimme des Verlorenen hörten. Da flatterten sie tiefer und tiefer hinab, zuletzt saßen sie auf dem Burgdach, riefen und fragten. Rikralein gab Antwort und Justus und die Kinder lauschten der Wechselrede und sagten zueinander: »sie unterhalten sich.«
Die drei Untersberger Buben starrten so lange in den Schloßhof hinein, bis Justus sie anrief, schallend und laut: »Nun ihr, was gafft ihr so?«
Sich umdrehen, um auszureißen war bei den Buben eins, aber ganz unvermutet stand der Herr der Burg hinter ihnen und hielt sie fest: »Wohin so eilig?« als er die Verlegenheit der drei bemerkte, sagte er heiter: »Wart ihr heute früh dabei und habt ihr auch im Bache gelegen?«
»Aber das ist ja Purzel, Purzel,« rief innen Gundula, den Buben erkennend. Und im Geschwindschritt kamen die Geschwister herbei. Dieter streckte versöhnlich die Hand hin, er dankte für die gerettete Mappe. Dieser Dank, Herrn von Trachts Frage, alles machte Purzel sehr verlegen, er wußte nichts zu sagen, seine Kameraden wußten noch weniger und weil die Schloßbewohner dachten, die Buben wären gekommen, um zu sehen, wie den Burgkindern das Wasserbad bekommen sei, schob der Hausherr die drei einfach vor sich her in den Hof.
Da waren sie auf der Rabenburg, waren Gäste der geschmähten Burgkinder und fanden die beiden von Minute zu Minute netter. Endlich brachte auch Purzel seinen Mund auf und sagte ein paar Wörtlein und flugs machten es ihm seine Gefährten nach, und nach einer halben Stunde hatten die drei Untersberger allen Groll, alle Scheu vergessen und sie schwatzten mit Dieter und Gundula, als wären sie schon ein dutzendmal miteinander in den Dorfbach gefallen. Alles Fremdtum war wie weggeblasen. Nur, daß Gundel in jeder Minute wohl dreimal Purzel sagte, das störte den, und er faßte sich schließlich ein Herz und erzählte wichtig: »Ich heiße eigentlich Wolfgang Arminius,« er wollte hinzusetzen, »nenne mich doch so,« als Gundula schon rief: »Wie langweilig, solche lange Namen, Purzel ist viel viel hübscher, ich nenne dich auch immer Purzel!«
Verdutzt sah der Bube das feine Mädel an, das nickte ihm freundlich zu und versicherte nochmals! »Purzel ist reizend, nein, nein, ich nenn' dich nicht mit den dummen Namen, hab' keine Angst!«
Da gab es Purzel auf, für seinen Namen zu kämpfen, er sah ein, es half nichts und seufzend brummte er: »no ja, nenn' mich Purzel!« Und damit war der Friede geschlossen und als nach einer Stunde die drei Dorfbuben bergabstiegen, sagten zwei: »Die sind fein, was haste nur gehobt?«
»Nischt,« knurrte der verlegen. Da kreischte über ihm ein Rabe und froh der Ablenkung rief er: »Doe, ne Rabe.«
»'s ist gewiß der Ersoffene,« sagten seine Kameraden weise und blickten in die Höhe.
Zum hellen Himmel empor flog der schwarze Vogel und von der hohen Tanne herab grüßten Rara und Kara jauchzend die schöne Schwester. Es war wirklich Rikralein, die Geliebte, sie kehrte heim, gerettet aus Todesnot. Und das Jubelgeschrei der Schwestern tönte laut über den Wald hin und die drei Buben hätten es noch lange, lange hören können. Aber die achteten nicht darauf, die erzählten sich von Dieter und Gundula und blähten sich stolz auf, weil sie zuerst mit den Burgkindern Freundschaft geschlossen hatten. –