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XV.

Einige Tage später saß Augustinowitsch zu Hause und arbeitete fleißig, da das Examen herannahte. Da er in allem Komfort liebte, hatte er die Jalousien herabgelassen, den Tisch mitten in das Zimmer gestellt, vor dem er jetzt mit aufgeschlagenen Hemdärmeln saß. Er schien eine Untersuchung zu machen, da auf dem Tisch eine ganze Menge großer und kleiner Gläser mit allen möglichen Pülverchen und Essenzen vor ihm stand. Mitten auf dem Tisch brannte eine Spirituslampe, deren bläuliche Flamme den Kopf einer Retorte umspielte, welche unter dem Einfluß der darin enthaltenen Flüssigkeit zitterte. Die Arbeit schäumte in den Händen von Augustinowitsch, wie man zu sagen pflegt. Niemand verstand so rasch zu arbeiten wie er.

In der Thal arbeitete er mit großem Eifer und einem vergnügten Lächeln.

»Bei Mohammed,« sagte er, »wenn Schwarz käme, so würde die Arbeit schneller vor sich gehen, aber jetzt spielt er wieder bei Helene den Bräutigam und schwört ewige Liebe. Nun, ich würde auch schwören, o wie lieb' ich diese Unschuld! Teure Lilja, erlaube mir … und was weiter … nun, je weiter desto besser.«

Plötzlich zog jemand die Glocke.

Augustinowitsch wandte sich zur Thür, streckte die Hand aus und sang: »O Fremder, der Du vom Wege erschöpft bist, tritt ein unter dieses gastliche Dach.«

Die Thür öffnete sich, und herein trat ein kleiner, gut gekleideter Herr.

Augustinowitsch kannte ihn nicht.

Ein charakteristischer Zug desselben waren hauptsächlich seine Sammetjacke und helle Beinkleider. Dabei war er sauber gewaschen, frisiert und gekämmt. Sein Gesicht war nicht besonders einfältig, aber auch nicht klug, nicht schön, aber auch nicht häßlich. Er war weder groß noch klein, seine Nase, seine Lippen, sein Bart und seine Stirn waren gewöhnlich. Besondere Kennzeichen nicht vorhanden.

»Wohnt hier Herr Schwarz?« fragte der Fremde.

»Jawohl.«

»Kann man ihn sprechen?«

»Jetzt kann man, aber bei Nacht, wenn es sehr dunkel ist, ist es zweifelhaft.«

Der fremde Herr begann die Geduld zu verlieren, aber das Gesicht von Augustinowitsch drückte viel mehr Heiterkeit als Übelwollen aus.

»Der Besitzer dieses Hauses,« begann der Fremde, »hat mich zu Herrn Schwarz gesandt, welcher angeblich von dem Aufenthalt und dem Schicksal der Gräfin Leocadia N. Kenntnis hat. Wollen Sie so liebenswürdig sein, mir etwas über sie mitzuteilen?«

»O, sie ist sehr schön …«

»Darum handelt es sich nicht!«

»Im Gegenteil, gerade darum … Wenn ich gesagt hätte, sie sei häßlich wie die Nacht, so würden Sie wohl schwerlich den Wunsch hegen, mit ihr bekannt zu werden. Ich schwöre Ihnen, daß sie nicht häßlich ist.«

»Ich bin Pelski, ein Cousin von ihr.«

»Und ich bin gar nicht mit ihr verwandt.«

Pelski wurde ungeduldig.

»Sie verstehen mich nicht, wie es scheint, oder belieben Sie zu scherzen?« sagte er.

»Keineswegs, obgleich Frau Wisberg sagt, ich scherze immer. Aber Sie kennen nicht Frau Wisberg. Eine vortreffliche Frau, besondere Verdienste: hat eine Tochter. Das ist zwar kein großes Glück, und sie ist reich wie Jupiter …«

»Hören Sie einmal …«

»Ja, ich höre Schritte auf der Treppe. Das ist Schwarz. Sie glauben es nicht? Wollen Sie wetten, daß es Schwarz ist?«

Wirklich öffnete sich die Thür, und Schwarz trat ins Zimmer. Sein ernstes, intelligentes Gesicht, sein Blick waren voll Energie und Bedachtsamkeit.

»Dies ist Herr Pelski, und dies ist, hol' mich der Teufel! Schwarz, Dr. med.,« sagte Augustinowitsch, die beiden einander vorstellend.

Schwarz betrachtete den Fremden mit forschenden Blicken.

Pelski teilte den Zweck seines Besuches mit, und obgleich er sich als ein Verwandter der Gräfin vorstellte, verzog Schwarz seine Stirn ein wenig, und sein Gesicht verfinsterte sich. Dennoch sagte er dem Fremden die Adresse der Gräfin.

»Leben Sie wohl,« sagte er zum Schluß, »die Gräfin wird sehr erfreut sein, einen Cousin zu sehen. Nur schade, daß sie vor zwei Monaten niemand von ihren Verwandten zu sehen bekam.«

Pelski murmelte etwas Unverständliches und empfahl sich.

»Warum hast Du ihm die Adresse gegeben?« fragte Augustinowitsch.

»Weil es eine Dummheit wäre, ihm die verlangte Adresse nicht zu geben.«

»Ich hätte sie ihm nicht gegeben.«

»Was hast Du ihm gesagt?«

»Tausend Dummheiten, nur nicht die Adresse, weil ich dachte, dies würde Dir nicht angenehm sein.«

»Er konnte sie auch ohne uns finden.«

»Nun wird es lustig werden bei Wisberg. Gehst Du heute zu ihr?«

»Nein.«

»Oder morgen?«

»Nein.«

»Nun wann?«

»Niemals. Ich bin kein irrender Ritter und kein Don Quichotte. Es ist besser, den Gefahren aus dem Wege zu gehen und zu siegen, als sie herauszufordern und besiegt zu werden.«

Schweigen trat ein.

»Warst Du bei Helene?« fragte Augustinowitsch.

»Ja.«

»Wann wird Deine Hochzeit sein?«

»Sobald ich meine Studien beendigt und den Doktor gemacht habe.«

»Vielleicht wäre es für Dich besser, wenn das alles ein Ende nähme.«

»Warum glaubst Du das?«

»Nun, wie soll ich es Dir sagen? Ich fürchte, Du wirst Dich ärgern, aber diese Lulu, wirklich, ich traue ihr nicht für einen Groschen –«

Die Augen Schwarz' erglühten in rätselhaftem Feuer, und er legte Augustinowitsch die Hand auf die Schulter.

»Ich bitte Dich, sprich nichts Schlechtes von ihr,« sagte er.

»Was soll ich ihr antworten, wenn sie mich nach Dir fragt?« fragte Augustinowitsch nach kurzer Pause.

»Sage ihr die ganze Wahrheit, sage ihr, ich werde heiraten.«

»Ach, Alterchen, das kann ich ihr nicht sagen.«

Schwarz blickte Augustinowitsch in die Augen: »Warum nicht?«

»Nun, sie hat Dich ja geliebt.«

Schwarz errötete. Er wußte von der Gegenliebe der Gräfin, aber diese Bestätigung von fremden Lippen erschütterte ihn und erfüllte sein Herz mit Süßigkeit, zugleich aber auch mit Kummer.

Wer hat Dir das gesagt?« fragte er.

»Malinka. Sie sagt mir alles.«

»In diesem Falle sage Lulu, ich heirate eine andere aus Pflichtgefühl.«

»Amen,« schloß Augustinowitsch.

Am Abend ging Augustinowitsch zu Frau Wisberg. Malinka öffnete ihm die Thür.

»O, Sie sind es,« rief sie errötend.

Augustinowitsch erfaßte ihre Hand und bedeckte sie mit Küssen.

»Ach, was machen Sie!« rief sie aus, noch tiefer errötend, »das ist nicht erlaubt.«

»O doch,« erwiderte er im Ton tiefer Überzeugung, »aber …« fügte er hinzu, indem er den Paletot abnahm und die Handschuhe aufknöpfte (dieses Mal hatte er sich vollkommen fein gemacht). »War etwa ein junger Mann hier am Nachmittag?«

»Ja, er war da, und kommt am Abend wieder.«

»Um so besser.«

Sie gingen in den Saal, der heute besonders feierlich aussah, als ob er einen teuren Gast erwartete. Auf dem Tisch brannte eine große zweiköpfige Lampe mit einem zweiköpfigen Adler, und das Klavier war geöffnet.

»Warum ist Schwarz nicht mit Ihnen gekommen?« fragte Malinka.

»Diese Frage erwarte ich von der Gräfin,« erwiderte Augustinowitsch. »Ich denke, sie wird danach fragen. Jedenfalls erlaube ich mir, die Antwort auf diese Frage aufzuschieben.«

Die Gräfin ließ sich nicht lange erwarten. Sie trat ein in einem schwarzen Kleid und einigen Schmucksachen im Haar.

»Aber wo ist Schwarz?« fragte sie.

»Er kommt nicht.«

»Warum?«

»Ist beschäftigt – mit Vorsorge für seine Zukunft.«

Es schien der Gräfin sehr unangenehm zu sein, daß er nicht kam.

»Warum helfen Sie ihm nicht bei dieser Arbeit?« fragte sie.

»Der Himmel bewahre mich vor solcher Arbeit!« rief Augustinowitsch.

»Ist sie denn sehr schwer?«

»Wie jede neue Einrichtung.«

»Merkwürdig …«

»Die Pflicht …«

»Ich denke, Herr Schwarz hat seine ganze Zukunft auf diesem Fundament erbaut.«

»Nun, diesmal fällt es ihm schwerer als jemals … aber ich glaube, es kommt jemand, wahrscheinlich Ihr Cousin, ein sehr hübscher junger Mann.«

Wirklich trat Graf Pelski in den Salon ein, und bald nach ihm kam auch die Dame des Hauses.

Nach den gewöhnlichen Begrüßungen entwickelte sich das Gespräch ziemlich flau. Jeder bemühte sich, mit allgemeinen Redensarten nichts zu sagen. Augustinowitsch nahm am Gespräch fast gar nicht teil. Er saß seitwärts mit geschlossenen Augen und hörte gleichgültig zu. Er hatte die Gewohnheit, die Augen zu schließen, wenn er jemand beobachten wollte, und dieses Mal entging nichts seiner Aufmerksamkeit.

Graf Pelski saß neben Lulu, drehte sein Pincenez an der seidenen Schnur und sprach lebhaft mit ihr.

»Bis zu meiner Ankunft in Kiew wußte ich nichts von dem Unglück, das mit Ihnen unsere ganze Familie betroffen hat,« sagte Pelski.

»Kannten Sie meinen Vater?« fragte die Gräfin mit einem Seufzer.

»Nein, ich habe ihn nicht gekannt. Ich wußte nur von den Mißverständnissen, welche im Laufe einiger Jahre zwischen ihm und unseren Verwandten vorgefallen waren. Infolge meiner Minderjährigkeit und beständigen Abwesenheit war ich allen Streitigkeiten fremd, und ich gestehe, meine jetzige Anwesenheit in Kiew soll zur Annäherung der Familie dienen.«

»In welchem Grade waren Sie verwandt mit meinem Vater?«

»Wie soll ich Ihnen das sagen? Ich wurde im Auslande erzogen und dachte nie daran, in welchem Grade ich mit Ihnen verwandt bin. Ich verdanke diese Entdeckung einem glücklichen Zufall, das heißt nicht die Entdeckung der Verwandtschaft, welche mir schon lange bekannt war, sondern der zahlreichen Bande, welche unsere Familien seit langer Zeit verbinden.«

»Darf ich fragen, welchem Zufall Sie das verdanken?«

»Das, liebe Cousine, werde ich Ihnen gern erzählen. Als ich nach dem Tode meines Vaters die Erbschaft und die Verwaltung der Güter übernommen hatte, begann ich die Dokumente durchzusehen, welche meine Familie betrafen. Eben aus diesen Dokumenten ersah ich, daß Ihre Familie nicht nur in verwandtschaftlichen Beziehungen zur Familie Pelski steht, sondern auch dasselbe Wappen führt.«

»Also nur einem glücklichen Zufall verdanken wir unsere Bekanntschaft?«

»Ich freue mich über diesen Zufall und segne ihn.«

Die Gräfin schlug die Augen nieder und drehte ein Ende ihrer Schärpe in ihren weißen Händen.

Endlich sagte sie: »Und mir ist dieser Zufall auch sehr angenehm.«

Über Augustinowitschs Gesicht flog ein ironisches Lächeln.

»Es gelang mir nicht leicht, Ihre Wohnung aufzufinden,« sagte Pelski. »Dieser Herr« – er blickte nach Augustinowitsch hinüber – »hat eine erstaunlich seltsame Art, Fragen zu beantworten. Zum Glück kam bald sein Freund Schwarz hinzu, welcher mir endlich Auskunft gab.«

»Ich wohnte in demselben Hause, in dem diese Herren wohnen.«

»Auf welche Weise sind Sie mit ihnen bekannt geworden?«

»Als mein Vater erkrankte, blieb Herr Schwarz bis zum letzten Augenblick bei ihm. Dann bewog er Frau Wisberg, mich aufzunehmen … mit einem Wort: ich bin ihm sehr zu Dank verpflichtet.«

Augustinowitsch öffnete die Augen, und der spöttische Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht.

»Ist er Doktor?«

»Sie werden es beide bald sein.«

Pelski dachte nach.

»In Heidelberg kannte ich einen Schwarz, einen Doktor und Litteraten,« fuhr er fort, »ist er mit ihm verwandt?«

Die Gräfin errötete: »Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.«

Jetzt öffnete Augustinowitsch ganz seine Augen und wandte sich mit bemerkbarer Ironie an die Gräfin.

»Ich dächte,« sagte er laut, »Sie wissen sehr wohl, von welchem Schwarz er abstammt?«

Die Verwirrung der Gräfin erreichte den höchsten Grad.

»Ich … erinnere mich nicht,« stotterte sie.

»In diesem Falle werde ich Ihre Erinnerung auffrischen. Schwarz ist in Smigrodka geboren, wo sein Vater als Grobschmied lebte.«

Pelski neigte sich zu seiner Cousine und flüsterte teilnehmend: »Ich bedauere das Schicksal, das Sie nötigte, unter Leuten einer anderen Sphäre zu leben.«

Die Gräfin seufzte.

O, wie schlecht war dieser Seufzer! Sie wußte, daß sie bei diesen Leuten aus niedriger Sphäre Schutz und Unterkunft gefunden hatte, und daß sie ihr daher näher stehen sollten als ihr Cousin. Aber sie schämte sich das zu sagen, deshalb schwieg sie etwas verdrossen.

Während dieses Gespräches der jungen Leute traf Frau Wisberg wirtschaftliche Anordnungen und lud die Gäste endlich zum Thee ein. Die Gräfin ging auf einen Augenblick in ihr Zimmer, setzte sich auf ihr Bett und bedeckte das Gesicht mit den Händen. In diesem Augenblick hatte sie das Gefühl, als ob sie im Zimmer von Schwarz wäre.

»Er arbeitet,« dachte sie, »und hier spricht man von ihm wie von einem vollkommen fremden Menschen. Warum hat auch Augustinowitsch gesagt, daß Schwarz der Sohn eines Grobschmieds sei!«

Sie hatte das Gefühl, daß beide junge Leute Schwarz beleidigten, zugleich aber war es ihr selbst peinlich, daß er der Sohn eines Schmieds war.

Beim Thee saß die Gräfin neben ihrem Vetter. Sie war still und nachdenklich, fast kummervoll, und richtete besorgte Blicke auf Augustinowitsch, welcher seit dem Augenblick seiner boshaften Einmischung ihr Schrecken verursachte.

»Du bist heute nicht gut gestimmt?« sagte Frau Wisberg, indem sie ihr die Hand auf die Stirn legte.

Während Malinka Thee eingoß, sagte sie lächelnd: »Lulu ist heute nachdenklich. Bist Du vielleicht verliebt, Lulu?«

Nach dem Thee setzte sich die Gräfin ans Klavier und spielte eine melancholische Mazurka von Chopin. Ihr Gesicht behielt den Ausdruck des Kummers und der Besorgnis.

Augustinowitsch schloß aus den Tönen auf ihren Seelenzustand.

»Sie grämt sich,« dachte er, »und darum spielt sie. Und sie spielt, um von ihrem Cousin gehört zu werden.«

Als er nach Hause zurückkehrte, dachte er an die Gräfin und Schwarz mehr, als von seiner leichtsinnigen Natur zu erwarten war.

»Nun gleichviel, was kommen soll, wird kommen,« murmelte er vor sich hin.

Als er das Zimmer betrat, schlief Schwarz noch nicht, sondern las in einem Buche, den Ellbogen auf den Tisch gestützt.

»Warst Du bei Frau Wisberg?«

»Jawohl.«

Ungeduld und Neugierde drückten sich auf seinem Gesicht aus. Es war ersichtlich, daß er sehr wünschte, seinen Freund zu befragen, wie der Abend verlaufen sei, aber er unterließ es und vertiefte sich wieder in sein Buch.

Aber nach kurzer Zeit warf er das Buch ungeduldig beiseite und ging einige Male im Zimmer auf und ab.

»Du warst also bei Wisberg?« begann er.

»Ja.«

»Ah, also …«

»Nun, was dann?«

»Nichts.«

Damit setzte sich Schwarz wieder an sein Buch.


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