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1.

– Da ist nun Kiew!

So rief ein junger Mann, Joseph Schwarz mit Namen, als er in die altertümliche Stadt einfahrend, von den Formalitäten am Stadtthor erweckt, sich unverhofft inmitten der Straßen und der städtischen Baulichkeiten erblickt. Das Herz zuckte ihm freudig: – er war jung, lebenslustig, sog also so viel er vermochte die frische Luft in die breiten Lungenflügel und wiederholte mit heiterm Lächeln:

– Da ist nun Kiew!

Die Judenbudka rollte langsam dahin, an jeden hervorragenden Stein anstoßend. Es langweilte Schwarz, länger unter dem Leinwanddache zu hocken. Er befahl also dem Juden nach dem nächstliegenden Gasthofe zu fahren Und ging selbst neben dem Wagen zu Fuß – Eine Menge Leute strömten, wie das gewöhnlich in der Stadt der Fall ist, nach allen Richtungen dahin, die Läden glänzten mit ihren Ausstellungen, Wagen aller Art rollten einander ausweichend die Straßen entlang, Kaufleute, Generäle, Soldaten, Bettler, Mönche glitten rasch vor den Augen des Ankömmlings dahin. Es war ein Markttag, die Stadt hatte also das derartigen Sammelplätzen eigentümliche Aussehen angenommen. Da war nichts umsonst: keine Bewegung, kein Wort ward hier verschwendet. Der Kaufmann jagte seinem Geschäft, der Beamte seinen Funktionen, der Bösewicht dem Betruge nach, alles hatte ein ausgesprochenes Ziel vor Augen, jeder stieß gleichsam das Leben vor sich hin, an morgen denkend, nach etwas strebend ... und über all dieses Stoßen und Treiben, Sausen und Brausen erhob sich eine brennende Atmosphäre, und die Sonne spiegelte sich eben in den blendenden Scheiben der Paläste wie in dem ersten besten Fensterchen.

– Das ist ja ein wahrer Sturm! – dachte Schwarz, der noch nie in Kiew, ja in keiner einzigen großen Stadt gewesen war. – Das nenne ich Leben!

Er begann zu reflektieren über den himmelweiten Unterschied zwischen dem engen Leben in einem kleinen Städtchen und dem weiten Wirkungskreise in einer großen Stadt. Da entriss ihn eine ihm wohlbekannte Stimme seinen Reflexionen:

– Bei Gott! Joseph!

Schwarz blickte um sich, betrachtete eine kleine Weile den Menschen, der ihn beim Namen gerufen, breitete zuletzt die Arme aus und rief:

– Bei Gott! Gustav!

Gustav war ein hagerer, kleiner Mann von ungefähr dreiundzwanzig Jahren; lange, fast bis an die Schultern reichende, kastanienbraune Haare, ein rötlicher hart am Munde gestutzter Schnurrbart ließen ihn älter erscheinen, als er in der Tat war.

– Wie geht's dir, Joseph! Weshalb bist du hergekommen? – Zur Universität? Nicht wahr?

– Ja wohl.

– Ganz recht. – Das Leben ist gar elend ohne das Wissen, – sprach Gustav schnaufend. Welche Fakultät gedenkst du zu besuchen – he?

– Ich weißes noch nicht, ich werde mich orientieren – dann treffe ich eine Wahl.

– Überlege es reiflich. – Ich bin hier schon ein ganzes Jahr, ich konnte mich also umschauen. Ich bedauere gar sehr die rasche Wahl, aber was lässt sich da tun? Zur Umkehr ist es zu spät – vorwärts zu gehen – fehlt mir die Kraft. Es ist leichter eine Dummheit zu begehen, als sie wieder gut zu machen. Morgen führe ich dich in die Universität; indessen lass, wenn du noch keine Wohnung hast, deine Sachen zu mir tragen. Ich wohne nicht weit von hier. Du kannst mit mir den Anfang machen, wenn du meiner überdrüssig bist, suchst du dir einen anderen Kollegen.

Schwarz nahm Gustavs Antrag an und in der kürzesten Zeit befanden sie sich im kleinen Studentenstübchen.

– Ha, wir haben uns lange nicht gesehen; – es ist ein Jahr, dass wir das Gymnasium beendet, – sagte Gustav den kleinen Koffer und das Bündelchen Schwarzens unterbringend. – Ein Jahr – ein tüchtiges Stück Zeit. Was hast du das ganze Jahr hindurch getrieben?

– Ich saß beim Vater, der mir nicht erlaubte, die Universität zu besuchen.

– Was konnte es ihm schaden?

– Er war ein guter aber einfacher Mann – ein Schmied.

– Warum erlaubte er's jetzt?

– Er ist tot.

– Ah so – sagte Gustav hustend. – Das verdammte Asthma! es plagt mich seit einem halben Jahr. – Du wunderst dich, dass ich schnaufe? ... Du wirst auch schnaufen lernen, wenn du so wie ich über den Büchern hockst. – Tag für Tag, keinen Augenblick Ruhe. Und mit der Not schlage dich herum wie ein Hund mit dem anderen ... Hast du Geld?

– Ja wohl, ich habe alles, was ich vom Vater geerbt, zu Geld gemacht, ich besitze zweitausend Rubel.

– Zwanzig Hunderte! ... Es reicht aus. Ich bin ein geplagter Mann! das verdammte Asthma! ... Ja wohl! Man muss studieren! Kaum, dass ich abends etwas Atem hole; den Tag bei den Vorlesungen, die Nacht für die Arbeit ... Man schläft nicht aus! So ist's bei uns! Wenn du dich mit unserm Leben bekannt machst, dann begreifst du, was die Universität bedeutet! Heute führe ich dich in den Klub, oder richtiger, in die Kneipe – du musst mit den Kollegen Bekanntschaft machen: du gehst gleich heute mit mir.

Gustav machte sich ohne Aufhör in der Stube zu schaffen, dabei schnaufend und hastend. Seinen gekrümmten Rücken, sein eingefallenes Gesicht und seine langen Haare betrachtend, konnte man ihn eher für einen vom lustigen Leben als von der Arbeit abstrapazierten Menschen nehmen. Aber die Bücherstöße und die vielen beschriebenen Papierhefte wie die Ärmlichkeit der Stubeneinrichtung bezeugten nur zu sehr, dass Gustav zu jener Gattung von Nachtvögeln gehörte, die über die Bücher gebeugt dahinwelken und mit dem Gedanken an einen akzentuierten oder nicht akzentuierten Buchstaben sterben. Schwarz atmete aber dagegen mit voller Brust die Atmosphäre des Stübchens ein; es war für ihn eine neue und zugleich isolierte Welt.

– Wer weiß – dachte er – welche Gedanken den im vierten Stockwerke wohnenden Köpfen entspringen? – wer weiß, welche Zukunft solche Dachstübchen der Wissenschaft bereiten?!

– Du wirst heute noch viele der Unsrigen kennenlernen – sagte Gustav, unter dem Bette einen Samowar (Selbstkocher) auf einem Fuße hervorziehend und zur Herstellung des Gleichgewichtes einen Topfscherben unterlegend ... – Möge dich unser Klub nicht abstoßen – fuhr er fort, Kohlen in den Samowar schüttend – ich werde Tee machen ... Auch die teilweise närrischen Köpfe brauchen dich nicht zu frappieren. Wenn du dich in der Stadt umschaust und orientierst, wirst du erkennen, dass hier an Dummköpfen kein Mangel ist, dass es aber auch tüchtige Köpfe gibt. Du wirst übrigens mit eigenen Augen sehen. Unser Leben ist etwas gekünstelt, etwas närrisch, aber wir schreiten eben nicht langsam vorwärts. Es fehlt uns nicht an Originalen, aber auch nicht an Farblosen, von Leerheit, Lächerlichkeit und Dummheit aufgeblasen. In manchen Köpfen brennt's lichterloh, in anderen ist es stockfinster - grade wie jetzt draußen.

Eine Weile herrschte Stille in der Stube, man hörte bloß Gustavs Schnaufen und sein Blasen in den Samowar. Die Nacht war eingetreten, auf die Wände und den Fußboden des Stübchens fielen immer dunklere Schatten; – der vom Samowar zurückgeworfene Feuerkreis auf dem Fußboden vergrößerte sich oder erlosch in dem Maße, als Gustav blies. Endlich begann das Wasser zu summen, zu zischen, zu spritzen; Gustav zündete eine Kerze an.

– Da hast du Tee. Ich gehe noch eine Lektion geben – sprach er weiter, – warte hier auf mich, oder mache ein kleines Schläfchen auf meinem Bette. Wenn dein Geld ausgegeben ist, wirst du auch auf Lektionen bedacht sein müssen. Es ist ein langweiliges Ding, aber was ist zu tun? Es fehlt nicht an Schattenseiten des Studentenlebens – doch wozu im voraus von alledem reden! Unsere Welt und der Rest der Welt sind völlig voneinander verschieden. Wir sind hier nicht beliebt, man empfängt uns nicht ... wir zanken auch mit allen und sogar miteinander ... Ein schweres Leben! Wenn du erkrankst, reicht dir, wenn kein Kollege da ist, niemand eine hilfreiche Hand – das ist unser Los. Doch es ärgert die Leute, dass wir keine Komödie spielen und jedes Ding beim rechten Namen nennen.

– Du siehst alles schwarz – bemerkte Schwarz.

– Schwarz oder nicht – erwiderte Gustav bitter – du wirst's sehen. Ich sage dir nur, du wirst nicht auf Rosen schlafen ... Die Jugend hat ihre Rechte, ihre Anforderungen. Sie lachen dir, wenn du sie geltend machst, ins Gesicht, sie sagen, du seiest halbgekocht, nennen es Exaltation. Man nenne es ins Teufels Namen, wie man will, wenn es einen brennt und schmerzt ... Du wirst's übrigens sehen ... Schenke dir Tee ein und leg dich schlafen, in einer Stunde bin ich zurück, jetzt reiche mir dort die Mütze und lebe wohl.

Eine Weile hörte man noch das Schnaufen und die Schritte Gustavs auf der Stiege. Schwarz blieb allein. Die Worte Gustavs hatten auf ihn einen eigentümlichen Eindruck gemacht. Schwarz erinnerte sich seiner anders: jetzt wiederhallte in seiner Stimme eine gewisse Tadelsucht und Unlust; eine düstere Gemütsstimmung sprach sich in diesen halb heftigen, halb wehmütigen Worten aus. Er war früher gesund an Körper und Geist gewesen, jetzt atmete er schwer, in seiner Rede wie in seinen Bewegungen war eine wunderliche Fieberhaftigkeit, wie bei einem Menschen, der sich erschöpft hat.

– Hat ihm denn das Leben schon so zugesetzt? – dachte Schwarz. – Man muss also hier kämpfen, etwas gegen den Strom gehen, und dem Armen fehlte es, wie es den Anschein hat, an Kraft. Hier muss man überwinden, siegen! Augenscheinlich lastet die Welt auf uns mit keinem besonders leichten Arme. – Zum Henker, es ist kein Kinderspiel ... Gustav ist allzusehr Misanthrop, er hat sich wohl stark die Federn verbrannt. Er faulenzt aber nicht, geht also immerhin vorwärts. Vielleicht ist diese Misanthropie nur eine Schale, unter der er bequemer und sicherer vorwärtsschreitet? ... Wenn man sich aber wirklich entweder durchschlagen oder verderben müsste? – ha! ... so schreite ich voran! – rief der junge Mann energisch aus – und in diesem Ausrufe lag mehr Festigkeit als momentanes Ausflackern.

Eine Stunde nach diesem Monologe wurde das Schnaufen wieder auf der Stiege hörbar und in diesem Momente trat, oder richtiger schob sich Gustav herein.

– Also mir nach! – rief er aus. – Du stehst jetzt in der Vorhalle zum Strudel des Studentenlebens – heute wirst du die heitere Seite zu sehen bekommen. – Verlieren wir keine Zeit.

Während des Sprechens drehte er die Mütze in der Hand herum, warf die Augen nach allen Richtungen, trat dann an den Tisch, zog aus der Schublade einen Kamm und begann seine langen, kastanienbraunen aber schon erschossenen Haare zu kämmen. Endlich traten sie auf die Straße. Kiew hatte zu der Zeit echte Studentenkneipen. Die Verhältnisse waren der Art, dass die Universitätshörer mit der städtischen Gesellschaft nicht verkehren konnten. Die verschiedenen städtischen Koterien empfingen nur sehr ungern die jungen Leute, die sich erst in der Zukunft eine Stellung erringen sollten. Einerseits eigneten sich der Mangel an Gesetztheit, die Heftigkeit des Wortes, die Barschheit und andere der Jugend gewöhnlich angeborene Merkmale nicht dazu, sich unter die gesellschaftlichen Formen zu beugen; andererseits lieferte die Provinz nur im Winter und in der Kontraktenzeit Kontrakte heißen in Kiew die dortigen Jahrmärkte, zu denen aus allen politischen Gouvernements wie aus dem sogenannten Kongresspolen Käufer und Verkäufer herbeiströmen, somit großartige Geschäfte gemacht und die betreffenden Verträge oder Kontrakte abgeschlossen werden. (Anm. d. Übers.)heimische Elemente: – die Universität bildete demnach gleichsam eine in sich abgeschlossene Körperschaft, die am Tage in den Büchern, Nachts im Club lebte und wehte Aus mannigfachen Gründen war dies eher gut als schlimm, denn wenn auch die Jugend noch ungeschliffen in die Welt trat, war sie dafür flink und rasch zur Tat bereit – es befanden sich da keine Gelangweilten und Blasierten.

Unsere Bekannten schritten rasch auf die andere Seite der Straße und gingen grade auf das hell erleuchtete Klubhaus zu. Beim Scheine des Mondes konnte man die breite und kräftige Gestalt Schwarzens neben dem gekrümmten Rücken und dem großen Kopfe Gustavs unterscheiden. Der Letztere lief etwas voraus, abwechselnd mit Joseph oder mit sich selbst sprechend; darauf hielt er unter den Fenstern und sich am Gesimse haltend und in die Höhe streckend, begann er genau das Innere der Kneipe zu untersuchen; endlich Tiefe er das Gesimse los, wischte sich den Kalk von den Knien und rief aus:

– Nicht da.

– Wer?

– Entweder schon dagewesen, oder sie kommt nicht mehr.

– Wer denn?

– Wie viel Uhr?

– Zehn Uhr vorbei. Nach wem hast du dich durchs Fenster umgeschaut?

– Nach der Witwe.

– Witwe? Wer ist denn die?

– Ich fürchte, sie ist krank.

– Deine Bekannte?

– Natürlich. Wenn ich sie nicht kennen sollte, würde ich mich nicht für sie interessieren.

– Das ist klar – erwiderte Schwarz – nun, treten wir ein.

Er drückte an den Türgriff und sie befanden sich im Saale. Eine heiße und rauchige Atmosphäre wehete sie an. Es zeigten sich in der Perspektive Gesichter mannigfachen Alters, die Schwarz zum Teil fremd waren. Zwischen den Rauchwolken, die das Lampenlicht verdunkelten und den Lachsalven irrten hier und da verschwimmende, gleichsam nachklingende Klaviertöne, akkompagniert von einer Gitarre, aus der zeitweise ein hoher, hagerer, junger Mann mit hart an der Kopfhaut geschnittenen Haaren und einer Schramme auf dem Gesichte, klimperte Seine langen Finger glitten auf den Saiten dahin, während seine großen blauen Augen in Gedanken versenkt auf dem Plafond ruheten Der am Piano Sitzende hatte kaum die Kinderschuhe ausgetreten, er hatte eine zarte Hautfarbe, nach hinten gekämmtes Kopfhaar, Anmut aus den roten Lippen und Gram in den Augen; er war von schwächlicher Körperbeschaffenheit und schön gewachsen. Er musste schon seit lange spielen, denn die roten Flecke auf beiden Wangen bekundeten seine große Ermüdung. Mit dem Rücken zum Lichte standen da einige tüchtige Burschen, eichenhoch, große Freunde von allem möglichen Geklimper, den Spielenden umringend, mit gesenkten Köper auf die Musik horchend und je nach dem Tone derselben seufzend oder eine lustige Miene annehmend. Andere junge Leute saßen da auf Bänken und Sesseln einige junge Mädchen, eine Art Grashüpfer, die den Sommer um die Wette besingen, waren hier und da geschäftig Es rauschte in allen Ecken, hier und da klangen die Krüge und Gläser. In dem an den Saal angrenzenden Alkoven wurde rasend Karte gespielt und durch die halbgeöffnete Tür sah man das Gesicht eines der Spielenden; er zündete sich in diesem Augenblicke an dem aus einem Seitentischchen stehenden Lichte die Zigarre an und die momentan gedämpfte oder aufflackernde Flamme übergoss von Zeit zu Zeit seine scharfen Züge. Die Kassiererin am Büffet blickte mit vollkommener Gleichgültigkeit hinter dem Lichte über die Fahne des Federkieles, mit dem sie die täglichen Ausgaben eintrug, auf das Getriebe; an ihrer Seite schlummerte auf einem Stuhle ihre Gehilfin, sich wunderbar im Gleichgewichte erhaltend, und der an der Tischecke sitzende Kater öffnete und schloss zeitweise die Augen mit einem Ausdrucke von Würde und philosophischer Ruhe. Schwarz umkreiste mit seinem Blicke die Versammlung.

– Ho! wie befindest du dich, Schwarz?! riefen einige Stimmen.

– Gut. – Wie geht es euch?

– Zu uns auf die Dauer?

– Ja wohl.

– Ich stelle ihn als Mitglied der geehrten Versammlung des Clubs vor ... Du aber wisse ein für allemal: die Verpflichtung täglich hierher zu kommen ist ein Privilegium, sich niemals gehörig auszuschlafen – röchelte Gustav.

– Also als Mitglied? desto besser! Gleich wirst du eine Rede hören ... Heda, Augustinowicz, beginne.

Aus dem Spielzimmer trat ein junger Mann mit gekrümmtem Rücken und einem Kahlkopf. Er sah garstig aus, warf die Mütze auf den Tisch, nahm auf einem Stuhle Platz und begann seine Rede:

»Meine Herren! Wenn ihr euch nicht stille verhaltet, . beginne ich gelehrt zu sprechen und ich weiß, meine Teuern, dass euch nichts so sehr abstößt als die Gelehrsamkeit. Übrigens, bei Jupiter! gewöhnt euch an das parlamentarische Leben. Was gibt's? – Ich höre Lärm?! Stille, stille! Sonst spreche ich gelehnt.«

Infolge der Drohung herrschte eine Weile Stille – der Redner blickte triumphierend um sich und sprach:

»Meine Herren! Wenn wir uns hier versammeln, ist es nicht deshalb, um in der Ruhe allein das Vergessen unangenehmer Momente zu suchen (sehr gut). Ich komme ja täglich hierher und denke durchaus nicht es zu leugnen. – Ihr werdet es auch nicht bestreiten, dass ich heute bin! (Beifall: der Redner strahlt und spricht weiter:) Stille! Wenn ich ahnte, dass alle meine Anstrengungen, bei unsern Versammlungen ein bestimmtes Ziel im Auge zu haben – an dem allgemeinen Leichtsinne scheiterten, denn ich darf ihn allgemein nennen (ja wohl! ja wohl!), nicht geleitet vom Strome der allseitigen Eintracht, zersplitternd gleich im Werdeprozesse (bitte zu bemerken: im Prozesse des Werdens) die vereinten Bemühungen der Einzelnen – wenn die sich offenbarenden Bestrebungen im wahren Zwecke der Vereinigung der schwankenden Gedanken in ein organisches Ganze – nie vom Gebiete der Träumerei auf das der realistischen Tätigkeit übergehen, – dann bin ich der erste bereit, meine Herren, und ich bürge, auch viele andere mit mir, zur Streitigmachung des Sinnes der gegenwärtigen Art unseres Seins (Beifallklatschen) und zum Ergreifen anderer Mittel (ja wohl! ja wohl!), die wenn auch nicht alle, so doch die Ausgewählten verpflichten.« (Man applaudiert.)

– Was soll das bedeuten? fragte Schwarz.

Gustav zuckte die Achseln.

– Eine Rede.

– Zu welchem Zwecke?

– Wer kümmert sich darum!

– Wer ist es denn?

– Er heißt Augustinowicz, ein guter Kopf, aber in diesem Augenblicke betrunken, die Gedanken verwirren sich ihm: er weiß übrigens, was er will, und bei Gott, er hat recht!

– Was will er denn?

– Dass wir uns hier nicht vergebens versammelten, dass unser Verein einen Zweck hätte, aber sie lachen des Zweckes wie der Rede. Übrigens würde dies doch notwendigerweise einen Bruch mit der sogenannten Freiheit und der Indolenz herbeiführen, die bis zur Stunde in diesem Vereine herrscht.

– Welches Ziel hat Augustinowicz im Auge?

– Ein literarisches – ein wissenschaftliches

– Das wäre wohl gut.

– Ich sagte, dass er recht habe, und hätte es ein anderer in Vorschlag gebracht, es würde vielleicht durchgegangen sein.

– Nun, und er? «

– Er lässt an allem, was er berührt, Spuren der eigenen Lächerlichkeit und Erniedrigung Hüte dich, Schwarz!

Du bist in der Wirklichkeit, so viel ich dich kenne, ihm in nichts gleich, aber jeder kann hier aus eine oder die andere Weise straucheln ...

Gustav richtete seine verschwommenen Augen auf Augustinowicz, zuckte die Achseln und fuhr fort:

– Dieser Mensch ist gar eigentümlich organisiert. Ich sage dir: er ist eine Kollektion aller möglichen Fähigkeiten bei niedrigem Charakter, erhabener Gelüste bei gemeinen Handlungen – ein ewiger Zwiespalt! Es ist in ihm nie ein Gleichgewicht zwischen dem Streben und der Kraft – er zersplittert sich daher auch.

Indessen hatten sich Schwarz einige Bekannte genähert; beim Glase wurde das Geplauder allgemein. Schwarz zog nähere Erkundigungen betreffs der Universität ein.

– Ihr lebt alle miteinander?

– Das ist untunlich – erwiderte einer der Litauer.

– Es gibt hier Leute mit den allerverschiedensten Begriffen und deshalb auch mannigfache Koterien.

– Das ist schlimm.

– Nicht so arg! Ich lasse die Einheit gewisser höherer Ziele gelten; die Einheit im kollegialen Leben ist aber eine Unmöglichkeit, es würde also zu nichts führen, sie anzustreben.

– Und die deutschen Universitäten?

– Auch dort sind Vereine oder Verbindungen, die nur für sich leben. Das Gefühl- und Gedankenleben sollte wenigstens bei uns mit dem praktischen Leben in Einklang sein, denn die Verschiedenheit des ersten erzeugt die Verschiedenheit des zweiten.

– Ihr vereinigt euch also nie?

– Das ist wieder was anderes. Wir einigen uns in Universitätsinteressen – oder sonstigen, die alle betreffen. Ich denke übrigens, dass die Gegensätze, auf die du hier stößt, unsere Lebensfähigkeit bezeugen; – sie sind ein Beweis, dass wir leben, fühlen und denken. Darin besteht unsere Einheit: – was uns trennt, vereint uns.

– Unter welcher Fahne steht ihr also?

– Unter der Arbeit und der Not. Wir führen nicht unsern Namen. – Die Bauernfreunde nennen uns Bäckerjungen.

– Wie?

– Ja wohl. Das Leben wird dich die Bedeutung lehren. Jeder von uns bemüht sich in einem Hause zu wohnen, in dem ein Bäcker wohnt, mit ihm bekannt zu werden und sich Kredit zu verschaffen Das ist unser Aushilfsmittel; – Vertrauen haben wir. Die Majorität unter uns isst nichts Warmes – aber Semmel auf Pump erhältst du, so lange du willst.

– Das ist heiter!

– Ja wohl, heiter! Außer unserer Koterie, die kein besonders enges Band zusammenhält, gibt's hier Bauernfreunde; Antoniewicz hat den Verein gegründet und ausgebildet – Rylski und Stanzkowski standen zeitweise an der Spitze – jetzt sind's Narren, die selbst nicht wissen, was sie eigentlich wollen: – sie sprechen kleinrussisch und trinken Fusel – das ist alles.

– Welche Koterien find denn noch da?

– Klar begrenzte gibt's keine mehr, wohl aber mannigfache Nuancierungen. Die einen verbindet die Gemeinsamkeit der wissenschaftlichen Ideen, die anderen die gleiche gesellschaftliche Stellung. Du findest hier Aristokraten, Demokraten, Ultramontane und Liberale, übrigens auch Zechbrüder, Weibernarren, Pflastertreter, wenn du willst und endlich auch fanatische Arbeiter.

– Wer gilt hier für den allertüchtigsten Kopf?

– Unter den Studenten?

– Natürlich.

– Je nach dem Fache. Einige sagen, Augustinowicz wisse viel – ich füge hinzu nicht gründlich. Durch gewissenhaftes Studium, wobei alles wie aus einem Gusse kommt, zeichnet sich Gustav aus. – Ah!

– Nur spricht man von ihm gar vieles. Einige können ihn nicht leiden. Da du mit ihm zusammenwohnst, wirst du ihn am besten beurteilen ... So zum Beispiel das Verhältnis mit der Witwe? Eh! Exaltation und nichts weiter: ein anderer würde so nicht verfahren Es ist übrigens wahr, dass es mit ihr keine leichte Aufgabe ist.

– Ich hörte Gustav von ihr sprechen – so sage mir doch einmal, wer und was sie denn eigentlich ist.

– Es ist eine junge, uns allen wohlbekannte Person. Sie hat traurige Schicksale durchgemacht. Sie liebte ehedem den Juristen Potkanski und soll ihn rasend geliebt haben. Ich entsinne mich dieser Zeiten nicht – Potkanskis erinnere ich mich noch. Es war ein fähiger, ungeheuer reicher und arbeitsamer Junge, zu seiner Zeit der Abgott der Kollegen. Wie er die Witwe kennen lernte – ich weiß es nicht, man erzählt's verschieden; – das ist aber gewiss, dass sie beide sterblich in einander verliebt waren. Sie zählte damals nur achtzehn Jahre. Endlich beschloss Potkanski, sie zu heiraten! Es ist fast nicht zu beschreiben, was die Familie alles anstellte, um dies zu verhindern, aber Potkanski – ein energischer Kerl, behauptete was er sich vorgenommen und ließ sich mit ihr allen Hindernissen zum Trotze trauen. Sie lebten miteinander ein Jahr. Da erkrankte er plötzlich am Typhus und starb, sie gleichsam auf der Straße zurücklassend, denn die Familie nahm das Vermögen an sich. Ein schon lebendes Kind starb auch bald – sie blieb allein und wenn Gustav nicht gewesen wäre – wäre sie gänzlich zu Grunde gegangen.

– Was tat Gustav?

– Er tat Wunder. Mit seinen elenden Mitteln belangte er die Potkanskis gerichtlich – Gott weiß, ob er den Prozess gewonnen hätte, denn es ist eine Magnatenfamilie – er erwirkte aber so viel, dass sie, um den Skandal zu vermeiden, sich verpflichteten, der Witwe eine gewisse winzige Pension bis zum Tode zu zahlen.

– Er hat sich als Meister gezeigt!

– Bah, bah! Ein Mordkerl, welche Energie! – Bedenke, dass er damals erst kaum ein Jahr auf der Universität war, ohne Bekannte in einer fremden Stadt, ohne Mittel; aber so geht's mein Lieber: der Reiche kann sich Rat schaffen, der Arme muss.

– Aber welche Verpflichtungen hatte er ihr gegenüber?

– Er war der Freund Potkanskis, doch das ist nicht genug; – er liebte sie, heißt's, ehe sie Potkanskis Frau wurde, – hielt sich aber ferne; jetzt macht er daraus kein Geheimnis mehr.

– Und sie?

– Eh! eh! Sie ist, seit ihrem Unglücke in eine völlige Erstarrung verfallen – sie ist einfach verrückt. Sie weiß nicht, was mit ihr geschieht – sie ist für alles abgestumpft:

– du wirst sie übrigens sicher hier sehen, denn sie kommt täglich hierher.

– In welcher Absicht?

– Ich sage es ja – eine Närrin Es heißt, sie habe Potkanski zum ersten Male in der Kneipe gesehen – nun glaubt sie nicht, dass er gestorben sei und sucht überall nach ihm, die Närrin! – In der Tat, wenn er auferstehen sollte und nicht gradeaus zu ihr ginge, würde sie ihn sicherlich nirgends als hier finden. Hat vielleicht rufen wir ihr Potkanski zurück, es kamen viele junge Leute zu ihnen.

– Dass ihr aber Gustav erlaubt herzukommen? ...

– Potkanski hätte es nie gestattet ... aber Gustav – der verbietet ihr nichts.

– Wie behandelt sie ihn?

– Wie einen Tisch, einen Sessel, einen Teller oder einen Knäuel Zwirn. Sie scheint ihn gar nicht zu bemerken, weicht ihm aber auch nicht aus – immer gleichgiltig, apathisch. – Es nagt wohl an ihm, doch das ist seine Sache ... Ah! da ist sie! die da rechterseits eintritt. Als die Witwe eintrat, wurde es etwas stiller: der Eintritt dieser geheimnisvollen Gestalt machte immer einen – gewissen Eindruck Sie war mehr als mittlern Wuchses, hager, hatte ein längliches Gesicht, hellblonde Haare und dunkle Augen, ihre wenn auch magern Schultern ebenso wie der Busen besaßen die abgerundete Formenfülle der Jungfrau. Aus der kaum bemerkbar nach hinten gebogenen Marmorstirne lag Ernst und Trauer. Die tief unter der Stirne wie im Schatten gelegenen Augen umwölbten in feiner Zeichnung die dunklen Brauen. Ihre Augen waren wunderbar: von Stahlfarbe, glänzten sie wie polierter Stahl und reflektierten einen gleichen Schein. Es war ein Licht und sonst nichts, diesem Glanze fehlte die Wärme und die Tiefe des Gedankens. Man konnte von diesen Augen sagen: sie schauen, aber sie sehen nicht. Sie stellten nicht das Bild des Gegenstandes dar, sie reflektieren es bloß. Es lag in ihnen eine nicht zu beschreibende Kälte und fügen wir noch hinzu, dass ihre Lider fast nie zuckten oder blinzelten und die Pupille sich immer in einer gewissen Bewegung, einer forschenden, spähenden, suchenden und doch mechanischen befand. Der Rest des Antlitzes entsprach bei der Witwe den Augen, die Lippen waren wie bei einer Statue etwas nach abwärts gebogen und die gleichförmig mattblasse Hautfarbe hatte eine etwas bräunliche Schattierung. Sie war, weder hübsch noch niedlich, sie war nur regelrecht schön. Das aber war an ihr wunderbar, dass wenn sie auf dem Gesichte wie abgestorben erschien, sie in ihrer ganzen Gestalt ein Etwas besaß, das die Männerwelt unsäglich anzog. Es bildete dies bei ihr einen besondern Reiz. Sie war wenn auch im höchsten Grade eine Statue, doch auch im höchsten Grade Weib. Sie zog an und stieß ab. Gustav fühlte dies am meisten. Es war schwer, all dies mit dieser kalten Totenstarre in Einklang zu bringen, so dass das von ihr erweckte Gefühl nicht von ihr auszugehen, ja ihr völlig fremd zu sein schien. Es war gleichsam eine eingeschläferte Blume; der Schmerz hatte sie in Schlaf versenkt. In der Tat waren die erlittenen Geschicke Axtschläge aufs Haupt. Erinnern wir uns, dass auf dem Wege dieses Weibes am Ende der kurzen Augenblicke des Glückes zwei Särge standen. Als Jungfrau wusste sie zu lieben, – der, den sie liebte, lebte nicht mehr; als Frau und Mutter gebar sie ein Kind – es starb. Was ihr Rechte gab, was die Ursache und Folge ihres Lebens war, ging zu Grunde. Nun hörte sie zu leiten auf – sie existierte nur. Denken wir uns eine Pflanze oben und unten beschnitten – das war sie. Der Vergangenheit und Zukunft beraubt, trug sie anfangs in sich einen matten Begriff der ihr zugefügten ungeheuern Unbill. Im ersten Augenblicke des Schmerzes warf sie – es ist schwer zu bestimmen wem – die wie der Abgrund bodenlose Frage hin: warum ist all das geschehen?! Es kam keine Antwort, weder von der Himmelsbläue noch vom Erdboden, weder vom Felde noch vom Walde: das Unrecht blieb Unrecht, – die Sonne leuchtete und die Vögel sangen wie früher. Darauf zog sich dies Unheil dringende Herz vom eigenen Weh zusammen und erstarrte. Es kam keine Antwort aber es kam der Wahn – da verlor sie den Glauben an den Tod des Mannes – sie dachte, er sei mit dem weinenden Kinde auf dem Arme wo hingegangen, müsse aber gleich heimkehren. Unfähig für jeden andern Gedanken, suchte sie ihn nun mit jener widerwärtigen, mechanischen Augenbewegung. Sie ging in den Klub, denn sie dachte ihn dort zu finden, wo sie ihn zuerst gesehen hatte. Zu ihrem Unglücke starb sie nicht. Es fand sich sofort ein starker Arm, der sie dem Wahne zu entreißen versuchte, eine Brust, die sie erwärmen wollte. Es war vergebene Mühe, aber sie rettete ihr das Leben. Die Liebe Gustavs, die sie wie mit Spinngewebe mit liebreicher Obsorge umgab, hielt sie auf der Erde fest. Seine Stimme rief ihr zu: »Bleibe!? und sie blieb, wenn auch in ihr kein Echo widerhallte – sie blieb, aber ohne Selbstbewusstsein passiv wie eine Sache, nicht wie ein menschliches Wesen.

So war die Witwe beschaffen Sie trat in den Saal und stand da an der Türe wie eine Statue von Stein – in düsterer Majestät. Im Klub war es vom Rauche dumpf und schwül; in der Luft zitterten noch die letzten Töne eines etwas frivolen und jovialen Liedchens Und auf diesem unreinen Grunde erblühete die Witwe wie eine Wasserblume auf trüber Welle. Es wurde stille. Man ehrte sie da – in ihrer Gegenwart war selbst Augustinowicz erträglich; einige erinnerten sich noch Potkanskis, die andern neigten das Haupt vor ihrem Unglücke; es gab auch solche, welche in ihr der Schönheit huldigten! Die Versammlung erhielt ein anständiges Aussehen. – Gustav rückte der Angelangten einen Sessel nahe, nahm ihr den warmen Schal ab und begab sich in die Ecke zu Schwarz, der eingenommen und überrascht seine glänzenden Augen auf sie richtete.

Gustav knüpfte mit Schwarz ein Gespräch an.

– Sie ist's! – sagte er halblaut.

– Ich verstehe.

– Tritt ihr nicht allzunahe. Die Arme! Jedes neue Gesicht bereitet ihr eine Täuschung – sie sucht immerfort den Gatten.

– Du kennst sie seit lange?

– Das zweite Jahr. Ich war als Zeuge und Brautführer bei der Trauung (Gustav lächelte bitter). Seit seinem Tode sehe ich sie täglich.

– Wassilkiewicz sagte mir, dass du ihr hilfreiche Hand leistest.

– Ja und nein; jemand musste doch für sie Sorge tragen, so tat ich's; aber es war auch darnach. Mache was du willst, arbeite, laufe, renne – Not bleibt Not! Man möchte manchmal verzweifeln

– Und die Familie?

– Welche? .

– Die seinige?

– Verunglimpft sie! rief Gustav heftig aus.

– Es sollen reiche Leute sein?

– Sie fügen ihr Unbill zu! Sogenannte große Herren! Frömmler – Wir sind noch nicht am Ende und sie werden das diesem Täubchen zugefügte Unrecht lange bereuen. Höre Schwarz! Wenn mich ein kleines Kind von diesem Geschlechte um ein Stückchen Brot, den Hunger zu stillen, anflehete – ich würde es eher einem Hunde vorwerfen!

– Empfindelei!

– Schwarz, du tust mir Unrecht! – Ich bin ein armer Teufel und verschwende keine Worte; aber Potkanski ist im Spitale kurz vor dem Tode etwas zum Bewusstsein gekommen und sagte: »Gustav, ich lasse dir meine Frau zurück, nimm dich ihrer an.« Ich erwiderte: »Ich nehme sie unter meiner Obhut!« Er fragte: »Du lässt sie nicht verhungern?« »Ich sagte ihm: »Gewiss nicht!« Er sprach wieder: »Lass es nicht zu, räche es, wenn ihr jemand Unrecht zufügen sollte« – Ich erwiderte darauf: »So wahr mir Gott und das Leben lieb ist, ich räche siel« Er erlosch dann wie eine geweihete Kerze » nun weißt du alles!

– Nicht alles! nicht alles, Bruder!

– Wassilkiewicz hat dir das Übrige gesagt. Es ist gut! Ich wiederhole dir dasselbe: Ich habe niemanden auf Erden – weder Vater noch Mutter – ich selbst plage mich Tag für Tag, mich bindet an das Leben (mit den Augen auf die Witwe zeigend) sie allein.

Da hatte nun der noch wenig erfahrene Schwarz Gelegenheit zu würdigen, was Leidenschaft ist, wenn sie in einem jungen Herzen ausflackert und Feuer ins Blut gießt. Der vertrocknete, zusammengekrümmte Gustav schien in diesem Augenblicke von Kraft und Leben zu strotzen – er erschien höher und männlicher, schüttelte das Haar wie der Löwe die Mähne – das Antlitz rötete sich.

– Nun, meine Herren! – begann Wassilkiewicz – die Stunde ist vorgerückt und nicht jeden erwartet der Schlaf, wenn er von hier geht. Also noch eines unserer Lieder und dann rufen wir »gute Nacht!«

Der am Klavier sitzende Jüngling mit dem Mädchengesichte schlug einige bekannte Akkorde an, und bald ertönte, anfangs von einigen Stimmen, dann vom ganzen Chore das der studierenden Jugend so angenehme – »Gaudeamus«. – Schwarz näherte sich mehr als die anderen dem Piano. Er stand seitwärts von der Witwe abgewendet im Schatten, aber eine an der Wand hängende Lampe übergoss sein Profil mit einer Feuerlinie. Nach einer Weile fiel das Auge der Witwe auf diese Linie, sie ängstlich mit ihren eigenen Gedanken verbindend: plötzlich erhob sie sich blass wie Marmor, mit einer fieberhaften Glut in den Augen – streckte den Arm aus und rief:

– Mein Kazimir, ich habe dich wiedergefunden!

– In ihrer Stimme hörte man Hoffnung, Bestürzung, Freude, Wiedererwachen! – Es wurde still. Die Augen aller hefteten sich auf Schwarz und denen, die Potkanski gekannt hatten, rieselte ein Schauer durch die Glieder. Im Lichte wie im Schatten war die hohe, kräftige Gestalt gleichsam ein Abdruck Potkanskis.

– Ich hatte es nicht bemerkt, – brummte Gustav mit Tagesanbruch heimkehrend – hm! es ist vorbei, aber sie fieberte! ... Er ist ihm wirklich ähnlich ... Zu allen Teufeln! ... Der Stickhusten setzt mir heute mehr als sonst zu.


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