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Das Korn auf den Feldern des Wiesenhofes schreitet der Ernte entgegen, wie ein junges Weib der Zeit ihrer Reife. Die Kornähren beugen sich vor dem frischen, fruchtbaren Wind, der von den südlich am Fjord gelegenen Höhen kommt, beugen sich, wie des Weibes Haupt, wenn eine weiche Hand ihr über das Haar streicht. Und das Korn hebt schmachtend und sehnsüchtig sein Haupt dem Sonnenkuß entgegen.
Im Licht und dem wunderbaren Sommerwinde wächst das Korn empor. Der Roggen ist natürlich der erste. Sein Stroh saugt die blanke Sonne in sich hinein und färbt sich schon gelb. Es ist der Monat des Korns. Die Wiesenblumen sind gemäht und stehen in Haufen mit dem Heu. Das Korn beherrscht das Land. Nur Ochsenzunge und Taubenkropf, von denen es an den trockenen Grabenrändern wimmelt, ziehen ein buntes Band um die gelben und grünen Vierecke.
Und dann blickt hier und da eine Kornblume hervor, wie ein Auge, das sommerlich lächelt.
Und ein roter Mohn glüht festlich zwischen all dem nützlichen Stroh.
Es ist auch ein Monat, so recht geeignet zum Fest: und es ist Sonntag.
Mitten am Tage ist es so still und sommerwarm, daß das Vieh der Wiesen hinauswatet am Strand, um sich dort ein wenig abzukühlen. Auf einer Landzunge im Fjord haben viele Halt gemacht; ihr buntes Fell spiegelt sich, so glatt ist die Oberfläche des Wassers. Und so unbeweglich stehen die Tiere in der sonnendurchtränkten Luft, daß das Ganze wie ein lichtschimmerndes Bild wirkt.
Später erhebt sich der Wind. Die Fahne wird gehißt auf dem Festplatze im Hallumer Wäldchen. Sie kann ringsumher gesehen werden und lockt mit ihren bescheidenen Farben die Menschen der ganzen Gegend zu sich heran, lockt vor allem die Jugend durch ihre Unschuld und ihr flammendes Rot. Die Wege sind angefüllt mit Wagen und Radfahrern.
Sara kommt erst spät, da es daheim viel zu tun gab. Mit einer Jacke auf dem Arme zeigt sie sich an der Krümmung eines Fußsteiges, der auf den Festplatz hinaus mündet; sie beeilt sich. An der Mündung des Waldweges hält sie einen Augenblick inne, rot und warm und erregt. Sie trägt das weiße Waschkleid; eine dunkelrote Rose hat sie auf der linken Seite befestigt, und auf dem schweren goldigen Haar sitzt ein englischer Hut.
Im Nu hat sie alles in sich aufgenommen: die Flitter und Glasperlen auf dem rundgespannten Theateratlas des Karussells, die Polkatöne von der Estrade drüben, das Klingeln der Kraftprobe, begleitet von dem Rufe: »Herkules!« – alle diese Eindrücke, die zusammen dem Volksfeste den bestimmten Charakter verleihen.
Der Anblick all dieser Dinge spiegelt sich auch in ihrem Gesichtsausdruck wider. Aber im Grunde bleibt sie ruhig; ihr Blick und ihr stilles Lächeln erzählen von einem inneren Reichtum, der allen äußeren Festglanz weit überstrahlt. Sie trägt einen Schatz in ihrem Herzen und sie weiß es.
Zur Linken steht Anders' Verwandte, das dunkle Mädchen, das auf dem Winterball ein weißes Alpakkakleid trug. Heute trägt sie ein grünes Wollkleid mit reichem Seidenbesatz und einen breitrandigen schiefen Hut. Sie spricht mit dem Verwalter von Hallungaard und ritzt dabei auf dem Erdboden Figuren mit ihrem hübschen hochspannigen Fuß.
Als sie Sara gewahr wird, beobachtet sie sie scharf. Aber Sara macht sich nichts daraus; sie ist merkwürdigerweise nicht mehr ängstlich beim Anblick dieses hübschen und flotten Mädchens aus Anders' Verwandtschaft.
Sara wendet sich den Tanzenden zu, wo Anders Ellen von Vadgaard herumschwenkt; sie erkennt Ellens schweren gelben Nackenknoten. Und auch das beunruhigt Sara nicht, obgleich Ellen sich dicht an ihn drängt. Sara lächelt nur zuversichtlich.
Es dauert auch nur wenige Minuten, da führt Anders sie zum Tanz; seine hellen Locken und ihr dunkelrotes Haar vermischen sich, während sie sich drehen und zwischen den anderen hindurchschlängeln.
Nachdem sie ohne Unterbrechung drei, vier Tänze miteinander getanzt haben, gehen sie zusammen mit Ellen und Anders' Verwandte an einen Tisch, der frei unter überhängenden Zweigen steht, um etwas Erfrischendes zu sich zu nehmen.
Unterwegs messen die Damen gegenseitig ihren Putz. Ein Kreuzfeuer von Blicken ergießt sich über Posamenten- und Seidenbesatz, Silberketten und Goldarmbänder; es funkelt von hastigen Blicken.
Aber da ist noch soviel anderes, das die Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.
Ein 17jähriger Bursche in viel zu großen Stiefeln und ein 16jähriges Mädchen mit schief sitzendem Hut taumeln seltsam haltlos aus dem Tanzsaal heraus; sie halten sich an der Hand. Er will indessen wie ein richtiger Kavalier auftreten und ergreift des Mädchens Arm. Aber er tut es so ungeschickt, daß es ganz komisch wirkt; sie verstehen nicht, miteinander zu gehen.
Am Tische drüben lachen sie, leise und erfahren, über das allzu junge Paar, das im größten Ernst an ihnen vorbei über den Platz schreitet.
Plötzlich blitzt eine rote Seidentaille auf; es ist eine der Töchter von Skovlund.
»Guck die 'mal an,« sagt Anders' Verwandte. »Die magst du wohl leiden, wie?«
Anders schüttelt den Kopf.
Die Tochter von Skovlund sendet ihm aus der Ferne einen langen Blick.
»Aber sie mag dich, das ist keine Frage.« Und sie sowohl als Ellen kichern.
»Hast du nun nicht trotzdem ihr ein bißchen den Hof gemacht?« fragt die Verwandte kokett.
Anders schüttelt abermals den Kopf, lächelt aber dabei.
»Doch du!« sagt Ellen, kneift die Augen zusammen und bewegt den Kopf, als wolle sie sich in Anders' Herz hineinbohren.
Aber Sara sitzt so ungezwungen da und blickt so einfältig um sich, und in ihren großen blauen Augen ist ein so sicherer Glanz.
Ein Stück von ihnen entfernt steht eine Gruppe junger Leute; die Mädchen klammern sich fest aneinander, Arm in Arm. Die Burschen dagegen stehen einzeln und wiegen sich in den Hüften, während sie mit den Mädchen sprechen. Das Ganze sieht so unschuldig aus. Es wird kein Gewicht gelegt auf das, was man spricht. Aber sie sind vergnügt über dieses Nichts, so glücklich zu existieren, heute einen freien Tag zu haben, einer in des anderen Nähe zu sein, dicht beieinander – die flinken Burschen und die prächtigen hellgekleideten Mädchen. Danach haben sie sich gesehnt am Werkeltag daheim. Nun sind hier so viele versammelt, und eines ermuntert das andere. Sie brauchen sich nur anzusehen, dann zündet es schon. In Hunderten von Augen rings umher flammt es auf wie ein großes Feuer der Jugendfreude.
Darum ist hier heute ein Fest.
Plötzlich ertönt von der Musiktribüne her ein flinker Galopp. In all den jungen Körpern gibt es einen Ruck; das Gespräch verstummt, und sie horchen erwartungsvoll. Sie leben in den Tönen. Für sie besteht das Leben eben aus Tönen.
Dieser Festplatz ist wunderbar. Es ist ein Laubsaal, den die Natur inmitten der Kornfelder errichtet hat, durchleuchtet von Gottes Sonne. Und nichts wirkt derartig auf das junge Gemüt als Hornklänge im Walde; sie sind Traum und Sehnsucht.
Drüben am Tisch, wo das Licht in den Gläsern funkelt, empfinden sie dies alles, während sie aus voller Brust die zitternde Luft einatmen.
Als bald darauf Saras Walzer gespielt wird, erhebt sich Anders und sagt beinahe feierlich: »Wollen wir beide den tanzen?«
Sara folgt ihm, überreich. Und demütig in ihrer Freude, denkt sie einen Augenblick an die beiden, die zurückbleiben müssen.
Aber diese lästern, als sie geht.
Sara ist gewachsen, sie ist gereift, sie ist nicht mehr so lebhaft wie früher, sondern stiller und innerlich tief glücklich.
Dann tanzen Anders und Sara ihren Walzer miteinander.
Sie lehnt sich vertrauensvoll an seine Schulter; sie schmiegt sich in seinen Arm, und er führt sie beschützend und mit ritterlicher Sorgfalt. Es ist fast, als wären es nicht zwei Wesen, sondern nur eins, so bewegen sie sich eng umschlungen nach dem Takt und den Tönen in rhythmischem Rausch. Sie genießen seine ganze Seligkeit. Immer, höher steigen sie in schwebender Luft; alles andere wird in weite Fernen gerückt, klein, irdisch; sie aber empfinden eine hohe und himmlische Freude, und sie haben einen unirdischen Ausdruck; sie lauschen feinen und seltsamen Klängen.
Die weichen Sommernachtsschatten senken sich herab.
Paarweise verschwinden die Jungen vom Festplatz hinein in den Wald; sie spazieren ein Weilchen herum und unterhalten sich gedämpft an dem warmen Abend. Oder sie schreiten fast schweigend dahin. Sie gehen nur zusammen in der hellen Nacht. Rings umher, ganz weit drinnen, sieht man sie zu zweien zwischen den Baumstämmen, schweigsam und träumend.
Auch Anders und Sara entfernen sich; auf dem Waldweg tastet er nach ihrer Hand; sie gibt sie ihm so zuversichtlich und treu.
Sie weiß, es ist fürs Leben.
Wohin sie kommen, gehen zwei und zwei, und auf jeder Bank sitzt auch ein Paar.
Sie gehen immer weiter. Der Festlärm erstirbt mehr und mehr, je weiter sie sich entfernen.
Als sie aus dem Walde heraustreten, leuchtet der Mond klar und golden auf sie herab, und die beiden sind allein.
Sie schreiten am Grabenrand entlang, von wo die Minze süß und würzig ihnen entgegenduftet. Sara schürzt ihr weißes Kleid, damit es vom Grase nicht naß wird.
Sie biegen ab am Sumpf, wo das Schilf steif und aufrecht steht und nur die weichen Schilfblütenbüschel sich im leisen Luftzug regen, wohl auch eine einsame Rohrdommel durch die Stauden huscht.
Die Luft ist lau und so lockend. Sie setzen sich an den Rand eines Gerstenfeldes. Die saftige breitblättrige Gerste steht dicht und hängt voll schwerer Tautropfen.
Es braut und wächst der Ernte entgegen rings um sie herum.
In diese Stille der Nacht hinein haucht Sara.
»Daß wir beide so glücklich sein sollen.«
»Ja,« flüstert er und küßt sie.
Sie sinkt an seine Brust, zärtlich und unterwürfig.
Endlich sind sie zu Hause angelangt, und wie wenn es ganz selbstverständlich ist, geht er mit ihr hinein in ihre Kammer und bleibt da die ganze Nacht.