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Maren, die Wiesenhofbäuerin, bewacht die Jungen wie ein Adler. Maren stand von jeher hoch oben; ihre Gedanken und Wege lagen weit über dem Gewimmel der kleinen Leute und der Bergbewohner; sie hat eine stolze Gesinnung gehabt, sie und ihr ganzes Geschlecht. Seit langer Zeit schon lebten diese Leute unter der Verantwortung für das Geschlecht; der einzelne konnte für sich kein Recht beanspruchen, viele haben sich gewunden unter den Rädern, damit der Stammeswagen in großem Glänze weiterfahren könne. Jetzt weiß sie nicht so recht, wie es zugeht; es sind mehrere Höfe da, wo man schwach war. Sie wird auf jeden Fall Wache halten und ihr Nest schirmen vor fremden Vögeln und fremdem Blut.
Sie dachte sich ja wohl, daß es für Anders nur eine Spielerei sei, aber daß es eine schwierige Sache ist, mit dem Feuer zu spielen, das weiß sie auch.
Daher bewacht sie auch die Jungen wie ein Adler, der nimmer ruht.
Doch nichts ist so wachsam wie junge liebende Augen; zwischen ihnen fliegen so eilige Boten, daß niemand sie hindern kann.
Indessen sind Anders und Sara nie mehr recht lange zusammen. –
Dann, eines Abends kommt Ellen, die blonde Tochter von Vadgaard, zum Besuch.
Wenn Sara an der Küchentür lauscht, kann sie Ellens Stimme drinnen hören; die hat einen so hellen Klang und ist so voller Freude, scheint ihr. Anders spricht leiser, aber sie kann sich wohl denken, daß er solch stille Worte sagt, die sich so herrlich anhören. Sara seufzt.
Sie hört Ellen lachen. Sie versucht, durch die Türspalte zu sehen, die einen senkrechten Lichtstreifen hervorbringt, aber sie kann nichts sehen. Vorsichtig, damit niemand sie sieht, geht sie hinaus in den Hof, blickt sich um und schleicht an der Hausmauer entlang bis zu den erleuchteten Fenstern.
Niels, der Bauer, ruht sich aus im Lehnstuhl neben dem Sekretär; er schlummert. Maren sitzt an ihrem gewohnten Platz vor dem Nähtisch. Sie ist wach und aufmerksam, tut aber, als bemerke sie die Jungen gar nicht, die an einem runden Tische unter der Hängelampe sitzen.
Sara kann natürlich nicht verstehen, wovon die Jungen sprechen; das ist vielleicht auch gleichgültig. Es ist mehr die Art und Weise, wie sie sich in die Augen sehen, die etwas zu bedeuten hat.
Welch ein hübsches Mädchen Ellen im Grunde ist, die Haut so fein, die Farbe so klar, so rot und weiß. Sara seufzt und denkt an ihre Sommersprossen.
Ellen sieht glücklich aus. Das ist kein Wunder, so gemütlich wie sie dasitzt und so dicht neben Anders.
Aber Ellen hat nie ihre Hand in sein blondes Haar vergraben und die Locken durch die Finger gleiten lassen. Und Ellen hat nie einen Kuß auf seine roten gewölbten Lippen gedrückt.
Anders und Ellen plaudern weiter. Mit lächelndem Munde horcht sie seinen Worten. Und dann lacht sie leise ...
Da mit einem Male ist es Sara, als müßte sie umsinken. Alles dreht sich, und sie weiß nicht, ob sie fest auf dem Erdboden steht – ihr ist nämlich, als betrachte Anders Ellen genau so, wie er sie betrachtet hat, wenn sie allein beisammen waren.
Sie greift nach einem Halt.
Aber nun steht Ellen auf, um sich zu verabschieden, und Sara eilt in die Küche hinein. Von dort aus sieht sie nach einer Weile, daß Anders Ellen zum Tore hinausbegleitet. Und da fährt sie durch das Brauhaus, vorbei an Fässern und Wannen und zur Tür hinaus, ohne nach links oder rechts zu sehen, wie angezogen von einem heimlichen Magnet.
Es ist trübes Wetter, und sie sieht die beiden wie Schatten in der dicken Luft verschwinden. Sie folgt ihnen in bestimmtem Abstande, aber so, daß sie sie während der ganzen Zeit sehen kann. Nicht einen Augenblick läßt sie sie aus den Augen; ihr Blick ist starr auf die beiden gerichtet, wie sie sich bewegen und wie dicht sie zusammengehen. Sie beugt den Kopf vornüber, als wirke der Magnet durch den Blick. Die Füße kümmern sie nicht; sie gehen von selber über Stock und Stein und gepflügtes Land.
Die beiden kommen an einen kleinen Graben, eigentlich nur eine tiefe Furche; am besten überschreitet sie jeder für sich, aber Anders hebt Ellen hinüber; das ist gar nicht notwendig. Die beiden Schatten gleiten in einer Umarmung ineinander, und als sie drüben sind, bleiben sie so stehen, dicht aneinander geschmiegt.
Da spürt Sara einen heftigen Schmerz in ihrem Herzen. Sie hat sich währenddem in eine Furche gelegt, um nicht gesehen zu werden.
O – wie das schmerzt, an einer Stelle, wo sie noch nie vorher einen Schmerz gespürt hat, so tief und so weit drinnen in ihrer Brust.
Sie läßt die beiden nicht aus den Augen. Sie legt sich hin, duckt sich, steht auf, ohne selber etwas davon zu wissen, und ohne den Blick von ihnen, zu wenden.
Sie gehen weiter, Hand in Hand.
– – – So, genau so, gingen sie und Anders diesen Sommer auch, wenn sie von der Schilfwiese heimkehrten.
Wie falsch er doch im Grunde war! Wie wollte sie morgen mit ihm reden! Ihm so recht sein eigenes Bild vorhalten! – Sie ist sehr zornig.
Aber es hält nicht lange an. Dies hier lag jenseits allen Zornes, war viel ernsthafter. Wenn das Feld vertrocknet, wird man nicht böse; man grämt sich darüber, daß kein Leben mehr darin ist, daß es welken muß, weil es gar nicht anders sein kann. –
Die beiden dort, die sich an der Hand hielten, waren glücklich, ihnen war alles Keimen und Sprossen.
Sara zürnt nicht. Sie liebt ihn, sie fühlt, daß sie ihn noch nie so innig geliebt hat wie jetzt, wo er dort fern von ihr geht mit der Hand einer anderen in der seinen.
Aber es tat so weh, so weh. Es war so furchtbar traurig.
Die beiden Schatten vor ihr stehen still und fließen abermals ineinander.
Und Sara läßt die Augen nicht von ihnen. Es liegt gleichsam eine Art Genugtuung darin, den Kelch bis zum letzten bittren Tropfen zu leeren.
Sie durchqueren einen Kartoffelacker und sind ganz dicht an Vadgaard. Sara hält sich so weit wie möglich im Hintergrunde.
In der weißen Giebelwand des Vadgaarder Gebäudes ist eine Tür. Sie hört, wie diese leise geöffnet wird, und sie sieht sie beide dort hineingehen. Und dann hört sie die Tür ins Schloß fallen.
Im selben Augenblick weiß Sara, daß sie diesen Laut ihr Leben lang hören, wird, sollte sie auch noch so alt werden.
Sie schleicht mehrere Stunden lang um die Vadgaarder Gebäude herum, aber es ist nichts zu hören und nirgends ein Lichtschimmer zu erblicken.
Und nachdem sie lange genug dagestanden und die Tür in dem weißen Giebel angestarrt hat, kehrt sie um. Sie ist wie erstarrt, und gleich einer Schlafwandlern schreitet sie heim. Sie legt sich aufs Bett, aber sie schläft nicht. Es ist, als atme sie nicht; ihre Seele ist nicht gegenwärtig. Den ganzen Abend erlebt sie in Gedanken noch einmal von Anfang bis zu Ende, alles, was sie gesehen und gehört hat. Sie beeilt sich nicht.
Und wenn sie damit fertig ist, fängt sie wieder von vorne an.
Sie hört wohl jemand draußen gehen im Flur; aber es ficht sie nicht an; sie ist nur da für ihre eigenen Gedanken.
Als Maren in ihrer Kammer steht mit einem Lichte in der Hand, blickt sie sie wohl an, aber das ist auch alles. Und so schrecklich sieht sie aus, so unglücklich ist ihr Blick, daß Maren, die Wiesenhofbäuerin, dieses starke Weib, sich rückwärts zur Tür hinausschiebt, ohne ein Wort zu sagen.
Sara beginnt von neuem die Begebenheiten des Abends durchzudenken, und sie verweilt bei jeder Einzelheit, bis sie begreift, daß alles Wirklichkeit ist.
Aber sie weint nicht. Dazu sitzt der Kummer viel zu tief drinnen. Einmal wird es wohl noch kommen.
Sie steht auf und begibt sich an ihre Tagesarbeit, ohne ein Auge geschlossen zu haben.
Als sie im Laufe des Vormittags Anders sieht, geht sie auf ihn zu und fragt:
»Wo warst du gestern abend?«
»Oh – ich begleitete Ellen Vadgaard heim!« antwortet er und tut ganz gleichgültig.
Aber nachdem er gesehen hat, wie Sara aussieht, und sie ihm sagt, daß sie alles weiß, errötet er und sieht sie tiefbetrübt an.
Es liegt so viel Wärme in seinem Blick, scheint ihr, und in ihrem Innern jubelt es:
»Er liebt mich trotz alledem!«
In diesem Augenblick ruft Maren, die Wiesenhofbäuerin, sie herein.