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Medschlis = Kapitel.
Subhâmallàh. Subhâmallàh = Gott sei gepriesen!
Schon begann die Nacht die Erde der Gläubigen mit ihrem dunklen Schleier zu bedecken. Mein Grautierchen, das die Last meines Leibes schmerzlich empfand, ließ die Langohren betrübt herabhängen und trottete vor sich hin, in Nachdenken versunken über die Pflicht des Fleisches.
In die letzten Sonnenstrahlen getaucht erglänzte am Horizont die Kuppel der Aja Sophia, und die schlanken Türme der Minaretts ragten wie Allahs Finger in den Himmel: – gebietend – drohend – und einladend zum Gebet. – – – –
Mein Grautierchen schrie aus der Tiefe seiner Eselsbrust, es witterte Menschen und einen schützenden Stall, Atzung und Wasser. Und wahrlich, Allah wies uns den rechten Weg, denn bald hielten wir vor einer großen Karawanserei, wo allerlei Volk sich tummelte und ein Geschrei sich erhob, wie auf einem Marktplatz, wenn die Händler um ihre Waren feilschen und die Tiere zur Tränke getrieben werden.
Inzwischen war der gespaltene Mond als Wächter der Nacht am Himmel erschienen und beleuchtete mit seinem zitternden Licht nur spärlich, was sich vor dem Tore des Gasthauses und auf dem freien Platze zutrug. Hier drängten sich um einen Brunnen unkenntliche Schattengestalten von Menschen und Tieren, die, von des Tages Glut ausgedörrt, nach dem Labsal des süßen Wassers schmachteten und durch Rufe in verschiedenen Mundarten um ein Vorrecht stritten, das der Allerbarmer keinem gegeben. Auch die Tiere schrieen und blähten die Nüstern, um zum Ausdruck zu bringen, daß auch ihnen die Quellen der Erde gehörten, ebenso wie den Gläubigen, denen der Schöpfer aller Dinge zum Wohle der Menschen und Tiere anvertraut, was er, der Herr aller Dinge, in sechs Tagen erschaffen.
Ein kräftig gebauter Stallknecht half mir von dem Rücken meines Tieres, mit dem ich durch die Länge des Rittes beinahe verwachsen war.
Nachdem ich mich vom Staube gereinigt und meinen Esel im Hofe gefüttert, getränkt und in einem kleinen Gewölbe zur Ruhe gebracht hatte, betete ich einige Verse aus der 40. Sure:
Allah ist's, der für euch die Nacht gemacht
hat, auf daß ihr in ihr ruhet, und
den Tag zum Sehen. Siehe, Allah ist
wahrlich voll Huld gegen die Menschen,
jedoch danken die meisten Menschen nicht.
Allah ist's, der euch die Erde zu einer
festen Stätte gab und den Himmel zu
einem Gewölbe, und der euch formte
und eure Form schön machte und euch
mit Gutem versorgte. Das ist Allah, euer
Herr, drum sei gesegnet Allah, der Herr
der Welten!
Er ist's, der lebendig macht und tötet,
und wenn er ein Ding beschlossen hat, so
spricht er nur zu ihm: »Sei!« und es ist.
Dann erhob ich mich und schritt zu dem Gewölbe jenseits des Hofes, wo das Nachtmahl verteilt wurde, ein Oellämpchen kennzeichnete den Eingang. In dem weiten Raum hockten auf geflochtenen Matten verschiedene Gruppen von Menschen, die sich, dem Stande nach oder zu einer Familie gehörend, zusammengefunden hatten und in deren Mitte sich jeweils eine große Schüssel befand. Ein Diener ging herum und füllte aus einer Kanne alle diese Speisenäpfe mit Reis und Hammelfleisch. Lautlos griffen die Gäste in die Schüsseln und aßen.
Als ich eintrat, wurde ihre Ruhe gestört, sie erkannten mich als das, wozu mich Allah bestimmt und murmelten vor sich hin. War es ein Gruß oder ein Fluch?!
Bescheiden ließ ich mich neben einen alten, ehrwürdig aussehenden Mann nieder, dessen zerrissene und fadenscheinige Kleidung keinen Hoffärtigen verriet und der, nachdem er sich gesättigt hatte, einem beschaulichen Kef Kef = die dem Türken eigentümliche innere Beschaulichkeit, die ihn veranlaßt, stundenlang träumend oder sinnend unbeweglich an einem Platze zu verbringen. ergeben war. Ich aß von dem, was der Diener in den vor mir stehenden Napf füllte und sprach den Alten mit üblichem Gruß also an:
»Sage mir, o Sohn des Weges Sohn des Weges = Wanderer., was hat die guten Leute in diesem Gewölbe veranlaßt, bei meinem Erscheinen mir unverständliche Worte zu murmeln, die nicht nach freudigem Willkommen klangen. Beinahe schien es mir, als ob sie fürchteten, der leibhaftige Iblis Iblis = Teufel. nähere sich ihnen, um aus dem Sack des Magens einen speienden Schlauch zu machen!«
Nach einer kurzen Pause erhob der Alte seinen hängenden Kopf von der Brust, stieß dreimal grunzend auf und redete zu mir gemessen und würdevoll:
»Allah akbar Allah akbar = Gott ist groß!, mein Freund und Bruder, deines Leibes Umfang und deiner Stimme Vogelgezwitscher gab uns zu erkennen, daß du ein Aga bist. Verzeih, auch du bist ein Mensch, aber kein Mann. Die Vorsehung hat dich der Zeugungskraft beraubt und dich zu einem Mittelding gemacht zwischen Mann und Weib, denn dir fehlt auch der Schoß des Weibes, der unsere Zeugungskraft verschluckt und nach Allahs Willen zu einem menschlichen Wesen formt. Hier ist der Raum der Männer und kein Haremlik, dein Platz ist an der anderen Seite des Hofes, wo die Frauen und Kinder speisen. Nun weißt du, was die Moslems veranlaßte, bei deinem Erscheinen zu murmeln. Im übrigen, mein Freund und Bruder, mich störst du nicht. Ich bin Ibrahim, der Märchenerzähler auf dem Platze vor der Karawanserei, wo ich am Freitag nachmittag über die versammelten Gläubigen das Licht der Vergangenheit ausschütte und die Seelen erquicke mit dem Born der ewige Schönheit bergenden Märchen aus entschwundener Zeit, der Weisheit perlenden Erzählungen und der kraftvollen, zur Nachahmung anspornenden Abenteuer unserer gesegneten Ahnen. Mir ist es gleich, ob du ein Aga bist oder ein Mann. Sieh, meine Haare sind ergraut, mein Leib ist verdorrt und siech, und meiner Hüfte Samenbäche sind vertrocknet. Ich bin ein Mann und doch wie du, ein Mittelding, wenn nicht durch Verschneidung und den Willen der Menschen, so doch durch die Last der Jahre und den Willen des Ewigen!«
Er räusperte sich und ließ seinen Kopf wieder langsam auf die Brust herab, um sein gestörtes Kef, frei von jeder irdischen Bedrückung, fortzusetzen.
Ich schwieg, denn ich wagte nicht zu entgegnen. Und doch empfand ich, daß jene Moslems, die mich für einen Uebertreter der heiligen Weltordnung hielten, vom Wege des Rechts abgewichen waren. Zwar bin ich weder Mann noch Weib, aber der Schoß meiner Mutter brachte mich mit dem Zeichen hervor, das als Schlüssel zur Zeugungspforte gilt. So hat mich Allah erschaffen, und die Menschen nahmen mir, was der Schöpfer gegeben. Nach dem Willen des Allmächtigen bin ich ein Mann, durch den Willen meiner Eltern ein Aga von Beruf, ein Wächter über Frauenreize und Frauentreue, der Hüter des Haremlik. Walillàhilhamd Walillàhilhamd = Und Gott sei gepriesen!, kein schlechtes Los ist mir beschieden, mein Leib ist wohl gerundet und meine Kleidung ist reich und schön, geschmückt mit allem, was das Auge blendet, und Altyn Altyn = Gold. und Gümüsch Gümüsch = Silber. klingen in meinem Beutel. Bin ich der Wächter der Frauen, die hier übernachten und speisen? Wer bezahlt diesen Dienst? Frei bin ich und jedes Herrn ledig. Mögen die Frauen und Kinder untereinander bleiben, mögen die Moslems in diesem Gewölbe ihre Ausdünstungen selbst durch die Nase ziehen, morgen früh suche ich mir einen schattigen Platz im Hofe und speise nach Herren Art. Dem Uschaq Uschaq = Diener. werde ich's reichlich lohnen! Mit frommem Nachtgruß erhob ich mich und ging zu meiner Lagerstätte. Der Alte nickte teilnahmslos und verfiel wieder in seinen unbeweglichen Kef. – – – – – – – – –
Als ich am nächsten Morgen durch den Lärm im Hause erwachte, war es noch früh am Tage. Meine Glieder schmerzten noch von dem langen Ritt, aber die Augen waren klar und der Magen verlangte gebieterisch, was ihm gebührt. Ich setzte mich auf einen Teppich in einer geschützten Ecke des Hofes und beobachtete das Treiben der Gäste. Das Haus war einstöckig mit einer vorspringenden gitterlosen Terrasse rings um den Hof. Unter der Terrasse befanden sich die Gewölbe, die teils zu Ställen, teils zu Gasträumen verwendet wurden. Von der Terrasse führten Türen zu den einzelnen Gemächern, die auch von einer Innentreppe betreten werden konnten. Auf dem Hofe tummelte sich ein bunt gemischtes Volk verschiedener Rasse, Türken, Tscherkessen, Griechen, Kurden und Neger mit Frauen und Kindern, letztere völlig nackt oder mit grellfarbenen Lappen bekleidet, die Frauen verschleiert oder nicht, je nach Glauben und Sitte. Am meisten Aufsehen erregte eine moslemitische Tscherkessenfamilie wegen der Schönheit ihrer beiden kaum dem Mädchenalter entwachsenen Töchter, von denen jede an Wuchs und Liebreiz einer Haura Haura = Einzahl von Huris, den Gattinnen der Moslems im Paradiese. Haura bedeutet Großäugige. des Paradieses glich. Der Vater, ein Riese von Gestalt, schien nicht mit Glücksgütern gesegnet, er machte den Eindruck eines Handwerkers oder Lastträgers, der auf dem Wege nach Stambul, wo er vielleicht lohnende Beschäftigung zu finden hoffte, hier einige Tage und Nächte rastete. – – – –
Der Uschaq brachte mir auf Verlangen, was ich begehrte, reichlich und wohlschmeckend, wie es sich einem Herrn von meinem Stande geziemt. Ich nährte meinen Leib mit Wohlbehagen und gedachte dankbar Allahs Gaben, die mir in so reichem Maße zuteil wurden.
Während ich mich den Freuden meines Morgenmahles mit Würde und – Allah sei Dank! – mit gesundem Appetit hingab, schleppte sich Ibrahim, der Märchenerzähler an seinem langen Stabe in den Hof. Kaum hatte er mich und mein üppiges Frühstück erblickt, als er seine müden Schritte zu mir lenkte, und um die Erlaubnis bat, auf meinem Teppich neben mir Platz zu nehmen. Mein Haupt neigend, begrüßte ich ihn und deutete durch Gebärde an, daß es mir eine Ehre sei, ihn neben mir zu wissen, denn mein Mund war am Sprechen verhindert, weil ich mich gerade bemühte, ein saftiges Stück gebratenen Fisches in den inneren Teil meines Leibes zu versenken.
Mit langen Blicken musterte der Alte die Leckerbissen, die vor mir und ihm aufgestellt waren. Seine Lippen zogen sich von Zeit zu Zeit zusammen, um das Wasser des Geschmacks, das seinem zahnlosen Munde zu entweichen drohte, zurückzuhalten, und seine Augen schielten verstohlen und scheu, fragend und staunend zu mir hinüber, als ob sie sprechen wollten: du bist der Fürst der Welt, ein Genießer von Allahs Gnaden.
Ich bin ein Moslem und kenne meine Pflichten. Der Allerbarmer hat durch den Mund seines Propheten – Allah gebe ihm die ewige Glückseligkeit! – verkündet: »spendet Almosen den Armen!« Und so lud ich meinen Tischgenossen ein, sich zu bedienen und seines Leibes Notdurft Genüge zu tun.
Der Alle wehrte stolz und würdig ab, dann aber griff er mit zitternden Händen nach den schönsten Stücken und verschlang sie mit einem Heißhunger, als ob er acht Tage nichts gegessen hätte. Während er mit seinem zahnlosen Gaumen die Speisen zerdrückte und die Leckerbissen vor mir wie durch ein Wunder rasch verschwanden, forderte er mich höflich durch die eine Hand, die ihm frei blieb, auf, nur eifrig zuzugreifen und mich zu bedienen.
Den letzten Kuchenfladen nahm mein Gast noch an sich, dann erhoben wir uns und schritten zum Tore hinaus, wobei der Alte mit Behagen und langsam, wie zum Abschied von einer schönen Sache, den Leckerbissen in seiner Hand verzehrte.
Vor dem Hause befand sich eine steinerne Bank, auf der wir Platz nahmen, um unsere Augen an dem Treiben der Wasserschöpfer und vorüberziehenden Wanderer, Reiter und Wagen zu ergötzen. Einer Völkerwanderung gleich schob sich die bunt durcheinander gewürfelte Menge, in allen Farben schillernd, drängend, schreiend und singend, auf der einen Landstraße vorwärts, die nach Stambul führt, dem Sitz des Kalifen, – der Hauptstadt der Welt.
Der Brunnen vor uns bot dasselbe Bild, wie ich es gestern abend im Schleier der Nacht geahnt. Die Schattengestalten waren jetzt in goldiges Sonnenlicht getaucht und ließen Art und Geschlecht, Schönheit und Farbe erkennen.
Etwas abseits von dem Brunnenrand standen die beiden Tscherkessenmädchen mit ihren Wasserkrügen. Sie wagten nicht, sich in die schreiende und hastende Menge, die den Brunnen umlagerte, hineinzudrängen, sondern warteten geduldig auf ein leer gewordenes Plätzchen.
Ibrahim machte mich zuerst auf die beiden Mädchen aufmerksam, wie sie in unnachahmlicher Grazie und weiblicher Würde dastanden. Die eine war blond und blauäugig, sehnig und von gertenhafter Schlankheit, die andere braun mit großen dunklen Augen und üppigeren Formen; ihre Gesichtszüge waren rein und edel, die Nase klein und schlank und der Mund wie schwungvoll geschnitzte Korallen. Trotz der Verschiedenheit der Haarfarbe und der Körperformen erkannte man an den gleichen Gesichtszügen die Geschwister. Die Braune war offenbar die ältere, vielleicht l7jährig, die Blonde mochte zwei Jahre jünger sein.
Der Alte wandte keinen Blick von den Mädchen und bemühte sich, mir zu beschreiben, wie er die Braune in seinen Harem entführt hätte, wenn er noch jung und kräftig gewesen wäre, und wie er bei ihr gelegen und sich nie von ihr getrennt hätte bei Tag und Nacht, und wie er viele solcher Braunen und Blonden, Schlanken und Vollen, Jungen und Alten gehabt und seine Mannesbäche dahingeflossen wären bis zum letzten Tropfen.
Und während er in dem Buche seiner Erinnerung blätterte und schwärmerisch und wiedergenießend die schönsten Nächte seiner vergangenen Mannesarbeit nachempfand, fiel mir auf, daß die beiden Mädchen nur sehr notdürftig bekleidet waren.
Ein kurzer dunkelblauer Rock, der knapp bis zu den Knien reichte, bedeckte die Hüften, das Hemd war weit ausgeschnitten und kurzärmlig und um den Kopf war bei der Braunen ein gelbes Tuch mit roten Mustern, bei der Blonden ein grünes Tuch mit braunen Mustern geschlungen. Reicher Schmuck an metallenen Ketten, Münzen und Glasperlen zierte den Hals und die Handgelenke.
Jetzt war eine schmale Bresche in der Menschenmauer vor dem Brunnen entstanden. Rasch eilte die Braune herbei und reichte der hinter ihr stehenden Schwester den zuerst gefüllten Krug. Dann bog sie sich noch einmal weit nach vorn über den Brunnenrand hinweg, gerade vor unseren Augen, so daß der nackte Körper bis zu der Stelle, wo der Leib sich spaltet, sichtbar wurde.
Ibrahim geriet von neuem in Entzücken und schwur beim Bart des Propheten, daß er soviel weibliche Vollkommenheit trotz der überreichlich genossenen Frauenreize noch nie erblickt hätte. In den wenigen Sekunden der soeben offenbarten Heimlichkeiten schien sich ihm ein ganzes Meer von Glückseligkeit aufgetan zu haben. Er schilderte mit wahrer Inbrunst Formen, Fältchen, Grübchen, Versenkungen und Härchen, wie die herrlichen Naturschönheiten der Berge, Täler, Abgründe, Bäche und Büsche im Paradiese.
Ich vermochte seinen beredten Worten, die mich dennoch langweilten, nur mit halbem Ohre zu folgen. Was die Männer unter Frauenschönheit verstehen, habe ich in meinem Berufe hinlänglich erfahren, um mir ein eigenes Urteil zu bilden, und ich glaube, daß ich in bezug auf meinen eigenen Körper mit solcher Schönheit wetteifern kann. Was aber die verborgenen Reize anbetrifft, die mehr durch das Gefühl als durch Blicke empfunden werden, so ist mir hierfür Sinn und Trieb naturgemäß versagt. Ich neige auch zu der Ansicht, daß die sogenannte Liebe zwischen Mann und Weib, die hieraus entstehenden Leidenschaften und die oft gepriesenen Genüsse sowie alle Qualen und Eifersüchteleien auf Einbildung zurückzuführen seien. Wenn man Allahs Geschöpfe im Fortpflanzungsakt beobachtet, ist an ihnen nur das Bestreben zu erkennen, zu einer gewissen Zeit, die der Schöpfer ihnen vorgeschrieben hat, eine körperliche Vereinigung vorzunehmen, wodurch die männlichen und weiblichen Säfte gemischt und ein Wesen derselben Art erzeugt wird. Allahs Weisheit ist groß! Daß die Menschen, die sich in derselben Weise auch nur körperlich verbinden, noch außerdem zu anderen Empfindungen und zum Erzittern der Seele gelangen sollen, ist mir unbegreiflich. Aber wenn es so ist und wenn Allah es so bestimmt hat, dann ist es weise und gut, denn sonst hätten die Männer keinen Haremlik und die Frauen keinen Haremhüter.
Während ich so nachsann, füllte das braune Tscherkessenmädchen Krug um Krug, und ihre Schwester trug das Wasser in die Karawanserei. Der Brunnenrand war inzwischen von den Belagerern fast völlig befreit, so daß sie nur noch mit einigen Frauen schöpfte. Hierbei sang sie in einer melancholischen Melodie und mit einer Stimme, die an den Klang von Silberstücken gemahnte, ein Lied, das ich deutlich vernahm:
Auf den Bergen, wo die Wolken thronen.
Wo in Felsenhorsten Adler wohnen,
Wo die wilden Stürme heimisch sind.
Ward ich geboren: ein Tscherkessenkind.
Wie der Regen Blüten macht erschauern,
Wie die Vöglein um den Sommer trauern,
Wenn die Nächte lang und dunkel sind,
Ach, so klagt auch das Tscherkessenkind.
Meiner Jugend Jahre sind vergangen,
Ehe noch der Jugend Freude angefangen
Und des Lenzes Träume sanft und lind
Je umschmeichelt das Tscherkessenkind.
Weh, wer reißt aus meinem wunden Herzen
Stiller Mädchenliebe Sehnsuchtsschmerzen,
Denn Liebesqualen unerträglich sind
Für ein vereinsamtes Tscherkessenkind!
Mag der Jüngling auch die Worte wählen,
Seine Heldentaten zu erzählen,
Auf seinen Lippen keine Worte sind,
Um zu freien ein Tscherkessenkind.
Kommt vielleicht ein Ritter hergezogen,
Dessen Herz den Mädchen ist gewogen
Und der mit starken Armen und geschwind
Nimmt zum Weibe ein Tscherkessenkind.
Der Alte neben mir befand sich in einem wahren Wonnerausch, er konnte sich an dem Liede nicht satt hören und summte noch lange Zeit, nachdem die beiden Mädchen schon längst in der Karawanserei wieder verschwunden waren, die melancholische Weise vor sich hin, wobei sein Kopf sich im Rhythmus hin und her neigte.
Nach einer Pause räusperte er sich, wie es seine Art, war und unterbrach das Stillschweigen mit folgenden Worten:
»Mein Freund und Bruder, der heutige Vormittag wird mir unvergeßlich sein, ich habe in einer halben Stunde meine Seele mit mehr Genüssen durchtränkt, als mancher Moslem nicht in seinem ganzen Leben. Das braune Tscherkessenmädchen ist ein Wunder der Schöpfung, eine erlesene Perle aller Frauenschönheiten und Tugenden und würdig, das Weib eines Großen zu werden. Maschallah! Maschallah = O Wunder Gottes! Jetzt begreife ich, wie Harut und Marut dazu kamen, sich an zwei irdischen Mädchen zu vergehen, wofür sie in ewige Verdammnis geworfen wurden. Allah verzeihe mir, um ein bräutliches Viertelstündchen mit diesem Tscherkessenmädchen würde ich die ewigen Qualen Dschehannams Dschehannam = die Hölle. geduldig erleiden!«
»Der beiden unglücklichen Dschinns Ein Dschinn ist ein Mittelwesen zwischen Mensch und Engel, ein guter oder böser Geist, ein Dämon. Im Gegensatz zu den Engeln können die Dschinns menschliche Gestalt annehmen, menschliche Handlungen verrichten und menschlich fühlen. Dafür aber sind sie im Gegensatz zu den Engeln auch sterblich. Harut und Marut ist bereits im Koran Erwähnung getan,« erwiderte ich, »die Geschichte ihrer Verdammung ist mir aber unbekannt, wenn du magst, erzähle sie mir!« Und Ibrahim begann:
»Vor vielen, vielen Jahren schickte Allah, sein Name sei gepriesen!, die beiden guten Dschinns Harut und Marut zur Erde, damit sie den Menschen dienen und ergründen, womit der Allgütige Sehnsucht und Leiden der Erdbewohner lindern könnte. Die beiden nahmen Jünglingsgestalt an, machten sich auf den Weg und durchwanderten Berge, Täler, Städte und Dörfer, überall den Menschen dienend, sie unterrichtend und tröstend, so daß sie als eine himmlische Wohltat empfunden wurden. Nun begab es sich, daß sie auch in ein Städtchen kamen, wo Armut und Elend herrschte und die Menschen fast nackt oder unvollkommen bekleidet herumliefen.
Harut und Marut verdangen sich bei einem Schreiner als Gesellen und förderten ihn in seiner Arbeit so, daß die Armut zusehends abnahm und der Wohlstand in die Hütte einzuziehen begann. Der Schreiner hatte aber zwei Töchter, von denen man nicht wußte, ob die eine oder die andere schöner von Angesicht und Gestalt wäre, zwei tugendhafte unbefleckte Mädchen, die mit den fremden Gesellen fast gar nicht in Berührung kamen.
Eines Nachmittags nun, als Harut und Marut nach getaner Arbeit vor der armseligen Hütte saßen und in den blauen Himmel starrten, gingen die beiden Mädchen zu dem Brunnen, der sich vor der Hütte befand, um Wasser zu schöpfen. Sie beachteten die Jünglinge nicht und gaben sich sorglos ihrer Arbeit hin. Da die Mädchen aber dürftig gekleidet waren, denn nur ein kurzes Lendentuch bedeckte ihre Blöße, fiel die Schönheit ihrer Körper den jungen Männern so in die Augen, daß sie keinen Blick von der weiblichen Herrlichkeit wandten. Und als sich die Unschuldsengel in ihrer Reinheit und Ahnungslosigkeit weit über den Brunnenrand neigten und die Teile ihres Körpers, die zu beschauen und zu preisen nur dem rechtmäßigen Gatten gestattet ist, völlig zur Schau stellten, da schoß den Jünglingen das Blut in alle Glieder, ihre Kleider weiteten sich und in ihren Köpfen brauste es, als ob ein wilder Strom einen Damm durchbrechen wollte. Nur ein Gedanke erfüllte die beiden, nur ein Verlangen raubte ihnen die Ruhe bei Tag und Nacht: der beseligende Augenblick einer Vereinigung mit den beiden Wundern der Schöpfung. – – –
Und in einer dunklen Nacht, als der Sturm um die Hütte brauste, daß sich das Dach bog und die Balken krachten, schlichen sich Harut und Marut zu dem Lager der Mädchen und verschafften sich gewaltsam Eingang zur Pforte des weiblichen Paradieses. – – – – – – – – – – – – –
Aus der einen Nacht wurden viele, denn die Mädchen waren in Liebe zu den Jünglingen entbrannt und gewährten willig und freudig, was der Mannestrieb mit Leidenschaft begehrte.
So verging einige Zeit im herrlichsten Liebesgenuß, bis der Schreiner mit Entsetzen entdeckte, daß seine Töchter, deren anmutiges unschuldvolles Wesen er über alle Maßen liebte, von seinen Gesellen entehrt worden seien. Seine Wut war unbeschreiblich, sein Kummer grenzenlos, so daß sein Verstand sich zu trüben begann und er den Entschluß faßte, seinen Kindern durch den Tod die verlorene Unschuld wiederzugeben. Den Gedanken folgte bald die Tat und eines Morgens lagen die beiden Mädchen erstochen auf ihrem Lager.
Als die Gesellen die Opfer ihrer Liebe entseelt dalagen sahen, machten sie dem Vater heftige Vorwürfe, der nun seinerseits in eine Raserei verfiel und Harut und Marut jämmerlich verprügelte. Jetzt verwandelten sich die guten Dschinns in böse Dämonen, warfen Feuerbrände in die Hütte, töteten den Schreiner und machten alles zu einem glimmenden Aschenhaufen.
Die Seelen der beiden Mädchen aber stiegen zu Allahs Thron empor, wo sie ihre Verführer anklagten. Der Allerbarmer nahm sich ihrer an und ließ sie als Huris zu den Seligen ins Paradies geleiten; gegen Harut und Marut aber vollzog er ein grimmiges Strafgericht. Er schleuderte sie in eine tiefe Grube bei Babel, wo sie mit den Köpfen nach unten hängen und den Menschen Rat erteilen, wie Zwietracht zwischen Mann und Weib gesät werden könne. Jeder eheliche Zwist hat seinen Ursprung in jener Dämonengrube bei Babel!«
Der Alte hatte seine Erzählung beendet und sah mich fragend an. Ich wußte nicht, was ich ihm erwidern sollte, denn das Märchen machte keinen anderen Eindruck auf mich, als jene Sagen aus alter Zeit, die man als Kind zu hören bekommt. Ich dankte ihm jedenfalls für seine Freundlichkeit und da es inzwischen Mittag geworden war, glaubte ich, ihn nicht besser ehren zu können als durch eine Einladung zu Tisch. Ibrahim wehrte zwar wieder, mit den Armen heftig gestikulierend ab, folgte mir jedoch zur Waschung und zum Gebet und nahm dann auf meinem Teppich in der Ecke des Hofes neben mir Platz.
Wir speisten noch reichlicher und leckerer als am Morgen, wodurch ich mir offenbar die ewige Freundschaft und Dankbarkeit meines Gastes erwarb, denn er umschmeichelte mich wie einen Padischah, lobte meine Schönheit und den Wohllaut meiner Stimme, pries die Pracht meiner Kleidung und prophezeite mir ein langes Leben voll Glück und Gesundheit. Dann kam er auf das Jenseits zu sprechen. Seine Stimme wurde leiser und inniger, er rückte etwas näher an mich heran und sagte in feierlichem Tone: »Wahrlich, mein edler Freund und Gönner, im Paradiese wird dir Allah, der Vergelter, die schönsten Huris zugesellen, du wirst das Liebesglück genießen, wie kein anderer Moslem!« Ich blickte ihn fragend an, er ließ sich aber nicht beirren und fuhr fort: »Du zweifelst?! Ein Mullah Mullah = moslemitische Asketen, die als Heilige verehrt werden hat es mir gesagt, die Verschnittenen kommen so ins Paradies, wie sie geboren wurden, mit dem unversehrten Werkzeug ihrer Männlichkeit. Und wenn ich an das braune Tscherkessenmädchen denke, muß ich dich als den Glücklicheren von uns preisen, denn du empfindest den Verlust deiner Kraft nicht, wie ich, und du hast überdies die Aussicht zu einem ewigen Liebesgenuß im Paradiese, während ich armer Sünder wahrscheinlich Dschehannams Flammen zu schmecken bekomme!«
Nach diesen Worten stieß er dreimal geräuschvoll auf, was mir ein Zeichen seiner Sättigung und körperlichen Wohlbehagens war, und gab sich, ohne mich weiter zu beachten, dem gewohnten Kef hin. Ich saß noch ein Weilchen aus Verdauungsgründen, denn man soll die Speise im Körper nicht beunruhigen, und entschloß mich dann, mit meinem Grautierchen, dem die Bewegung nottat, einen Spazierritt in die Umgegend zu unternehmen. – – – – – – –
Als ich gegen Sonnenuntergang sehr erfrischt von der salzigen Luft des Bosporus zurückkehrte, herrschte in der Karawanserei eine lebhafte Bewegung. Im Hofe stand ein feuriger arabischer Hengst von blendend weißer Farbe, der mit seinem bis auf die Erde reichenden Schweife die Luft peitschte und unruhig mit den Hufen scharrte. Sein Rücken war bedeckt mit einer Schabracke aus rotem Samt und Goldstickerei, den Sattel zierten goldene Beschläge, der Steigbügel, an rotem Juchtenleder hängend, war aus massivem Silber, und Zaumzeug und Gurte, ebenfalls aus Juchtenleder, schmückten goldene und silberne Ornamente. Um den Hals, bis zum Bauchgurt, trug das edle Tier einen rotsamtnen goldgestickten Streifen, von dem kleine silberne Glöckchen mit verschiedenem Klang herabhingen, die bei jeder Bewegung ein wundervoll harmonisches Glockenspiel hervorbrachten. Als Kopfschutz dienten vier buschige Straußenfedern von weißer und roter Farbe. Zwei Diener in märchenhaft phantastischer Kleidung bemühten sich, den lebhaften Araber zu halten. Eine Anzahl anderer, weniger reich geschmückter Pferde edelster Rasse stand unruhig in einer Ecke des Hofes und wurde von Dienern und Herren in goldbestickter Uniform bewacht. Was sich an Männern und Knaben im Hause befand, war auf den Hof geeilt, um das Märchenwunder anzustaunen. Die Weiber und Mädchen hatten sich der Sitte gemäß zurückgezogen.
Ich stand am Eingang zum Hofe in einer seltsamen Verwirrung, denn ich begriff sofort, daß hier der Padischah selbst oder ein Höchster der Erdenmacht eingezogen war. Kaum wagte ich, mein Grautierchen in den Stall zu bringen, denn ich fürchtete, alle Räume wären durch die neuen Gäste besetzt worden. Zu meinem Glück kam der Diener des Hauses, den ich nach meinen Mahlzeiten immer mit reichlichem Bakschisch bedacht hatte, zu mir heran und nahm mein Eselchen in Empfang. Auf meine Frage nach Namen und Stand der neuen Ankömmlinge konnte ich leider keine Auskunft bekommen, der freundliche junge Mann erzählte mir nur, daß vor einer knappen Stunde eine Schar Reiter mit lautem Gepolter in den Hof gesprengt kam, an der Spitze ein wunderschöner Herr im besten Mannesalter, überreich gekleidet, mit flimmernden Edelsteinen geschmückt und von einer Lieblichkeit und anmutigen Würde, wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Und ein Prinz sei er von kaiserlichem Geblüt, der auf dem Wege zur Jagd während des schnellen Rittes eine wichtige Waffe verloren habe und hier die Rückkehr seines nach Stambul entsandten Dieners erwarte. – – –
Ich ahnte nicht, welches Glück mir bevorstand.
In der neunundzwanzigsten Sure, Vers 62, verkündet durch den Mund des Propheten, steht geschrieben:
Allah gewährt, wem er will, von seinen
Dienern die Versorgung reichlich und
bemessen. Siehe, Allah weiß alle Dinge!
Und der Allgütige hatte bestimmt, was sich noch am selben Abend ereignete. – – – – – – – –
Während ich mit Ibrahim, nachdem wir unsere Gebete verrichtet hatten, das Nachtmahl einnahm, erschien einer jener goldbetreßten Diener vor mir, begrüßte mich ehrerbietig und bat, wenn es der Grad meiner Verdauung gestatte, mich zu seinem Herrn geleiten zu dürfen, der mich zu sprechen wünsche.
Erstaunen und Neugierde beschleunigten den durch die Arbeit des Essens etwas verlangsamten Gang meiner Gedanken dermaßen, daß ich mich schnell erhob und dem Diener folgte.
Ich wurde durch einen langen Korridor im oberen Stockwerk der Karawanserei geführt, an dessen Ende zwei Diener vor einer großen, mit einem Vorhang bedeckten Türe Wache hielten. Dieser Raum war offenbar für besondere Gäste bestimmt, was ich bei meinem Eintreten bestätigt fand. Die Beleuchtung war eine sehr spärliche, denn die wenigen kleinen Oellämpchen, die von der Decke herabhingen, konnten dem großen Zimmer keine genügende Helligkeit geben. Die Wände und der Fußboden waren mit Teppichen bedeckt, und weiche Polster, über dem ganzen Raum verteilt, verliehen der Ausstattung, im Gegensatz zu der sonstigen Einfachheit des Hauses, etwas Behagliches. Im Hintergrunde befand sich ein mit einem Baldachin geschmückter Diwan, auf dem ich nur eine Fülle kostbarer Decken erkannte.
Da meine Schritte durch die Teppiche gedämpft wurden, war mein Erscheinen nicht sogleich bemerkt worden. Kaum hatte ich aber einige Augenblicke regungslos verharrt, als die Decken auf dem Diwan sich langsam zu bewegen anfingen und sich allmählich eine helle Gestalt herausschälte, die sich vom dunklen Hintergrund leuchtend abhob, wie der blinkende Mond am Nachthimmel.
Das weiße Nachthemd glitzerte in silberner Stickerei, Perlen und Juwelen, und aus dem ovalen bronzenen Gesicht leuchtete das Weiße im Auge wie zwei Perlmutterschalen, aus denen zwei große schwarze Diamanten mir entgegen glühten.
Die schlanke Mannesgestalt trat einen Schritt auf mich zu, blieb aber in beträchtlicher Entfernung vor mir stehen und musterte mich einige Minuten, in denen nur meine unruhigen Atemzüge vernehmbar waren.
Dann öffnete sich der Mund und eine herrliche, leise erzitternde, weiche und doch männlich befehlende Stimme sprach also:
»Aga, als ich dich heute auf dem Hofe beobachtete, wie du, Würde in Haltung und Antlitz, dein Mahl mit dem Bettler teiltest, erkannte ich dich als einen Getreuen des Ewigen, dessen Name gepriesen sei in allen Welten. Du gefielst mir, und ich beschloß, falls du keinem anderen Herrn verpflichtet seiest, dich mit mir zu nehmen und dir meinen Haremlik anzuvertrauen, da mein Kißlar Agassi vor einigen Tagen aus dem irdischen Leben abberufen wurde, um zu seinem Schöpfer heimzukehren. Ich bin Abbas Sahib vom Hause der Osmanen, dank Allahs Güte gesegnet mit allem, was den Erdenpilger zum Glücksspender seiner Freunde und Diener macht. Wenn du meinem Rufe folgst, will ich dich belohnen, wie deine Treue es verdient, und du wirst in mir einen gerechten und gütigen Gebieter finden, dem du dich mit ganzer Seele anvertrauen kannst!«
Bestürzung und Freude schnürten mir die Kehle zu, ich schluckte und setzte zum Sprechen an, vermochte aber kein Wort hervorzubringen.
Während ich mich dreimal langsam und feierlich verneigte und meine Stirn mit dem Teppich berührte, fand ich meine Geistesgegenwart wieder, und ich antwortete:
»Effendi, Herr meines Lebens, deine Güte strahlt und erwärmt wie das Sonnenlicht am Firmament. Als ein Gesandter des Allmächtigen begrüße ich dich, und ich weihe dir meine schwache Kraft und meine unvergängliche Treue bis zum letzten Atemzuge, befehle, o Herr, ich bin dein Knecht!«
Nun trat der Prinz auf mich zu, reichte mir die Hand und sagte: »Von dieser Stunde an gehörst du zu meinem Gefolge, ich werde dich morgen früh meinem Kammerherrn vorstellen, und wenn ich nach drei Tagen von der Jagd zurückgekehrt bin, nehme ich dich mit mir. Inzwischen bist du hier mein Gast, ebenso dein bisheriger Tischgenosse, der durch deinen Dienst bei mir keinen Schaden erleiden soll!«
Ein Duft nach Rosenwasser umschwebte mich, und der Hauch seines Mundes roch nach schneeigen Blüten des Jasmin. Ich ergriff seine Fingerspitzen, die ich an meine heißen Lippen führte, und küßte ehrerbietig den Saum seines Gewandes. Dann zog ich mich mit einer tiefen Verbeugung zurück.
Als ich wieder auf dem Korridor stand und die Diener sich vor mir verneigten, wie vor einem Großen der Erde, schwellte sich meine Brust vor Freude und Stolz und ich wußte nicht, wie ich Allah, dem Erbarmer, danken sollte für seine unermeßliche Güte. Und Vers 26 der zehnten Sure kam mir in den Sinn, wo es heißt:
Und Allah ladet ein zur Wohnung des
Friedens und leitet, wen er will, auf
einen rechten Pfad.
Jetzt weiß ich, daß ich geführt werde auf dem Wege der Glückseligkeit, und daß meine Gebete Gehör gefunden haben vor dem Thron des Höchsten. Sorglos und reichlich speise ich vom Tisch, den mir der Herr bereitet, meine Eingeweide kennen nicht die Schmerzen des Hungers, mein Leib rundet sich in Wohlstandsfülle und mein Beutel klingt voll nach Silber und Gold. Subhâmallàh! Nach einem kurzen Gebet legte ich mein Haupt zur Ruhe und ein friedlicher Schlaf umfing mich. – – – –
Am nächsten Morgen, gleich nach dem Imbiß ließ mich mein Gebieter rufen und stellte mich seinem Kammerherrn vor, einem würdigen älteren Manne mit rundgeschnittenem weißem Bart und von mittlerer gedrungener Gestalt. Mehmed Ali Bey war sein Name. Jetzt hatte ich auch Gelegenheit, dem Prinzen zuerst ins Angesicht zu schauen. Seine Schönheit überstrahlte bei weitem den Glanz seiner Kleidung, denn seine Gesichtszüge waren von so harmonischem Schnitt und die Güte seines Wesens war so erquickend, daß ich selbst in seinem Schatten noch die Wärme seines Sonnenherzens empfunden hatte. Ein roter, goldgestickter und mit Juwelen besetzter, Orden geschmückter Waffenrock schmiegte sich eng um seine sehnige Gestalt, die weißen Beinkleider aus feinstem Leder steckten in hohen juchtenen Stiefeln, die mit Samt und Filigran verziert waren. Zwei hohe Reiherfedern, die aus einem großen Smaragd herauszuwachsen schienen, wiegten sich an der Stirnseite des Turbans. Von dem reich geschmückten Gürtel aus rotem Samt und weißem Leder hing ein Krummschwert in vergoldeter, mit symbolischen Ornamenten verzierter Scheide herab, dessen Knauf in einen aus Elfenbein geschnitzten Löwenkopf mit aufgerissenem Rachen endete. Die Augen des Löwenkopfes waren durch zwei grünlich schillernde Topase angedeutet, und die geschwungene Zunge bestand aus einem kunstvoll geschnittenen Rubin. Soviel Pracht, Schönheit und Reichtum hätte ich mir unter den Verklärten im Paradiese nicht vorstellen können!
An der Seite meines unzertrennlichen Begleiters saß ich am Vormittag wieder auf der steinernen Bank vor dem Tore und Ibrahim lauschte andächtig meinen Schilderungen von der Herrlichkeit meines Gebieters und von dem Glück, dessen ich teilhaftig geworden war. Die Augen des Alten strahlten vor Freude, und ich empfand mit Genugtuung die freundschaftliche Aufrichtigkeit seines Gemüts als eine aus der Quelle der Dankbarkeit fließende innige Hingabe.
Um den Brunnenrand wogte es wie gestern in dichten Schwärmen von Menschen und Tieren, in der gleichen Buntheit der Farben und mit denselben unharmonischen Geräuschen des Schreiens, Rufens und Singsangs. Und das ganze Bild von flimmerndem Sonnenlicht übergossen und umrahmt von huschenden tiefblauen Schatten. Auch die beiden Tscherkessenmädchen waren gekommen, um Wasser zu schöpfen und standen wieder abseits wie gestern.
Da schritt der Prinz an der Seite seines Kammerherrn und von seinem Gefolge umgeben zum Tore hinaus und blieb einige Schritte vor uns stehen, denn das Treiben auf dem Platze hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Wir erhoben und verneigten uns, und kaum wurde er von den Wasserschöpfern bemerkt, als lautlose Stille eintrat und das ganze Volk sich tief verbeugte.
Das braune Tscherkessenmädchen stand wie erstarrt von dem Anblick der schönen Mannesgestalt in seiner märchenhaften Erscheinung und war keiner Bewegung fähig, während ihre Schwester niedergefallen war und die Stirn mit der Erde berührte.
Des Prinzen Blicke ruhten mit Entzücken und zunehmender Verwunderung auf dem edlen Mädchen, seine Lippen verzogen sich zu einem verklärten Lächeln, und als die Tscherkessin verwirrt ihre Augen schloß und ein leises Zittern ihren Körper durchbebte, griff seine Hand nach der Stirn, als ob er einen Gedanken verscheuchen wollte. Innerlich bewegt trat er einige Schritte zurück, in Armweite vor mir, so daß ich ihn beobachten und wahrnehmen konnte, wie sein Gesicht blasser und sein Ausdruck ernster geworden war.
In sich versunken und sinnend verharrte mein Gebieter in lässiger Haltung, das Haupt mit der rechten Hand gestützt. Seine Lippen murmelten leise, aber dennoch so, daß ich alles verstand, als seine Worte wie ein plätscherndes Bächlein aus einem Rosengarten hervorquollen:
An meinem Herzen trag ich tausend
Wunden, und jede ist ein Lobgesang für
sie, die aus dem Sternenglanze ihrer
Mandelaugen mit tausend Pfeilen mich
verwundet. Ihr Leib ist wie die erglühte
Tulpe im Garten des Entzückens, und
die Rubine ihrer Wangen gleichen dem
Schiraswein, der sinnlos trunken macht.
Ihr Leib, aus Rosenknospen und weichem
Seidenstoff geformt, ist wie ein Frühlingswunder.
Wo sie erscheint, erglänzt die
Finsternis der Nacht wie Morgenröte
und Blumen lächeln, von ihrer Schönheit
Glanz gestreift. Meine Liebe gleichet dem
Ozean, uferlos und wild gepeitscht vom
Sturme meiner Seufzer, und meine Seele
ist verbrannt.
Das Tscherkessenmädchen war inzwischen ebenfalls niedergekniet wie in ehrfurchtsvollem Gruße vor einem Heiligtum.
Der Prinz aber wandte sich langsam und schritt gesenkten Hauptes in die Karawanserei zurück, wo er sofort, ohne irgendwelche Befehle zu erteilen, sein Zimmer betrat. Seine Begleiter und Diener folgten ihm, so daß das gewohnte Treiben auf dem Platze seinen Fortgang nehmen konnte. Die Tscherkessenmädchen gingen schnell und lautlos mit ihren gefüllten Wasserkrügen an uns vorüber, und da der Lärm allmählich verstummte, konnte ich meine unterbrochene Plauderei mit Ibrahim bald wieder aufnehmen.
Was war natürlicher, als daß wir uns von der plötzlichen Verliebtheit meines Gebieters unterhielten. »Wenn alle Anzeichen nicht trügen,« sagte ich zu dem Alten, »dann kommt die Braune in meinen Haremlik, denn beim Bart des Propheten, die Lebensfreude meines Herrn scheint sich in tiefe Niedergeschlagenheit verwandelt zu haben!«
Ibrahim schüttelte bedächtig mit dem Kopfe. »Du nennst es Niedergeschlagenheit,« erwiderte er, »weil du von der Liebe nichts verstehst. Was dir als Verwandlung erscheint, ist nichts anderes, als das plötzliche Hemmnis der fleischlichen Vermischung, wenn die Seele durch den Geruch weiblichen Begehrens ebenso plötzlich brünstig geworden ist. Die Krankheit ist zu heilen, mein Freund und Gönner. Nach der ersten Liebesnacht wandelt sich die Niedergeschlagenheit wieder zurück zur Lebensfreude, und nach dreißig Liebesnächten kann dieselbe Krankheit durch eine andere weibliche Erscheinung und durch ein neues Hemmnis wieder von frischem entfacht werden. Das ist der ewige Lauf des Liebesspiels und des Liebesglücks, bis unsere Samenbäche vertrocknet sind. Dein Prinz gleicht einem Hengste, dessen Schweif triefend die Luft peitscht!«
»Gerade die Heilung der Krankheit ist es, die mich ganz besonders interessiert,« gab ich zurück, »denn ich sehe noch keinen Weg, der den Schweif des Hengstes, von dem du vergleichsweise sprachst, wieder zur Ruhe bringen könnte. Ich glaube nicht, daß der Tscherkesse seine Tochter als Sklavin an den Prinzen verkaufen würde, denn dieses Volk liebt seine Kinder über alle Maßen. Und von gewaltsamer Entführung kann auch keine Rede sein, da bei den Tscherkessen noch die barbarische Sitte der Blutrache heimisch ist. Glaubst du, daß mein Gebieter die Braune zum ehelichen Weibe macht?!«
Ibrahim lächelte und seufzte tief, als er sagte: »Du bist zu bedauern und zu beneiden, weil du nicht weißt, was Liebespein ist; aber das eine sage ich dir: ein Kater, der unter dem After der Katze gerochen, kennt keine Hindernisse. Wenn dein Prinz diese Perle der Schönheit nicht außerehelich begatten kann, dann wird er es ehelich tun, falls er nicht vorher kastriert wird. Und seine Seele wird nicht eher zur Ruhe kommen, bis er an ihrem Busen gelegen und ihren Wollustschweiß gierig eingesogen hat. Was die Natur an Schönheit hervorbringt, kennt keine Standesunterschiede. Warum sollte diese wundervolle Blume aus den Bergen nicht von einem Prinzen gefreit werden? Wem Allah Schönheit verleiht, dem gibt er auch Adel; denn Adel heißt Veredelung, und jede von unserem Schöpfer in die Welt gesetzte Schönheit ist so geadelt, daß sie berechtigt ist, alle Kronen der Welt zu tragen. Ich gönne dem Mädchen, das auch meinen alten Liebesknochen wieder zum Zittern gebracht hat, von ganzem Herzen einen liebenswerten, leidenschaftlichen Prinzen, der es versteht, ihre mädchenhafte Kühle zur Weibesglut zu entfachen, und dessen Lenden bei jedem Begehren und Gewähren sich zu immer stärkerer Kraft entwickeln mögen.
Unser Schöpfer hat diese Blume von Kindheit an gesegnet, warum soll er ihr nicht einen prinzlichen Gärtner bescheren, der sie reichlich begieße, auf daß sie Früchte trage und ihre Schönheit vermehre?!« –
In ähnlicher Weise unterhielten wir uns noch geraume Zeit vor dem Tore und auch später während des Mittagmahls auf dem Hofe, wobei mein Gast in beredten Worten immer wieder für eine Ehe mit dem Prinzen eintrat und dem Tscherkessenmädchen ein glückliches Liebesleben im fürstlichen Palaste wünschte. Ob dieses Glück freilich beständig sein werde, meinte er, oder ob Allah es anders bestimmt hätte, würde man erst nach vielen Jahren erfahren, zum dauernden Glück aber gehöre zunächst der Anfang des Glücks, und eine Liebesnacht im Arme des stürmischen Gatten wiege hundert Tränennächte auf. – – –
Wir hatten kaum unsere Mahlzeit beendet, als ein Diener mit dem Befehl meines Gebieters erschien, sofort zu ihm zu kommen. Wenngleich meine Verdauung erst begonnen und der Leib träge und ruhebedürftig war, folgte ich doch unverzüglich.
Der Prinz lag mit geschlossenen Augen auf seinem Diwan und schien sehr ungnädiger Laune zu sein, denn der Kammerherr und einige Würdenträger des Gefolges, die zugegen waren, machten einen ernsten und betrübten Eindruck.
Als ich, mich tief verneigend, an meinen Gebieter herantrat, redete er mich, immer noch mit geschlossenen Augen und ohne jede körperliche Regung, folgendermaßen an:
»Aga, du kennst jenes Mädchen, ein Wunder der Schöpfung, jene Tulpenknospe im Garten des Entzückens, deren paradiesischer Liebreiz mich heute so herzenswund gemacht hat, daß meines Lebens Tage ohne sie sein würden wie ein Baum ohne Wurzeln, wie der Himmel ohne Sterne und die Welt ohne Sonnenlicht. Mein fieberkranker Leib sucht Erquickung und Heilung in ihren Armen, meine Herzenswunde verlangt nach dem Balsam ihres Leibes und meine Seele will von ihren Blütenlippen trinken den Rausch der Glückseligkeit. Ich beauftrage dich, diese Zimtblüte, deren Schatten noch nach Wohlgerüchen duftet, um jeden Preis zu kaufen. Sage dem Vater, daß ich seine Tochter nicht wie eine Sklavin, sondern wie ein mir vom Himmel dargebotenes seltenes Kleinod behandeln werde, weil ich sie mehr liebe als alle Frauen meines Haremlik, deren Schönheit in ganz Stambul bekannt ist. Nun gehe und walte deines Amtes. Dies ist der erste und vielleicht wichtigste Dienst, den du mir je leisten wirst!«
Auf diesen Auftrag vorbereitet, erwiderte ich freimütig: »Effendi, das Ziel deiner Liebe, jenes braune Mädchen, das deine Manneskraft so heftig erregt, kann Allah von ganzem Herzen dafür danken, daß dein fürstliches Auge mit Wohlgefallen auf ihr geruht hat, und wenn sie erfährt, daß du dich danach sehnst, ihren Leib zu genießen, wird sie mit Freuden bereit sein, dich gewähren zu lassen, und als einen herrlichen Beweis deiner Gnade wird sie es empfinden, wenn du ihr in liebender Umarmung beiwohnst. Um dich aber vor Enttäuschungen zu bewahren und in der Voraussicht, daß meine Bemühungen nicht den erhofften Erfolg haben werden, möchte ich schon jetzt meine Bedenken äußern und darauf hinweisen, daß es sich um ein Tscherkessenmädchen handelt, und daß die zirkassischen Väter ihre Töchter nur sehr selten und auch dann nur in bitterster Armut zu verkaufen pflegen. Ich fürchte daher, daß der Handel nicht gut ausgehen werde. Trotzdem will ich es versuchen und sofort mit dem Vater reden!«
Ich verneigte mich tief und hatte rückwärts schreitend den Ausgang schon erreicht, als mein Gebieter mich wieder zurückrief. Er saß jetzt auf dem Diwan, und seine übernächtigten und verstörten Züge hatten etwas Düsters und Wildes, als er mit einem Tone, der aus Energie, Verzweiflung und Herrschsucht gemischt war, mir entgegenrief: »Aga, das Mädchen muß ich besitzen. Wenn der Tscherkesse nicht mit sich feilschen läßt, dann bin ich entschlossen, die Gazellenäugige zu meiner Hannum Hannum = eheliche Haremsfrau. zu machen. In diesem Falle führst du den Vater, nachdem du das Heiratsgut mit ihm besprochen hast, zu mir und sorgst dafür, daß er seine Tochter mitbringt!«
Diese Wendung der Dinge war mir äußerst angenehm, denn nichts ist peinlicher, als einen Auftrag auszuführen, dessen Erfolg ungewiß ist. Ich suchte den Tscherkessen sofort auf und fand ihn in einem Gewölbe neben dem Stall mit dem Flechten eines Stuhlsitzes beschäftigt. Der armselig ausgestattete Raum war durch eine Matte in zwei Hälften geteilt. In der hinteren Kammer – wenn man den spärlichen Raum so nennen kann – schliefen die beiden Mädchen und der vordere Abteil diente den Eltern zur Schlafstätte und dem Manne zur Tagesarbeit.
Der Tscherkesse brummte unwirsch vor sich hin, als ich ihn begrüßte und mit gleichgültigen Worten ansprach. Er fragte auch nicht nach meinem Begehr, sondern arbeitete ruhig weiter, ohne eine Silbe über seine Lippen zu bringen. Erst als ich von der Schönheit seiner ältesten Tochter sprach, murmelte er etwas von meinem Stande, und daß ich mit all solcher Schönheit doch nichts anzufangen wüßte. Ich tat so, als ob ich diese Ungezogenheit nicht gehört hätte und setzte die Unterhaltung fort, wobei ich zur Andeutung brachte, daß er für lange Zeit nicht mehr nötig hätte, Stuhlsitze zu flechten, wenn er seine Tochter zu günstigem Preise einem Herrn verschaffen würde, den ich ohne jede Zahlung vermitteln könnte. Ich würde mich auch dafür verbürgen, daß das Mädchen alles bekäme, wonach sich ihr junges Herz sehne: eine schöne Wohnung, prächtige Kleidung, fette wohlschmeckende Nahrung, Süßigkeiten und soviel Geld, daß die Eltern einen sorglosen Lebensabend haben würden. Um den Tscherkessen nicht erst zur Ueberlegung kommen zu lassen, fügte ich hinzu, daß ich das Geschäft sofort abschließen und ihm in wenigen Minuten einen Beutel Goldstücke bringen könnte.
Der brutale Mann legte den Stuhl ruhig zur Seite, verschränkte die Arme auf der Brust und schrie mich mit seiner rauhen Lastträgerstimme an:
»Du verschnittener Hund und Hurenkuppler, das wagst du einem Tscherkessen ins Gesicht zu sagen? Weil du keine Kinder zeugen kannst, du zweibeiniger Wallach, deshalb hast du noch lange nicht das Recht, einen armen, aber stolzen Tscherkessen als Seelenverkäufer anzureden. Wenn ich nicht Mitleid mit dir hätte, würde ich diesen Stuhl auf deinem schweinsblasigen Fettkopf zerschlagen. Ich bin ein Adighe Tscherkesse. und Waguscheh Freier. Beides in tscherkessischer Mundart., das merke dir!«
Solche Unflätigkeiten waren mir unverständlich, und ich wußte wahrlich nicht, womit ich den Zorn des Stuhlflechters erregt hätte, denn er war doch offenbar ein armer Mann, der seine Familie nur kümmerlich ernährte, während ich das Glück in seine Hände schütten wollte. Vielleicht hielt er mich gar für einen Mädchenhändler auf Reisen und ahnte nicht, welch hohem Herrn ich diene. Es schien mir daher wichtig, zunächst meinen Stand ins rechte Licht zu setzen, weshalb ich mit erkünstelter Entrüstung erwiderte: »Du hast offenbar schlecht zu Mittag gegessen, edler Zirkassier, und das Knurren deines Magens hat dir den Blick getrübt. Sonst hättest du aus dem Geruch meines Atems und dem Umfang meines Leibes erkennen müssen, daß ich der Kißlar Agassi eines Herrn bin, der sich eine Persönlichkeit von meinem Aussehen und meiner Würde leisten kann. So wisse denn, daß Prinz Abbas Sahib mein Gebieter ist!«
Der Tscherkesse griff nach seinem Stuhle. Während ich erschreckt zurückwich, setzte er seine Arbeit fort und knurrte mich mit verächtlichen Blicken an: »Daß du nichts anderes als fressen kannst, merkt man an deiner wagenschmierigen ranzigen Stimme und dem Fettwanst, der dir das Aussehen einer doppelträchtigen Kuh gibt. Deine Hundeseele ist bereits im Fett erstickt. Uebrigens mag mich dein Prinz Sahib am After küssen, wenn ich Knoblauch gegessen habe!« –
Jetzt nahm die Verhandlung eine kritische Wendung, denn ich mußte gewärtig sein, daß der wütende Tscherkesse mich aus seinem Gewölbe hinauswerfen würde. Und unverrichteter Dinge zu meinem Herrn zurückzukehren konnte ich nicht wagen; denn die Folgen wären so furchtbare gewesen, daß ich einen solchen Gedanken nicht ausspinnen mochte. Ich überlegte daher, wie ich die Unnahbarkeit des Stuhlflechters wohl am besten überwinden könnte und kam zu dem Entschluß, mich eines geeigneteren Vermittlers, nämlich meines ständigen Tischgastes Ibrahim zu bedienen.
Geräuschlos zog ich mich daher zurück und begab mich auf die Suche nach dem Alten, den ich an seinem gewohnten Platze, wie immer im Kef versunken, auch bald fand.
Nachdem ich ihm Zweck und Ergebnis meiner Unterhaltung mit dem Vater des braunen Mädchens auseinandergesetzt hatte und ihn bat, mir behilflich zu sein, willigte er mit Freuden ein, und während er sich mit meiner Unterstützung bemühte, aufzustehen und sein Knochengerüst in eine leidlich senkrechte Haltung zu bringen, seufzte er lächelnd: »daß ich als Ehevermittler der sinnbetörenden rehäugigen Haura für einen anderen mich betätigen muß, der ich selbst bis über die Ohren verliebt bin, ist eine bittere Pille, die ich hinunterschlucke, weil es bei meinem verdorrten Gesäß eben nicht anders geht. Wenn ich wenigstens in der Hochzeitsnacht dabei sein könnte, um mich im Geiste zu laben, wo der Körper versagt! Aber ich glaube kaum, daß der glückliche Ehegemahl mit meinem Vorschlag einverstanden sein würde. Also auf denn zur Tat, Allah sei mit mir!«
Meine Segenswünsche begleiteten ihn, als er einen verhängnisvollen Weg antrat. – – – –
Im stillen Gebet wartete ich auf seine Rückkehr. Die Zeit verrann mit rasender Geschwindigkeit und es schien mir, als ob die Sonne bereits Abschied nehmen wollte. Ich stellte mir vor, wie mein Gebieter inzwischen ungeduldig geworden und unwillig nach mir gefragt habe und wie er schließlich, in der Annahme, daß ich den Auftrag nicht ausführen wolle, einen anderen seines Gefolges zu dem Tscherkessen geschickt und dieser Abgesandte dann statt meiner den Märchenerzähler als Unterhändler vorgefunden hätte … Nicht auszudenken!
Ich sprang erregt auf, soweit der Umfang meines Leibes dies zuließ, und lugte um die Ecke, ob der Alte noch nicht zurückkehre. – – – –
Endlich, als ich schon fast verzagte, nahte er mit einer Ruhe, als ob er zur Moschee ginge; mich von fern erblickend, winkte er mir lächelnd zu und rief mir entgegen: »geh nur wieder hin, es wird sich schon alles regeln lassen!« Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen.
Schneller, als meine Beine mich tragen konnten, eilte ich nun zu dem Gewölbe des Stuhlflechters, den ich in der bisherigen Beschäftigung antraf. Diesmal war auch seine Frau, der man die frühere Schönheit noch ansah, zugegen und saß neben ihm auf der Erde. Und aus der zugezogenen Matte erkannte ich, daß auch die Töchter anwesend waren.
Da ich keine Zeit zu verlieren hatte, denn die Dämmerstunde war bereits angebrochen, ging ich sofort auf mein Ziel los, und zwar in vorsichtiger Weise, ohne mir etwas zu vergeben.
»Du hast mich rufen lassen,« sagte ich, »nachdem du durch den Mund des Märchenerzählers vernommen, daß der Prinz, mein erlauchter Gebieter, deine Tochter zu heiraten beabsichtigt. Wenn du einverstanden bist, dann sage mir, was du als Heiratsgut verlangst, und vor allem: mach dich bereit, damit ich dich in Begleitung des Mädchens zu meinem Herrn geleite!«
Der Tscherkesse murmelte etwas von Bedenkzeit und ähnlichem, seine Frau aber rief ihm in zirkassischem Dialekt einige Worte zu, die ihn offenbar verträglicher stimmten, denn er drehte sich halb um und schrie nach dem Vorhang hin:
»Djiloa, der Prinz Abbas Sahib will dich zur Ewli qary Ewli qary = verheiratete Frau. machen, der Eunuch wartet auf deine Antwort!«
Da das Mädchen nichts erwiderte, wiederholte der Vater seine Frage noch lauter und energischer, und nun ließ sich eine weibliche Stimme mit süßem Wohlklang schüchtern vernehmen: »Väterchen, spotte nicht! Wenn du den Märchenprinzen meinst, dem ich durch Allahs Fügung gestern beim Wasserschöpfen begegnete, dann bin ich von Herzen gern einverstanden, denn sein Glanz bestrahlte mich wie ein Wesen aus anderen Welten, und ich liebe ihn, wie den befreienden Ritter meiner Mädchenträume. Aber ach, du spottest meiner Sehnsucht Qualen, und dein Hohn spaltet mir das Herz. Schon in dem alten zirkassischen Liede heißt es:
Mit dem Tscherkessenkind dem armen
Hat doch kein Fürstensohn Erbarmen!«
»Wenn das verträumte dumme Ding es nicht glaubt, um so besser,« brummte der Tscherkesse vor sich hin, »warum sollte ein Prinz nicht ebenso wie jeder andere Mann meine Tochter heiraten, er ist auch nur ein Mensch aus Haut und Knochen wie wir!« Und zu mir gewandt sagte er in geschäftlich gleichgültigem Tone: »Nun gut, die Sache ist also erledigt, wir kommen gleich mit!«
Die Frau sprach noch einige Worte mit ihrem Manne, dann ging sie hinter die Matte, und nach kurzer Zeit kam die künftige Hannum, in ein großes Tuch gehüllt und verschleiert, hervor, mich in üblicher Art begrüßend. Der Vater vervollständigte seine Kleidung nur durch einen verschlissenen Mantelüberwurf und stülpte sich eine Tscherkessenmütze auf seine wirren ungepflegten Haare.
Bevor wir das Gewölbe verließen, sprach ich mit dem Brautvater noch ganz vertraulich über den Kalym Kalym = Heiratsgeld., wobei ich auf die Schwierigkeit der Sache hinwies und meiner Bemühungen in seiner und der Braut Interesse Erwähnung tat.
Er verstand mich zuerst nicht, bis ich ihm durch Zeichen zu verstehen gab, daß ich mir doch zweifellos eine dem Heiratsgut entsprechende Vermittlungsgebühr verdient habe. Der Tscherkesse lächelte verschmitzt und sagte beschwichtigend: »Lassen wir das, Aga, wegen des Kalym spreche ich mit dem Bräutigam. Wenn du Tagedieb und Schmarotzer von dem, was ich beanspruche, einen Anteil haben willst, um so besser für dich. Ich gönne dir und allen verschnittenen Zwittergeschöpfen solche Vermittlungsgebühr!«
Wir machten uns nun auf den Weg und befanden uns in wenigen Minuten vor dem Prinzen, der fast vor Sehnsucht vergangen war und den Brautvater mit seiner Tochter daher ungeduldig erwartet hatte.
Bei unserem Eintritt zog sich das Gefolge, mit Ausnahme eines Kjatib Kjatib = Sekretär, Schreiber. auf einen Wink des Herrn zurück, und auch ich wollte mich zum Gehen wenden, mein Gebieter aber befahl mir zu bleiben.
Der Tscherkesse verneigte sich linkisch, während das Mädchen zuerst etwas neugierig um sich sah, dann aber, als ihr Blick den Prinzen traf, die Augen senkte.
Mein erlauchter Herr schritt auf den Vater zu und sprach mit einer durch die Feierlichkeit des Augenblicks bewegten Stimme:
»Zirkassier, in deinem Garten ist eine Blume gewachsen, deren Duft meine Sinne berauscht hat, ich bitte dich um die Erlaubnis, diese Blume pflücken zu dürfen. Gib mir die Hand deiner Tochter, der gazellenschlanken und taubenäugigen, auf daß ich sie zu meinem Weibe mache und unser Bund gesegnet sei nach dem Willen des Allmächtigen!«
Der Tscherkesse verneigte sich wieder in seiner Art und sagte trocken und ohne jede innere Erregung: »Djiloa, meine Tochter, ist einverstanden; sie sei dein, Effendi. Bestimme den Tag der Hochzeit!«
Mein Gebieter winkte hierauf den Kjatib herbei, der einen Ehevertrag nach moslemitischer Sitte verfaßte, den der Prinz auch sofort unterschrieb. Der Brautvater aber, der des Schreibens nicht kundig war, malte nur ein sonderbar verschlungenes Zeichen, das er das Symbol seiner Hand nannte, darunter. Es sah aus wie eine Faust mit einem Dolch.
Nachdem Djiloa auf diese Weise ihrem Gatten angelobt war, näherte sich der Prinz dem Mädchen und reichte ihr mit einem überaus zärtlichen Blick beide Hände, die die Braut ergriff und an ihre Stirn führte. Dann kniete sie nieder, ergriff noch einmal die Hände ihres Verlobten und führte die Fingerspitzen unter dem Schleier an ihre Lippen.
Mein Gebieter hob sie liebkosend empor, wobei ihr Körper erschauerte und ihre Hände leise erzitterten, wie das junge Laub der Espe, dann sah er ihr lange und innig in die Augen, küßte glühend ihre Stirn und hauchte: »Von nun an sollst du heißen: Schekerpara Schekerpara = Zuckerstück.; süß sei dein Name, wie dein ganzes Wesen, süß sei unsere Liebe immerdar!«
Schekerparas Augen wurden feucht; von ihren langen schwarzen Wimpern fielen kullernde Wasserperlen auf die Hand des Prinzen, ein in Tränen gebadeter Blick verhieß ihm Liebesleidenschaft, Dank und Glückseligkeit. Dann verhüllte sie ihr Antlitz mit dem Umschlagetuch und verfiel in Schluchzen.
Nun rief mein Gebieter den Tscherkessen noch einmal heran und besprach mit ihm die Hochzeit, die am Tage seiner Rückkehr nach Stambul stattfinden sollte.
Der Stuhlflechter, jetzige Schwiegervater eines Prinzen, war natürlich mit allem einverstanden. Als zuletzt von dem Heiratsgeld die Rede war und der glückliche Vater die Summe nennen sollte, die er für die Hergabe seiner Tochter verlange, wurde der Tscherkesse verlegen, während ich mit Rücksicht auf den mir versprochenen Anteil als Vermittlungsgebühr gespannt aufhorchte. Ich dachte, meine Ohren würden abfallen, als sich der täppische und dumme Stuhlflechter also vernehmen ließ: »Ich fühle mich geehrt und glücklich, Effendi, daß meine liebe Tochter einen Mann bekommt von deiner Jugendkraft und deinem Verstand. Gebe Allah, daß ihr in Liebe vereint bleibt bis zum letzten eurer Tage. Nach dem Golde bin ich nicht lüstern, noch will mir in den Sinn kommen, meine Tochter zu verkaufen, denn ich bin ein freier Adighe. Willst du mir aber eine Huld erweisen, dann verschaffe mir dauernde Arbeit in Stambul, damit wir in der Nähe unserer Tochter bleiben können. Ich bin in allen Handwerken bewandert, verstehe das Eisen zu schmieden und zu schmücken, Leder zu verarbeiten, Häuser zu bauen und Stühle zu flechten!«
Mein Gebieter lächelte erheitert, reichte ihm die Hand und sagte: »Dein Wunsch sei dir für immer gewährt!«
Mir aber schien es, als ob mir die Eselsohren wüchsen. – – – – – – – – – – – –
Inzwischen hatte sich Schekerpara wieder etwas erholt. Der Prinz nahte sich ihr noch einmal zum Abschied, ergriff ihre Hand, die er an sein Herz und seine Lippen drückte, dann zog er einen kostbaren Ring von seinem Finger und schmückte ihre Hand damit. – – – – – – – – – – – –
Als ich, wie mir befohlen, die beiden hinausbegleitete, wankte die junge Braut und schien einer Ohnmacht nahe. Sie war noch zu schwach, ihr Glück zu tragen. Der Vater aber grinste mich höhnisch an und flüsterte mir verschmitzt ins Ohr: »Wenn ich in Stambul bin, Aga, und Stühle flechte, kannst du dir deinen Anteil – – – an der Arbeit als Vermittlungsgebühr holen!«
Ich hielt es unter meiner Würde, darauf zu erwidern, und beschloß, mich in anderer Weise schadlos zu halten. – – – – – – – – –
Am anderen Morgen wurden der Braut zwei vornehme Zimmer in der Karawanserei eingeräumt und ihre Schwester als Dienerin bestellt, während ich sie zu bewachen und dafür zu sorgen hatte, daß es ihr an nichts fehle.
Das ganze Haus war voller Aufregung. Ein Teil der prinzlichen Begleitung ritt nach Stambul, um die Hochzeit anzusagen und die Aussteuer für die Braut zu besorgen. Und noch ehe die Sonne untergegangen war, füllte sich das Zimmer des braunen Tscherkessenmädchens mit den herrlichsten Gewändern und wunderbarstem Geschmeide, und von den duftigsten und seltensten Blumen umgeben, sie selbst die schönste unter ihnen, schritt sie stolz, würdig und glückergeben daher wie eine geborene Fürstin.
O ihr Menschen, fürchtet euern Herrn,
der euch erschaffen aus einem Wesen und
aus ihm erschuf seine Gattin und aus
ihnen viele Männer und Weiber entstehen ließ.
Und fürchtet Allah, in dessen Namen
ihr einander bittet, und eurer Mutter
Schoß. Siehe, Allah wacht über euch.
4. Sure, 1.
Und wer von euern Weibern eine Hurerei
begeht, so nehmet vier von euch zu Zeugen
wider sie. Und so sie es bezeugen, so
schließet sie ein in die Häuser, bis der Tod
ihnen naht oder Allah ihnen einen Weg gibt.
4. Sure, 19.
O ihr, die ihr glaubt, nähert euch nicht
trunken dem Gebet, sondern wartet, bis
ihr wisset, was ihr sprechet, und auch nicht
von Samen befleckt, es sei denn, ihr zöget
des Weges, bis ihr euch gewaschen habt.
Seid ihr krank oder auf einer Reise, oder
es kommt einer von euch von der Senke,
oder ihr habt die Weiber berührt und
findet kein Wasser, so nehmt dafür guten
Sand und reibet euer Gesicht und eure
Hände ab; siehe, Allah ist nachsichtig und
verzeihend.
4. Sure, 46.
Er ist's, der euch erschuf von einem
Menschen, und von ihm machte er sein
Weib, auf daß er ihr beiwohne. Und da
er bei ihr geruht hatte, trug sie eine leichte
Last und ging umher mit ihr. Und da
sie schwer ward, riefen sie zu Allah, ihrem
Herrn: »Wahrlich, wenn du uns ein
fehlerloses Kind gibst, wahrlich, dann
werden wir dir dankbar sein!«
7. Sure, 189.
Allah weiß, was jedes Weib im Schoße
trägt, und um was sich die Schöße verengen
und ausdehnen. Und jedes Ding
hat bei ihm sein Maß. Der Wisser des
Verborgenen und Offenbaren, der Große,
der Erhabene! 13. Sure, 9. 10.