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Der vierte Aufzug

Ein Eßzimmer, ziemlich schmal. In der Mitte der Hinterwand Vorhang in einem Türrahmen, als Eingang in ein anstoßendes Gemach. Fenster rechts, hoch, breit, weiße Vorhänge. Ein Büfett, hoch, doch schmal, am rechten Teil der Hinterwand. Tür vorn links. Ein Kachelofen an der Seitenwand links. Tisch in der Mitte, rund. Teppich grau, matt durchwirkt. Drei Stühle um Tisch. Links vom Vorhang der Mitte Anrichtetisch; die Wand dort decken Ölbilder, freundlich hell. Meist Meerlandschaften. Ein dunkles Ölbild, hoch in schmalem Rahmen, links neben dem Büfett. Vorhang grau, Übergardinen gleichfalls graues Tuch. Peter und Frau Mirjam beim Morgenfrühstück. Peter sitzt rechts am Tisch, hinter dem Tisch Frau Mirjam. Schale weißer Narzissen links auf dem Tisch. – Morgensonne. Die Szene ist in der Stadt.

 

Peter. Frau Mirjam.

Peter: Was schreibt nun Guntwar?

Frau Mirjam: Wir müssen es besprechen, Peter. Guntwar kommt auf eine Woche nach hier. Elisabeth wird ihn nicht begleiten, du weißt, sie wird bald Mutter. Guntwar kommt in drei Tagen. Er bittet uns, hier wohnen zu dürfen.

Peter: Was hat denn Guntwar jetzt hier zu tun?

Frau Mirjam: Viel zu regeln, zu entwirren; Vorbereitung für sein Auftreten hier.

Peter: Ach so. Hm. – Warum will er denn nicht anderswo wohnen? Geht es nicht an?

Frau Mirjam: Er schreibt, die Tage fordern von ihm sehr viel.

Peter: Da möchte er die Abende nicht so in fremdem Haus ..

Frau Mirjam: Möchte Liebe um sich wissen, Peter.

Peter: Ich weiß. Ich will nicht untersuchen, wie weit diese Bitte, Mirjam, – wie weit dieser Wunsch mit Guntwars Lehre in Widerspruch tritt. Ist die Liebe des Vaters nicht überall um ihn? Wie?

Frau Mirjam (etwas verwirrt): Du mußt bedenken, Guntwar hatte stets Elisabeth um sich. Und sicherlich –

Peter: Begründet Guntwar diese Bitte nicht in seinem Brief?

Frau Mirjam: Garnicht. Er bittet demütig, aber nimmt die Erfüllung als gewiß. Und das ist das Wundervolle.

Peter: Seltsam. Wirklich höchst seltsam. Guntwar weiß doch so allerlei von uns.

Frau Mirjam: Das – dein Wehren, Peter, das weiß er wohl.

Peter: Und kommt doch so? – – Er will mich wohl vernichten?

Frau Mirjam (mit großen Augen): Wie? – Guntwar meint wohl, sein Aufenthalt hier ginge vorüber. Er will nur Wohnung, kommt nicht her, um zu lehren.

Peter: So – so – so. Freilich: so einmal allein sein in großer Stadt, aus dem warmen Nest heraus –: das ist keine leichte Sache, da heißt's etwas frösteln, entbehren. Kenne das. (Eine Stille, dann stärker?) Aber für diesmal wird es Guntwar üben müssen.

Frau Mirjam: Was?

Peter: Nun, das Entbehren, Mirjam. Nun, Mirjam, bedenke, es geht doch nicht. Sieh, ich kann ihn nicht kommen lassen. Ich muß ja Vergessen üben. –

Frau Mirjam: Ach, Peter, sagst du dies denn im Ernst –?

Peter: Mirjam! Mirjam! Aber du! (Stille.) Nicht, daß ich ihn dir rauben will; laß ihn nur kommen, laß ihn um Gottes willen nur kommen! – des Nachmittags, wenn ich nicht hier bin. Das will ich nicht, deine Flügel dir beschneiden; aber ich, siehst du, ich muß bei meiner Arbeit bleiben. (Bewegung mit den Armen.) Meine – Stumpfe zu bewegen, kann nichts frommen. Ach, Mirjam, mitten bin ich jetzt in der Arbeit, – soll bald fertig sein, – das hilft nun nichts.

Frau Mirjam (ganz leise): Peter, – Peter, – das ist doch aber Trennung – zwischen uns.

Peter (wehrt mit den Armen): Schschschsch – davon spricht man nicht, Mirjam. Willst du es wohl leise lassen! Nur nicht! (Umschlagend.) Also, Mirjam, nicht wahr, es bleibt nun dabei: des Nachmittags, – kann auch vormittags sein, – nur muß ich fort sein, – besucht dich Guntwar, lehrt und redet, fliegt ihr beide – ach, so schön! Indessen bin ich an der Erde, klebe, weißt du; – (ist unterdessen aufgestanden) und auch jetzt mache ich mich auf, ich habe um 9 Uhr Verabredung – ja – also: Adieu, Mirjam. –

(Schüttelt ihr die Hand, will nach rechts abgehen.)

Frau Mirjam (tritt ihm in den Weg, groß ihm in die Augen): Peter! Horch, laß mir dies Spielen!

(Tränen im Auge, der Ton ist ganz hingegeben.)

Peter: Schschsch – nicht doch, Mirjam! (Sie sehen sich an, Peter beginnt zu zittern und zu wanken, in trockenem Schluchzen wirft seine Brust heraus): Mirjam! Hast's zerstört. Alles. Ich hatt's mir doch aufgebaut. O weh, wo soll ich nun bleiben!? (Sucht sich zu fassen. Große Stille. Frau Mirjam betrachtet Peter unausgesetzt mit Angst. Dann sagt Peter, indem er an Frau Mirjam vorüber will): 's ist noch Zeit, laß mich noch gehn!

Frau Mirjam (ihm in den Weg): Nie und nimmer darfst du jetzt von mir, Peter!

Peter (gibt es auf): Von dir – darf nicht von dir –; (Stille.) Mirjam, bist du nicht von mir gegangen?

Frau Mirjam (strahlend zu ihm auf, nimmt seine schweren Hände in ihre gefalteten): Niemals, Peter, niemals, das kann ich nun wohl sagen, es ist wie in unserer ersten Jugendstunde.

Peter: Ach, Mirjam! Mirjam! Das weiß ich doch besser. Aber das ist's ja gerade: du weißt nicht, daß du hinweg bist, – und bist es doch. (Zeigend.) Da – da – da hinten, nur wie ein Pünktlein so groß bist du jetzt, mit in Guntwars Welt, mit Guntwar, aber du weißt's ja nicht. Das ist es ja eben, was mich so traurig macht, und was es so beweist: du bist von mir hinweg und glaubst, es wäre nicht, weit fern, und denkst, ich bin dir zur Seite; du hast kein liebend Auge mehr, ja, – Mirjam, – nur noch Traumauge, – Auge fürs Phantom; – so weit bist du von mir hinweg.

Frau Mirjam (tief strahlend zu ihm, schüttelt das Haupt, nimmt Peters Kopf in ihre beiden Hände): Da bin ich ja! Da bin ich ja! Ich bin doch immer stillgestanden! Es gibt kein Hinweg in dieser Liebe, Peter. Nicht in meiner, nicht in deiner. «Wie du bei mir gestanden bist, brachtest immer jedes Opfer, Peter, bis jetzt zuletzt: so war auch mein Stand dein, Peter, bis zuletzt. Wird es nun mehr und mehr in Gott.

Peter (vor sich, scheint die letzten Worte kaum gehört zu haben; nimmt sein Haupt aus Mirjams Händen; langsam): Du sagst da, Mirjam, ich habe Opfer um Opfer für dich gebracht, bis zuletzt sogar, – halt einmal, Mirjam, – halt einmal ein! – – – (Sieht starr vor sich, starre Pause. Peter sieht etwas, langsam werden seine Augen weit; ganz, ganz leise kommt es ihm über die Lippen) Halt! Halt! Ich ertappe mich, Mirjam! – O du gute Mirjam, du bist schuldlos. (Stille. Noch leiser.) Ein Dieb, Mirjam, kennst du einen Dieb, der in der Nacht sich heimlich davon schleicht? (Ungebrochen.) Sieh mich an! (Er geht an Frau Mirjam vorüber, die wie gelähmt steht. Schließt die Tür hinter sich. Gleich daraufhört man von dort ein Gepolter, als ob jemand die Treppe herunterfiele, unten werden Stimmen laut. Ein unterdrückter Schrei ging voran. Stille. Frau Mirjams Augen werden groß, sie ahnt alles, doch steht sie ganz regungslos. Da hört man schwere Schritte die Treppe heraufkommen; Frau Mirjam geht wie aus sich selbst zur Tür, öffnet sie. Peter, von zwei Männern getragen, Arbeitern, wird hereingebracht. Frau Mirjams Arm geht hoch und weist den Trägern den Eingang durch den Vorhang im Hintergrund.

 

Schmale Szene. Vor dunkler Hinterwand Ruhebett rechts, sonst kein Gegenstand. Graues Taglicht durch ein hohes und breites Fenster rechts in der Hinterwand.

 

Peter.

Peter (im Fieber auf dem Lager):
Mein Gott! Mein Gott! Mein Gott! Mein Gott!
Du schlägst mich ja am ganzen Leib!
Ach, ich weiß nicht aus noch ein.
Früher hast du mich immer behütet, sorgsam
In deine Vaterhände mich genommen;
Aber ich habe ja heimlich mein Weib verlassen,
Wollte davon schleichen, wie ein Dieb in der Nacht.

(Stöhnt schwer auf.)

Oh, das wird ja nun wohl an mir heimgesucht:
Den Würger, du sandtest den Würgengel, sandtest
Ihn, der mich stürzte; ich stürzte, da lieg ich nun.
Und deine Hände, – deine Hände suche ich vergeblich!

(Greift empor.)

Meine Hände, meine Hände, meine Hände sind leer,
Und weder du noch mein Weib darin! –
Und so werde ich ja auch sterben müssen
Und ungeleitet zur Hölle fahren.

Peter. Frau Mirjam.

Frau Mirjam (kommt von links, tritt an das Lager):
Peter, du sprichst wieder, ich hörte dich laut rufen–

(Über ihm, legt ihre Hand auf seine Stirn.)

So – jetzt schläfst du, hörst mich nicht mehr.
Laß deine Hände nur ruhn und greife nicht so,
Meine Hände sind bei dir und halten dich wohl,
Aber viel treuer schirmen dich deines Vaters Hände. –

(Bückt sich in Tränen über ihn.)

Peter. Frau Mirjam. Guntwar.

Guntwar (kommt von links, bleibt am Eingang und streckt der Mutter die Arme entgegen):

Ich bin froh, Mutter, mein Pfad ist licht,
Schäden fallen rechts und links von mir,
Ich darf weitergehen und fürchte mich nicht!

(Kommt langsam vor.)

Vieles ist schon sorgsam vorbereitet,
Schon so manches dargebreitet,
Daß der Pflug es wühle und zerreißt!
Lob find' ich nicht genug,

(Er neigt das Haupt.)

Besonnenheit erschöpft sich nicht; –
Die Lippe geht mir über!

Frau Mirjam (bei ihm, drückt ihm die Hände):
Leise, Guntwar,
Daß sein Schlaf nicht zerreißt! –
Sieh an!

Guntwar (näher hinzu):
Was ist das –?

Frau Mirjam:
Ja, so war's: –
Guntwar, es ist nicht leicht, Gott weiß! –
Reif um Reif spannte er um sich, der Unglückliche!
Da wurde er einsam dabei.
Meine Seele sah zu, sie konnte ihm nicht helfen
Und wollt' es doch; – da brach er an sich selbst. –
Seine Seele zerbrach ihn ganz und gar;
Ihm schwindelte, er stürzte hin.
Gott sucht ihn!
Leib und Berge muß Peter durchkämpfen.
Ich seh's bittend mit an.

Guntwar:
Oh, meine Mutter, seh ich ihn so liegen:
Gott ist in diesem Leid.

Frau Mirjam:
Das sag ich auch.
Tritt näher!
Guntwar!
Er schläft jetzt.

(Wie sie näher treten, beginnt Peter zu wimmern, sie halten erschreckt inne.)

Frau Mirjam:
Was ist das –?

(Stille.)

Guntwar (zag):
Peter, ich liebe dich wie einen Vater –

Peter, (im Traumgesicht, mit Händen abwehrend, unvermerkt gegen Guntwar hin):
Was willst du noch von mir?
Es ist nicht wahr, ich bin nicht hier.

(Kurze Stille.)

Er wächst heraus, der seltsame Mann
Aus der Schar all seiner Kranken; –
Ich will's nicht sehn, kehrt euch weg, Gedanken!
Weg!! (Stille, erschauernd hebt er an.)
Seine Stirne ist von seltsamem Glanz umwimmelt,
Sein Haupt blaß und groß, –
Das Antlitz einfältig bewegt,
Heilsam im Blicke aufgeregt,
Der ganze Mensch weißlich umhimmelt.
Ahh!
Ein Irrer ist es unter Siechen,
Und ich will hier nicht vor ihm liegen,
Nackt und bloß vor dem gott-tiefen Blick!

(Aufschrei.)

Ich bitte dich, weiche zurück!
Fang nicht an!

(Jetzt beginnt sich die Bühne zu verdunkeln.)

Horch!

Gänzliche Dunkelheit. Wie es wieder hell wird, sieht man die Szene des


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