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Der fünfte Aufzug

Die gleiche Szene. Doch ist es Nacht. Neben dem Lager steht jetzt ein kleiner Tisch, brennende Kerze und Wasserglas auf ihm. Frau Mirjam sitzt auf dem Rand des Lagers. Peter unter Decken, schlafend.

Peter. Frau Mirjam.

Frau Mirjam:
Guntwar ist fortgeschickt. Doch war dies meine Pflicht.
Peter ist mir von Gott gegeben, der Geliebte,
Daß ich um ihn bin und alles Verbogene glatt mache;
Und noch viel mehr als in der Jugendzeit fühl ich ihn alternd mir ewig verbunden.
Ja, ich darf meinem Heiligsten nimmer untreu werden;
Habe ich's doch getan, – wie viele Male?
Konnt ich doch nicht anders; denn Er wollte: ich mußte
Das Gottgeschenk, in Demut, aber festiglich, ringsum bewahren.
Ich durfte nicht verleugnen, was Guntwar zu mir sprach.
Herr, du hast mich hingesetzt als eine Mutter zweier Geschicke;
Es geht durch mein Herz, das dir auffleht, mit argen Stößen!
Jetzt muß ich den Gatten opfern, jetzt den Propheten.
Was ich dem einen hinzutun, muß ich dem andern hinwegnehmen.
Fügst du es wohl, daß sie beide nebeneinander wohnen?
Herr, ich bitte dich sehr, mach des Kummers ein Ende!
Wie soll es sein, wenn du nicht ein Ende machst?
Beide hast du gegeben und hast mir beide bestätigt
Und hast mich doch als Mutter zwischen beide gesetzt.
Du hast jede Mutter in dich beschlossen, Vater;
Und wer innig liebt, der ist dir am nächsten nah.
Sei nur gnädig und hebe dich über den Herzenssohn!
Sei gnädig auch diesem, neige dich über den Schmerzenssohn!

(Sie schweigt. Betrachtet dann den Schlafenden?)

Wie eine Wolke ruht es über ihm.
Armer Mann, du hast sehr schwer zu leiden!

(Streicht ihm die Stirn?)

Möchte Gott dir helfen und mit einem einzigen Streichen
Seiner hohen Hand dir alles Finstere aufheben!

Peter:
Warum weckst du mich? Ich habe doch kein
Begehren –

Frau Mirjam:
Träumtest du nicht? Mir schien es, du träumtest bös, –
Da wollte ich dir den Traum von der Stirne wegstreichen.

Peter:
Ob ich nun träumte, ob nicht: im Traum ist man wehrlos;
Ja, es überfiel mich, ich konnte nichts dazu tun,
Ja, ein Traum hat meine Seele böslich geknechtet;
Doch jetzt bin ich wachend und frage: wo schläft er?

Frau Mirjam:
Wer schläft –?

Peter:
Du besinnst dich, du siehst mich fragend an?
Mirjam, es müßte dir aufschreckend durch die Glieder zucken,
Du müßtest erschauern und fragst so: wer schläft?
Der Sohn! Der Sohn! Der Sohn!

Frau Mirjam:
Peter, das denkst du! Ach, Peter, das ist's nicht!
Bei Gott nicht, Peter; so mußt du nicht fragen!
Peter, du bist unwohl, dein Auge ist unstät;
Ich bitte dich, sei ruhig, und lege dich nieder!

Peter:
Mirjam, Mirjam, was prügelst du mich mit Klötzen,
Was schlägst du mit Ruten unablässig über mich hin!?
Ich sage dir: ich habe ein gutes Recht zu fragen!
Ohne Umschweif und Ausweichen: wo schläft hier der Sohn?

Frau Mirjam:
Ich beschwöre dich! Er schläft nicht hier!

Peter:
Alle Beschwörung geht an mir verloren,
Mirjam, das laß, meinen Willen beruhigst du nicht!
Hier im Augenblick sagst du: wo schläft der Sohn?

(Halb aufgerichtet.)

Frau Mirjam (deckt die Hand vor Augen, hilflos, fast wimmernd):
Er schläft nicht hier. Er schläft nicht hier. Er schläft nicht hier.
Hörst du mich nicht, daß ich es dir sage?

Peter (kurz und hoher Schrei in Stößen):
Man sollte es nicht meinen! Nicht meinen! Nein, man sollte nicht!
Doch du wirst mich wahrhaftig nicht betören!
Soll ich und soll ich an deinem Jammern zerscheitern –?
Ah –

(Er steigt von seinem Lager und tritt in die Mitte, er ist im weißen Nachtgewand.)

Bin ich nicht Mensch und habe meine Qual und Kummer?
Und bis auf mein Blut bin ich gehetzt und gequält?
Ein angeschossen Wild bin ich von Gott;
Nun, so will ich einmal aufrichtig Mensch sein!
Hab ich nicht Arme, nicht Arme, diese zwei,
Und meinen Feind, ihn zu suchen, ein unbändiges Gelüst–?
Wohlauf, wohlauf, wie ich bin, will ich Mensch sein!
Hab ich doch herzhaft geblutet nach Menschenvermögen
Und nach Menschendenken ehrlich mein Herz geknetet!
Aber nun will ich meinen Feind unter meine Arme nehmen,
Unter meine Arme, die ihr Teil gut gerungen!

(Er faßt das Licht und geht nach rechts ab. Peter geht durch die Wohnung von rechts nach links hinter der Bühne. Man hört die Türen dröhnend schlagen. Frau Mirjam, an der Hinterwand, blickt wie irre blöde vor sich. Peter kommt zurück, von links, wirft das Licht hin, es erlischt. Der Morgen begann schon im Fenster zu dämmern.)

Peter:
Ein andermal. Ein andermal. Ein andermal. Ein andermal.
Trefflich versteckt, meine Mirjam, über alles barmherzig!

(Sieht stier zu ihr.)

Doch weißt du auch warum?

Frau Mirjam (wie oben, spricht wie unbewußt):
Zu Bett, Peter; willst du nicht ins Bett?
Der Schlaf, Peter, der würde dir wohl gut tun. –

Peter:
Was soll ich im Bett? Schlafen kann ich nicht. Und mich quälen?
Quälen kann ich mich ja auch außer dem Bett.

(Schwankend.)

Kann nicht schlafen, kann nicht schlafen, wenn er nicht schläft –

(Aufwimmern. Er wendet sich dann halb und schlägt mit großer Gewalt Frau Mirjam auf die Stelle ihres Herzens. Frau Mirjam flieht entsetzt bis vorne ganz links.)

Peter (nach dem Schlag, indes Frau Mirjam noch flieht):
Dort schläft er und wohnt, und er wacht und schläft dort nicht;
Und wohin ich mich immer umwende, immer ist er dort,
Wo ich greife und fasse und meine Arme ausdehne:

(indem er immer noch auf die Stelle zeigt, wo Frau Mirjam vorhin stand)

Er ist dort und immer dort und ist nicht herauszujäten.
Du trägst ihn mit dir herum, drängst ihn in jede Liebkosung,
Zwischen Haupt und Arme drängst du ihn mir liebkosend ein!
O Mirjam! du wandelst immer mit ihm herum; –
Wenn ich dich auch tötete und schonte dein nicht,
Er ist da, auch da, er ist da; denn (Geste über sein Haupt) er ist.

(Deckt mit beiden Händen laut auf seufzend den Hinterkopf.)

Oh –

(Frau Mirjam wankt und schluchzt.)

Peter (stets die Hände auf dem Haupt):
Herunter, herunter, Mirjam, heruntersausen
Läßt der Engel sein Schwert, so nimmt er an mir Rache!
Denn ich habe ja mein Weib bitter fehl geliebt,

(Er breitet die Arme.)

Mit meinen Gattenarmen liebend sie zu Tode umfangen!

(Wieder mit Händen sein Haupt bedeckend.)

Tanzen, Mirjam, tanzen, tanzen läßt der Engel das Schwert,
Bis mein Haupt klafft, und seine Sünden ausgeweidet daliegen:
Also hält Gott, der Strafende, seine Gerichte;
Denn Gott ist nicht so gütig, als es den Anschein hat.

(Er läßt die Hände sinken und weint heiße Tränen. Dann noch einmal aufgerafft, zum letzten Kampf mit der Übermacht.)

Kämpf ich mit dir, doch Brust an Brust, ja, Brust an Brust, ich bin ein Mensch,
Ich bin ein Mensch und habe wie ein Mensch gesündigt, –
Und meine Reuetränen ließen nicht ab. –
Du bist ein Engel und bist höher denn ich; –

(er bricht plötzlich in die Knie, laut weinend.)

So sieh mich denn hier liegen – in meinen Reuetränen!

(Große Stille.)

(Frau Mirjam ist bei ihm und will ihn aufrichten helfen. Doch Peter fährt empor und stößt sie mit einer weiten und ungeheueren Armbewegung weit von sich; sie wankt bis an die Wand links hinten.)

Peter:

Hinweg von mir! Ich will allein sein! Es ist Zeit!
Ich muß allein sein; denn ich weiß: das Sterben wartet. –
O ungeheurer Verbrecher, willst du nun wirklich in Tod?

(Wieder zu Mirjam.)

Doch da nehm ich dich nicht mit, da sollst du mir nicht anhangen,

Im Tode will ich nicht mit Fäusten an dir verbluten, nimmermehr!
Der Tod will mich allein, (wendet sich zum Bett)
und ich bin schon da, und er will mich.
Das Grab steht offen, kriech ich nur flugs hinein;
Das Leben endet, und es naht der Beschluß,
Um dessentwillen meine Tage dahingegangen sind.
Oh –

(Er kriecht geduckt auf das Lager und streckt sich stöhnend.)

Er naht. Es ist gut. Es ist gut. Ich bin allein.
Ich bin allein auf den Wellen des Grausens ausgesetzt.
Denn der Tod ist Grausen. Ein schrecklicher Genoß!
Er rennt an, und alles Erworbene bricht und stürzt,
Die Rüstung, die ich erwarb in einem fünfzigjährigen Dasein.
Oh! –
Jetzt, da es zu Ende geht, bin ich ganz erblindet,–
Ich bin blind, ich bin blind, wer hilft meinen Augen auf? –
Ich bin sehr in einem großen Jammer ohne Rechenschaft,
Ganz erblindet und wartend, dann bläst sich aus der Staub,
Und bin ich hin.

(Er schluchzt lange und heftig.)

Blind, ja ganz blind, doch ach! es tut sich in der Seele auf,
Und es sägt und sägt tief in mich ein Licht hinein,
Es bricht, es dringt herein, es unterwühlt mich ganz im Strahl!
Oh, ich kann mich nicht wehren, von solcher Süße
Ist sein Drängen und Werben und seine Hinneigung!
Was ist das, was mich anfaßt, und worin ich mich liebend erkenne?
Und zu wem geht diese Liebe, wer ist denn hier gegenwärtig?
Ich bin Frevler, habe verbrochen, habe mein Leben lang gefrevelt,
Und doch, ich weiß nicht! Doch! vor der Süße der Sehnsucht
Schmilzt die Größe meiner Schuld, ungeheuer, selbst dahin. –
Das weiß ich: ich habe mich doch eben einsam gemacht,
So einsam, wie ich nur als Kleines war, zwischen Vater und Mutter;
Und nun kommt dieses Licht und dieser Ballen Licht in so namenloser Süße,
Und mir ist, als könnt ich der Menschen einzelnen jeden völlig beglücken!
Freilich, Mirjam ist gestorben, und der Peter wohl auch dahin;
Aber Mirjam, aber Mirjam, hab ich nicht neue Hoffnung?
Große Hoffnung, größere als alle Hoffnung meiner Brautschaft?!

(Herzzerreißend jubelnd empört)

Das ist ja offenbar, daß du sehr gütig bist, wenn du dein Kindlein heimsuchst,
Dein Schäfchen eintreibst und ihm unermeßlich Weide schenkst!
Das ist ja offenbar, daß du mich jetzt an der Hand nimmst,
Der du der Hirte meiner Tränen, meiner Trübsal bist,

Jesus Christus;

Und führst mich durch Tod und Schuld mitten hindurch
In die Herrlichkeit alles Unzerstörbaren, deines Reiches!

(Der große und schwere Leib Peters richtet sich im Bett auf und beginnt alsbald, die Augen tiefliegend und zugetan, jubelnd in die Hände zu klatschen.)

Mirjam, meine Mirjam, eil rasch herbei!
Daß ich dir das Reich zeige, daß zu weiden mir beschieden ist!

(Tastend.)

Wo bist du? Bist du? Meine Hände fassen dich noch nicht –

(Nun greift er die neben ihm Kniende.)

Da ist dein Haupt, der Scheitel, der milde, und ganz im Licht!
Fühl noch einmal meine Hände auf dir, Mirjam,
Deines Peters Hände deinen Scheitel tasten. –
O Mirjam, meine Hände, die fühlen wohl noch,
Aber mein Geist, mein Geist wird schon eingetrieben,
Gott treibt sein Schäflein schon ein in sein himmlisches Reich!
Ach ja, der Hirte kommt, der unermeßlich Weide schenkt; –
Ich mußte bluten, mußte bluten, ein Opfer in dieser Welt,
Daß ich der Unsterblichkeit teilhaftig würde in der anderen.
So gnädig war der Herr, daß er mich bluten ließ,
Qual und Bluten ohne Unterlaß,
Um mich ja sicher eintreiben zu können. –
Und eines Tages wirst du mir begegnen, die Streu mir zu machen,
Du, Mirjam, wirst dann kommen, Himmelsblumen werden dein Teil sein, –
Und du wirst mich erquicken und stärken, überselig werden wir beide ziehn,
Immer weiter, immer weiter, so weit, daß kein Ende reicht, –
Du, ein Lämmlein, zu meinen Seiten, geziert
Mit rosenroten Nelken und himmlischem Vergißmeinnicht!
Guntwar wird auch kommen, der Gute, wo sollte sonst er hin –?
Nirgends hat er denn droben seine Stätte.

(Leise, geheimnisvoll.)

Toren waren wir all in dieser Welt,
Aber in jener werden wir die bedachtsame Herde. –
Küsse mich, Mirjam!

(Sie tut es mit himmlischer Inbrunst. Stille. – Peter sagt langsam in Frau Mirjams Armen niedergleitend.)

Schlägt's dich hier auf Erden, so ist's der Hirtenstab,
Der dich dem Ziele zutreibt mit sanften Schlägen;
Denn was dir hart scheint, das ist Ihm sanft;
Denn er ist sanft, der sanfte Herr Christus.

(Frau Mirjam kniet. Stille.)

Sage unserm Guntwar alle Worte meines Todes,
Und sprich ihm vom Vergeben und von der himmlischen Heerschar!
Und sage ihm, daß Gott mich gewürdigt,
Weide zu finden als Schäfchen im Himmelreich.

(Er tut einen langen Atemzug und stirbt.)


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