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Früh zog in diesem Jahre der Winter ins Land und drängte die Lohhöfer in den engen Raum des Hauses zusammen. Der Bauer und die Frau wußten aber trefflich dafür zu sorgen, daß es auch in der stillen Jahreszeit nicht an Arbeit fehlte. Die Mannsleute droschen, flochten Bienenkörbe, schnitzten Wurststicken, strickten Strümpfe, pahlten Lohnen und Erbsen aus, und was dergleichen Winterbeschäftigung mehr ist. Der Großknecht, der auf Freiersfüßen ging, schnitzte und nagelte feierabends aus den Brettchen von Zigarrenkisten ein zierliches Kammkästchen für seine Liebste. Die Frauensleute hechelten, ließen die Spinnräder schnurren und das Weberschifflein gleiten. So sorgten Lohmanns dafür, daß das Jungvolk nicht vor Langeweile auf Dummheiten verfiel.
Eine angenehme Abwechslung war's, als nicht lange vor Weihnachten der Sniederkorl mit der großen Brille für einige Wochen den Tisch in der Dönze zu seinem Thron machte. Der wußte so nett zu erzählen, wie's auf den anderen Höfen herging, und wurde mit Essen und Trinken hoch geehrt, damit der Lohhof seinen guten Ruf behalte. Die Deerns waren während seiner Anwesenheit sehr fleißig und folgsam. Denn schon mancher hatte er einen Mann verschafft, solche dagegen, die er nicht mochte, hatten die beste Aussicht, sitzenzubleiben. Mutter Lohmann brachte einmal mit Umwegen das Gespräch auf den Dierkshof. Da fing Sniederkorl gleich vom Gretschen an, der er ein Zeugnis Nr. 1 ausstellte. Nächstens käme er wieder dahin, fügte er hinzu, diskret lächelnd, als wollte er sagen: »Stehe zu Diensten.« Aber einen Auftrag wollte Mutter Lohmann ihm denn doch noch nicht mitgeben.
Als Sniederkorl seinen stolzen Thron verlassen hatte, nahm der kleine krumme Schosterchristoffer auf einem bescheidenen Schemel Platz. Das junge Volk lachte über ihn, weil seine Augen unter den buschigen Brauen weg immer so verwundert in diese närrische Welt hineinschauten. Aber Vater Lohmann hatte ihn gern und hörte ihm aufmerksam zu. Er war in der Bibel gut bewandert und wußte vor allem aus der Offenbarung Johannis genau, wie es in den letzten Zeiten zugehen würde.
Und dann kam das liebe Weihnachtsfest. Lange hatte Hinrich in den tiefverschneiten Loher Büschen gesucht, bis er ein Bäumchen fand, das ihm gefiel. Als die Besucher der Christvesper von Wiechel zurück waren, erstrahlte es im Glanz der Kerzen und im Schmuck der Papierrosen, Zuckerkringel, Äpfel und Nüsse, und die stillfrohe Hausgemeinde sang: »Freue, freue dich, o Christenheit.« Unter dem Tannenbaum stand auch ein armes Häuslingskind, das Lohmanns erst kürzlich zu sich genommen hatten. Es war ein scheues, verschüchtertes Ding; denn es hatte die Mutter langsam hinsiechen und vor drei Wochen schwer sterben sehen, heute abend war in seinen umränderten, trüben Äuglein ein stilles Leuchten, es sah bald auf den Lichterglanz und dann wieder den Großen auf den Mund, wie sie sangen, und bei dem dritten Verse sang es selber mit: »Feue, feue dich, o Tissenheit.« Und so sang es die Festtage über, und die nächsten Wochen, und den ganzen Winter, fast bis Ostern hin, und ersang sich helle Augen und ein fröhliches Herz.
Und keinem im Hause wurde es zuviel, dieses Lied der Freude von den Lippen des kleinen Mädchens. Es paßte zu diesem Winter, in dem nichts das warme Nachleuchten des Weihnachtsfestes störte. Der einsame Hof an der Werle hatte eine stille, frohe Zeit. Die Menschen, die da in der großen Stube um den warmen Ofen saßen, waren miteinander zufrieden, die Eltern mit den Kindern, die Herrschaft mit den Dienstboten und umgekehrt, vor allem waren Vater und Mutter Lohmann darüber glücklich, daß ihr Hinrich sich so gut wieder mit ihnen einlebte. Die Kraftausdrücke, die er vom Kasernenhof und aus der Reitbahn mitgebracht hatte, waren fast ganz verschwunden. Eigentlich merkte man's nur noch an dem militärischen »Jawoll!« und der immer mehr verschießenden Ulanenmütze, daß der Junge jemals etwas anderes gewesen war als Haussohn des Lohhofes.